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MEMORIAL/169: Vor 25 Jahren wurde der sizilianische Staatsanwalt Giovanni Falcone ermordet (Gerhard Feldbauer)


Vor 25 Jahren wurde der sizilianische Staatsanwalt Giovanni Falcone ermordet

Er war dem Komplott der DC mit der Mafia und der von der CIA geführten faschistischen P2 auf der Spur

von Gerhard Feldbauer, 20. Mai 2017


Anfang der 90er Jahre gab es dank des unerschrockenen Einsatzes von Ermittlern und Staatsanwälten die Möglichkeit, dem Treiben der Cosa Nostra, wie die Mafia auf Sizilien heißt, ein Ende zu setzen. Eine herausragende Rolle dabei spielte der Leiter der Anti-Mafia-Kommission von Sizilien, Giovanni Falcone. Er war dem Komplott von Politikern der Regierungspartei Democrazia Cristiana (DC) mit der Mafia und der von der CIA geführten faschistischen Putschloge Propaganda due (P2) auf der Spur. Am 23. Mai 1992 fiel er zusammen mit seiner Frau Francesca Morvillo, einer Richterin, und drei Leibwächtern einem Attentat der Mafia zum Opfer. Nur sein Fahrer überlebte schwer verletzt. Unter der Autobahn A29 bei Capaci nahe Palermo waren 500 Kilo in einem Abflussrohr verstecktes TNT ferngezündet worden. Die römische La Repubblica gab am 21. September 2015 die Aussage des Mafiosi Giocchini La Barbera, der den Sprengsatz zündete, wieder, dass die Ermordung Falcones ein in die Mafia eingeschleuster Mann des Inlandsgeheimdienstes SISDE inszeniert hatte.

In den so genannten »Maxi-Prozessen«, die am 10. Februar 1986 vor dem Corte d'Asisse (Schwurgericht) von Palermo begannen, waren vor allem dank der Ermittlungen Falcones 456 Mafia-Chefs angeklagt worden, darunter Salvatore Riina (Tòto) und der Chef des Corleonesi-Clans, Bernardo Provenanzo (in Abwesenheit). Am 16. Dezember 1987 wurden 19 lebenslange Haftstrafen verhängt. 114 Angeklagte mussten wegen Mangel an Beweisen freigesprochen werden. Die übrigen erhielten insgesamt 2.665 Jahre Gefängnis und Geldstrafen. 1988 bestätige der Corte d'Appello von Palermo die Urteile. Und das, obwohl die Mafia kurz vorher den vorsitzenden Richter, Antonio Saetta ermordet hatte, um die Schuldsprüche zu verhindern. 1993 wurde Riina verhaftet, 2006 Provenanzo.

Am 27. Mai 1993 wurde der siebenmalige Ministerpräsident der DC, Giulio Andreotti, in Palermo wegen Mitgliedschaft in der Mafia angeklagt. Dazu hatte Falcone mit seinen Ermittlungen maßgeblich beigetragen. 231 Zeugen sagten aus, darunter führende Mafia-Bosse, die Straffreiheit zugesichert erhalten hatten. Fotos und Filmaufnahmen belegten zahlreiche Begegnungen Andreottis mit Mafiabossen. U. a. wurde publik, dass die »Ehrenwerte Gesellschaft« auf Betreiben Andreottis der DC in Süditalien jahrzehntelang Wählerstimmen beschafft hatte, wofür Prozesse gegen Mafia-Bosse vor dem Kassationsgericht »in Ordnung« gebracht wurden. Der »Urteilskiller« genannte Richter Corrado Carnevale hatte in Hunderten Verfahren faschistische Terroristen und Mafiosi freigesprochen. In den Ermittlungen gegen die P2 hatte er eine Anklage wegen umstürzlerischer Tätigkeit, Putschvorbereitung und Bildung einer bewaffneten kriminellen Vereinigung verhindert.[1] Das geschah, um Andreotti, bei dem es sich, wie die Zeitschrift Europeo bereits am 15. Oktober 1983 enthüllt hatte, um »den wahren Chef der Propaganda due« handelte, nicht zu belasten.

Eine zweite Anklage erging in Perugia wegen Anstiftung zum Mord an dem Herausgeber der Zeitschrift Osservatore politico, Mino Pecorelli, der im März 1979 von Mafia-Killern erschossen wurde. Er hatte angekündigt, die Rolle Andreottis im Komplott der CIA und ihrer P2 bei der Ermordung des DC-Führers Aldo Moro, der ein Regierungsabkommen mit der IKP geschlossen hatte, zu enthüllen. Mehrere Mafiosi sagten aus, Andreotti habe zu dem Mord angestiftet und Pecorelli sei umgebracht worden, »um Andreotti einen Gefallen zu tun«. Andreotti wurde auch beschuldigt, die Ermordung des Carabinieri-Generals und Präfekten zur Bekämpfung der Mafia von Palermo, Alberto Dalla Chiesa, am 3. September 1982 eingefädelt zu haben. Als 1996 der Mafioso Calogero Ganci, der die Ermordung Dalla Chiesas leitete, gefaßt wurde, gestand er, daß auch der Antimafiapräfekt beseitigt wurde, um Andreotti gefällig zu sein.

