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ITALIEN/394: Generalstreik gegen Kriegswirtschaft und Waffenlieferungen und für höhere Löhne und Sozialleistungen (Gerhard Feldbauer)


Italiens Arbeiter geben keine Ruhe

Generalstreik gegen die Kriegsregierung, gegen Waffenlieferungen in die Ukraine und für die Erhöhung der Sozialausgaben und Löhne

von Gerhard Feldbauer, 20. Mai 2022


Zum zweiten Mal in diesem Jahr haben am Freitag die Basisgewerkschaften (CUB, SGB, USI-CIT, Cobas, SI Cobas, USB) die Beschäftigten zu einem Generalstreik aufgerufen, um gegen den Krieg, die Kriegswirtschaft und die Kriegsregierung, gegen Waffenlieferungen in die Ukraine und die Anhebung der Militärausgaben zu protestieren. Reporter des linken Magazins Contropiano berichten auf dem Online-Portal, dass ab 9 Uhr in Mailand auf der Piazza Cairoli, in Rom auf der Piazza della Repubblica, in Neapel vor dem Municipio und in Pisa auf dem Platz XX. September mit Tausenden Teilnehmern unter der Losung "Raus aus dem Krieg" Demonstrationen begannen, auf denen die Erhöhung der Sozialausgaben, der Löhne und ein Grundeinkommen für alle gefordert wurden.

In dem gemeinsamen Aufruf hieß es, mit dem Streik müsse einer "radikalen Opposition laut und deutlich und ohne Wenn und Aber Gehör verschafft" werden. "Eine außerordentliche Mobilisierung der Arbeiter und der unterdrückten Massen müsse den wahnsinnigen Ansturm stoppen, der in den Abgrund eines neuen Weltkrieges führen könne." Dem Ausstand und der Mobilisierung haben sich laut Contropiano alle kommunistischen Parteien und Gruppen - von der Wiedergründung PRC, dem PCI bis zur trotzkistischen Arbeiterpartei PCL - angeschlossen, aber auch in vorher nicht gekannter Weise eine große Zahl unterschiedlichster Organisationen wie Demanding Disarmers, Antimilitarist Assembly, Truda (anarchistische Kommunisten Siziliens) und die Humanistische Front Europa für den Frieden. Die Linkspartei Potere al Popolo (Die Macht dem Volke) unterstützt den Ausstand, und auch die demokratischen Juristen und pazifistische Vereinigungen wie Down with the War und Peace Link Network schlossen sich dem Streik an.

Von den Führern der großen Gewerkschaften CGL, CISL und UIL gibt es dagegen "absolut keine Signale", kritisiert Contropiano, das dazu anmerkt, dass diese damit Komplizen der fast einstimmigen Unterstützung der Kriegswirtschaft der Draghi-Regierung durch nahezu das gesamte Parlament inklusive des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) und der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) sind. Die Beteiligung der Draghi-Regierung an dem Krieg durch massive Waffenlieferungen an die ukrainische Regierung und die dazu auf 2 % des BIP erhöhten Militärausgaben haben "bereits sehr schwerwiegende soziale Folgen für die Arbeitnehmer und die schwächsten Teile der Bevölkerung, die schon hart von der vor zwei Jahren ausgebrochenen Pandemie getroffen sind", heißt es in dem gemeinsamen Aufruf der Basis-Organisationen.

Die im Rahmen der Sanktionen gegen Russland erfolgte Abkoppelung von dessen Gaslieferungen habe dazu geführt, dass der durchschnittliche Gaspreis im Mai um 698 % höher liegt als vor der Pandemie. Gefordert wurden hier ein sofortiger Stopp der Erhöhungen der Strom- und Gastarife sowie eine Sperrung der Abschaltungen. Unter den galoppierenden Preisen für Lebensmittel stehen die für Brot mit einem Anstieg von bis zu 30 Prozent an der Spitze. Die Explosion der Lebenshaltungskosten führte im ersten Quartal 2022 zu einem Sinken der Kaufkraft um mindestens 5 %. Bei einigen Rohstoffen (Gas, Strom) und Lebensmitteln (Öl, Teigwaren usw.) gebe es bereits Rationierungspläne. Selbst Sonntagsfahrverbote wie während der im Oktober 1973 als Folge der nach dem Jom-Kippur-Krieg einsetzenden Ölkrise werden nicht mehr ausgeschlossen.

Die Arbeitervertreter enthüllen, dass in Italien seit Jahren in Kurz- und Kurzzeitbeschäftigung alle Rekorde gebrochen werden. 2021 gab es laut dem Statistikamt ISTAT 430.000 neue prekär Beschäftigte, deren Zahl bis März 2022 auf 3 Millionen und 159.000 anwuchs. Hinzu kommen 215.000 Selbstständige, deren Existenz die Pandemie vernichtete. Bei den Jugendlichen ist die Arbeitslosenquote auf 24,5 % gestiegen. Sie sind die Prekärsten, ohne Schutz oder Garantien dem Elend ausgeliefert. "Wir stehen vor einer neuen Periode des Elends, der Energiekrise, der Inflation und natürlich des Krieges", heißt es weiter. Dieses räuberische kapitalistische System werde die Ausbeutung noch mehr verschärfen, neue Angriffe auf die Löhne und Arbeiterrechte führen und die repressiven Maßnahmen und Kontrollmechanismen verschärfen, um seine Herrschaft zu sichern.

Mit dem neuen Generalstreik beweisen die italienischen Basis-Gewerkschaften erneut ihre Rolle als kämpferische Vorhut der italienischen Arbeitnehmer. Von dem Ansehen, dass sie damit auch in der internationalen Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung genießen, zeugte im Mai der 18. Kongress des Weltgewerkschaftsbundes (WGB), den die Unione Sindacale di Base (USB) ausrichtete. Die Tagung wählte das USB-Leitungsmitglied Cinzia Della Porta in das WGB-Sekretariat und Pierpaolo Leonardi, ebenfalls USB, zu seinem Koordinator. Mit der gleichzeitigen Verlegung des Sitzes nach Rom wurde die kämpferische Rolle der italienischen Basisgewerkschaften ein weiteres Mal herausgestellt.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 21. Mai 2022

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