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MEMORIAL/093: Wie die USA vor 65 Jahren Italiens NATO-Beitritt inszenierten (Gerhard Feldbauer)


Wie die USA vor 65 Jahren Italiens NATO-Beitritt inszenierten

Acht Millionen Italiener waren dagegen

von Gerhard Feldbauer, März 2014



Die Ausmaße der Protestkampagne gegen den NATO-Beitritt Italiens im Frühjahr 1949 kann man sich heute angesichts der Beteiligung des Mittelmeerlandes an Interventionen dieses Militärbündnisses wie in Afghanistan, gegen Libyen oder in anderen Ländern Afrikas kaum vorstellen. Acht Millionen Italiener unterschrieben damals eine Petition, in der ein Beitritt abgelehnt wurde.

Es war vier Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, in dessen Ergebnis neue sozialistische Staaten entstanden waren, die Arbeiterklasse als führende Kraft des Kampfes gegen den Faschismus an Einfluss auf den Fortschritt in Westeuropa gewann, die nationale Befreiungsbewegung stürmisch anwuchs. Angesichts der Auswirkungen auf die politisch-geographische Sphäre der imperialistischen Länder und der Einschränkung ihres Einflusses unternahmen vor allem die herrschenden Kreise der USA massive Schritte zur Konsolidierung ihrer Positionen. Sie brachen mit der Antihitlerkoalition und verbündeten sich, vor allem in den Ländern, in die ihre Truppen eingerückt waren, mit der inneren Reaktion einschließlich der Faschisten und scheuten auch nicht, wie sich in Griechenland zeigte, vor der blutigen Unterdrückung der revolutionären Bewegung zurück.


Bruch mit Jalta

Eine Schlüsselstellung im einsetzenden kalten Krieg gegen die sozialistischen Staaten nahm Italien ein, die Südflanke des geplanten Nordatlantikpaktes. Im Friedensvertrag mit Italien vom Februar 1947 lehnten die USA die von der UdSSR geforderte Klausel ab, niemals wieder faschistische Organisationen zu erlauben und Kriegsverbrechen nicht ungesühnt zu lassen. Das stellte einen eindeutigen Bruch der auf der Konferenz von Jalta (4. bis 11. Februar 1945 auf der Krim) von den Regierungschefs der UdSSR, der USA und Großbritanniens verabschiedeten Erklärung "Einigkeit im Frieden wie im Kriege" dar, die festgelegt hatte, in Europa "die letzten Spuren des Nationalsozialismus und Faschismus zu beseitigen". Damit wurde die von der US-amerikanischen Militärregierung für Italien bereits im Dezember 1946 zugelassene Wiedergründung der Mussolini-Partei in Gestalt der Sozialbewegung (MSI) abgesegnet. Nachdem im März 1947 die Truman-Doktrin (die das "Recht" der USA auf Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten, die tatsächlich oder angeblich unter kommunistischem Einfluss stünden, erklärte) verkündet worden war, wurden im Mai die Kommunisten und Sozialisten aus der Regierung vertrieben. Die USA hatten ihre Ausschaltung als Bedingung für die Gewährung ihrer Auslandshilfe gestellt.


1,5 Milliarden Dollar Marschallplanhilfe

Im Rahmen des sogenannten "European Recovery Programms" des Marshallplans flossen dann zwischen 1948 und 1952 von den für 17 Staaten Westeuropas bereitgestellten 15 Mrd. Dollar an US-Krediten über 1,5 Mrd. nach Italien. Im April 1948 verhalf Washington mit aktiver Unterstützung des reaktionären Klerus mit Kardinal Spellman und dem New Yorker Erzbischof Flanelly an der Spitze der Democrazia Cristiana (DC) bei den Parlamentswahlen mit 48,5 Prozent zu einem triumphalen Wahlsieg. Ein von der Zeitschrift Panorama (614/1978) veröffentlichter 1976 freigegebener Bericht des US-Senats verdeutlichte, mit welchen Methoden die USA ihre Ziele verfolgten: Sie schalteten die Geheimdienste ein, finanzierten rechte und neofaschistische Kräfte, bestachen Parteien, Politiker, Gewerkschaftsführer und Massenmedien.


Jährlich 30 Millionen CIA-Dollar

Die Diplomatie arbeitete eng mit der CIA zusammen, die seit Anfang der 1950er Jahre jährlich 20 bis 30 Mio. Dollar für ihre Aktivitäten nach Italien pumpte. Zur Absicherung des reaktionären Kurses inszenierte Washington im Juli 1948 ein Attentat auf den Generalsekretär der IKP, Palmiro Togliatti, bei dem dieser lebensgefährlich verletzt wurde. Die Partei und Linke Kräfte sollten zum bewaffneten Aufstand provoziert werden, um sie per Blutbad ausschalten zu können. Nach dem Scheitern der Provokation gingen Reaktion und staatliche Repressivorgane massiv gegen die Linken vor. Bis Mitte 1950 gab es bei Auseinandersetzungen mit Großagrariern, Faschisten und Zusammenstößen mit der Polizei 62 Tote, darunter 48 Kommunisten. 3.126 Personen, wurden verletzt, davon 2.367 Kommunisten. 19.306 Menschen wurden unter fadenscheinigen politischen Vorwänden verurteilt, unter ihnen 15.429 Kommunisten.


