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PARTEIEN/262: Irlands Elite verbeugt sich vor Queen Elizabeth II. (SB)


Irlands Elite verbeugt sich vor Queen Elizabeth II.

Königlicher Besuch im Zeichen einer kulturellen Unterwerfung


Durch den Tod des 85jährigen, früheren irischen Premierministers Garret Fitzgerald in der Nacht vom 18. auf den 19. Mai hat in Irland die Berichterstattungsorgie über den historischen Besuch der britischen Königin Elizabeth II. merklich nachgelassen. Hinzu kommt, daß die politisch wichtigsten Etappen allesamt in die ersten beiden Tage des viertägigen Staatsbesuchs, am 17. und am 18. Mai, gefallen waren. Am 19. Mai besuchten die Königin und der Duke of Edinburgh die staatliche irische Pferdezucht in der Grafschaft Kildare, während am Abend die britische Botschaft im brandneuen National Convention Centre in Dublin einen Galabend mit Musik, Tanz und Mode zu Ehren der Königin und zur Zelebrierung der anglo-irischen Freundschaft veranstaltete. Am 20. Mai besichtigten die Windsors das berühmte Rock of Cashel in der Grafschaft Cork, einst Sitz der Könige der südirischen Provinz Munster, und besuchten später die Stadt Cork selbst, bevor sie am Abend von dort per Flugzeug die Heimreise antraten.

Trotz des demonstrativen Bemühens aller Beteiligten um eine Begegnung auf gleicher Augenhöhe zeichneten sich die Reaktionen der medialen und politischen Elite Irlands auf die Anwesenheit der britischen Königin in der Republik durch eine Servilität und dem Wunsch zu gefallen aus, ganz als müßten sich die Iren dafür schämen, vor 90 Jahren die britische Herrschaft über den größten Teil der grünen Insel abgeworfen zu haben. Dieses Phänomen geht auf den Geschichtsrevisionismus zurück, zu dem im Süden Irlands der dreißigjährige Bürgerkrieg im Norden geführt hat und der auf die Delegitimierung der Republik und ihre gewaltsame Gründung hinausläuft. Auf diesem Weg soll die irische Republik dazu gebracht werden, ihre militärische Neutralität zugunsten einer Vollmitgliedschaft in der NATO und/oder irgendeiner Militärarchitektur der EU aufzugeben.

Das Hauptargument der Revisionisten lautet, daß am Vorabend des Ersten Weltkrieges Großbritannien davor stand, Irland als Ganzes "Home Rule" - eine gewisse Autonomie innerhalb des Vereinigten Königreichs - einzuräumen, also wäre der Osteraufstand 1916 nicht nötig gewesen, hätte zur Spaltung der Insel in einen von der katholischen Kirche kontrollierten Süden und einen vom protestantischen Oranierorden beherrschten Norden geführt und damit den Saat für die Troubles gelegt, die zwischen 1968 und 1998 3500 Menschen das Leben kostete.

Indem sie den irischen Nationalismus für alles Unheil der letzten hundert Jahren in den bilateralen Beziehungen verantwortlich machen, betreiben die Revisionisten übelste Geschichtsklitterung. Schließlich waren es die Unionisten, welche "die Waffe in die irische Politik" als erste geführt haben. Im Frühjahr 1914 haben die Ulster Volunteers 25.000 Gewehre und drei Millionen Patronen aus dem deutschen Kaiserreich von Wilhelm II. importiert, um mit Gewalt die Einführung von "Home Rule" zu verhindern und sich nicht einer katholischen Mehrheit in einem neuen irischen Parlament unterordnen zu müssen. Dabei erhielten die protestantischen Königstreuen in Ulster tatkräftige Unterstützung sowohl von der britischen Armee in Irland, die sich weigerte, gegen sie vorzugehen - Stichwort "Curragh Mutiny" - als auch von den oppositionellen Tories im britischen Unterhaus, deren Anführer Andrew Bonar Law in diesem Zusammenhang sogar erklärte, es gäbe "höhere Mächte als eine parlamentarische Mehrheit". Die schwere konstitutionelle Krise, in die damals der Streit um politische Autonomie für Irland das Vereinigte Königreich stürzte, war mit Sicherheit mit ein Grund, warum sich die Londoner Regierung im August 1914 zur Teilnahme des British Empire am Krieg an der Seite Frankreichs und Rußlands gegen die Zentralmächte Deutschland und Österreich-Ungarn entschloß.

