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ITALIEN/231: Italiens Antifaschisten en Marche (Gerhard Feldbauer)


Italiens Antifaschisten en Marche

Auf internationaler Kundgebung solidarisierten sich Zehntausend mit den einer menschenfeindlichen rassistischen Hetze der Regierung in Rom ausgesetzten Migranten

von Gerhard Feldbauer, 16. Juli 2018


In Ventimiglia, der rund 24.000 Einwohner zählenden Grenzstadt zu Frankreich in Ligurien, solidarisierten sich am Sonnabend zehntausend Italiener mit den einer menschenfeindlichen rassistischen Hetze der Regierung der Lega und der Fünf-Sterne-Partei (M5S) in Rom ausgesetzten Flüchtlingen und Migranten. An den Veranstaltungen nahmen zahlreiche Franzosen, Deutsche, Spanier und Niederländer teil.

Zu dem internationalen Solidaritätstag hatten rund 30 Organisationen, darunter zahlreiche in der Hilfe für Flüchtlinge engagierte Sozialzentren, der nationale Partisanenverband ANPI, die kulturelle Vereinigung ARCI, das Linksbündnis Potere al Popolo, die Linkspartei Sinistra Italia (SI), die Basis-Gewerkschaft COPAS, die Partei der Rifondazione Comunista (PRC), Journalisten des linken Manifesto aufgerufen. Der Bürgermeister der Stadt von der Demokratischen Partei (PD) Enrico Ioculano hatte zunächst die Solidaritätskundgebung nicht genehmigen wollen, musste aber Protesten nachgeben. Die römische La Repubblica distanzierte sich am Sonntag und wertete Ventimiglia als Signal, dass "Salvini nicht Italien ist".

Ventimiglia ist eine wichtige Transitstadt für Migranten, die von Italien aus versuchen, in andere EU-Länder zu gelangen. Seit 2016 sind 12 Migranten beim Versuch, nach Frankreich zu kommen, ums Leben gekommen. Die Veranstalter machten publik, dass viele von ihnen auf der Flucht vor den entsetzlichen Zuständen in ihren Heimatländern, vor Krieg, Terror und unmenschlicher Gewalt sind. In Ventimiglia sind viele in Lager eingepfercht und müssen unter oft katastrophalen Bedingungen leben, ohne medizinische Versorgung. Eine Gruppe Médecins Sans Frontières versucht, ihr Elend zu lindern. Die Pfarrei der Stadt hat 198 Frauen und 246 Männern eine Unterkunft gegeben.

Wie das linke Online-Portal DinamoPress berichtete, bewegte sich der vier Kilometer lange, von einem starken Polizeiaufgebot überwachte Protestzug auf die Grenze zu, die italienische und französische Sicherheitskräfte mit Zäunen und Schützenpanzerwagen abgeriegelt hatten. Danach kehrte er in die Stadt zurück.

Während Tausende in Ventimiglia durch die Strassen zogen, warteten bei Lampedusa ein italienisches und ein Frontex-Schiff mit 450 geretteten Flüchtlingen auf das Einlaufen in einen Hafen. Laut der Nachrichtenagentur ANSA waren sie von Libyen bis kurz vor die Küsten italienischer Inseln gefahren. Unter den Geretteten seien viele Minderjährige. Vizepremier Matteo Salvini erklärte, man werde die Menschen nur dann an Land lassen, wenn sich andere europäische Länder zu deren Aufnahme bereiterklärten. Bis Sonntag willigten Frankreich, Malta und die Bundesrepublik dann ein, jeweils 50 Flüchtlinge aufzunehmen.

Auf Plakaten, Transparenten und in Sprechchören prangerten die Teilnehmer an, dass die Rassisten-Regierung, seit sie am 1. Juni ins Amt kam, permanent die italienische Verfassung verletzt, indem sie NGO-Schiffen und anderen internationalen Rettungsschiffen mit Flüchtlingen an Bord das Einlaufen in italienische Häfen verbietet, Migranten aus ihren Unterkünften vertreibt, ihnen die Unterstützung streicht, sie demütigt, mißhandelt, bedroht und elementarster Menschenrechte beraubt. Diese menschenfeindliche Politik werde von der EU in Brüssel, von den Innenministern in Berlin und Wien unterstützt und erhalte die Zustimmung des französischen Staatspräsidenten Macron. Die regionale San Remo News zitierte den bekannten Zeichner Vauro Senesi, der sagte, Ventimiglia klage die Regierung in Rom als "Komplizen eines neuen Holocaust" an.

In einer gemeinsamen Erklärung forderten die Veranstalter "eine Mobilisierung zur Anprangerung der Brutalität der nationalen und internationalen Politik zum Umgang mit Migration". Sie verlangten "ein europäisches Aufenthaltsrecht und das Recht auf Mobilität" für Migranten innerhalb Europas". Der Abschottung Europas gegen Flüchtlinge müsse ein Ende gesetzt werden. Auf einem Transparent stand: "Für einen würdigen Empfang von Flüchtlingen in einem Europa ohne Grenzen".

Die Frauenrechtlerin Simona Pittaluga vom Frauenbündnis "Non una di meno", einer in der antirassistischen Bewegung in erster Reihe engagierten Organisation, erklärte gegenüber dem Korrespondenten, die Bedeutung von Ventimiglia bestehe darin, dass nach Monaten der Lähmung dem Widerstands frischer Wind verliehen werde. "Die rassistische Propaganda des Angst-Ministers Salvini bricht in das Leben aller ein: aber wir stehen auf gegen den Rassistenführer und wir sind stolz darauf, und wir sind sehr viele und wir werden noch mehr." Sie hob die große Bedeutung der in Ventimiglia gezeigten internationalen Solidarität hervor, gemeinsam zu verhindern, dass aus "Europa eine mörderische Festung wird, in der Waren kursieren und Menschen sterben".

Die spanische Hilfsorganisation Proactiva kündigte am Wochenende an, dass sich ihr Hilfsschiff »Open Arms« wieder auf den Weg vor die libysche Küste gemacht habe. »Wir fahren dorthin, wo es weder Kriminelle noch Übeltäter gibt, nur Menschenleben in Gefahr. Und zu viele Tote auf dem Meeresgrund«, teilte die Organisation über Twitter mit.

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Quelle:
© 2018 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2018

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