USA-Marinestützpunkte ohne Zustimmung des Parlaments

Das war die Situation, in der die Regierung De Gasperi im Frühjahr 1949 den Weg in die NATO beschritt. Die führenden Kreise des wiedererrichteten italienischen Imperialismus versuchten zunächst, für den Paktbeitritt die Rückgabe ihrer im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges verlorenen Kolonien in Ostafrika durchzusetzen. Nachdem das am Einspruch Großbritanniens scheiterte und De Gasperi eine Verzichtserklärung unterschreiben musste, begab sich Außenminister Carlo Sforza zur konstituierenden Sitzung nach Washington, wo er am 4. April 1949 mit den Chefdiplomaten von 12 Staaten die Gründungsurkunde unterzeichnete. Am 27. Januar 1950 wurde durch einen Notenwechsel publik, dass De Gasperi am Parlament vorbei den USA in einem Vertrag gestattet hatte, in Neapel, Taranto, Augusta (Syrakus) und Livorno Marinestützpunkte für ihre 6. Kriegsflotte zu errichten.


Eine beispiellose Protestkampagne

Trotz des auf Hochtouren laufenden Unterdrückungsapparates traten die Friedenskräfte Italiens mit den Kommunisten und Sozialisten (die noch durch ein Aktionseinheitsabkommen verbunden waren) an der Spitze mutig dem geplanten NATO-Beitritt entgegen. Sie organisierten eine Protestkampagne, die in Westeuropa ohne Beispiel dastand. Acht Millionen Italiener unterschrieben eine Petition, die den Beitritt ablehnte. Eine außerordentliche Debatte in der Abgeordnetenkammer dauerte vom 14. bis 16. März über 50 Stunden. Um ein knappes Votum auszuschließen, verband De Gasperi die Abstimmung mit der Vertrauensfrage. 342 Abgeordnete stimmten danach für, 170 gegen den Beitritt, 19 enthielten sich. Im Senat waren 183 dafür, 112 dagegen, bei 8 Enthaltungen. Unter denen, die den Beitritt ablehnten, befanden sich die früheren Ministerpräsidenten Vittorio Emanuele Orlando und Francesco Nitti. Ein besonderer Eklat war, dass der Führer des linken DC-Flügels, Staatssekretär Aldo Moro, der Abstimmung fernblieb. De Gasperi schloss ihn deswegen aus dem Kabinett aus.


Pietro Nenni initiierte Gründung des Weltfriedensrates

Nach dem NATO-Beitritt schlug der Vorsitzende der Sozialisten, Pietro Nenni, vor, dem NATO-Rat einen Weltfriedensrat entgegenzustellen und zu seiner Wahl einen Weltfriedenskongress einzuberufen. Nach Tagungen in Paris und Prag vom 20. bis 25. April 1949 trat er im März 1950 in Stockholm zusammen und verabschiedete seinen weltweit bekannt gewordenen Appell zur Ächtung der Atombombe. Als Tagungsort für den 2. Weltfriedenskongress war Mailand oder Sheffield vorgesehen. Die Regierungen in Rom bzw. London verboten jedoch die Veranstaltung und so trat der Kongress im November 1950 in Warschau zusammen. Bei seiner Eröffnung hatten den Stockholmer Appell weltweit 500 Millionen Menschen unterschrieben, 17 Millionen in Italien. Die DC bezahlte ihren NATO-Kurs bei den Parlamentswahlen im Frühjahr 1953 mit einer vernichtenden Niederlage. Sie verlor über acht Prozent ihrer Wähler und sackte auf 40,1 Prozent ab. De Gasperi musste als Ministerpräsident zurücktreten.


ENI-Präsident Enrico Mattei gegen Unterwerfung unter USA

Der Widerstand gegen die NATO-Politik hielt selbst in der führenden Regierungspartei DC an. Die Haltung Moros war dafür kein Einzelfall. Es gab in der DC noch einen linken Flügel, der mit den Kommunisten und Sozialisten in der Ablehnung des Vorherrschaftsstrebens der USA übereinstimmte. Einer ihrer herausragenden Vertreter war der Abgeordnete Enrico Mattei, Regierungsbeauftragter des Erdölunternehmens AGIP, das er 1953 in die staatliche Energiegesellschaft ENI umwandelte, deren Präsident er wurde. Der Chemieunternehmer hatte er sich nach dem Sturz Mussolinis 1943 dem bewaffneten Widerstand angeschlossen und bei Kriegsende eine christdemokratische Partisanenbrigade kommandiert. Mattei versuchte, der durch die Marshallplanlieferungen einsetzenden wirtschaftlichen und politischen Abhängigkeit Italiens von den USA eine Barriere entgegenzusetzen. Er weigerte sich, den staatlichen Energiesektor Italiens der Herrschaft der in der Standard Oil zusammengeschlossenen US-amerikanischen Erdölgesellschaften, den sogenannten sieben Schwestern, unterzuordnen. Um Italien aus der einseitigen Abhängigkeit von der Erdölversorgung durch die USA zu lösen, schloss er Verträge mit der Sowjetunion, die vorsahen, 30 Prozent des Landesbedarfs zu sichern. Weitere Lieferungen deckte er durch Abkommen mit arabischen Staaten ab.


Deswegen brachten ihn CIA und Gladio um

Die Linie der Unabhängigkeit Italiens vom Erdöl der USA berührte aber, von den Profiten, die der Standard Oil damit entgingen einmal abgesehen, die Versorgung der in Italien dislozierten NATO-Verbände und der im Mittelmeer operierenden 6. US-Flotte, für welche die ENI zuständig war. Im Oktober 1962 kam Mattei bei einem Absturz seines Privatflugzeugs ums Leben. Obwohl die genaueren Umstände seines Todes nach wie vor ungeklärt sind, spricht vieles dafür, dass Mattei Opfer eines Attentats der CIA und ihrer geheimen NATO-Truppe Gladio wurde.

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Quelle:
© 2014 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. März 2014