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PARTEIEN/223: Iren sollen EU-Reformvertrag am 2. Oktober abnicken (SB)


Iren sollen EU-Reformvertrag am 2. Oktober abnicken

EU-Fürsten schicken die Bürger Irlands erneut an die Urne


Wie zu erwarten war, sollen die irischen Wähler in diesem Herbst erneut über den EU-Reformvertrag abstimmen. Der irische Premierminister Brian Cowen hat am vorgestrigen 8. Juli das Datum für den Volksentscheid auf den 2. Oktober festgelegt. Bis dahin sollen Himmel und Erde in Bewegung gesetzt werden, um die Bürger auf der grünen Insel dazu zu bringen, ihr Nein vom letzten Jahr zu korrigieren. Um das Abkommen diesmal durchzubringen, wird vor allem moralischer Druck ausgeübt - "Irland hat von der EU profitiert und darf sich nicht als undankbar erweisen" - und werden Drohkulissen bemüht - "Ohne die Unterstützung aus Brüssel wird sich die aktuelle, katastrophale Wirtschaftskrise in Irland nicht nur nicht beenden lassen, sondern sich eventuell sogar verschlimmern". Und in der Tat geben die veränderten Rahmenbedingungen den Vertretern der Ja-Seite die Zuversicht, daß sie diesmal als Sieger vom Platz gehen werden. Bis zum 2. Oktober dürften die Lissabon-Gegner jedoch eine Menge mitzureden haben.

Im Grunde genommen weiß jeder, daß sich der Vertrag von Lissabon unwesentlich von jener EU-Verfassung unterscheidet, die 2005 die Bürger Frankreichs und der Niederlande bei Volksentscheiden abgelehnt und damit zu Fall gebracht haben. Wohlwissend, daß diese Neuauflage der EU-Verfassung, die vor neoliberaler Wirtschaftsideologie strotzt und einer Militarisierung der EU als Partnerorganisation der NATO das Wort redet, in einer erneuten Runde von Volksabstimmungen scheitern würde, hat man in fast allen europäischen Ländern auf die Mitwirkung des Volkes bei der Annahme dieses völkerrechtlich enorm wichtigen Dokumentes verzichtet. Nur in Irland konnte man sich aufgrund der Verfassung nicht mit einer Annahme durch das Parlament begnügen.

Aus Angst, die letztjährige Abstimmung könnte zu einer Protestwahl in Reaktion auf die Finanzskandale von Premierminister Bertie Ahern werden, hat man ihn damals dazu gebracht, rechtzeitig zurückzutreten. Nach der Trennung von jener Altlast war man zuversichtlich, daß die Iren einsehen würden, daß der Vertrag von Lissabon für sie gut wäre und daß ihre Politiker bei den Verhandlungen mit den europäischen Partnern den besten Deal herausgeholt hätten. Zur Zuversicht gab es auch allen Grund, denn für den Vertrag machten nicht nur die nationalkonservative Regierungspartei Fianna Fáil und ihre Koalitionsjuniorpartner von den Grünen, sondern auch die parlamentarische Opposition in Form der ebenfalls nationalkonservativen Fine Gael und der sozialdemokratischen Labour-Partei, die Kirchen, die Arbeitgeberverbände, die Gewerkschaften und die meisten großen Zeitungen Stimmung.

Als einzige im irischen Parlament vertretene Partei rief die linksrepublikanisch-nationalistische Sinn Féin zu einem Nein auf und wurde hierbei von diversen kleineren Gruppierungen, darunter Friedensorganisationen, Umweltaktivisten, sozialistischen Splitterparteien, einigen erzkonservativen Christenverbänden und einem dubiosen Verein mit Namen Libertas um den Geschäftsmann Declan Ganley unterstützt. Vor diesem Hintergrund fielen das politische Establishment in Dublin und mit ihm die Staatsmänner in Berlin, London, Paris und den anderen EU-Hauptstädten aus allen Wolken, als am 13. Juni 2008 die Nein-Seite mit 53 zu 46 Prozent gewann. Hinzu kommt, daß die Beteiligung weitaus höher lag als bei den beiden Abstimmungen über den Nizza-Vertrag 2001 und 2002, was die Behauptung der Ja-Seite Lügen straffte, wonach die "EU-Gegner" nur bei einer niedrigen Beteiligung eine Chance auf Sieg hätten.

Angesichts dieser hochpeinlichen Niederlage ließ die Cowen-Regierung Umfragen durchführen, um herauszufinden, weswegen die Iren den EU-Reformvertrag abgelehnt hatten. Dabei stellte sich heraus, daß die Angst vor dem Verlust der irischen Neutralität einschließlich der Verwicklung Irlands in irgendwelche Militärabenteuer der europäischen Großmächte im Ausland und vor Sozialabbau die führende Rolle gespielt haben. Dazu kam die Befürchtung einer Machtverschiebung zugunsten Brüssels und zuungunsten der Einzelstaaten, verkörpert durch die geplanten Streichung des automatischen Rechts eines jeden EU-Staates auf ein Mitglied in der Kommission und durch die Möglichkeit, daß durch Gesetzesharmonisierung die niedrigen irischen Steuern für ausländische Investoren oder das Abtreibungsverbot auf der Insel angetastet werden könnten.

