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MEMORIAL/197: 1275 Jahre Stadt Fulda - auf den Spuren ihrer Entstehungsgeschichte (Irene und Gerhard Feldbauer)


1275 Jahre Fulda

2019 begeht die hessische Stadt ein Jahr historischer Ereignisse
Auf den Spuren ihrer Entstehungsgeschichte

von Irene und Gerhard Feldbauer, 31. Januar 2019



Abbildung: Matthäus Merian [Public domain]

Panoramabild der Stadt Fulda in der Topographia Hassiae et regionum vicinarum - Kupferstich von Matthäus Merian, 1655 Abbildung: Matthäus Merian [Public domain]

Fulda, das in Hessen am gleichnamigen Fluss etwa 100 km nordöstlich von Frankfurt am Main im Becken zwischen der Rhön und Europas größtem Basaltmassiv, dem Vogelsberg, liegt, ist eine historische Stadt mit glanzvollen Traditionen. Ihre erste Besiedlung reicht, wie im Vonderau-Museum dargestellt wird, bis um 5000 vor Christi zurück. [1]

Davon zeugen gleich vier Jubiläen, die dieses Jahr begangen werden. Das erste bildet am 12. März der 1275. Jahrestag der Verkündung der Gründung des Klosters, womit die Entwicklung Fuldas zur Stadt einsetzt. Es folgt die Verleihung des Münz-, Markt- und Zollrechts durch Heinrich II. an den Abt für die heutige Stadt. 2019 wird auch noch an die 1200jährige Weihe der alten Klosterkirche (Ratgar-Basilika) und an die Bestattung des ostfränkisch-deutschen Königs Konrad I. zu Beginn des Jahres 919 in Fulda erinnert.


Foto: Dr. Bernd Gross (changes by Rabanus Flavus) [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons

St.-Sturmius-Altar im Fuldaer Dom
Foto: Dr. Bernd Gross (changes by Rabanus Flavus) [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons

744 Gründung des Klosters Fulda

Am 12. März 744 traf der Missionar Sturmius (Lat. der Stürmische) auf dem Ruinenfeld einer verlassenen fränkisch-merowingischen Anlage ein und verkündete im Auftrag Bonifatius, dass hier ein Benediktiner-Kloster errichtet werde. Das Gelände hatte der Hausmeier [2] der Karolinger Karlemann, Sohn Karl Martells, für die Missionsarbeit zur Verfügung gestellt. Von Bedeutung für die Ortswahl war vor allem, dass sich hier zwei alte Handelswege kreuzten. Die Antsanvia (lat. antiana via - alte Straße), ein Höhenweg von Mainz nach Eisenach, und der Ortesweg, eine Altstrasse, die das Marburger Land, den Vogelsberg, die Rhön und das historische Grabfeld miteinander verband.

Zentrum des Frankenreiches

Bonifatius und mit ihm Fulda bildete in dieser Zeit einen zentralen Bezugspunkt des Frankenreiches, das im Ergebnis des Unterganges des Weströmischen Reiches nach dem Sieg der Franken unter dem Merowingerkönig Chlodwig 486 bei Soisson über den letzten römischen Machthaber in Gallien, Syagrius, entstand. Mit wechselndem Erfolg kämpften sowohl die Könige und Kaiser als auch die Päpste darum, das im 8. Jahrhundert vom Atlantik bis zur Elbe, von den friesischen Inseln bis weit hinter Rom sich ausdehnende Imperium zu beherrschen. Der Einfluss des Heiligen Stuhls auf das Frankenreich, dessen Kirche sich der Leitung durch Rom entzog, war indessen zu Beginn des 8. Jahrhunderts gering. Nördlich der Alpen konnte der Papst von sich aus keinen Bischof, noch nicht einmal einen Priester ernennen. Es war Bonifatius, der im Rahmen der Christianisierung die Unterordnung der fränkischen Kirche unter Rom durchsetzte, wofür er in die Geschichte der katholischen Kirche als "Apostel der Deutschen" einging.


