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BERICHT/036: Die Harnack'sche Ungleichung (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 3 vom 11. März 2008

Die Harnack'sche Ungleichung
Wissenschaftler als Namensgeber in der Geschichte der TU Dresden (16)

Von Thomas Riedrich, Fachrichtung Mathematik


Am 7. Mai 1851 wurde Carl Gustav Axel Harnack in Dorpat, heute Tartu in Estland, als Sohn des Theologen A. T. Harnack (1816-1869) und der Ehefrau M. Harnack, geb. v. Ewers (1827-1857) geboren.

Ab 1869 studierte Harnack an der Universität Dorpat Mathematik (bei Minding) und wandte sich ab 1873 zu weiteren Studien nach Erlangen. Dort befand er sich im Kreis junger begabter (z. B. Voss) und unter der Obhut bedeutender deutscher Mathematiker (z.B. F. Klein, P. Gordan). Am 18. Februar 1874 sprach er im Kreis der Klein'schen Studenten über "elliptische Funktionen 3. Ordnung", angeregt durch Untersuchungen des Zusammenhangs algebraischer Kurven mit der Theorie algebraischer Integrale.

Daraus entstanden die Dissertation "Über die Verwertung der elliptischen Funktionen für die Geometrie der Kurven 3. Grades" (Juni 1874) sowie die Habilitationsschrift "Über eine Behandlungsweise der algebraischen Differentiale in homogenen Coordinaten" (1875), die ihm unter der Mentorschaft von C. Neumann, E. Scheibner und E. Hankel die Venia Legendi sicherte.

Im Sommersemester 1876 begann Harnack seine Hochschullehrerlaufbahn mit einer Privatdozentur (Geometrie der Ebene) an der Universität in Leipzig.

In der Lehrtätigkeit sah Harnack die "... klare und vollständige Auseinandersetzung der grundlegenden Begriffe, möglichste Beschränkung der reinen Theorie nebst scharfer Formulierung der Lehrsätze innerhalb gegebener und geeigneter Voraussetzungen, Reichhaltigkeit in der Anwendung auf gebotene Probleme..." als Zielstellung an.

Der kurzen Leipziger Periode folgte 1876/77 eine Lehrtätigkeit in Darmstadt, an die sich die Dresdner Jahre anschlossen, die einen äußerlichen Wendepunkt in seinem Leben setzten.

Der Direktor des Polytechnikums, der bedeutende Technikwissenschaftler Gustav Zeuner (1828-1907), berief Harnack in erster Wahl nach Dresden und avancierte ihn als einen Mathematiker, von dem er "... einen äußerst guten Eindruck..." gewonnen habe. Gemeinsam mit den Dresdner Mathematikern baute Harnack ein umfangreiches Gebäude mathematischer Vorlesungen auf und erwarb sich damit bei seinen Hörern Achtung, Zustimmung und Anerkennung. Das Gleiche gilt für seine Kollegen, die ihn zum Abteilungsvorstand der Lehrabteilung und damit in den Senat wählten.

In den verschiedenen Feldtheorien in Natur- und Technikwissenschaften wie Hydrodynamik, Elastizitätstheorie, Elektrotechnik spielen "Potentiale" eine wesentliche Rolle. Im von "Quellen" freien Teil des jeweils betrachteten Raumes erfüllen diese Potentiale eine lineare, zumeist elliptische, partielle lineare homogene "Potentialgleichung"; das klassische Beispiel ist die homogene Laplace-Gleichung (die Summe der nicht gemischten zweiten partiellen Ableitungen ist Null). Auf diese bezieht sich die im Folgenden verbal beschriebene Harnack'sche Ungleichung: "Ist eine Funktion U (das Potential) in einem gewissen Gebiet (der Ebene oder des Raumes) positiv und harmonisch (also eine Lösung der homogenen Laplace-Gleichung), dann gibt es für jedes Teilgebiet, das einschließlich seines Randes ganz in dem Ausgangsgebiet liegt, zwei positive Konstanten m und M, so dass der Wert von U in irgendeinem Punkt des Teilgebiets nicht kleiner ist als mU(Q) und nicht größer als MU(Q), wobei U(Q) den Wert von U in einem festen Punkt Q des betrachteten Teilgebietes bezeichnet (der aber dort beliebig gewählt werden kann)."

Aus dieser Ungleichung ergibt sich unmittelbar der sogenannte 2. Harnack'sche Konvergenzsatz: "Jeder nicht fallenden Folge nichtnegativer harmonischer Funktionen, von der man nur weiß, dass sie in einem Punkt ihres Definitionsgebietes B beschränkt ist, folgt die sogar gleichmäßige Konvergenz dieser (Funktionen-)Folge in jedem Teilgebiet von B, welches mit seinem Rand ganz in B liegt, gegen eine (wiederum) harmonische Funktion."

Die Harnacksche Ungleichung, oder besser gesagt, das Prinzip der Harnack'schen Ungleichung wurde in einer erheblichen Anzahl von Arbeiten benutzt und weitgehend verallgemeinert und ist nach wie vor aktuell und nützlich, z. B. zur Untersuchung der Lösungseigenschaften linearer und nichtlinearer partieller Differentialgleichungen und wird aber, trotz beträchtlicher Umwandlungen in Voraussetzungen und Aussage immer noch unter ihrem Namen genannt, häufig als "Harnack-type inequality".

Zur Zeit der erstmaligen Veröffentlichung der Harnack'schen Ungleichung jedoch, in der Monographie von A. Harnack: "Grundlagen der Theorie des logarithmischen Potenzials und die eindeutigen Potenzialfunktionen in der Ebene", erschienen 1887 bei B. G. Teubner, Leipzig, bedeutete sein Resultat und dessen Anwendung ein völlig neuartiges, überraschendes Herangehen an Probleme der Potentialtheorie, das keine Vorläufer besaß.

Harnack wurde ferner bekannt für seine Arbeiten zum Integralbegriff (1884/85), in denen er das bis dahin benutzte Riemann-Integral auf Funktionen, die auf einer diskreten Punktmenge unbeschränkt sind, erweiterte und untersuchte. Damit wurde er auch zum Vorläufer von H. Lebesgue (1875-1941), dessen Integralbegriff (1901) bis heute die wirksamste und tragfähigste Verallgemeinerung aller vorangegangenen Integralbegriffe wurde.

Harnacks früher Tod am 3. April 1888 riss eine empfindliche Lücke in den Reihen der Dresdner Mathematiker; sein Werk lebt fort und auch die Erinnerung an einen Hochschullehrer, der den Wert täglicher Pflichterfüllung stets hoch hielt.

Sein Grab befindet sich auf dem Trinitatisfriedhof in Dresden-Johannstadt.


(Der Artikel beruht in wesentlichen Teilen auf einer Kurzbiografie Harnacks von Thorsten Liebers (TU Dresden, 1988)).


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 19. Jg., Nr. 5 vom 11.03.2008, S. 8
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. April 2008