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MEMORIAL/040: 15. März 1972 - Zum Gedenken an den Verleger Giangiacomo Feltrinelli (Gerhard Feldbauer)


Dem Gedenken an einen Kollegen und mutigen Antifaschisten gewidmet,

dem Verleger Giangiacomo Feltrinelli, der vor 40 Jahren ermordet wurde

von Gerhard Feldbauer, 14. März 2012


Am 15. März 1972 wird in Segrate bei Mailand unter einem Hochspannungsmast die verstümmelte Leiche eines Mannes gefunden. Das vom Körper abgerissene rechte Bein liegt sechs Meter entfernt am Boden. Am Körper des Toten und auf dem Boden verstreut liegen einige Dutzend Sprengkörper und Dynamitstäbe, in einer Hosentasche eine mit einem Zünder verbundene Packung Tritol. Nur wenige der Sprengkörper waren explodiert und hatten einige Eisenstäbe des Mastes abgerissen. Der Tote, in dessen Taschen ein gefälschter Ausweis und dazu auch noch ein paar kubanische Pesos steckten, wurde sofort als Giangiacomo Feltrinelli identifiziert. Als man ihn am Morgen fand, war er bereits etwa 15 Stunden tot.

Aus einer reichen Unternehmerfamilie stammend hatte der 1926 geborene Feltrinelli an der Resistenza, dem Befreiungskrieg 1943 bis 45 gegen die Hitlerwehrmacht teilgenommen, als junger Kämpfer eine Partisaneneinheit kommandiert und war der IKP beigetreten, die er Ende der 1950er Jahre u. a. wegen zunehmender Meinungsverschiedenheiten zum linken Spektrum wieder verließ. In dem 1954 unter seinem Namen gegründeten Verlag erschienen Boris Pasternaks "Dr. Schiwago", ein Jahr nach dem Tod des Autors 1958 die Erstauflage von Giuseppe Tomasi di Lampedusas "Leopard", später Che Guevaras Tagebuch, die Feltrinellis Weltruf als Verleger begründeten. Er gab auch Lord Russels Geschichte der Nazikriegsverbrechen, die Biografie von Jawaharlal Nehru oder Protokolle der Weltkongresse der Kommunistischen Internationale und ihrer Zeitschrift "Inprekorr", die auch in Deutsch erschienen, heraus. Zu seinen Lektoren gehörten Primo Moroni und Nanni Balstrini (Die goldene Horde).(1)


Freund Castros und Che Guevaras

Weniger publik ist, dass ein weltweit bekannt gewordenes Interview nach dem Sechstagekrieg mit Jassir Arafat anonym von Feltrinelli stammte. Er war persönlich mit Fidel Castro und Che Guevara, bei dem er sich einige Zeit in Bolivien aufhielt, befreundet und sympathisierte mit vielen Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, die er auch finanziell unterstützte, was ihn früh ins Visier der CIA rückte.

In Italien wandte er sich angesichts der zunehmenden schwarzen Umtriebe der radikalen Linken zu und unterstützte ihren Widerstand gegen die faschistische Gefahr. Diese radikale Linke war Teil der in den USA, Lateinamerika, Westeuropa, Japan und in einigen Entwicklungsländern entstehenden neuen Linken. Anfang der 1970er Jahre ging diese auch in Westeuropa teilweise zum bewaffneten Kampf gegen faschistische und Rechtsentwicklungen über. Darauf wirkten zahlreiche Faktoren ein: USA-Krieg in Vietnam, Black Power in Nord-, Guerillakämpfe in Südamerika, siegreiche Befreiungskämpfe in der Dritten Welt, vor allem der Widerstand in Vietnam, aber auch in Palästina. Unterschiedliche Leitfiguren reichten von Che Guevara und Daniel Cohn-Bendit über Ho Chi Minh und Mao Zedong bis zu Jean Paul Sartre, Rudi Dutschke oder Ulrike Meinhof.

In Italien, Heimatland des Anarchismus, erwuchsen ihr daraus zusätzliche Triebkräfte, war sie außerdem stärker in der kommunistischen und sozialistischen Bewegung verwurzelt, gehörten ihr Söhne, Töchter und Enkel von Partisanen der Resistenza an. Viele glaubten mit bewaffnetem Widerstand gegen faschistische Putschversuche und schwarzen Terror im Geiste der Resistenza zu handeln und wie diese in der Tradition des Volkshelden Garibaldi zu stehen.


Das Field manuel 30-31 der CIA

CIA und NATO lenkten die faschistischen Putschversuche und nutzten das linksradikale Potenzial für ihre Zwecke. Der zuständige Ausschuss des USA-Repräsentantenhauses gab 1968 entsprechende Empfehlungen. Das Pentagon erließ 1970 ein Field manuel (Feldhandbuch) 30-31 mit Instruktionen zur Einschleusung von Agenten in linksradikale Organisationen. Die Entführung und Ermordung des christdemokratischen Parteiführers Aldo Moro, der mit der IKP ein Regierungsabkommen geschlossen hatte, im Frühjahr 1978 durch die Roten Brigaden wurden exakt nach den Weisungen des Feldhandbuches durch Geheimdienstagenten geplant, gesteuert und direkt unterstützt.

Die Ereignisse 1956 in Ungarn verfolgte Feltrinelli mit Unbehagen, er befürchtete eine Isolierung der IKP. "Wir stehen bis zum Hals in der Scheiße", kommentierte er und schloss sich einer Gruppe Intellektueller an, die forderte, die IKP-Führung möge sich kritisch zur Militärintervention äußern, was diese, anders als 1968 in Prag, ablehnte. Als die Faschisten dann auf den Strassen von Rom brüllend gegen die IKP vorgingen und zum Sturz der verfassungsmäßigen Ordnung aufriefen, den sie später mit gleichgesinnten Militärs und NATO-Unterstützung mehrfach versuchten, bezog er Position gegen die Nachfolger Mussolinis.

