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KULTUR/075: Weihnachten mit multikulturellen Wurzeln (Thieme)


Thieme Verlag - FZMedNews - Dienstag, 18. Dezember 2007

Weihnachten mit multikulturellen Wurzeln


fzm - Das Weihnachtsfest, wie es heute in Deutschland gefeiert wird, gründet sich nicht allein auf die Bibel. In einem Beitrag zur Fachzeitschrift "DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift" (Georg Thieme Verlag, Stuttgart. 2007) legt der Althistoriker und Kulturwissenschaftler Alexander Demandt, emeritierter Professor der Freien Universität Berlin, neben den christlichen auch germanische und orientalische Wurzeln des Weihnachtsfests frei.

Aus dem germanischen Kulturkreis stammt die Bezeichnung Weihnachten, "geweihte Nacht", die laut Demandt ursprünglich keinen Bezug zum christlichen Inhalt des Festes hatte, sondern auf eine heidnische Feier der Winter-Sonnenwende zurückgeht. Auch der Weihnachtsbaum ist eine germanische Erfindung. Ab Ende des 15. Jahrhunderts begannen zunächst Fürstenhöfe, später auch städtische Patrizier, ihre Wohnungen zu Weihnachten mit Tannengrün zu schmücken. Das gemeine Volk griff die Tradition erst später auf. In ländlichen Regionen setzte sich der Tannenbaum teilweise erst im letzten Jahrhundert durch, so der Kulturhistoriker. Weihnachtskerzen kennt man seit dem 17. Jahrhundert, den Weihnachtsstollen seit dem 14. Jahrhundert.

Rein christlichen Ursprungs ist die Weihnachtsgeschichte, die im Lukasevangelium erzählt wird. Doch auch hier entdeckt Demandt zahlreiche Anleihen an antike Traditionen. Dazu gehört die Erwartung eines Messias, die zur damaligen Zeit im gesamten östlichen Mittelmeerraum verbreitet war. Selbst Rom wurde erfasst. Einige Inschriften nennen Kaiser Augustus als Weltenheiland, weiß der Althistoriker. Dass auch Jesus der Messias sein sollte, hatte laut Demandt Folgen für die Weihnachtsgeschichte. Denn Jesus war aus Nazareth. Nach den Prophezeiungen des Alten Testaments musste er aber in Bethlehem geboren sein. Die Wanderung von Maria und Joseph sollte diese Legende erfüllen. Nach Ansicht Demandts widerspricht die Erzählung jeder bürokratischer Vernunft: Wenn bei einer Volkszählung die Meldung am Geburtsort erfolgen müsste, würde jeder Zensus eine Völkerwanderung auslösen, schreibt der Historiker.

Auch den Kindermord von Bethlehem und die Anbetung der Heiligen Drei Könige hält Demandt für Legenden. Der Kindermord erfülle das orientalische Motiv der Bedrohung des Heldenkindes: Auch Moses, Herakles, Pyrrhos und andere später berühmte Leute seien in der Kindheit außergewöhnlichen Gefahren entronnen. Die Geschichte vom Stern und von den Magiern ist laut Demandt Stück einer persischen Mithraslegende, die nachträglich auf Jesus umgedeutet worden sei.

Auch die Jungfrauengeburt Marias akzeptiert der Althistoriker nicht. Demandt erkennt hier eher einen Anklang an antike Heroen-Typen wie Herakles und Alexander, die auch eine irdische Mutter und einen göttlichen Vater gehabt haben sollen.

Dass Jesus mitten im Winter geboren wurde, steht nicht in der Bibel. Demandt sieht ebenfalls eine Anleihe an den im römischen Reich äußerst populären Mithras-Kult. Zur Wintersonnenwende wurde die Geburt des "unbesiegbaren Sonnengottes" gefeiert. Im julianischen Kalender fiel das Datum auf den 25. Dezember. Nach Rom gelangte dieser orientalische Kult übrigens mit Seeräubern aus dem südöstlichen Kleinasien, die von den Römern in Italien angesiedelt wurden. Demandt: Insofern verdanken wir das Weihnachtsfest einigen Piraten. Eingeführt wurde es erst im 4. Jahrhundert, möglicherweise als ein Mittel, um den damals noch sehr starken Sonnenkult durch Vereinnahmung zu verdrängen. Zu einem staatlichen Feiertag machte ihn zuerst ein germanischer Staat, das spanische Westgotenreich, im Jahr 506. Rom zog erst später nach.

A. Demandt:
Der Ursprung des Weihnachtsfestes.
DMW Deutsche Medizinische Wochenschrift 2007
132 (51/52): S. 2743-2746


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Quelle:
FZMedNews - Dienstag, 18. Dezember 2007
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Dezember 2007