Abbildung: Map Gaul divisions 481-fr.svg: Romain0derivative work: Furfur [Public domain], via Wikimedia Commons

Gallien im Jahr 481 vor Chlodwigs Herrschaftsantritt
Abbildung: Map Gaul divisions 481-fr.svg: Romain0derivative work: Furfur [Public domain], via Wikimedia Commons

Bonifatius, Legat des Papstes für Germanien

Der 672 oder 673 als Sohn eines angelsächsischen Adligen im Königreich Wessex [3] geborene Bonifatius, der eigentlich Wynfried (Winfrid) hieß, war in Exeter und Nursling bei Southampton Mönch gewesen und hatte eine Klosterschule geleitet. Seit 718 verbreitete er in Friesland, später in Thüringen, Hessen und Bayern das Christentum. Sein missionarischer Eifer, sein historischer Weitblick, seine gewaltige Stimme, aber auch sein großes organisatorisches Talent ließen ihn frühzeitig zum wichtigsten Vertrauten des Heiligen Stuhls bei der Festigung der Papstherrschaft nördlich der Alpen werden. Mit gleichbleibender Treue diente er vier Päpsten - Gregor II. (715-731) und III. (731-741), Zacharias (741-752) und Stephan II. (752-757). Gregor II. hatte ihm 719 in Rom den offiziellen Auftrag erteilt, den "ungläubigen Völkern das Geheimnis des Glaubens bekannt zu machen". Der Auftrag war der "entscheidende Schritt zur Missionierung der germanischen Völker". [4] 722 wurde er zum Bischof und zehn Jahre später zum Erzbischof geweiht. 738 ernannte ihn Zacharias zum Legaten für Germanien. Schon vor diesen Ämtern hatte ihn Gregor II. durch die Verleihung des Namens Bonifatius (Wohltäter), eines römischen Märtyrers [5], fest an die Kurie gebunden.

Verschiedenen Erzählungen nach fällte Bonifatius 723 in Hessen in Geismar (heute Stadtteil von Fritzlar) unter dem Schutz fränkischer Krieger und in Anwesenheit zahlreicher Chatten [6] eine dem germanischen Kriegsgott Thor (Donar) geweihte Eiche. Er habe den zum Großteil noch nicht zum Christentum bekehrten Chatten die Ohnmacht der altgermanischen Götter beweisen wollen. Die danach errichtete und Petrus geweihte Kapelle soll aus dem in vier gleich große Teile gespaltenen Holz der Donar-Eiche gebaut worden sein. Sie wurde zum Grundstein für den Bau des Klosters Fritzlar. [7]


Abbildung: Louis Kolitz [Public domain]

Fulda - die Alte Wache, das Bonifatiusdenkmal und der Dom, Gemälde von Louis Kolitz
Abbildung: Louis Kolitz [Public domain]

Sturmius, erster Abt von Fulda

Sturmius, der um 710-779 lebte, stammte aus bayerischem Adel, wurde im Kloster Witzlar ausgebildet und etwa 739 zum Priester geweiht. Als engster Vertrauter Bonifatius' wurde Sturmius erster Abt des Klosters Fulda, des Wichtigsten von Rom im Kampf um die Schaffung einer fränkischen Reichskirche und dabei Wiege des Entstehens der Stadt Fulda. Mit der Stiftung von Bistümern in Passau, Freising, Regensburg, Erfurt, Würzburg, Eichstätt und Ochsenfurt schuf Bonifatius danach weitere Stützpunkte der Christianisierung.

Unzüchtige Priester und Heuchler

Das fränkische Episkopat lehnte zunächst jedoch mehrheitlich eine von Rom straff geleitete Kirche ab. Die von den Fürsten und Landeskirchen eingesetzten Würdenträger kamen aus dem Adel, führten ein weltliches Leben und vererbten ihre Diözesen wie Familienbesitz. In den Berichten des Bonifatius nach Rom ist immer wieder die Rede von unzüchtigen Priestern, von Heuchlern, von Geistlichen, deren Herkunft niemand kennt, die aber trotzdem geweiht werden. Er klagte über Bischöfe und Priester, die sich nicht nur als Grundherren fühlen, sondern in den Krieg ziehen und ein ausschweifendes Leben führen, sich mit ihrer Trinkfestigkeit brüsten und nicht nur verheiratet sind, sondern obendrein noch ehebrechen. Vor allem zwei Bischöfe waren seine erbitterten Feinde: Gewillip von Mainz und Milo von Reims und Trier, die beide ihre Bistümer von den Vätern geerbt hatten. Gewillip enthob 745 ein Konzil seines Amtes und berief Bonifatius zu seinem Nachfolger. Milo setzte auf Betreiben Bonifatius' 744 die Synode von Soissons als Bischof von Reims ab. In Trier blieb er im Amt, bis er auf einer Eberjagd, wahrscheinlich 757, den Tod fand.