Im Ersten Weltkrieg gingen Hunderttausende Iren zur britischen Armee. Während die protestantischen Unionisten für Gott und König kämpften, folgten viele katholische Nationalisten, die sich während der "Home Rule Crisis" als Irish Volunteers formiert hatten, dem Rat von John Redmond, damals Anführer der Irish Parliamentary Party im britischen Unterhaus, und kämpften für die Briten, weil diese Irland nach Beendigung des Krieges auf dem europäischen Festland Autonomie gewähren sollten. Nach dem Krieg kam jedoch alles anders. Die Niederschlagung des Osteraufstands und die Hinrichtung seiner Anführer - eine Untergruppe der Irish Volunteers, aus der später die IRA entstehen sollte - hatte in Irland zu einer Radikalisierung geführt. Die Mehrheit der Iren wollte keine Autonomie mehr, sondern die 1916 ausgerufene Republik, weshalb die Vertreter dieser Linie, die Sinn Féin, die britischen Unterhauswahlen Ende 1918 in ganz Irland - bis auf die protestantische Ecke im Nordosten - haushoch gewann. Es folgten der Irische Unabhängigkeitskrieg 1920-1921, die Neutralität Südirlands im Zweiten Weltkrieg, der Austritt der Republik aus dem British Commonwealth und später die sogenannten "Troubles".

Im Rahmen des nordirischen Friedensprozesses, zu dem der königliche Besuch als "krönender Abschluß" angeblich gehört, gehen der Süden und Norden, Katholiken und Protestanten, Irland und Großbritannien wieder aufeinander zu. Deswegen zum Beispiel fand am 18. Mai die Gedenkfeier für die Gefallenen des Ersten Weltkrieges im Dubliner Islandbridge, die auf besonderem Wunsch der Königin auf dem Besuchsprogramm stand, statt. Wegen der Bedeutung des Ersten Weltkrieges, insbesondere der Schlacht an der Somme, für die Ulster Volunteers, war es nur konsequent, daß die irische Präsidentin Mary McAleese dazu auch Vertreter der loyalistischen Paramilitärs, die sich während der Troubles durch Anschläge auf Katholiken hervorgetan hatten, einlud. Wie Peter Robinson, der Chef der protestantischen Democratic Unionist Party, der derzeit als Premierminister von Nordirland in einer Koalitionsregierung mit der IRA-nahen Sinn Féin sitzt, auf die Proteste einiger Nationalisten gegen diese Einladung angesprochen richtig antwortete, verlangt der Friedenprozeß von beiden Seiten, daß sie sich jeweils mit ihren Feinden versöhnen.

Gleichwohl reiht sich die Zeremonie in Islandbridge in eine generelle ideologische Kampagne ein, den irischen Republikanismus und das Streben nach einem freien und unabhängigen Irland für geschichtlich überflüssig zu deklarieren. Nicht umsonst hat Thronfolger Prinz William bei seiner Hochzeit mit Kate Middleton vor wenigen Wochen die Uniform der Irish Guards getragen. Bei jenem Anlaß hat die Queen ihrem Enkel, dem Sohn von Prinz Charles und Diana Spencer, nicht nur den Titel des Duke of Cambridge, sondern auch den des Baron of Carrickfergus verliehen. Letzerer Titel spricht eine eindeutige Sprache, ist doch die Hafenstadt an der Ostseite der Belfaster Bucht als Hochburg loyalistischer Radaubrüder berüchtigt.

Im Anschluß an die Kranzniederlegung in Islandbridge stellte Präsidentlin McAleese der Königin den Publizisten Kevin Myers vor, der seit langem, zuerst bei der Irish Times, seit einigen Jahren beim Irish Independent, übelste sozialdarwinistische Polemik à la Thilo Sarrazin betreibt. Myers ist ein großer Bewunderer alles Britischen und steht der gälischen Sprache - offiziell der ersten Amtssprache Irlands - und den Bemühungen um ihre Wiederbelebung höchst feindlich gegenüber. Seit Jahren setzt er sich für die Erinnerung an alle Iren, die im Dienste des britischen Imperialismus gefallen sind, stark ein. "Ihrer Majestät" vorgestellt zu werden, hat Myers dermaßen in Verzückungen versetzt, daß ihm seine wenige Tage zuvor öffentliche bekundete "Verärgerung" darüber, nicht zum großen Staatsbankett zu Ehren der Königin eingeladen worden zu sein, gänzlich abging.

