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PARTEIEN/221: Real IRA - Marionetten der Geheimdienste Londons? (SB)


Real IRA - Marionetten der Geheimdienste Londons?

Überfall von Antrim - Guerillataktik oder Hinrichtungsaktion?


Nach dem ersten tödlichen Anschlag auf britische Soldaten in Nordirland seit zwölf Jahren geht im öffentlichen Diskurs das Gespenst eines wiederaufflammenden "Terrorismus" in der einstigen Unruheprovinz um. Zu dem Überfall um 21.40 Uhr am 7. März vor dem Eingang der Garnison Massereene in der 20 Kilometer nordwestlich von Belfast liegenden Kleinstadt Antrim, der zwei Soldaten das Leben kostete, hat sich am selben Abend gegenüber der Journalistin Suzanne Breen von der in Dublin erscheinenden Zeitung Sunday Tribune jemand unter Verwendung eines bestimmten Codewortes im Namen der sogenannten Real IRA bekannt, die sich von der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) nach Verkündung eines Waffenstillstands 1997 abgespalten hatte. Es stellt sich jedoch die Frage, was diejenigen, die sich für die "echte" IRA halten, mit einer solchen Aktion erreichen wollen. Tatsächlich nutzen ihre Aktivitäten dem britischen Sicherheitsapparat mehr, als daß sie das republikanische Ziel eines freien und wiedervereinigten Irlands erreichbar machen.

Nicht umsonst hat Martin McGuinness, Vize-Premierminister der nordirischen Regierung, Stellvertretender Vorsitzender der katholisch- nationalistischen Sinn Féin und ehemaliger IRA-Kommandeur, die Ermordung der beiden Soldaten in Antrim in aller Schärfe verurteilt und sie als völlig kontraproduktiv bezeichnet. Handelten die Täter - entgegen der landläufigen Meinung - im Auftrag der britischen Geheimdienste, sähe es völlig anders aus. Der Anschlag erfolgte nur Tage, nachdem sich McGuinness einen heftigen Schlagabtausch mit Sir Hugh Orde, dem Chef des Police Service of Northern Ireland (PSNI), geliefert hatte. Orde hatte behauptet, die Sicherheitslage in Nordirland sei so bedrohlich wie seit langem nicht mehr, was McGuinness als völlige Übertreibung und Panikmache abgetan hatte. Bei dieser Gelegenheit stellte sich heraus, daß die britische Regierung, die bis heute die Verantwortung für die Sicherheit in der Provinz trägt und sie immer noch nicht der Koalition von Sinn Féin mit der Democratic Unionist Party (DUP) übertragen hat, ohne Wissen der Regierung in Belfast vor kurzem das Special Reconnaissance Regiment, einen Schwesterdienst des berüchtigten Special Air Service (SAS), nach Nordirland verlegt hatte - zu Ausspähungszwecken ob der gestiegenen Gefahr, hieß es.

Auch wenn sich die Real IRA zum Überfall von Antrim bekannt hat, weist der brutale Vorfall alle Anzeichen einer Liquidierungsaktion staatlicher Stellen auf. In ihrem Kampf zwischen 1969 und 1997 hatte sich die IRA Guerillataktiken befleißigt und über Bombenanschläge, Mörserangriffe und Scharfschützenaktionen den Kampf gegen die britischen Streitkräfte und die nordirische Polizei fast ausschließlich aus der Distanz geführt. Ganz anders spielte sich der Angriff von Antrim ab. Die Täter schlugen zu, als eine Lieferung Pizzas bei der Garnison abgegeben werden sollte. Zunächst wurde aus einem gestohlenen Wagen heraus mit automatischen Waffen geschossen, und es wurden dabei vier Soldaten und zwei Mitarbeiter der Pizza-Firma Domino verletzt. Anschließend stiegen zwei Täter aus dem Wagen aus - der Fahrer blieb am Steuer sitzen -, gingen zu den am Boden liegenden Verletzten und gaben aus kürzester Distanz weitere Schüsse auf sie ab. Anschließend fuhren sie davon. Zwei der Soldaten starben am Ort. Zwei weitere und ein Pizzabote blieben schwerverletzt zurück. Der zweite Pizzabote kämpft noch im Krankenhaus ums Überleben.

