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MEMORIAL/057: Italien 1982 - Brisante Hintergründe eines brutalen Mordes (Gerhard Feldbauer)


Brisante Hintergründe eines brutalen Mordes

Vor 30 Jahren wurde der Carabinieri-General Dalla Chiesa von der Mafia umgebracht.

Von Gerhard Feldbauer, 2. September 2012



Es war eines der blutigsten Verbrechen der italienischen Mafia, dem am 3. September 1982 der Anti-Mafia-Präfekt für Sizilien, der 62jährige Carbinieri-General Alberto Dalla Chiesa, zum Opfer fiel. Zusammen mit seiner zweiten Frau, die er erst im Juli geheiratet hatte, und seinem Fahrer starb er im Kugelhagel mehrerer Mafiosi in Palermo auf offener Straße.


US-amerikanische Komplizenschaft

Von 1962 bis 1973 war er bereits als Oberst und Kommandeur der Carabinieri für seinen mutigen und kompromisslosen Kampf gegen die Ehrenwerte Gesellschaft in Sizilien bekannt geworden. Er stieß damals auf Hintergründe des verbrecherischen Sumpfes, die kaum bekannt waren. Als die anglo-amerikanischen Truppen im Juli 1943 auf Sizilien gelandet waren, hatte die US-Militärregierung den Boss der sizilianischen Mafia, Calogero Vizzini zum Bürgermeister seiner Heimatstadt Villaba ernannt. Er und seine Männer übernahmen mit Gewehren und Pistolen bewaffnet Polizeibefugnisse. Ähnliches geschah in vielen Orten. Der Boss aller New Yorker Mafiafamilien, der wegen mehrfachen Mordes angeklagte und nach Sizilien geflohene Vito Genovese, wurde persönlicher Dolmetscher des Chefs der Militärregierung, Don Vitone brachte den Schwarzhandel in ganz Süditalien unter seine Kontrolle und nutzte seine Position zum Aufbau des Drogenhandels in Europa nach amerikanischem Vorbild. Von hier liefen die Fäden zum nach Kriegsende einsetzenden Kurs der Rechtskräfte in der Democrazia Cristiana, die sich im Kampf gegen die anwachsende PCI (1976 über 34 Prozent Wählerstimmen) neben den Neofaschisten auch der Mafia, u. a. zur Beschaffung von Wählerstimmen, bediente. Diesem Geflecht war Dalla Chiesa auf der Spur. Noch am Abend seiner Ermordung verschwanden aus seinem Safe geheime Unterlagen.


Komplott CIA-P2 mit Premier Andreotti aufgedeckt

Seit 1973 war der zum General aufgestiegene Dalla Chiesa Leiter des Spezialkommando zur Terrorismusbekämpfung. Bei seinen spektakulären Erfolgen - er schaltet die erste Generation der Leitung der Brigate Rosse aus - stieß er auf die Manipulierung des Linksextremismus durch die CIA und die eigenen Geheimdienste und kam der Existenz der geheimen faschistischen Putschloge Propaganda due (P2), die das Mordkomplett gegen den mit der IKP zusammenarbeitenden linken DC-Führer Aldo Moro inszenierte, auf die Spur. Er deckte die Verwicklung des DC-Rechten, Giulio Andreotti, in die Mordpläne auf. Um die Machenschaften der P 2 zu enthüllen, wollte er in die Loge eintreten. Während neofaschistische und rechte Offiziere zu Hauf aufgenommen wurden, lehnte der Altfaschist und Logenchef Licio Gelli ihn jedoch ab. Um die Vorbereitung des Attentats gegen Moro nicht zu gefährden, löste der Befehlshaber des Carabinieri-Korps, General Enrico Mino (er wurde nach Aufdeckung der P2 1981, als eines ihrer Mitglieder bekannt), das Spezialkommandos Dalla Chiesas auf.

Nach der Ermordung Moros im Mai 1978 gab es lautstarke Kritik an der Kaltstellung des erfolgreichen Fahnders. Im August 1978 wurde der General deshalb wieder als Chef der Terrorismusbekämpfung eingesetzt, allerdings, damit er die Kreise der Hintermänner des Mordkomplotts nicht stören konnte, mit eingeschränkten Kompetenzen. Ihm stand keine Spezialeinheit mehr zur Verfügung, seine Ermittlungsergebnisse gingen nicht an die Staatsanwaltschaft, sondern an das Innenministerium.


Die Mordpläne gegen Aldo Moro aufgespürt

Im August 1980 ermittelte der General gegen die Attentäter eines blutigen Terroranschlags auf dem Bahnhof Bologna, bei dem 85 Menschen getötet und über 200 verletzt wurden. Als er ablehnte, wie üblich, die Spuren nach links zu lenken, wurde er von den Ermittlungen ausgeschaltet. Anfang 1982 ging Dalla Chiesa als Präfekt zur Mafia-Bekämpfung nach Palermo. Im Oktober 1978 war er jedoch auf weitere höchst brisante Dokumente gestoßen, die zweifelsohne vier Jahre später zu dem tödlichen Anschlag führten. Bei der Entdeckung eines früheren Stützpunktes der Brigate Rosse in der Via Nevoso in Mailand fand er die als Memoriale Aldo Moros bekannt gewordenen Aufzeichnungen, die der DC-Vorsitzende im Gefängnis der Roten Brigaden gemacht hatte. Es gilt als sicher, dass Dalla Chiesa sich von dem Memoriale Abschriften machte und diese nach seiner Ermordung aus seinem Safe entwendet wurden. Das bis heute öffentlich nur teilweise bekannt gewordene Memoriale verweist eindeutig auf die Verwicklung des siebenmaligen Ministerpräsidenten Andreotti in das Mordkomplott gegen Aldo Moro und seine Rolle in der P2 (siehe Francesco Biscione: Il Memoriale di Aldo Moro, Rom 1993). Die Zeitschrift "Europeo" schrieb bereits am 15. Oktober 1983, dass es sich bei Andreotti um "den wahren Chef der Propaganda due" handelt. Als Andreotti 1993 wegen Komplizenschaft mit der Mafia und Anstiftung zum Mord an dem Journalisten Mino Pecorelli, der seine Mittäterschaft publik machen wollte, angeklagt wurde, kam seine Rolle in der P2 ebenfalls zur Sprache. In der Revision wurde er von der Komplizenschaft mit der Mafia nur wegen Mangels an Beweisen freigesprochen.


Ermordet, "um Andreotti einen Dienst" zu erweisen

Die Anklagen gegen Andreotti bestätigte der Sohn des Generals, Nando dalla Chiesa, der 1984 das Buch "Delitto imperfetto. Il Generale, la Mafia, la Società italiana" über seines Vaters Leben und Arbeit veröffentlichte. Bis dahin war kaum bekannt, dass der Sohn lange Zeit als Linksradikaler agierte. Gleichwohl zollte er dem Vater Respekt, der es als verfassungstreuer Mann ablehnte, mit den Putschisten der P2 gemeinsame Sache zu machen und sich gegen Andreottis Komplizenschaft wandte. Als 1996 der Mafioso Calogero Ganci, der das Kommando anführte, dass den General umbrachte, gefasst wurde, sagte er aus: Dalla Chiesa sei ebenso wie Mino Pecorelli umgebracht worden, "um Andreotti einen Dienst" zu erweisen.

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Quelle:
© 2012 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2012