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ITALIEN/291: Neue Regierungskrise? Sterne-Partei torpediert Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten (Gerhard Feldbauer)


Am Freitag ist die zweite Regierung von Giuseppe Conte 100 Tage im Amt
Steht schon wieder eine neue Regierungskrise ins Haus?

Sterne-Partei torpediert Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten

von Gerhard Feldbauer, 11. Dezember 2019


Am kommenden Freitag ist die zweite Regierung von Giuseppe Conte (die erste bestand von Juni 2018 bis August 2019 aus PD und M5S) 100 Tage im Amt. Die meisten Medien, so kürzlich die den Sozialdemokraten (Demokratische Partei - PD) nahestehende römische "La Repubblica", bezweifeln, daß das Kabinett die nächsten 100 Tage überleben wird. Die renommierte Denkfabrik Teneo brachte gerade eine Einschätzung ihres Analysten Wolfango Piccoli, der meint: "Die Regierung ist im Grund komatös und unfähig zu regieren. Sie wird durch einen Faktor künstlich am Leben erhalten: Die Drohung, die bei Wahlen von Matteo Salvinis Lega ausgeht", der diese mit Unterstützung der faschistischen Allianz aus der Forza Italia (FI) Ex-Premiers Berlusconi und der Brüder Italiens (FdI) von Giorgia Meloni gewinnen könnte.

Verstärkt wurden die Befürchtungen durch Berichte der Ratingagentur Fitch, die damit rechnet, dass die Spannungen zwischen der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und den Sozialdemokraten zu einer Regierungskrise führen könnten. Die staatliche Nachrichtenagentur "ANSA" gab die Einschätzung der Fitch gleich zweimal wieder, in der es heißt: Diese "anhaltende politische Unsicherheit" stelle "einen Risikofaktor für eine faktisch stagnierende Wirtschaft dar". Die "Verhandlungen über das Haushaltsgesetz von 2020" verdeutlichten die politischen Spannungen zwischen den M5S und dem PD. Das stelle "ein Risiko für die Dauer der Exekutive für die gesamte Legislative" dar.

"La Repubblica" schrieb zustimmend, statt in "politischen Diskussionen über den Europäischen Stabilitätsmechanismus (MES) die tatsächlichen wirtschaftlichen Probleme", die "dramatisch" seien, zu klären, würden "zweitrangige Fragen" (Plastiksteuer, Zuckersteuer, Dienstwagenbesteuerung) diskutiert, bei denen M5S-Chef Luigi Di Maio an der Seite von Lega-Chef Matteo Salvini stehe, während die "Daten über einen neuen Rückgang der Produktivität unbeachtet" blieben. Das sei "der Grund dafür, warum unser Wachstum seit wenigstens zwei Jahrzehnten sehr niedrig ist". Ohne Wirtschaftswachstum sei es aber unmöglich, "die Staatsschulden zu verringern". Das könne dazu führen, dass Italien die EU um eine "externe Rettung" bitten müsse.

Noch ist nicht entschieden, ob Brüssel den italienischen Haushalt 2020 akzeptieren wird, der kaum ein Wachstum vorsieht, dagegen ein Defizit von 2,2 Prozent gegenüber den eigentlich vereinbarten 1,5 Prozent. Nachdem Salvini gedroht hat, die Euro-Zone zu verlassen, ist die Meinung der Fitch offensichtlich ein "Wink mit dem Zaunpfahl" aus Brüssel, keinen neuen Zwist zuzulassen und dem MES zuzustimmen.

Um bei drohenden Neuwahlen Wähler zu gewinnen, will Premier Giuseppe Conte den Sozialdemokraten folgen und einige soziale Zugeständnisse machen. Wie "La Repubblica" am Dienstag schrieb, seien PD-Chef Nicola Zingaretti und der Generalsekretär der Gewerkschaft CGIL, Maurizio Landani, mit Conte überein gekommen, dazu mit den Unternehmern eine "strategische Allianz" zu schließen, was gewöhnlich "Sozialpakt" genannt wird. Auf welche Kompromisse sich die Gewerkschaften hier einlassen, welche Opfer hier von den arbeitenden Menschen verlangt werden, ist noch offen.