Beim jüngsten EU-Gipfel Mitte Juni in Brüssel hat Cowen mit den anderen europäischen Regierungschefs eine Reihe von Garantien ausgehandelt, welche die gerade erwähnten Punkte berücksichtigen und die in Form eines Sonderprotokolls ins europäische Recht aufgenommen werden sollen. Inwieweit diese Garantien in Bezug auf Irlands Neutralität, Steuergesetze und Abtreibungsverbot verläßlich sind, ist unklar. Denn schließlich wird stets beteuert, der EU-Reformvertrag hätte diese Bereiche ohnehin nicht tangiert; man gebe die Garantien nur ab, um das irische Volk, das den Vertrag von Lissabon falsch interpretiert habe, zu beruhigen. Was den Einwand der Iren bezüglich des im Vertrag verankerten Primats des freien Marktes vor der sozialen Gerechtigkeit betrifft, so wurde dieser ebenfalls als unbegründet abgetan. Mit der Terminierung des Volksentscheids auf den 2. Oktober hat Cowen die Glocke für den Rückkampf zwischen Lissabon-Befürwortern und -Gegnern geläutet, der den Kampf vom letzten Jahr hinsichtlich des Einsatzes beider Seiten um einiges übertreffen dürfte.

Im Vergleich zu letztem Frühjahr hat es einige leichte Veränderungen in der irischen politischen Landschaft gegeben. Bei den Wahlen zum EU-Parlament Anfang Juni hat Mary Lou McDonald im Bezirk Dublin ihren Sitz im Parlament von Strasbourg verloren, während Ganley mit dem Versuch, im Bezirk Irland-Nordwest einen Sitz zu erringen und europaweit Libertas als Partei zu etablieren, kläglich gescheitert ist. Ganley hat deshalb seinen Abschied von der Politik erklärt und bekanntgegeben, daß Libertas diesmal nicht an der Debatte um den Lissaboner Vertrag teilnehmen wird. Während viele Medienkommentatoren glauben, daß der Rückzug Ganleys ein herber Verlust für die Nein-Seite ist, sind vor allem viele linke Gegner des Reformvertrages der Meinung, daß sie ohne Libertas bessere Chancen haben, die soziale Unausgewogenheit des Abkommens hervorzuheben.

Dagegen müßten die jüngste Wahlniederlage McDonalds, die sich letztes Jahr als glaubwürdige EU-Kritikerin mit Insider-Kenntnissen besonders hervorgetan hatte, und die Unfähigkeit ihrer Partei, trotz Wirtschaftskrise von dem enormen Stimmeneinbruch seitens Fianna Fáil bei den am selben Tag wie die EU-Wahl durchgeführten Kommunalwahlen zu profitieren, Sinn Féin und den Lissabon-Gegnern schwer zu denken geben. Größte Nutznießerin des Popularitätsverlustes von Cowens "Soldaten des Schicksals" war Fine Gael, die sich zum erstenmal auf kommunaler Ebene seit der Gründung der Irischen Republik als stärkste politische Kraft etablieren konnte. Für die Ja-Seite wird es wichtig sein, die vielen Fine-Gael-Wähler zu mobilisieren, die bekanntlich letztes Jahr bei der Abstimmung proportional unterrepräsentiert wurden - vermutlich weil die Parteiführung um den Vorsitzenden Enda Kenny Fianna Fáil heimlich eine Blamage wünschte.

Folglich wundert es nicht, daß Geraldine Kennedy, Chefredakteurin von Irlands wichtigster Tageszeitung, der Irish Times, in einem am 9. Juli erchienenen, hysterisch anmutenden Leitartikel die großen Parteien zur Geschlossenheit aufrief. Es müsse verhindert werden, daß das dumme Volk für eine erneute "Katastrophe" sorge und das Land in die Isolation führe, so Madam Editor von der Tara Street. In etwa die gleiche Botschaft geht von der neuen "unabhängigen" Gruppe Ireland for Europe und deren Jugendabteilung "Generation Yes" aus. Anführer von Ireland for Europe ist der Karlspreisträger Pat Cox. Der ehemalige liberale Europaabgeordnete und EU-Parlamentspräsident ist bekanntlich ein leidenschaftlicher Verfechter eines europäischen Bundesstaats. Diese Tatsache und der Name seiner Organisation lassen erkennen, daß Ireland for Europe und die Ja-zu-Lissabon-Fraktion keine Debatte um den EU-Reformvertrag und oder die rechtliche Gültigkeit der von Cowen ausgehandelten Garantien wie etwa der irischen Neutralität führen, sondern die Gegenseite als weltfremde Spinner und ewige Nein-Sager diffamieren und Schreckenszenarien für den Fall, daß diese erneut gewinnen, an die Wand malen wollen. Es muß sich noch zeigen, ob sich die irischen Wähler von einer so durchsichtigen Strategie beeinflussen lassen.

10. Juli 2009