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ITALIEN/337: Faschistische Randale in Rom wollte die Regierung stürzen (Gerhard Feldbauer)


Faschistische Randale in Rom wollte die Regierung stürzen,
Lega-Führer Salvini seinen Abstieg aufhalten

von Gerhard Feldbauer, 8. Juni 2020


In Rom demonstrierten am Sonnabend auf dem Gelände des historischen Circo Massimo mehrere hundert Faschisten verschiedener Couleur, darunter Fußball-Ultras von Lazio Rom und Inter Mailand, der größten Ultra-Gruppe, mit der Sturmtruppe der Lega, der Forza Nuova (Neue Kraft), an der Spitze, um die Regierung mit den Sozialdemokraten (Partito Democratico - PD) und der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) zu stürzen. Wie die Nachrichtenagentur "ANSA" berichtete, grölten Sprechchöre "Duce, Duce", warfen Brandflaschen und Rauchbomben, setzten den Rasen in Brand und griffen Journalisten an. Bei Zusammenstößen mit einem starken Polizeiaufgebot mit Wasserwerfern gab es 15 Verletzte, mehrere Personen wurden verhaftet.

Die Rechnung von Lega-Führer Salvini, der Zigtausende Teilnehmer angekündigt hatte, ging jedoch nicht auf. Noch vor der Abendveranstaltung war "der Circus Maximus kurz nach 17 Uhr bereits leer", so "ANSA". Die neuen faschistischen Ausschreitungen riefen ungewöhnlich scharfe antifaschistische Proteste hervor. Der Regionalrat der von dem PD unter ihrem Sekretär Nicola Zingaretti angeführten Regierung des Lazium, Daniele Ognibene, von der Linkspartei Freie und Gleiche (LeU), charakterisierte die Gewaltausbrüche als Ergebnis der seit Monaten von der Lega Salvinis und den Brüdern Italiens von Meloni mit terroristischen Methoden geführten Kampagne, das Kabinett Conte zu stürzen, um selbst die Regierung zu übernehmen. Die Forza Nuova habe dabei "den Staffelstab übernommen und setze das Zentrum Roms in Brand". Das sei "eine Rückkehr zum Terror der Spannungsstrategie der 70er und 80er Jahre". Es "sei Zeit, die Höhlen des Neofaschismus, ihre mit keltischen Kreuzen trapierten Kneipen, wie in der Via Taranto, zu schließen" und die Gesetze, die "jegliche Propaganda und Bezugnahme auf den Faschismus verbieten, anzuwenden."

Das kommunistische Online-Portal "Contropiano" verwies am Sonntag darauf, dass es sich um die vierte faschistische Randale in den vergangenen fünf Tagen handelte, an der auch eine "neonazistische nationale Partei" beteiligt gewesen sei. Das zielt auf eine im Dezember 2019 von der Antiterrorpolizei Divisione Investigazioni Generali e Operazioni Speciali (DIGOS) aufgedeckte "Nationalsozialistische italienische Arbeiterpartei" (NSIAP) mit einem weitverzweigten Terrorapparat. Wie "ANSA" damals berichtete, wurden "umfangreiches faschistisches, antisemitisches Propagandamaterial, darunter ein Parteiprogramm, sowie Waffen, Bomben und Sprengstoff sichergestellt".

Einen Hoffnungsschimmer hatte diesbezüglich das Eingreifen der Staatsanwaltschaft von Rom vermittelt, die am Donnerstag die Zentrale der Casa Pound, einer weiteren mit der Lega liierten Stoßtruppe, die zu den Initiatoren der Kundgebung am Sonnabend gehörte, beschlagnahmt hatte. Es handelte sich um ein Haus in der Via Napoleone III, das die Faschisten seit Jahren besetzt und in dem sie ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatten. Gegen Casa Pound, die sich wiederholt an der Vertreibung von Sinti und Roma und an Morddrohungen gegen sie beteiligt hatte, wurden Ermittlungen wegen Verbreitung von Rassenhass eingeleitet. Die römische Bürgermeisterin Virginia Raggi von M5S nannte die Schließung der Casa-Pound-Zentrale "einen Sieg für die Stadt". Die Operation erfolgte auf Grund einer Anzeige, die der Nationale Partisanenverband ANPI erstattet hatte.

