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MEMORIAL/129: Im Juni 1945 stellte Italiens Linke den Ministerpräsidenten (Gerhard Feldbauer)


Im Juni 1945 stellte Italiens Linke den Ministerpräsidenten

Die In- und ausländische Reaktion verhinderte revolutionäre antifaschistische Veränderungen

von Gerhard Feldbauer, 20. Juni 2015


Nach dem Ende April 1945 errungenen Sieg über das Besatzungsregime der Hitlerwehrmacht und die Mussolinifaschisten begann der Kampf um eine antifaschistische demokratische Umwälzung. Die Rechtskräfte in der antifaschistischen Einheitsregierung, das waren vor allem die Democrazia Christiana (DC) und die Liberalen, wandten sich gegen revolutionär- demokratische Veränderungen und traten für eine kapitalistische Restauration ein. Sie forderten, in die neuen staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen auch "unbelastete" Faschisten aufzunehmen. Im Mai setzten sie bei der alliierten Militär-Regierung die Auflösung der mehrheitlich aus Kommunisten und Sozialisten bestehenden über eine halbe Million zählenden Partisanen-Verbände durch. Am 7. Juni löste der liberale Ministerpräsident Ivanhoe Bonomi mit seinem Rücktritt eine Regierungskrise aus. Die Berufung Alcide De Gasperis von der DC lehnten die Kommunisten (PCI) und die Sozialisten (PSI) ab und schlugen PSI-Chef Pietro Nenni vor, der ebenfalls keine Mehrheit fand. Mit dem Zugeständnis, De Gasperi als Vizepremier zu benennen, wurde schließlich der Chef der Aktionspartei (PdA) und Vorsitzende des Nationalen Befreiungskomitees von Oberitalien, Ferrucio Parri, vom Zentralen Nationalen Befreiungskomitee mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragt.


Es ging um die Beschneidung der Macht von Großkapital und Latifundistas

Parri war ein kleinbürgerlicher Radikaldemokrat, 1943 Mitbegründer der PdA, seit der Machtergreifung Mussolinis 1922 aktiv im antifaschistischen Widerstand und hatte mehrere Jahre im Kerker verbracht. In der Partisanenarmee war er Chef des Vereinigten Kommandos und Befehlshaber der von der PdA aufgestellten Brigaden Giustizia e Libertà.

Unter der Regierung Parri verlangten PCI, PSI und PdA als Basis einer antifaschistisch-demokratischen Umgestaltung, das Eigentum des Großkapitals und der Latifundistas durch Nationalisierungen bzw. eine Agrarreform zu beschneiden. Grundlegende Forderungen dazu stellte am 21. August eine ökonomische Konferenz der PCI. Der kommunistische Finanzminister Mauro Scoccimarro verlangte eine sofortige Währungsreform, eine progressive Besteuerung der Vermögen und eine außerordentliche Besteuerung der Kriegsgewinne der Rüstungsunternehmen. Damit sollten die Lasten des Wiederaufbaus primär von den besitzenden Klassen getragen werden, die größtenteils dem Faschismus gedient und sich unter ihm bereichert hatten. Vermögenszuwachs bis 1945 sollte, soweit er nicht aus Erbschaften oder aus Gewinnen vorher bestehender Vermögen stammte, stark progressiv besteuert werden. Über 75 Millionen Lire liegende Summen sollten vollständig konfisziert werden, ebenso alle Reichtümer, die auf Funktionen oder Positionen innerhalb des faschistischen Regimes oder im Dienste der deutschen Besatzer zurückzuführen waren. Die führenden Kapitalkreise und das Königshaus lehnten diese Forderungen ab. Da zwischen PCI, PSI und PdA in der Regierung mit den bürgerlichen Parteien ein Patt bestand, konnten diese Forderungen im Kabinett nicht durchgesetzt werden.


Mussolini-Faschisten entfesselten Konterrevolution

Gegen die bevorstehende Entscheidung über die Monarchie (die im Juni 1946 durch ein Referendum gestürzt wurde) entfachten die Faschisten und Latifundistas vor allem im Süden eine Hetze und drohten für diesen Fall, Sizilien vom Zentralstadt abzuspalten. Die besiegten Faschisten sammelten sich in einer Bewegung Uomo Qualunque (Jedermann), die am 8. August als "Organisation des einfachen Bürgers" an die Öffentlichkeit trat. Die Faschisten der ersten Garnitur hielten sich zunächst im Hintergrund, um die Bewegung nicht mit der Mussolini-Vergangenheit zu kompromittieren. Uomo Qualunque wandte sich gegen die "Parteienbürokratie" und verherrlichte die Monarchie. Während die Bewegung erklärte, gegen "links und rechts" zu sein, bekämpfte sie die linken Parteien, diffamierte Antifaschisten als "Vaterlandsverräter" und schürte offen Revanchismus und Antikommunismus. Als aus Uomo Qualunque im Dezember 1946 die Neugründung der Mussolinipartei als Movimento Sociale Italiano (MSI) hervorging, ließen die Organisatoren die Maske fallen. Der uneheliche Sohn Mussolinis Pino Romualdi rühmte sich, dass die Bewegung "die Vorbereitung unserer wirklichen Partei deckte". Die Linken unterschätzten Charakter und Ziele der Uomo Qualunque-Bewegung und die Regierung Parri, in der PCI-Generalsekretär Palmiro Togliatti Justizminister war, ging nicht entschieden gegen sie vor. Die faschistischen und anderen reaktionären Aktivitäten wurden von der US-amerikanischen Besatzungsmacht toleriert und auch offen gefördert. Da Togliatti für antifaschistisch-demokratische Veränderungen auf den parlamentarischen Weg setzte und dazu das im antifaschistischen Befreiungskrieg geschaffene Bündnis mit der DC fortsetzen wollte, unterblieb eine Mobilisierung der linken Basis für Massenaktionen zur Unterstützung Parris.


Bank von Amerika stellte sich an ihre Seite

Am 1. November 1945 traf der Präsident der Bank von Amerika, Amadeo Gianni, mit einer Delegation zu Gesprächen mit führenden italienischen Wirtschafts- und Finanzkreisen in Rom ein als deren Ergebnis ein nicht näher bezifferter "Hilfsplan für Italien" bekannt gegeben wurde. Gianni bekundete mehrfach offen seine Ablehnung der Politik Parris. Danach leiteten am 21. November die Liberalen mit dem Austritt ihrer Minister aus der Regierung dessen Sturz ein. Als am 24. November die DC-Minister folgten, musste der PdA-Chef zurücktreten. Eine knappe Mehrheit des Nationalen Befreiungskomitees berief danach De Gasperi von der DC zum Ministerpräsidenten. Statt in die Opposition zu gehen, verblieben die Minister der PCI, PSI und der PdA in der Regierung, die am 10. Dezember ins Amt eingeführt wurde. Unter dem Druck der USA leitete De Gasperi einen Kurs der kapitalistischen Restauration ein. Im Mai 1947 vertrieb er Kommunisten und Sozialisten aus der Regierung. Die PdA hatte sich bereits vorher aufgelöst.

Togliatti räumte im Oktober 1946 auf einer Organisationskonferenz der PCI ein, dass es "keine Mobilisierung der Partei gegeben" habe, und es bei der schwierigen Arbeit in der Regierung sicher weniger Kompromisse gegeben hätte, wenn "von der Basis" her Druck ausgeübt worden wäre. Die nach dem Sieg der Resistenza vorhandene günstige Ausgangssituation sei "im Grunde genommen nicht genutzt" worden.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2015

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