Foto: Frank Schulenburg 23:25, 5 July 2006 (UTC) [CC BY 2.5 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.5)], from Wikimedia Commons

Bonifatiusstatue in Fulda
Foto: Frank Schulenburg 23:25, 5 July 2006 (UTC) [CC BY 2.5 (https://creativecommons.org/licenses/by/2.5)], from Wikimedia Commons

Bündnis von Kreuz und Schwert

Im Ergebnis des Wirkens des Bonifatius wurde die christliche Religion neben dem Lehnswesen als ökonomischer zur vor allem ideologischen Stütze der Herrscher des Frankenreiches, zum Band, das den Vielvölkerstaat zusammenhielt. Leopold von Ranke [8] nannte das ein Erfordernis der "historischen Wirksamkeit". Die von Bonifatius nach römischen Richtlinien betriebene Reform der fränkischen Kirche nutzte jedoch auch das Königtum dieser Zeit für seine Interessen, da sie die durch die Heidenbekehrung unterworfenen germanischen Stämme an das fränkische Reich band. Bonifatius knüpfte daran an und trat in den Konflikten zwischen der Zentralgewalt des Reiches und dem Papsttum um die weltliche Herrschaft als Sachwalter Roms oft auch als Vermittler auf. In diesem Kontext kam es vor allem mit dem Hausmeier Karl Martell (688 bis 741) zu einer engen, wenn auch oft widersprüchlichen Zusammenarbeit und schließlich zum Bündnis zwischen Kirche und Reichsgewalt. Vor allem die Karolinger, die für eine starke Königsherrschaft eintraten, suchten gleichzeitig die Hilfe der Kirche zu nutzen, was voraussetzte, den römischen Einfluss zu stärken. In Rom wiederum wusste man, dass das Missionswerk des Bonifatius den militärischen Beistand der Fürsten benötigte. Auf dieser Basis gestaltete sich die Kirche neben dem Lehnswesen zur zweiten wesentlichen Stütze der Reichsgewalt. Besondere Bedeutung erhielt dieses Bündnis, als Pippin der Jüngere 751 den letzten merowingischen König Childrich III. stürzte und selbst die Macht an sich riss. Der Papst billigte den Willkürakt Pippins, der danach von der Reichsversammlung in Soissons zum König erhoben wurde. Um seine Berufung durch Gott zu bezeugen, wurde der neue Herrscher zum ersten Mal in der Geschichte des Frankenreiches nach alttestamentarischer Weise gesalbt. Das religiöse Ritual soll Bonifatius in Soissons selbst vorgenommen haben. [9]


Abbildung: Bibliothèque nationale de France [Public domain]

Karl Martell teilt vor seinem Tod 741 das Reich zwischen seinen Söhnen Karlmann und Pippin auf. Buchmalerei in einer Handschrift der Grandes Chroniques de France, Paris, Bibliothèque Nationale, Ms. fr. 2615, fol. 72
Abbildung: Bibliothèque nationale de France [Public domain]

Umstrittener Märtyrertod

Nach der offiziellen Version habe Bonifatius 754 in Friesland, dem Ursprungsgebiet seiner Missionsarbeit, in das er über 80jährig noch einmal gereist war, unter der Hand von Heiden den Märtyrertod erlitten. Sein Märtyrertod ist umstritten. Den Chroniken nach rechnete Bonifatius mit seinem Tode. Er habe ein Leichentuch in seinem Gepäck mitgeführt. Es wird auch für möglich gehalten, dass beutegierige Räuber ihn überfielen und mit seinen 51 Begleitern erschlugen. Darunter sollen sich auch Christen befunden haben. [10] Sein Leichnam wurde zunächst nach Mainz gebracht und dann nach Fulda überführt, wo er in der Erlöserkirche des Fuldaer Klosters seine letzte Ruhe fand. 1855 erließ Pius IX. die Kanonisation (Heiligsprechung) des Bonifatius, die am 5. Juni begangen wird. 2004 wurde ein 172 km langer Pilger- und Wanderweg auf der Route des Leichenzuges von Mainz nach Fulda eingerichtet.

