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PARTEIEN/301: Nordirlands Regierung wegen IRA-Umtrieben geplatzt (SB)


Nordirlands Regierung wegen IRA-Umtrieben geplatzt

Erster Minister Peter Robinson läßt sein Amt ruhen


Mit der am 10. September erfolgten Entscheidung von Peter Robinson, seinen Stuhl als Nordirlands Erster Minister vorerst zu räumen, hat die politische Krise in Belfast einen neuen Höhepunkt erreicht. Bei einem Sondertreffen am 14. September in Belfast wollen die britische Nordirlandministerin Theresa Villiers und der irische Außenminister Charlie Flanagan mit den Chefs der zerstrittenen Fraktionen die Möglichkeit einer Rettung der nordirischen Allparteienregierung ausloten. Kommt man am Ende zum Schluß, daß keine Möglichkeit mehr besteht, wird Villiers vermutlich Neuwahlen für das Regionalparlament in Belfast ansetzen. Doch auch das würde nicht zwingend zu einer Lösung der politischen Zwickmühle, in die sich die pro-britischen, protestantischen Unionisten und katholischen Nationalisten manövriert haben, führen. Die Patt-Situation bestünde nach wie vor.

Im Vordergrund des aktuellen Disputs geht es um die Frage, inwieweit die Irisch-Republikanische Armee (IRA) noch aktiv ist und ob sich ihr politischer Arm Sinn Féin an die Bedingungen des Karfreitagsabkommens von 1998 hält. 2005 hatte die IRA ihre Waffenbestände unter der Aufsicht internationaler Experten unbrauchbar gemacht, den bewaffneten Kampf für beendet erklärt und alle Freiwilligen aufgefordert, Sinn Féin beizutreten und ihr zu helfen, auf friedlichem Wege die Wiedervereinigung Irlands zu verwirklichen. Zwei Morde in Belfast haben Sinn Féin jedoch in Erklärungsnot gebracht. Am 12. August wurde das ehemalige IRA-Mitglied Kevin McGuigan von zwei maskierten Männern erschossen. Auf die erste Stellungnahme des Chefermittlers Kevin Geddes, der Police Service of Northern Ireland (PSNI) gehe davon aus, daß der Mord an McGuigan von "Angehörigen der IRA" begangen worden sei als Vergeltung für das Attentat vom 6. Mai auf den ehemaligen Kommandeur der Untergrundorganisation, Gerard "Jock" Davison, reagierte die Führung der Democratic Unionist Party (DUP) und der Ulster Unionist Party (UUP) mit großem Entsetzen. Die Aussage von PSNI-Präsident George Hamilton, daß die IRA zwar weiterhin "existiere", jedoch lediglich um den Friedensprozeß voranzutreiben, konnte die unionistischen Gemüter nicht beruhigen.

Anfang September hat Mike Nesbitt, der Chef der kleineren UUP, das Ausscheiden seiner Fraktion aus der Allparteienregierung erklärt. Dies brachte die DUP unter massiven Druck, dasselbe machen zu müssen, wollte sie in den Augen der protestantischen Wähler nicht als zu nachgiebig gegenüber Sinn Féin und der offenbar noch existierenden IRA erscheinen. Medienberichte der vorangegangenen Tage, wie sehr die Polizei in den vergangenen Jahren aus Rücksicht auf den Friedensprozeß bei kriminellen Aktivitäten seitens Elementen aus der alten IRA-Führung ein Auge zugedrückt haben soll, hat den Druck auf DUP-Chef Robinson noch weiter erhöht.