Die von den Sozialdemokraten eingebrachten sozialen Forderungen sehen eine Steuerreform vor, die mehr die arbeitenden Menschen entlasten soll, was sich logischer Weise gegen die reichen Oberschichten richtet. Während M5S das demagogisch lautstark unterstützt und den Erfolg für sich beansprucht, blockiert der rechte Flügel unter Luigi Di Maio das im Kabinett. Conte will die Staatseinnahmen durch einen verstärkten Kampf gegen die Steuerhinterziehung erhöhen. Laut Schätzungen gehen jährlich rund 100 Milliarden Euro am Fiskus vorbei. Dass die reichen Oberschichten auch hier in den Fokus kommen, geht auch auf Initiativen der Sozialdemokraten zurück. Auch hier blockt Di Maio ab und ist dagegen, dass Steuerhinterzieher bereits ab 150.000 Euro mit Gefängnis bestraft, das Vermögen von Steuerflüchtlingen beschlagnahmt und die digitale Steuererfassung eingeführt wird. Politisch von Bedeutung ist auch, dass die PD und die in der Regierung vertretene gemäßigte Linkspartei Freie und Gleiche (LeU) ins Parlament den Antrag für ein neues Wahlgesetz einbringen, das das von dem Chef der faschistischen Forza Italia (FI), Ex-Premier Berlusconi, einst eingeführte undemokratische Direktwahlsystem beseitigt und zum Verhältniswahlrecht zurückkehrt.

Den Hintergrund bilden Veränderungen im Parteiengefüge der heterogenen Regierungskoalition. Nach der Abspaltung der rechten Fraktion unter Matteo Renzi, der eine neue Partei Viva Italia (Lebendiges Italien) gründete, demonstriert PD-Chef Nicola Zingaretti ihre stärkere sozialdemokratische Ausrichtung. Er drängt auf Korrekturen des von der faschistischen Lega hinterlassenen Erbes, was sich u. a. in der Annahme des von der PD eingebrachten Antrages zur Bildung eines Senatsausschusses zur Untersuchung und Bekämpfung von Fremdenhass, Rassismus und Antisemitismus zeigte. Es wird auch deutlich, dass Premier Conte, obwohl parteilos, aber als ein Anhänger der Sterne-Partei galt, inzwischen auf Distanz zu Di Maio geht und es immer öfter zur, wenn auch nicht offen geäußerten Konfrontation kommt.

So wenn der Premier auf Facebook erklärte: "Wir führen die größten Steuersenkungen der letzten Zeit im Vergleich zum Szenario mit unveränderten Richtlinien in einem komplizierten öffentlichen Finanzrahmen durch. Wer auch immer etwas anderes sagt, ist ein Lügner oder äußert sich in böser Absicht". Dafür erhält er "Applaus von der PD", während "mit Di Maio Eiszeit herrscht", schrieb der Mailänder "Corriere della Sera". Als die PD bei der Regionalwahl in Umbrien (wo der Kandidat der Lega von der faschistischen Allianz mit 57,55 gewann) ihre Stimmen von 18,7 Prozent bei der Parlamentswahl im März 2018 auf 22,4 steigern konnte, während M5S von damals rund 32 Prozent auf unter acht absackte, stellte Zingaretti klar: "Wir sind die erste Koalitionspartei im Land, wenn auch nicht im Parlament".

Zum Test, ob die Regierung noch hält, dürften die Regionalwahlen in der Emilia Romagna und Kalabrien am 26. Januar werden, wo M5S ein Wahlbündnis mit der PD abgelehnt hat und allein antritt. Mit ihrer Entscheidung, "in Konkurrenz zur PD anzutreten", erweise M5S Lega-Chef Salvini "einen Gefallen", erklärte der in der Emilia als Spitzenkandidat von der PD vorgeschlagene Stefano Bonaccini, der von einer Linken Mitte Rückhalt erhält. Salvini, dessen Kandidat dort - wie in Umbrien - wieder von der faschistischen Allianz (FI und FdI) unterstützt wird, hat öffentlich erklärt, dort die jahrzehntelange "rote Herrschaft" zu brechen und damit das Signal zum Sturz der Regierung mit den Sozialdemokraten zu geben.

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Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Dezember 2019

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