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PARTEIEN/248: Irlands Arme sollen die Staatsfinanzen sanieren (SB)


Irlands Arme sollen die Staatsfinanzen sanieren

Cowen-Regierung forciert den Klassenkampf auf der grünen Insel


Am 24. November traten in Dublin Premierminister Brian Cowen und Finanzminister Brian Lenihan vor die Presse, um den mit Spannung bzw. Grauen erwarteten, 140seitigen Vierjahresplan zur Sanierung der irischen Staatsfinanzen zu präsentieren. Im Gegensatz zum letzten gemeinsamen Auftritt, als am Abend des 21. November die Flucht Irlands unter den sogenannten Finanzrettungschirm der Europäischen Union (EU) bekanntgegeben wurde, hatten die beiden Politiker von der nationalkonservativen Partei Fianna Fáil diesmal Begleitung in Person von John Gormley, dem Chef ihrer Koalitionspartner von den Grünen. Sollte damit Geschlossenheit innerhalb der Regierung suggeriert werden, so wirkte die Anwesenheit Gormleys eher surreal - hatte er doch gerade zwei Tage davor den Austritt der Grünen aus der Regierung bis Ende Januar angekündigt und damit die finanzielle Krise um eine politische erweitert.

Ungeachtet der unfreiwilligen Komik des vielleicht letzten gemeinsamen Auftritts der Fianna-Fáil-Grünen-Koalitionäre bot das Ereignis keinen Anlaß zur Heiterkeit. Zu verheerend, sozial ungerecht und wirtschaftlich widersinnig sind die Kürzungen und Steuererhöhungen, mit denen die "two Brians", so ihr Spitzname, die Republik Irland angeblich vor dem Staatsbankrott zu retten beabsichtigen. Um das laufende Haushaltsdefizit von derzeit 32 Prozent auf 3 Prozent bis 2014 zu drücken, sollen Ausgabenkürzungen in Höhe von 10 Milliarden Euro und Steuererhöhungen in Höhe von 5 Milliarden Euro vorgenommen werden. Entgegen patriotischen Appellen Cowens und Lenihans und ihren Beteuerungen hinsichtlich einer gerechten Lastenverteilung sollen diejenigen, die es am wenigsten leisten können, wie die Arbeitslosen und Niedrigverdiener, am stärksten zur Kasse gebeten werden. Die Mehrwertsteuer soll von 21 auf 23 Prozent angehoben werden. Bei den Sozialhilfeleistungen sollen 2,8 Milliarden Euro und beim maroden öffentlichen Gesundheitssystem 1,5 Milliarden Euro eingespart werden. Gleichzeitig soll der Mindestlohn um 1 Euro auf 7,65 Euro pro Stunde verringert und der Einkommenssteuerfreibetrag von jährlich 18.300 auf 15.300 abgesenkt werden. Fast 25.000 Arbeitsplätze im Staatsdienst sollen gestrichen werden. Dagegen bleibt der Steuersatz bei Spitzenverdienern praktisch unangetastet, während die Steuerschlupflöcher für Schwerreiche belassen werden und die Unternehmenssteuer auf dem im EU-Vergleich niedrigsten Niveau von 12,5 Prozent verharrt.

Cowen und Lenihan hatten den Vierjahresplan vorab von den zuständigen Experten vom Internationalen Währungsfonds (IWF), der Europäischen Zentralbank (EZB) und der Europäischen Kommission absegnen lassen. Die Verabschiedung des Plans und des dazugehörigen Haushaltsentwurfs für 2011, der am 7. Dezember dem Parlament in Dublin vorgelegt werden soll, gilt als Voraussetzung dafür, daß der irische Staat von den genannten Institutionen um die 90 Milliarden Euro zur Sanierung seines Bankensystems erhält. Doch aus Sicht linker sowie keynesianischer Ökomomen ist die Cowen-Regierung durch die Übernahme neoliberaler wirtschaftlicher Dogmen gerade dabei, Irland in eine Schuldenfalle zu manövrieren, aus der das Land niemals wieder hinauskommen wird.