Die Festnahme von Bobby Storey, dem Vorsitzenden von Sinn Féin in Nordirland, und zwei weiteren Ex-IRA-Mitgliedern am 9. September in Verbindung mit dem McGuigan-Mord hat Robinson zu seinem De-Facto- Rücktritt als Erster Minister veranlaßt (Mit ihm legten fast alle anderen DUP-Vertreter ihre Ministerialämter nieder; einzig Finanzministerin Arlene Foster bleibt als geschäftsführende Erste Ministerin auf ihrem Posten, damit die nationalistischen Minister von Sinn Féin und der Social Democratic Labour Party (SDLP) nicht in die Staatskasse greifen können und die DUP weiterhin verhindern kann, daß es zu irgendwelchen Kabinettssitzungen kommt). Zuvor war DUP-Vizechef Nigel Dodds beim britischen Premierminister David Cameron mit der Bitte, London möge die nordirischen Institutionen vorübergehend suspendieren, gescheitert. Auch den Vorschlag des irischen Premierministers Enda Kenny an den SDLP-Chef Alastair McDonnell, seine Partei möge neben DUP und UUP aus der nordirischen Regierung austreten, um Sinn Féin zu isolieren, wurde vom Führer der nordirischen Sozialdemokraten negativ beschieden.

Der Vorwurf von Sinn Féin, die DUP und die UUP sowie die großen Parteien in der Republik Irland mißbräuchten den Doppelmord Davison/McGuigan, um politische Pluspunkte auf Kosten Sinn Féins zu sammeln, ist nicht von der Hand zu weisen. Die DUP, Robinson voran, wollen von dem für sie brandgefährlichen Bestechungsskandal in Verbindung mit dem milliardenschweren Verkauf sämtlicher Immobilien der irischen Bad Bank NAMA in Nordirland an den US-Investitionsfonds Cerberus ablenken. Gleichzeitig liefern sich DUP und UUP einen erbitterten Kampf um die Führung im unionistischen Lager. In der Republik Irland, wo demnächst Parlamentswahlen stattfinden, befürchten die etablierten Parteien Fine Gael, Labour und Fianna Fáil, die zusammen die sozial ungerechte Austeritätspolitik der Troika tragen, von Sinn Féin mit ihrem keynesianischen Wirtschaftsprogramm überflügelt zu werden. Ihnen kommt die aufgekommene Diskussion um Leichen im Keller von Sinn Féin und der IRA mehr als gelegen.

Auch wenn sich Sinn Féin den Vorwurf, zu lange die kriminellen Geschäfte von Teilen der alten IRA-Führung gedeckt zu haben, gefallen lassen muß, läßt die Heuchelei ihrer Gegner diese auch nicht gut aussehen. Robinson, der sich gern als Law-and-Order-Apostel präsentiert, hat Ende August nicht darauf verzichtet, beim zuständigen Richter schriftlich um Milde für Sam Tweed, ein ehemaliges Mitglied der Ulster Defence Association (UDA), zu bitten. Der 74jährige Tweed wurde trotzdem zu einer zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe wegen des illegalen Besitzes einer größeren Menge Schußwaffen und Munition verurteilt. DUP- und UUP-Größen scheuen sich zudem niemals, sich etwa bei Oraniermärschen Seite an Seite mit namhaften loyalistischen Ex-Paramilitärs von der UDA und der Ulster Volunteer Force (UVF) zu zeigen.

Wie der Journalist Ed Moloney, Autor des Buchs "The Secret History of the IRA", und der ehemalige irische Justizminister Michael McDowell in den letzten Tagen in Gastbeiträgen in der Irish Times klargestellt haben, ist es 2005 zu einer stillen Übereinkunft zwischen Sinn Féin und der IRA auf der einen Seite, der Regierung Tony Blairs und mit ihr dem britischen Inlandsgeheimdienst MI5 auf der anderen gekommen. Die Führung der IRA konnte bei der Vernichtung ihres umfangreichen Waffenarsenals einen geringen Teil davon behalten, um sich vor Übergriffen von Dissidenten aus den eigenen Reihen zu schützen. Bei den republikanischen Paramilitärs wurde das "Gewaltmonopol" der IRA aufrechterhalten, um dem nordirischen Friedensprozeß zum Erfolg zu verhelfen und einen Bruderkrieg zwischen katholisch-nationalistischen Gegnern und Befürwortern des Karfreitagsabkommens zu vermeiden. Im großen und ganzen hat das Arrangement auch funktioniert. Sich heute darüber zu mokieren, ist sowohl kurz- als auch durchsichtig.

11. September 2015


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