Der Vorfall hat Sinn Féin in mehrfacher Hinsicht politisch geschadet. Erstens erscheint McGuinness' im Streit mit Orde abgegebene Einschätzung der Sicherheitslage inzwischen als verharmlosend und unrealistisch. Zweitens hat dadurch die Dauerforderung von Sinn Féin nach Übertragung der Verantwortung für die Polizei an die interkonfessionelle Regierung in Belfast an Überzeugungskraft verloren. Drittens gerät der irische Republikanismus an sich durch die Aktion der Real IRA, die in keiner Weise von der Mehrheit der Katholiken bzw. Nationalisten in Nordirland getragen wird, immer mehr in den Ruf, eine Sache von erbitterten, anti-demokratischen Ewiggestrigen zu sein.

Nutznießer des Anschlages ist die Ulster Unionist Party, die traditionell die stärkste Partei Nordirlands gewesen ist und die vor Weihnachten den Zusammenschluß mit den britischen Konservativen einging. Wegen der katastrophalen Umfrageergebnisse von der britischen Labour Party und Premierminister Gordon Brown wird erwartet, daß die Konservativen die nächste Regierung Großbritanniens stellen werden. Der Eindruck, der "Terrorismus" drohe nach Nordirland zurückzukehren, könnte viele protestantische Wähler von der DUP zurück zur UUP treiben. Im Sommer finden Wahlen zum europäischen Parlament statt, welche die erste Gelegenheit bieten, um zu sehen, ob die UUP mit Hilfe der Tories langsam wieder zur alten Stärke findet.

Wer die Vermutung, hinter den Aktivitäten der Real IRA im allgemeinen und dem jüngsten Überfall von Antrim im besonderen steckten staatliche Stellen, etwas gewagt findet, sei an den verheerenden Bombenanschlag von Omagh erinnert, der am 15. August 1998 29 Menschen in den Tod riß, mehr als einhundert verletzte und das Zentrum der gleichnamigen Kleinstadt in der Grafschaft Tyrone wie Hamburg nach der Operation Gomorrah aussehen ließ. 2001 kam es zu einem großen Skandal, als der frühere Polizeispitzel, der den Tarnnamen Kevin Fulton benutzt, enthüllte, daß er seinem Führungsoffizier bei der Royal Ulster Constabulary (RUC) einen Tag zuvor über den bevorstehenden Autobombenanschlag informiert hatte. Am Abend des 13. August hatte Fulton sich mit dem Bombenbauer bei der Herstellung der tödlichen Mischung aus Treibstoff und Düngemittel getroffen. Ende 2001 hat die damalige Polizeiombudsfrau Nuala O'Loan nach eigener Untersuchung die Richtigkeit der Angaben Fultons bestätigt.

Im letzten Oktober hat die BBC-Nachrichtensendung Panorama bekanntgemacht, daß die General Communications Headquarters (GCHQ), der elektronische Nachrichtendienst Großbritanniens, die Mobiltelefone der Täter abgehört hatten, als diese das Auto mit der Bombe von Dundalk in der Republik Irland über die Grenze fuhren und auf der Haupteinkaufsstraße von Omagh parkten. Und warum haben die Behörden das Massaker nicht rechtzeitig verhindert? Wahrscheinlich, weil der Bombenbauer, Joseph Patrick Blair, ein Verbindungsmann des britischen Geheimdienstes war. Auffällig ist, daß in Verbindung mit den ganzen Ermittlungen gegen die Verantwortlichen vom Omagh gegen Blair niemals Anklage erhoben worden ist. In der Presse wird sein Name auch äußerst selten erwähnt. Man weiß von seiner Rolle nur, weil der Abgeordnete Jeffrey Donaldson von der DUP vor einigen Jahren während einer Debatte im britischen Unterhaus ihn als Hersteller der Autobombe von Omagh namentlich genannt hat.

9. März 2009