Einerseits übernimmt der irische Steuerzahler die Schulden der eigenen Banken, die zusammen mit der von Fianna Fáil traditionell bevorzugt behandelte Bauindustrie eine gigantische Immobilienblase erzeugt hatten, und zahlt deren Gläubiger, hauptsächlich Großbanken in Großbritannien und Deutschland, mit Geldern aus den EU-Rettungsfonds aus, anderseits dürften die geplanten Kürzungen und Steuererhöhungen die irische Wirtschaft weiter schrumpfen lassen. Seit Beginn der staatlichen Ausgabenkürzungen in Irland infolge der Finanzkrise vor zwei Jahren sind viele kleinere Betriebe pleite gegangen. Weitere werden folgen. Die von der Regierung dem Vierjahresplan zugrundegelegte Wachstumsrate von 2,75 Prozent gilt vielen Kommentatoren als vollkommen illusorisch. Der schlimmste Aspekt am Vierjahresplan ist jedoch die Annahme, daß die Arbeitslosigkeit, die derzeit bei 13,5 Prozent liegt, nicht weiter ansteigen wird. Was zunächst positiv klingt, täuscht, denn das Ausbleiben einer weiteren Erhöhung der Zahl der Arbeitslosen wird voraussichtlich nicht durch die Schaffung neuer Arbeitsplätze, sondern allein durch die Auswanderung vieler junger Iren erkauft werden.

Kein Wunder also, daß am 24. November Des Geraghty, einst Chef von SIPTU (Services, Industrial, Professional and Technical Union), der größten Gewerkschaft auf der Insel, im Interview mit der Nachrichtensendung Adhmhaidin von Raidió na Gaeltachta, die Befürchtung äußerte, der Vierjahresplan der beiden Brians werde die wirtschaftliche Misere vertiefen, statt sie zu lindern. Mit der Meinung steht Geraghty nicht allein da. Während am 25. November im Leitartikel der Irish Times Chefredakteurin Geraldine Kennedy, die bekanntlich eine enge ideologische Streitgefährtin der Gesundheitsministerin und neoliberalen Galionsfigur Mary "Mata" Harney ist, den Plan als "streng aber unvermeidlich" bezeichnete und seine Annahme empfahl, rieten die Autoren des am selben Tag in der New York Times erschienenen Leitartikels dringend davon ab und schlugen statt dessen eine grundlegende Umstrukturierung der irischen Staatschulden einschließlich eines "Haarschnitts" seitens der internationalen Gläubigerbanken vor. Nur auf diese Weise sei der Staatsbankrott Irlands und mit ihm das eventuelle Scheitern des Euro zu vermeiden, so die New York Times.

Interessanterweise ist gerade die oppositionelle, linksnationalistische Sinn Féin die einzige Partei im Dubliner Parlament, die diesen Standpunkt vertritt. Alle anderen Parteien, die regierende Fianna Fáil und die Grünen sowie die oppositionelle Fine Gael (nationalkonservativ) und Labour (sozialdemokratisch) treten dafür ein, daß das irische Volk die gigantischen Spielschulden einer Handvoll Bankiers und Baulöwen aus dem nationalen und internationalen Immobilienmarkt in voller Höhe begleichen soll. Darauf beharrt auch noch die EZB. Doch es könnte sein, daß man es sich in nächster Zeit wird anders überlegen müssen. Bei der Bevölkerung hat die Koalitionsregierung aus Fianna Fáil und Grünen keinen Rückhalt mehr. Bei den Anfang nächsten Jahres zu erwartenden Parlamentswahlen wird Fianna Fáil rund die Hälfte ihre Sitze im Parlament verlieren und erstmals in ihrer Geschichte auf den dritten Platz hinter Fine Gael und Labour fallen. Die Grünen werden sich glücklich schätzen, wenn sie in der nächsten Legislaturperiode überhaupt vertreten sind. In den kommenden Wochen ist mit größeren Protestaktionen gegen den Sparkurs der politischen Elite zu rechnen. Diese werden an Heftigkeit zunehmen, sollte, wie vom Ökonomen Morgan Kelly prognostiziert, infolge Kürzungen bei den Staatsausgaben die Anzahl der Häuslebauer, welche die Rückzahlungen für ihre Darlehen nicht zahlen können, in die Höhe schießen. Letztere Eventualität, welche die internationalen Märkte verunsichert, ist gemeint, wenn es in den Medien heißt, es könne derzeit niemand das genaue Ausmaß der Außenstände der irischen Banken beziffern.

25. November 2010