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ITALIEN/412: Scharfe Kritik an Meloni - keine Einheitsfront von Mitte-Links in Sicht (Gerhard Feldbauer)


Wahlkampf gewinnt an Tempo

Scharfe Kritik an Meloni, die sich an Mussolini-Bewunderer Berlusconi orientiert

von Gerhard Feldbauer, 14. August 2022


Mit der Veröffentlichung des Programms der faschistischen Allianz - aus den Brüdern Italiens (FdI) von Giorgia Meloni, der Lega Salvinis und der Forza Italia (FI) von Ex-Premier Berlusconi - am vergangenen Donnerstag nimmt der Wahlkampf zum Votum für ein neues Parlament am 25. September, das den Regierungschef wählen wird, Tempo auf. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen steht eine von Mitte-Links scharf verurteilte vorgesehene Verfassungsänderung, mit der der Staatspräsident direkt gewählt und ein Präsidialsystem nach französischem Vorbild eingeführt werden soll. Das habe bei Mitte-Links "die Alarmstufe Rot" auslöst und die Sicherungen "seien durchgebrannt", schrieb Manifesto. Das linke Blatt verwies darauf, dass "der Präsidentialismus in der rechten Mitte nichts Neues" ist und Meloni eine schon 1994 von FI-Chef Berlusconi als Premier verfolgte Änderung des politischen Systems aufgreift, was dieser jubelnd begrüßte. Gegenüber Radio Capital erklärte er: "Wenn die Reform durchgeht", sei "der Rücktritt von Sergio Mattarella ein notwendiger Schritt", was die Stimmung noch mehr anheizte.

Unter dem Medientycoon konnte dessen Hauptverbündeter, der Chef der in Alleanza Nazionale (AN) umgetauften, 1946 als Movimento Sociale Italiano (MSI) wiedergegründeten Partei Mussolinis und Vizepremier Gianfranco Fini, den "Duce" als den "größten Staatsmann des Jahrhunderts" feiern und seine Rehabilitierung fordern. Berlusconi sekundierte damals, seine Regierungspartner seien "keine Faschisten" und hätten eine "saubere Weste". Das muss man im Blick haben, wenn Meloni, als sie am 23. Juli ankündigte, sie wolle Regierungschefin werden, sagte, "die Identität, die Ziele von Mitte-Rechts sind bekannt, es geht darum, sie zu wiederholen".

Dass unter Berlusconi 2001 beim G8-Gipfel in Genua Protestierende zu Hunderten blutig zusammengeschlagen und nach chilenischem Vorbild in "Gefangenensammelstellen" gepfercht wurden, hielt Meloni, die 1992 mit 15 Jahren der Jugendfront des MSI beitrat, nicht davon ab, Berlusconi von 2008 bis zu seinem Fall 2011 als Jugend- und Sportministerin zu dienen. 2012 formierte sie die AN in die FdI um und übernahm ihre Führung. Während Antonio Tubucchi die mit Unterbrechungen von 1994 bis 2011 währenden Regierungen Berlusconis eine Herrschaft der "Despotie" nannte, Umberto Eco einschätzte, sie verkörperten das "übelste Erbe des Faschismus" und Schriftsteller von Luigi Malerba über Silvia Ballestra bis Stefano Benni die "grundlegenden Freiheiten der Demokratie und des zivilen Lebens" bedroht sahen, hat Meloni, wie sie offen bekannte, "ein unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus".

Wenigstens in der Verurteilung ist sich die gespaltene "Linke Mitte" einig. Präsidentialismus "untergräbt die Verfassung", prangert der Präsident des Partisanenverbandes ANPI, Gianfranco Pagliarulo, die in dem Abkommen fixierten Ziele an. Der Sekretär des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), Enrico Letta, äußert laut der staatlichen Nachrichtenagentur ANSA nun: Es zeige sich, "wie gefährlich die Rechte ist", die "das System zerschlagen will". "Mitte-Rechts wirft die Maske ab", erklärt der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), Ex-Premier Giuseppe Conte, und will "nicht zulassen, dass sich die Institutionen der räuberischen Logik der rechten Kräfte beugen". Parlamentspräsident Robert Fico, ebenfalls M5S, sagte, es gehe "um die parlamentarische Republik" und die Institutionen dürften "nicht in den Wahlkampf hineingezogen" werden.

ANSA veröffentlichte eine Botschaft Staatspräsident Sergio Mattarellas, in der dieser daran erinnerte, dass am 12. August 1944 Mussolini-Faschisten mit einer Einheit der 16. Panzergrenadier-Division "Reichsführer SS" der Hitlerwehrmacht in Sant'Anna di Stazzema in der Toskana 560 Einwohner auf bestialische Weise ermordeten. Auch ohne Namensnennung verdeutlichte das, dass FdI-Führerin Meloni auch mit solchen Verbrechen "keine Probleme" hat. Mit Blick auf die Verfolgung der Linken unter Berlusconi warnte Manifesto, es handele sich "um einen regelrechten Bruch der Verfassungsordnung" und das sei "wahrscheinlich erst der Anfang". Wenn dieser starke und vereinte Feind gewinne, werde er "zweifellos keine Gefangenen machen".

Doch es bleibt bei Protesten. Es gibt keine Anzeichen, dass es gelingen könnte, zur Verhinderung eines Wahlsieges der Faschisten eine Einheitsfront von Mitte-Links zu bilden. Nachdem der PD sich gegenüber der Linken (SI) mit Kommunisten und den Verdi (Grünen) öffnete, hat Calenda mit seiner Zentrumspartei Azione das Bündnis verlassen und mit Lebendiges Italien (IV) von Ex-PD und Ex-Premier Renzi einen betont antikommunistischen "Dritten Pol" gebildet. M5S tritt, vom PD ausgeschlossen, allein an.

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Quelle:
© 2022 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors

veröffentlicht in der Online-Ausgabe des Schattenblick am 17. August 2022

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