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ITALIEN/155: Referendum - Rücktritt Premier Renzis bei Niederlage nicht sicher (Gerhard Feldbauer)


Im Referendum in Italien wird Kopf- an Kopf-Rennen erwartet

Rücktritt Premier Renzis bei Niederlage nicht sicher

von Gerhard Feldbauer, 3. Dezember 2016


Im Wahlkampf zu dem von Premier Renzi angesetzten Referendum über die Verfassungsreform zur Abschaffung des Senats als zweiter Parlamentskammer wurden noch einmal alle Register gezogen. Es geht darum, ob der Senat in eine Regionalkammer ähnlich dem deutschen Bundesrat umgewandelt und die Zahl der Senatoren von 315 auf 100 verkleinert wird. Bei "No" (Nein) will Renzi zurücktreten. Ob er dabei bleibt, ist ungewiss, denn seine PD-Führung als auch Minister seiner Regierung haben ihn bereits aufgefordert, auch dann im Amt zu bleiben.

In Befürchtung einer Niederlage warnten Finanz- und Wirtschaftskreise vor den Folgen in der drittgrößten EU-Wirtschaftsmacht. Confindustria-Chef Boccie mahnte, das könnte zum "Italexit", dem Austritt aus der Euro-Zone führen. Die italienische Staatsbank sieht das "Spread" ansteigen, eine neue Bankenkrise und Turbulenzen der Finanzmärkte. IWF-Experten, das Mc Kinsey Global Institute und die Londoner Financial Times befürchten ein Schuldendrama, gar eine Staatspleite, die ein internationales Finanzbeben auslösen könnte. EU-Kommissionspräsident Juncker nannte das Referendum deshalb "eine gute Sache". Bei einer Niederlage "wäre Europa nicht mehr dasselbe". In italienischen Medien wurden die "Warnungen" eher als Horrorszenarien gesehen, um möglichst viele Wähler dazu bringen, aus Angst mit "Si" (Ja) zu stimmen. Dass auch Finanzminister Schäuble, der sonst Renzis Querulantentum in der EU scharf kritisiert, "jeden Erfolg" wünschte, sei zwar, so das linke Fatto Quotidiano "Balsam für Renzi", wirke aber, wie andere Stimmen meinten, eher als "ein Bärendienst".

Renzi argumentierte, die Reform ermögliche eine effizientere Arbeit, da Entscheidungen des Premiers und des Parlaments nicht mehr durch den Senat blockiert werden könnten. Obendrein würden Milliarden Euro an Verwaltungskosten eingespart. Die rechtsextreme Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconi, die rassistische Lega Nord und die faschistischen Fratelli (Brüder) Italiens wollen Renzi mit "No" eine Niederlage bereiten. Auch die Protestbewegung Fünf Sterne (M5S) will den Premier stürzen und bei Neuwahlen gegen die PD antreten. Die extreme Rechte ist über das weitere Vorgehen zerstritten. Während Salvini Neuwahlen verlangt, ist Berlusconi für ein Verbleiben Renzis im Amt und will ihn sogar mit seiner FI unterstützen. Der abgewirtschaftete Medien-Tycoon spekuliert, mit seiner Partei in eine Übergangsregierung eintreten zu können. Renzi warnte seine PD-Minderheit, ein "No" werde der extremen Rechten in die Hände arbeiten.

Denn die Linken in und außerhalb des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) lehnen die Reform mehrheitlich ab, weil Renzi parallel ein Wahlgesetz, das Italicum, durchgesetzt hat, das der Siegerpartei 340 der 630 Sitze im Parlament zugesteht. Über diese verfügt derzeit die PD. Angesichts untersagter Wahlbündnisse und einer 3 Prozent-Sperrklausel haben die Linken außerhalb der PD kaum eine Chance ins Parlament zu kommen. Für ein "Si" könnten, wie La Repubblica schrieb, auch die Stimmen der über 4,8 Millionen im Ausland lebenden Italiener den Ausschlag geben. Die PD-Parlamentarierin Laura Garavini rührte in London, Bern, Berlin und Stuttgart für ihren Parteichef die Trommel. Ähnlich sieht es bei der Friedensbewegung aus. In der letzten Woche wurde bekannt, dass die Militärausgaben seit 1993 auf 23 Milliarden Euro anstiegen und derzeit täglich 64 Millionen Euro allein für Raketen, Militärjets und Flugzeugträger ausgegeben werden. Das dürfte viele Anhänger der Friedensbewegung, die 2014 bei den EU-Wahlen dazu beitrugen, der PD über 40 Prozent zu sichern, diesmal veranlassen, mit "No" zu stimmen.

Repubblica berichtete am Freitag, dass in letzter Minute Vertreter von Links und der Linken Mitte, die sich bisher zurückgehalten hatten, für ein "Si" plädierten. Der mehrmalige Ministerpräsident Romano Prodi appellierte, das "Land nicht den Rechten zu überlassen". Auch der parteilose Linke Guliano Pisapia, 2011 bis 2016 Bürgermeister von Mailand, warnte, ein "No" werde "der Rechten den Weg frei machen". Letzten Endes, so Fatto Quotidiano

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Quelle:
© 2016 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Dezember 2016

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