Ähnlich den Terroranschlägen der von der CIA mit den Faschisten entfesselten Spannungsstrategie, in die die Mafia einbezogen war [2], versuchte die Verbrecherorganisation mit der Ermordung von Staatsanwälten, Richtern und Politikern die Verfahren zu stoppen. Bis in die 90er Jahre hinein waren das Dutzende Mafia-Ermittler, darunter im April 1982 der IKP-Abgeordnete und Mitglied der parlamentarischen Antimafia-Kommission, Pio La Torre. Er hatte Andreottis Komplizenschaft mit der Mafia untersucht, die für die Arbeit Falcones wichtige Kronzeugenregelung mit Strafmilderung eingebracht und erstmals die Mitgliedschaft in der Mafia als Strafbestand durchgesetzt. Außerdem war er ein Organisator der Protestbewegung gegen die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen auf der NATO-Basis Comiso auf Sizilien, was nach der Aufdeckung von Gladio 1990 zu Ermittlungen über deren Beteiligung an seiner Ermordung führte. Seine Grundsätze der Mafia-Bekämpfung wurden nach seinem Tod als »Legge La Torre« (Torre-Gesetz) vom Parlament verabschiedet.

In Perugia wurde Andreotti zu 24 Jahren Gefängnis verurteilt, 1999 in der Revision freigesprochen, was der Kassationshof von Rom 2003 bestätigte. In Palermo gab es einen Freispruch »zweiter Klasse« wegen Mangels an Beweisen. Der Einspruch der Staatsanwaltschaft wurde 2003 vom Kassationsgericht in Rom ebenfalls zurückgewiesen. Trotzdem bedeuteten die Prozesse den politischen Bankrott Andreottis, weil in Palermo festgehalten werden musste, dass der Ex-Premier der Mafia lange Zeit »freundschaftlich gesonnen« war, was bedeutete, dass der Angeklagte nicht von jedem Verdacht freigesprochen wurde.


Berlusconi neuer Schutzpatron

Als Andreotti freigesprochen wurde, besaß die Mafia in Silvio Berlusconi bereits einen neuen Schutzpatron. Nachdem 1992 das alte Parteiensystem in dem von den Mailänder Staatsanwälten geleiteten »Mani pulite« (Saubere Hände) aufgedeckten Korruptionssumpf untergegangen war, hatte ihn die P2, deren Dreierdirektorium er angehörte und die sein Medienimperium finanzierte, zur Verhinderung eines Wahlsieges von Mitte Links an die Macht verholfen. Mit seiner nach einem Konzept der P2 konstruierten rechtsextremen Partei Forza Italia (FI) und im Bündnis mit der faschistischen Alleanza Nazionale (AN) und der rassistischen Lega Nord bildete er 1994 seine erste Regierung, der weitere 2001-2006 und 2008-2011 folgten. Berlusconi, gegen den selbst u.a. wegen Korruption ermittelt wurde, sorgte dafür, dass 5.000 gegen die Mafia laufende Strafverfahren eingestellt wurden. Es ging um Bestechung, illegalen Waffenhandel, Drogengeschäfte und Bandenkriminalität. Seine Komplizenschaft mit der Mafia wurde mehrmals enthüllt. Im Dezember 2000 wurde sein engster Vertrauter, Senator Marchello Dell Ultri, in erster Instanz verurteilt, den »Pakt zwischen der Mafia und Berlusconi« eingefädelt zu haben. Es wurde bekannt, dass die Mafia bereits in den 70er Jahren für Berlusconi »den Personenschutz« stellte. In seiner Villa Arcore in Mailand war ein Mafioso als Stallknecht getarnt untergebracht. Im März 2007 wurde bei der Verhaftung von 45 Mafiosi in Palermo bekannt, dass Berlusconis FI in Operationen der Mafia verwickelt war. 2012 wurde aufgedeckt, dass er Zahlungen an die Mafia in Millionenhöhe leistete. Angeblich, wie er behauptete, seien seine Kinder bedroht worden und es habe sich um Schutzgeldzahlungen gehandelt.


Anmerkungen:

[1] Giorgio Galli: Staatsgeschäfte, Affären, Skandale, Verschwörungen. Das unterirdische Italien 1943-1990. Hamburg 1994, S. 316 f.

[2] Sergio Flamigni belegt in "Trame atlantice. Storia della Loggia massonica segreta P2" (Mailand 1996) nach Mafia-Aussagen, dass die ganze Führungsspitze der Cosa Nostra wie auch weitere Chefs von Sizilien und Catanien der P2 angehörten .

Quelle: Elio Veltri/Marco Travaglio: L'Odere dei Soldi. Origini e Misteri delle Fortune di Silvio Berlusconi. Rom 2001.

Gerhard Feldbauer schrieb zum Thema "Agenten, Terror, Staatskomplott. Der Mord an Aldo Moro, Rote Brigaden und CIA" (Papyrossa, Köln 2000), das Buch führt zahlreiche Quellen an.

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Quelle:
© 2017 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2017

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