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MEMORIAL/135: Vor 80 Jahren überfiel Mussolini-Italien Äthiopien (Gerhard Feldbauer)


Vor 80 Jahren überfiel Mussolini-Italien Äthiopien,
"um die Frage der Neuaufteilung der Welt praktisch zu stellen"

Von Gerhard Feldbauer, 1.10.2015


An den Überfall Mussolini-Italiens am 3. Oktober 1935 auf Abessinien, das heutige Äthiopien, zu erinnern, hat höchst aktuelle Aspekte. Es war eine Aggression am Vorabend des Zweiten Weltkrieges, die von Frankreich und Großbritannien mit der Beschwichtigung der Öffentlichkeit offen begünstigt wurde. Vergleicht man diese Appeasement genannte Haltung mit der heute, von den USA, der NATO und der EU mit Deutschland in vorderster Linie betriebene Kriegspolitik, gibt es erstaunliche Parallelen. Nehmen wir das Beispiel des USA-Überfalls auf Irak, dessen Charakter als ein völkerrechtswidriger Aggressionskrieg von der deutschen wie anderen europäischen Regierungen vertuscht wurde. Es gab keinerlei Widerspruch gegen die verlogenen Kriegsvorwände, die Verharmlosung der Militäreinsätze, den am irakischen Volk begangenen Massenmord. Propagandistisch wurde dieser wie andere Überfälle mit Methoden vorbereitet, die Goebbels benutzte, wurde gegen Irak ein in Nürnberg geächteter Präventivkrieg begonnen. Seit Hitler und Mussolini hat kein Staats- und Regierungschef die Grundprinzipien des Völkerrechts - nationale Souveränität, territoriale Integrität und Gewaltverzicht - so mit Füßen getreten, wie der damalige USA-Präsident George W. Bush mit seiner Führungsclique aus Vertretern der reaktionärsten und aggressivsten Kreise der USA. Sein Nachfolger Obama setzt diesen weltweit angelegten Kriegskur ohne Abstriche fort.

Mussolini wollte mit der Eroberung des afrikanischen Kaiserreiches, wie er offen verkündete, "die Kolonialkarte Afrikas ändern, um die Frage der Neuaufteilung der Welt praktisch zu stellen." Bereits im Dezember 1934 befahl er, den Krieg zur "vollständigen Eroberung Äthiopiens" vorzubereiten. Im Februar 1935 begann die Verschiffung einer 400.000 Mann starken Kolonialarmee in die Ausgangsstellungen in den Kolonien Eritrea und Somalia.


Paris gab Carte blanche

Dazu hatte der "Duce" Carte blanche von Paris erhalten. Als Hitler nach der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im Juli 1934 den Putsch der SS-Standarte in Wien zum Einmarsch der Wehrmacht nutzen wollte, hatte Mussolini Österreich Unterstützung zugesagt und vier Divisionen an der Brennergrenze aufmarschieren lassen. Er fürchtete um seine Einflusssphären auf dem Balkan. Der "Führer" gab nach und verschob den Anschluss. Von der Haltung Mussolinis ausgehend versuchte der französische Außenministers Pierre Naval bei einem Besuch am 7. Januar 1935 in Rom Italien in die Wahrung der Unabhängigkeit Österreichs einzubeziehen. In einem Geheimvertrag, den Laval mit Mussolini schloss, sagte Italien jedoch nur die Unterstützung der französischen Politik im Mittelmeer zu, während Frankreich "freie Hand für das italienische Vorgehen in Äthiopien gewährte". London, das um seine angrenzenden Kolonien Kenia und Uganda sowie den anglo-ägyptischen Sudan fürchtete, versicherte Mussolini, dass "seine Interessen in Ostafrika nicht beeinträchtigt würden."


