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ITALIEN/296: Prozessbeginn - Salvini drohen wegen Freiheitsberaubung bis zu 15 Jahre Gefängnis (Gerhard Feldbauer)


Vor Prozess-Beginn gegen Lega-Führer Salvini

Früheren Innenminister drohen wegen Freiheitsberaubung bis zu 15 Jahre Gefängnis

von Gerhard Feldbauer, 16. Februar 2020


Wie die Nachrichtenagentur ANSA am Donnerstag berichtete, hat der italienische Senat am Tag zuvor die Immunität seines Mitglieds, des Führers der faschistischen Lega, Matteo Salvini, aufgehoben. Damit wird der Weg frei für einen Prozess, den die Staatsanwaltschaft von Catania auf Sizilien gegen ihn als früheren Innenminister, gleichzeitig Vize-Premier (Juni 2018 bis August 2019), wegen "Freiheitsberaubung" und "Amtsmißbrauch" anstrengt. Das bezieht sich darauf, dass Salvini im Juli 2019 131 Migranten, die das Schiff der italienischen Küstenwache "Gregoretta" im Mittelmeer an Bord genommen hatte, 4 Tage die Anlandung in Augusta auf Sizilien verweigert hatte. Unter den Flüchtlingen befanden sich Minderjährige, was strafverschärfend wirken und zu einer Verurteilung von bis zu 15 Jahren Gefängnis führen kann. Erst als andere EU-Staaten zugesagt hatten, sich an der Aufnahme der Flüchtlinge zu beteiligen, wurde diesen die Landung erlaubt.

Einen ersten Antrag, Salvinis Immunität aufzuheben, hatte der Senat während dessen Amtszeit im August 2018 abgelehnt. Damals ging es um das Rettungsschiff "Diciotti", das 177 Migranten an Bord hatte, denen Salvini mehrere Tage verboten hatte, in einen sizilianischen Hafen einzulaufen. Nach der jetzigen Abstimmung steht noch eine mögliche dritte Klage an - die Blockierung des Seenotrettungsschiffs, der "Open Arms", dem im August 2019 19 Tage die Landung mit Flüchtlingen in Lampedusa auf Sizilien verweigert wurde.

Den Hintergrund der jetzigen Zustimmung des Senats bildet, dass Salvini mit seinem Austritt aus der Regierung mit der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) im August 2019 diese zu Fall bringen wollte, um in Neuwahlen selbst Regierungschef zu werden, scheiterte. Danach bildete der parteilose Jura-Professor Giuseppe Conte eine neue Regierung aus der sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), der Sterne-Partei und den Linksdemokraten Freie und Gleiche (LeU), der auch die Partei Italia Viva (Lebendiges Italien) des früheren Premiers und PD-Chefs, Matteo Renzi, angehört, die aus einer Abspaltung von der PD entstand.

In der neuen Regierung fordern die PD und LeU eine Abkehr von der rassistischen Politik der Lega, darunter die Aufhebung der so genannten Sicherheitsdekrete, auf die sich die Verbote Salvinis der Aufnahme von Flüchtlingen stützten. Mit diesen Dekreten betrieb Salvini als Innenminister nicht nur eine Politik der "geschlossenen Häfen" für Flüchtlinge und Seenotretter in Italien, sondern entfesselte eine regelrechte Hetzjagd gegen sie. Schiffen von Hilfsorganisationen wurde verboten, Flüchtlinge im Mittelmeer vor dem Tod des Ertrinkens zu retten (was Anstiftung zu einer Straftat, der Unterlassung von Hilfeleistung, ist). Gegen Kapitäne oder Eigner von Reedereien, die ohne Erlaubnis des Innenministers in italienische Gewässer oder Häfen einfuhren, wurden Geldstrafen zwischen 10.000 und 50.000 Euro verhängt. Bei Verstößen wurden Schiffe beschlagnahmt. Als die deutsche Hilfsorganisation Sea-Watch trotz Verbots Italien ansteuerte, wurde gegen die Kapitänin, Carola Rackete, wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung ermittelt.

Nach Berichten der Hilfsorganisationen SOS Mediterranée und Ärzte ohne Grenzen gehörte zu den Folgen dieser rassistischen Hetzkampagne Salvinis, dass mindestens 1151 Männer, Frauen und Kinder im zentralen Mittelmeer ertranken. Mehr als 10.000 weitere Migranten seien auf See abgefangen und ins Bürgerkriegsland Libyen zurückgezwungen worden. Die Vereinten Nationen hatten im Mai 2019 festgehalten, dass die Dekrete mit internationalem Recht nicht vereinbar sind und gegen die Menschenrechte verstoßen. Salvini prahlte dagegen, dass er damit durchgesetzt habe, dass unter ihm 85 Prozent weniger Flüchtlingsschiffe innerhalb eines Jahres nach Italien gekommen und 50 Prozent weniger Anträge auf politisches Asyl gestellt worden sind.

Mit der Aufhebung der Immunität Salvinis hat die neue Regierung Conte einen ersten Erfolg erzielt. Salvini will sich in einem Schauprozess als "Retter" vor einer Flüchtlingsinvasion positionieren, der "Italien verteidigt" habe. "Ich werde es wieder tun, sobald ich an die Regierung zurückkehre", zitierte ihn ANSA. Im Prozess will er geltend machen, dass Premier Conte und Fünf-Sterne-Chef Luigi Di Maio als Vize-Premier dem Dekret zustimmten.

Allerdings gibt es Anzeichen, dass die Zustimmung zu Salvinis Lega bei Wahlen nach Umfragen des Meinungsforschungs-Instituts Ixe, die die römische Zeitung La Repubblica am Mittwoch veröffentlichte, erstmals rückläufig sind. Von bisher 32 Prozent Wählerstimmen sinkt die Partei Salvinis auf 28 ab, M5S auf 14,9, während die PD 20 Prozent erhält. Die faschistischen Brüder Italiens (FdI) steigen von 3,69 Prozent 2018 auf 13 und liegen vor Berlusconis Forza Italia (FI) und werden zum wichtigsten Verbündeten der Lega.

Die Richter in Catania werden vor der Bewährungsprobe stehen, ob sie sich mit einem Freispruch auf der Seite des Faschismus und Rassismus des Lega-Chefs positionieren oder ihn verurteilen und der Gefahr entgegentreten.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Februar 2020

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