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PARTEIEN/331: Mays Tories erkaufen sich die Unterstützung der DUP (SB)


Mays Tories erkaufen sich die Unterstützung der DUP

Minderheitsregierung in London dennoch auf wackligen Füßen


Nach mehr als zwei Wochen zäher Verhandlungen hat am 26. Juni die Conservative and Unionist Party of Great Britain einen Deal mit der erzkonservativen nordirischen Democratic Unionist Party (DUP) geschlossen, der der Minderheitsregierung von Premierministerin Theresa May für die kommende fünfjährige Legislaturperiode das Überleben sichern soll. Dieses Abkommen war teuer erkauft. Im Gegenzug für die Unterstützung der zehn DUP-Abgeordneten bekommt Nordirland finanzielle Sonderzuwendungen in Höhe von eineinhalb Milliarden Pfund - umgerechnet 1,7 Milliarden Euro. Während man sich in Nordirland über den erwarteten Geldsegen freut, hagelt es Proteste seitens der Autonomieregierungen in Edinburgh und Cardiff angesichts der Benachteiligung von Schottland und Wales. Aus Sicht der meisten englischen Bürger steht die Pfarrerstochter May nun als Lügnerin dar, die im Wahlkampf wegen angeblich leerer Staatskassen eine rigorose Sparpolitik gepredigt hatte und nun zwecks puren Machterhalts doch noch den "magischen Geldbaum" gefunden hat, dessen Existenz sie bei öffentlichen Auftritten gegenüber schlecht bezahlten Krankenschwestern und Lehrern bestritten hatte.

Durch den Deal mit der DUP wird May das letzte Woche von Königin Elizabeth vor beiden Häusern des Parlaments verlesene Regierungsprogramm durchbringen können, doch was danach passiert, weiß niemand. Mit den Stimmen der DUP verfügt die neue Regierung lediglich über eine Mehrheit im 650sitzigen Parlament von sechs Stimmen. May ging ohnehin aus den vorgezogenen Unterhauswahlen am 8. Juni, bei denen die Tories ihre Mehrheit verspielt hatten, geschwächt hervor. Der Großbrand in einem Londoner Hochhaus, der am 14. Juni mindestens 79, möglicherweise sogar mehrere hundert meist unterprivilegierte Menschen das Leben gekostet hat, war für die politische Karriere der ehemaligen Innenministerin der letzte Sargnagel. May bleibt vorerst Partei- und Regierungschefin, weil niemand die politische Verantwortung für die kommenden Verhandlungen mit Brüssel über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) übernehmen will. Auch Außenminister Boris Johnson, der lange als aussichtsreichster Nachfolger Mays gehandelt worden war, ist durch den infrastrukturellen Massenmord im Grenfell Tower belastet, hat er doch gegen den Rat vieler Experten als Londoner Bürgermeister einen drastischen, umstrittenen Rückbau der Kapazitäten der Feuerwehr in der britischen Hauptstadt verfügt.

Das Wahldebakel für die Tories und das unerwartet gute Abschneiden der Sozialdemokraten um Oppositionsführer Jeremy Corbyn bedeutet faktisch das Aus für den "harten" Brexit. Parteiübergreifend befürwortet die überwiegende Mehrheit der Abgeordneten im britischen Unterhaus den Verbleib des Vereinigten Königreichs im Binnenmarkt und in der Zollunion. Auch wenn die protestantisch-probritische DUP ihren Teil der Abmachung erfüllt und den Konservativen bei allen Abstimmungen in den Bereichen Brexit, Finanzen und nationale Sicherheit beisteht, muß nur ein Handvoll Tory-Hinterbänkler - etwa die 13köpfige schottische Landesgruppe um Ruth Davidson - May die Unterstützung verweigern und schon wäre das Chaos perfekt. Deshalb plädieren nicht wenige Politiker und Medienkommentatoren für eine Regierung der nationalen Einheit, um die kolossalen Schwierigkeiten der kommenden Brexit-Verhandlungen, die bis Ende März 2019 abgeschlossen werden sollen, zu meistern.