Die Königsfamilie zu Besuch bei Mussolini

Wie gegenüber Deutschland wurde diese Haltung auch gegenüber Italien von der antisowjetischen Stoßrichtung Großbritanniens und Frankreichs bestimmt. Die "Times" hatte schon nach dem "Marsch auf Rom" im Oktober 1922 die Meinung der maßgeblichen Konservativen wiedergegeben und die Errichtung der faschistischen Diktatur verständnisvoll als "Reaktion gegen den Bolschewismus" gewürdigt. Im Mai 1923 besuchte die Königsfamilie Rom, um "die guten Beziehungen zur Regierung Mussolini zu festigen". Außenminister Lord Curzon schickte dem "Duce" eine Botschaft seiner "hohen Wertschätzung". Als nach dem Überfall auf Äthiopien am 3. Oktober 1935 wirksame Sanktionen des von London und Paris beherrschten Völkerbundes ausblieben, wurde Außenminister Lord John Simon gefragt, warum England nicht irgendeinen Zwischenfall arrangierte, zum Beispiel ein Schiff im Suezkanal versenkte, was die Verbindung zwischen Italien und seinen Armeen in Äthiopien unterbrechen würde, antwortete Simon: "Wir können das nicht tun, weil das Mussolinis Sturz bedeuten würde."


Widerstand mit Giftgas gebrochen

Als der italienische Vormarsch trotz der großen Überlegenheit an Flugzeugen, schwerer Artillerie und Panzern sowie massiver Luftangriffe auf Städte und Dörfer zunächst zum Stehen kam und die Truppen der 550.000 Mann starken Armee Kaiser Haile Selassies sogar zu Gegenangriffen übergingen, ließ Mussolini über den äthiopischen Stellungen 350 Tonnen Yperit abwerfen. Die etwa 275.000 Toten auf äthiopischer Seite fielen vor allem dem Giftgas zum Opfer. Der Kolonialarmee gelang danach der Durchbruch. Am 5. Mai 1936 zog sie in Addis Abeba ein. Zwei Tage vorher war Selassie nach London abgeflogen.

Der an Stelle des eingekerkerten Grasmci als Generalsekretär der PCI amtierende Palmiro Togliatto setzte auf dem VII. Weltkongress der Komintern 1935 in Moskau der rassistischen Losung des "Duce" von der "zivilisatorischen Mission" die der "Vereinigung der Proletarier und unterdrückten Völker" entgegen. "Das abessinische Volk ist der Verbündete des italienischen Proletariats gegen den Faschismus und wir versichern es unserer Sympathien." Das blieben keine Lippenbekenntnisse. 38 italienischen Kommunisten gelang es, nach Äthiopien durchzukommen, wo sie in der Armee Selassies gegen die Truppen Mussolinis kämpften.


Pius XI. feierte "einen wunderbaren "Duce"

Nach der Eroberung schloss Rom Äthiopien mit Eritrea und Somaliland zur Kolonie Italienisch Ostafrika zusammen. Vittorio Emanuele III. setzte sich die äthiopische Kaiserkrone auf und der römische Klerus feierte Mussolini als "einen wunderbaren Duce, der das Kreuz Christi in alle Welt trägt." Pius XI. zwang den Äthiopiern auf den Trümmern der koptischen Kirche eine ihnen fremde Religion auf.

Um den Widerstand der Äthiopier zu zerschlagen, führten Abteilungen der Schwarzhemden "Strafexpeditionen" durch. Ein Augenzeuge schilderte, wie in Addis Abeba Italiener in "echter SA-Manier", bewaffnet "mit Knüppeln und Eisenstangen", umherliefen und "die Einheimischen, die sich noch auf der Straße befanden, erschlugen". Nach einem gegen ihn erfolglosen Attentat befahl der Generalgouverneur der Kolonie, Marschall Rodolfo Graziani, am 19. Februar 1937 ein Massaker, dem allein in der Hauptstadt 30.000 Menschen zum Opfer fielen. Er ordnete an, die äthiopische Intelligenz als einen Oppositionsherd zu liquidieren. Unzählige christlich-koptische Geistliche und alle Kadetten der Militärakademie von Addis Abeba wurden umgebracht. Nur auf den Verdacht hin, dass sie an dem Attentat beteiligt gewesen sein könnten, wurden nahezu 300 Ordensbrüder des Klosters Debra Libanos erschossen. Unzählige Äthiopier sperrte das Kolonialregime in Konzentrationslager, wo die meisten elendiglich zu Grunde gingen. Insgesamt fielen 750.000 Äthiopier dem Völkermord zum Opfer.


Gerhard Feldbauer schrieb zum Thema das Buch: "Mussolinis Überfall auf Äthiopien. Eine Aggression am Vorabend des Zweiten Weltkrieges." Pahl Rugenstein, Bonn 2006.

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Quelle:
© 2015 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Oktober 2015

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