Der von Salvini am Sonnabend großmäulig angekündigte Aufmarsch von Zigtausenden dürfte nach Meinung von Beobachtern auch zum Ziel gehabt haben, das eigene im Sinken begriffene Image aufzubessern. Seit Beginn der Corona-Pandemie verlieren seine Trümpfe ihre Wirkung. Seine Auftritte an den Stränden, die Bäder in der Menge, der ständige Wahlkampf auf Straßen und Plätzen fielen aus, die Corona-Toten wurden zu einer tausendmal realeren Gefahr und rückten seine Migranten-Verfolgung an den Rand. Der PD gewinnt an Einfluss in der Regierung, die mit den Stimmen von M5S aus der Wahl 2018 (gut 32 Prozent) die Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments behauptet. Laut dem Online-Portal "Aus Sorge um Italien" vom 21. Mai setze "langsam aber stetig Salvinis Abstieg ein". Zwar bleibe die Lega in den Umfragen noch stärkste Partei, sinke aber von 38 Prozent im August 2019 auf knapp 27 Prozent und komme "in Sichtweite des PD, der immer noch bei gut 21 Prozent" liegt, obwohl er inzwischen 3 Prozent an Renzis Abspaltung Italia Viva verloren habe.

In der Lega habe das, wie der römischen Tageszeitung "La Repubblica" bereits am 25. Mai zu entnehmen war, dazu geführt, über einen Führungswechsel nachzudenken. Als Nachfolger ist derzeit der Gouverneur (Regierungschef) von Venetien, Luca Zaia, im Gespräch. Seine Maßnahmen gegen eine Ausbreitung der Corona-Epidemie seien wirksam gewesen und seine Region werde, so "La Repubblica", als "Modell für ganz Italien" gesehen.

Wie "ANSA" am Montag weiter meldet, hat der PD Einwände, dass Premier Conte auf einer "Generalstände" genannten Versammlung mit der Opposition über die Nutzung des Wiederaufbauplanes der EU verhandeln will. Leitungsmitglied Matteo Orfini habe betont, es sei "an der Regierung", die Entscheidungen zu treffen und dem Parlament zur Abstimmung vorzulegen. Am Dienstag berichtet "ANSA", der Ministerpräsident bleibe bei der Absicht, die sogenannten Generalstände zur Beratung seines Planes zur Beantragung der Finanzhilfen aus dem Wiederaufbauplan der EU einzuberufen ungeachtet der von der PD vorgebrachten Kritik an der Teilnahme der rechten Opposition.

Nach Lage der Dinge wolle er zunächst mit seinen "Verbündeten" - also den Regierungsparteien - beraten. Die Konsultationen sollen am Freitagnachmittag beginnen. Aus Regierungsquellen verlautbarte, dass es "keine Spannung mit dem Delegationsleiter des PD" Nicola Zingaretti gebe, es bestünde kein "Kontrast zu Conte", aber es sei "ein Wendepunkt erforderlich", so ANSA.

Die Agentur zitiert Zingaretti mit den Worten, dass das Szenario "neue Entscheidungen und eine entscheidende Änderung mit den Verbündeten" erfordere. Dies sei "das Herzstück der Konfrontation, mit der Conte in diesen Stunden" befaßt sei, sie werde in den kommenden Wochen fortgesetzt. Dringende Antworten, die die Stahlwerke Mittal und Alitalia betreffen, müßten gefunden werden.

Den Hintergrund bildet die Einschätzung des Statistischen Amtes ISTAT, wonach 2020 "ein deutlicher Rückgang des BIP von 8,3% und eine teilweise Erholung im Jahr 2021 mit einem Anstieg von 4,6%" zu erwarten sei. Wie das Institut unterstreicht, werden die "Ausbreitung der Covid-19-Epidemie und die daraus resultierenden von der Regierung beschlossenen Eindämmungsmaßnahmen" tiefgreifende Auswirkungen hinsichtlich der Perspektiven für die Wirtschaft des Landes haben. Die Pandemie sei ein "beispielloser Schock", dessen Quantifizierung durch "große Unsicherheit" gekennzeichnet sei. Vorherige Einschätzungen für das laufende Jahr, "die eine Abwärtskorrektur des BIP von insgesamt etwa 9 Prozentpunkten" vorsahen, wurden bereits korrigiert.

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Quelle:
© 2020 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juni 2020

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