Die versöhnliche Ansprache der Königin auf besagtem Bankett in Dublin Castle, dem einstigen Symbol britischer Macht auf der Insel, ist in Irland zu Recht mit großer Zufriedenheit aufgenommen worden. Die Rede von Mary McAleese fiel dagegen enttäuschend aus. Die irische Präsidentin hat nicht nur weniger Gälisch benutzt als ihr ausländischer Gast, sondern bei ihrer Würdigung der gegenseitigen Befruchtung der Kulturen beider Länder fiel die Balance eindeutig zugunsten der Englander bzw. Briten aus. McAleese hob unter anderem hervor, daß Irland von Großbritannien das Rechtswesen Common Law, die parlamentarische Tradition, ein politisch unabhängiges Beamtentum, die "Liebe zur englischen Literatur" und die Obsession mit der englischen Premier-Fußballliga geerbt habe. Dafür habe Großbritannien vom Genius berühmter Iren wie Edmund Burke, dem Napoleon-Bezwinger Wellington, Daniel O'Connell, Charles Stuart Parnell, Oscar Wilde und George Bernard Shaw profitiert. Doch hier ist das Geben und Nehmen nicht ausgewogen. Dafür, eine fremde Kultur aufgezwungen und Jahrhunderte der Unterdrückung erlitten zu werden, könne sich Irland damit rühmen, den Glanz des British Empire aufpoliert zu haben, müßte man meinen.

Wenn das Urteil über McAleeses Rede etwas zugespitzt ausfällt, vielleicht nur deshalb, weil am selben Tag in einer Diskussionssendung des irischen Rundfunks RTÉ die Historikerin Ruth Dudley-Edwards, geistige Anführerin der irischen Revisionisten, allen Ernstes behauptete, die Iren könnten sich glücklich schätzen, von einer so aufgeklärten Großmacht wie England bzw. Großbritannien kolonisiert worden zu sein. Es hätte viel schlimmer kommen können, erklärte sie unter Verweis auf das mörderische Treiben der Belgier im Kongo des 19. Jahrhunderts. Der Vergleich von Dudley-Edward ist jedoch völlig unhaltbar und für eine angesehene Geschichtswissenschaftlerin geradezu peinlich. Während die Ureinwohner des Kongo von den Belgiern zu Abertausenden getötet wurden, konnten Iren wie Parnell oder Wilde am gesellschaftlichen Leben in London nur deshalb als vollwertige Untertanen der Krone teilnehmen, weil ihr eigenes Land längst unterjocht und dort die letzte Freiheitsregung fast gänzlich ausgelöscht war. Im 16. Jahrhundert dagegen, als die Englander unter der Tudor-Dynastie mit der Kolonisierung des Nachbarlandes richtig loslegten, wurden die irischen Ureinwohner genauso abgeschlachtet wie die Kongolesen von den Schergen von Leopold II. In Dublin Castle wurden sogar Prämien gezahlt für die Köpfe mutmaßlicher Gegner der neuen Ordnung und diese sogar auf dem Burgsims zur Abschreckung aufgespießt.

In den Reden beider Staatsoberhäupter wurden die zahlreichen Iren erwähnt, die über die Jahrhunderte nach Großbritannien eingewandert sind, dort Arbeit gefunden und ihre Kinder dort großgezogen haben. Tatsächlich sind in Großbritannien die Iren heute in allen Bereichen zu finden, von der Sport- bis in die Unterhaltungsindustrie, im Krankenhaus genauso wie in den Chefetagen. Vor diesem Hintergrund war es erfrischend, daß ausgerechnet ein Engländer irischer Abstammung das vernichtendeste Urteil über das ganze Brimborium zum königlichen Besuch in Irland fällte. In einem Interview für die jüngste Ausgabe der irischen Musikzeitschrift Hot Press erklärte Morrissey, der ehemalige Sänger der Kultgruppe The Smiths, über die von Königin Elizabeth vorgestandene Aristokratie Großbritanniens sollte man sich keine Illusionen machen, denn es sei, so Morrissey, ein "fascist regime". Letzte Aussage ist natürlich ein Zitat aus dem berühmten Lied der Sex Pistols von 1977, "God Save The Queen". Geschrieben wurde das Lied von Johnny Rotten, geborener Lydon, ebenfalls ein in England aufgewachsenes Sproß irischer Eltern. Um eine Zeile aus jenem Lied auf die aktuellen Ereignisse umzumünzen": "There is no future in Ireland's dreaming".

20. Mai 2011