In Nordirland selbst gerät die katholisch-nationalistische Sinn Féin nun unter enormen Druck, der Bildung einer neuen interkonfessionellen Regionalregierung in Belfast zuzustimmen. Im Januar hatte Sinn Féin noch unter der Führung des krebserkrankten Martin McGuinness, damals Stellvertretender Premierminister Nordirlands, die Koalition mit der DUP aufgekündigt. Als Gründe gab der inzwischen verstorbene Ex-IRA-Kommandeur die Weigerung der Democratic Unionists, das im Saint-Andrew's-Agreement von 2006 beschlossene Gesetz zur Gleichstellung der gälischen Sprache auf den Weg zu bringen, sowie die Verwicklung von DUP-Chefin Arlene Foster in den Korruptionsskandal um das mißratene Energieprojekt namens Renewable Heating Initiative (RHI) an.

Bei den Neuwahlen zur Regionalversammlung im März hat Sinn Féin von ihrer neu entdeckten harten Haltung gegenüber der DUP enorm profitiert. Wegen des Erstarkens Sinn Féins konnte die DUP wiederum bei der britischen Unterhauswahl die eigene Wählerbasis erfolgreich mobilisieren. Das Ergebnis war, daß im Juni zum erstenmal die gemäßigten Parteien auf beiden Seiten der konfessionellen Trennungslinie - die Ulster Unionist Party (UUP) und die Social Democratic Labour Party (SDLP) - keinen einzigen Sitz erobern konnten. Von den 18 nordirischen Mandaten im britischen Unterhaus gingen zehn an die DUP, sieben an Sinn Féin und eines an die unabhängige Unionistin Lady Sylvia Hermon im wohlhabenden Wahlbezirk North Down am Rande Belfasts.

Bisher hat Sinn Féin ihre Zustimmung zur Neubildung einer nordirischen Regierung von Zugeständnissen seitens der DUP abhängig gemacht. Zu einer Einigung dürfte es aber aus mehreren Gründen kommen. Wenn demnächst die zusätzlichen Gelder aus dem Finanzministerium in London für Bildung, Gesundheit, Infrastruktur et cetera fließen, werden DUP und Sinn Féin ihrem Wahlvolk ersichtlich die Verteilung in die eigenen Hände nehmen wollen und sie nicht Mays Nordirlandminister James Brokenshire und irgendwelchen unbekannten Staatsbeamten überlassen. Anders sind die Angaben Mick Fealtys, Betreiber des vielbeachteten Blogs Slugger O'Toole, wonach die DUP-Führung in den vergangenen Tagen ihre ehemaligen und wohl auch künftigen Kabinettskollegen von Sinn Féin laufend über den Stand der Verhandlungen mit den Tories informiert hat, nicht zu deuten.

Vor diesem Hintergrund sind die auffällig wohlklingenden Worte von Sinn-Féin-Präsident Gerry Adams bezüglich des von der DUP ausgehandelten Deals mit London keine wirkliche Überraschung. Es ist davon auszugehen, daß Sinn Féin ihre Forderung nach einem vorübergehenden Rücktritt Arlene Fosters als Erste Ministerin bis zur Klärung des RHI-Fiaskos fallenläßt, während dafür die Democratic Unionists den irischen Republikanern in der strittigen Frage der Gleichstellung der gälischen Sprache irgendwie entgegenkommen. Mit einem solchen Kuhhandel können sich beide Seiten im eigenem Lager als Sieger verkaufen. DUP und Sinn Féin wollen sich zudem in die Brexit-Verhandlungen einbringen, um die negativen Folgen für Nordirland und Irland als ganzes auf ein Minimum zu begrenzen. Das können sie am wirksamsten als gemeinsame Vertreter der Regionalregierung tun. Hinzu kommt, daß in der Republik Irland demnächst mit Neuwahlen gerechnet wird. Das Ergebnis könnte eine neue Koalitionsregierung unter der Führung von Fianna Fáil mit Sinn Féin als Juniorpartner sein. Um dieses Ziel zu erreichen, muß sich Sinn Féin als verläßliche Kraft im Norden präsentieren.

27. Juni 2017


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