Carlo Feltrinelli, der nach dem Tod seines Vaters dessen Verlag übernahm, hat 1999 einen spannenden Bericht (Das Leben meines Vaters) vorgelegt. Er handelt von einer der schillerndsten Persönlichkeiten der italienischen Nachkriegsgeschichte, von einem Menschen, der aus den besitzenden Schichten kommend, sich auf die Seite der Unterdrückten und Ausgebeuteten schlug, Opfer und Entbehrungen auf sich nahm, und sich nicht scheute, sein Leben einzusetzen, sich aber auch nicht auf die Ebene eines Parias begab. Das Buch ist ein eindrucksvolles Bekenntnis zu Leben, Arbeit und Kampf Giangiacomo Feltrinellis, oder wie der Carl Hanser Verlag zur deutschen Ausgabe schrieb, die "nachgetragene Liebe eines Sohnes zu seinem Vater".

1969 tritt in Italien die von der CIA und italienischen Partnerdiensten seit längerer Zeit vorbereitete Strategie der faschistischen Terroranschläge in ihre heiße Phase. Die Spuren der auch Spannungsstrategie genannten Operationen, die einem faschistischen Regime den Weg bereiten sollen, werden nach links gelenkt. So wird auch versucht, Feltrinelli, der dabei ist, illegalen Widerstand für den Fall einer faschistischen Machtergreifung zu organisieren, für einen Anschlag auf den Fiat-Stand auf der Mailänder Messe verantwortlich zu machen. Man kann ihm jedoch nichts beweisen. Nach dem von Faschisten verübten Anschlag im Dezember 1969 auf die Landwirtschaftsbank auf der Piazza Fontana in Mailand (16 Tote, über 100 Verletzte), dessen Spuren die Geheimdienste nach links zu lenken versuchen, wird er zu einem der Hauptverdächtigen gemacht, seine Wohnung und die Verlagsräume durchsucht. Da er seine Verhaftung befürchtet, hält er sich seitdem meist auf seinem österreichischen Landsitz in Kärnten auf.

Der Tod des Verlegers wurde von dem die Untersuchung leitenden Mailänder Polizeikommissar Luigi Calabresi, der später als Agent der CIA bekannt wurde, als Unfall bei einem Sprengstoffanschlag dargestellt. Calabresi hatte bereits nach dem Attentat 1969 in Mailand, die zu den Faschisten führenden Spuren beseitigt und über 300 Personen aus Kreisen der Anarchisten und der außerparlamentarischen Linken als an dem Anschlag Beteiligte verhaftet. Genauso ging Calabresi bei Feltrinelli vor. Dabei sprach von Anfang an alles dagegen, dass es sich um einen Unfall handelte. Feltrinelli, der sich bedroht fühlte, hätte niemals einen solch abenteuerlichen Anschlag begangen und ihn als militärisch erfahrener Partisanenkommandeur obendrein derart stümperhaft ausgeführt. Auffällig war auch, dass das Gesicht des Toten keinerlei Verletzungen aufwies und er ein Foto seiner Frau und seines Sohnes bei sich trug, was seine rasche Identifizierung glaubhaft machen sollte. Als kurze Zeit später zwei angebliche Begleiter Feltrinellis entdeckt wurden, verdichteten sich die Hinweise, dass der Verleger einem Mordanschlag zum Opfer gefallen war. Es handelte sich bei beiden um Faschisten, die in eine linksradikale Gruppe eingeschleust worden waren. An ihren Schuhen befanden sich Schlammspuren des Ackers von Segrate.


Ein Revolutionär ist gefallen

Aber diesen Spuren geht der dafür bekannte Kommissar Calabresi nicht nach. Der "Unfalltod" des Verlegers ist willkommener Anlass für eine neue Hexenjagd auf Anarchisten und andere Linksradikale, vor allem aber - da er sich "zufällig" wenige Wochen vor den Parlamentswahlen ereignet - auf die IKP. Ziel ist, ihr eine Wahlniederlage zu bereiten, was nicht gelingt, ihre Stimmen steigen von 26,9 (1968) sogar leicht, auf 27,2 Prozent an. Die linksradikale Organisation Potere operaio (Arbeitermacht) schreibt in ihrer Zeitung: "Ein Revolutionär ist gefallen" und gibt bekannt, dass Feltrinelli den neuen Gruppi di Azione Partigiani (GAP) angehörte und den Nom de Guerre Osvaldo führte. Er war nicht, wie die "Unita" über den Abtrünnigen ihrer Partei schrieb, "tragisches Symbol eines Scheiterns", Sinnbild intellektuellen Aufbegehrens gegen das System der Ausbeutung und Unterdrückung, gekennzeichnet von den anarchistischen Zügen der 68er Bewegung, sondern ein konsequenter Antifaschist so wie er Anhänger der antikolonialen Befreiungskämpfe war.

Zur Hinterlassenschaft Feltrinellis gehört eine seinen Namen tragende Stiftung mit einer von ihm 1949 begründeten Bibliothek, die bereits Anfang der 1950er Jahre über 70.000 Bücher und Dokumente umfasste. Unter ihren Raritäten befinden sich Originalschriften von Karl Marx und Michael Bakunin sowie drei komplette Ausgaben der "Iskra".


Gerhard Feldbauer schrieb zum Thema: Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA. Papyrossa, Köln 2000.


Anmerkung:
(1) Ein informatives Buch über Arbeiterautonomie, Jugendrevolte und bewaffneten Kampf in Italien. Verlag Schwarze Risse Berlin, 1994.


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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. März 2012