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ITALIEN/139: In EU wachsende Furcht vor italienischem Brexit (Gerhard Feldbauer)


Chef der rassistischen Lega Nord Salvini: An der Regierung werden wir ethnische Säuberungen vornehmen

In EU wachsende Furcht vor italienischem Brexit

Von Gerhard Feldbauer, 19. August 2016


Im Ferragosto, dem Ferienmonat August, herrscht in Italien eigentlich politischer Waffenstillstand. Diesen hat der Chef der Lega Nord und Führer der rechtsextremen Allianz mit der faschistoiden Forza Italia von Ex-Premier Berlusconi, Matteo Salvini, zu einer an rassistischen Ausfällen kaum zu überbietenden Hetzveranstaltung in Ponte di Legno, einer Gemeinde und Lega-Hochburg in der Provinz Brescia, gebrochen. Auf einer Kundgebung mit 3.000 seiner Leghisten rief er auf, bei dem Referendum über die Verfassungsreform zur Beseitigung des Senats als zweiter Kammer mit "No" zu stimmen, um die sozialdemokratische Regierung Renzi zu stürzen. Wer nicht mit "Nein" stimme, sei "ein Schlappschwanz". Mit einem Polizeihemd bekleidet und Handschellen in der Hand führte er unter tosendem Beifall aus: "Wenn wir an der Regierung sind, werden wir der Polizei freie Hand geben, um die Städte von Migranten zu säubern". Er kündigte "ethnische Säuberungen" an, um Schluss zu machen, mit "der Unterdrückung" die die Italiener ertragen müssen.

Die rassistische Veranstaltung rief, wie die regierungsnahe La Repubblica am Mittwoch und Donnerstag berichtete, starke Proteste hervor. Mehrere Polizeigewerkschaften wiesen die Ausfälle scharf zurück. Felice Romano, Vorsitzender der Siulp, verurteilte das "putschistische Gebaren" des Lega-Chefs als schwerwiegende Provokation. Er forderte die Einhaltung der Gesetzlichkeit und versicherte, dass sich die Ordnungskräfte entsprechend der Verfassung, auf die sie vereidigt sind, verhalten und diese garantieren. Der Generalsekretär der Polizeigewerkschaft Silp in der CGIL, Danielle Tissane, erinnerte daran, dass Roberto Maroni von der Lega als Innenminister in der Regierung Berlusconi einst illegale Einwanderer in Gefangenenlager sperren wollte. Man solle daran denken, "was zu erwarten sei", fragt der Gewerkschafter, "wenn die Lega an die Regierung käme".

Nach dem Brexit Großbritanniens erhält das Referendum in Italien, dem nach einem "Nein" zwangsläufig vorgezogene Neuwahlen folgen würden, da Renzi in diesem Fall seinen Rücktritt angekündigt hat, EU-weite Dimensionen. Denn die Lega Nord reitet auf der Anti-EU-Welle und will ein Referendum über den Austritt Italiens einleiten, das durchaus Erfolg haben könnte. Hinzu kommt die anhaltende wirtschaftliche Stagnation mit faktischem Nullwachstum. Die Rettung mehrerer Banken mit "faulen Krediten" in Milliardenhöhe hat Renzi nicht nur scharfe Kritik in seiner Partito Democratico (PD) eingebracht, sondern auch Abmahnungen aus Brüssel. La Repubblica schreibt, die Abstimmung über die Verfassungsreform wirkt "alarmierend in den USA und in Europa, da eine Niederlage für Renzi schwerer als das Brexit wiegt" und zitiert besorgte Stimmen von der New York Times, über die Financial Times bis zum El Pais, die befürchten, ein negatives Ergebnis könnte "ein neuer politischer Schock für die EU werden". Renzi solle, so werden führende Finanzkreise, wie der Top-Manager George Soros von Silicon Valley zitiert, von Brüssel "eine größtmögliche Toleranzbreite zugunsten des Wachstums erhalten".

In diesem Kontext erregte es Aufsehen, dass der Chef der Protestbewegung Fünf Sterne (M5S) Beppe Grillo, dessen Bewegung in Meinungsumfragen bei Neuwahlen Kopf an Kopf mit Renzis PD rangiert, wie die Nachrichtenagentur ANSA schrieb, "Stargast" eines Treffens mit rund 70 Unternehmern war. Zu den Teilnehmern gehörte der führende M5S-Mann, der Unternehmer und Publizist Gianroberto Casaleggio, der als Verbindungsmann zwischen der Bewegung und den Unternehmern bekannt ist. Nachdem M5S bereits ihre bisherige Anti-EU-Haltung in Frage gestellt hat und ihre Bürgermeisterin in Rom, Virginia Raggi, eine Kandidatur zu den Olympischen Spielen 2024 überdenken will, scheint die mögliche Regierungspartei nun auch ihr Ankommen beim Kapital ins Auge zu fassen und dieses selbst über einen Ersatz für Renzi nachzudenken.

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. August 2016

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