Unter Ludwig dem Frommen, dritter Sohn Karl des Großen, der von 814 bis 840 regierte, verfiel das Frankenreich der feudalen Zersplitterung. Sein ältester Sohn und Nachfolger Lothar teilte das Reich 843 im Vertrag von Verdun in drei Teile. Das Westreich, das spätere Frankreich, erhielt sein Bruder Karl der Kahle; das Ostreich, aus dem das Deutsche Reich entstand, ging an seinen Bruder Ludwig den Deutschen; das Mittelreich Lothringien (Lothringen) mit Italien sicherte er sich selbst. Zu den Nachfolgern Ludwig des Deutschen gehörte Konrad I., der ab 911 regierte und nach seinem Tod 918 in Fulda bestattet wurde, was ein weiteres der dieses Jahr gefeierten Jubiläen ist.


Abbildung: König Konrad I [Public domain], via Wikimedia Commons

Königsurkunde Konrads I. - Schenkung an das Kloster Fulda, 12. April 912
Abbildung: König Konrad I [Public domain], via Wikimedia Commons

Ein privilegiertes Kloster

Das Wirken des Bonifatius beförderte tiefgehend die kultur-historische Entwicklung Fuldas. Noch zu Lebzeiten Bonifatius' hatte Papst Zacharias dessen außerordentliche Dienste 751 durch die Verleihung eines Exemptionsprivilegs an das Kloster Fulda gewürdigt, es so von jeder bischöflichen Jurisdiktion unabhängig erklärt und für alle Zeiten ausschließlich der päpstlichen Gerichtsbarkeit unterstellt. 774 erhielt das Kloster noch von Karl dem Großen den Status der "Reichsunmittelbarkeit" verliehen, wurde damit Reichskloster und unterstand keinem Landesfürsten, sondern direkt dem Kaiser. Damit konnte das Kloster ein eigenes Territorium erwerben, über das es die Landeshoheit ausübte. Ab 1170 nahmen in Fulda Äbte ihren Sitz, nach einem 1220 erlassenen Gesetz Kaiser Friedrichs II. waren sie gleichzeitig Reichsfürsten (Fürstäbte). 1752 wurde Fulda selbst zum Fürstbistum erhoben und der Fürstabt in den Stand eines Fürstbischofs.

In den folgenden Jahrhunderten wallfahrten die Gläubigen zur Grabstätte des Bonifatius. Durch Spenden der Frommen erlangte das Kloster Reichtum und Macht. Im 9. Jh. entwickelte sich die Klosterschule unter Hrabanus Maurus (Abt von 822-842), der u. a. ein lateinisch-deutsches Glossar verfasste, zu einer bedeutenden Lehrstätte. Hier fand nicht nur die althochdeutsche Literatur ihre Wiege, es bildete sich auch Deutsch zur Schriftsprache heraus. Hrabanus, der 847 die Weihe zum Erzbischof erhielt, ging in die Geschichte der katholischen Kirche als "Praeceptor Germaniae" (Lehrer der Deutschen) ein.


Abbildung: Matthäus Merian [Public domain]

Blick auf das Kloster Fuldas, in der Mitte die Ratgar-Basilika - Kupferstich von Matthäus Merian, 1655
Abbildung: Matthäus Merian [Public domain]

1200jähriges Jubiläum der Ratgar-Basilika

Bereits 819 hatte der Erzbischof von Mainz der Ratgar-Basilika [11] den Segen erteilt, was ein weiteres Jubiläum ist. Diese größte karolingische Kirche nördlich der Alpen entstand an der Stelle der ersten Grabeskirche des Bonifatius. Ihre Ausmaße sollen mit späteren Anbauten die Größe des heutigen Doms übertroffen haben. An die Frühzeit Fuldas erinnern auch die nach dem Vorbild der Grabkirche von Jerusalem von 820 bis 822 erbaute Michaeliskirche, eines der ältesten Gotteshäuser Deutschlands, und die spätgotische Severin-Kirche. Aus der Vielzahl der Bauwerke sind hervorzuheben die Orangerie mit ihren zauberhaften Sälen, die zwischen 1722 und 1725 nach Entwürfen des kurmainzischen Baumeisters Maximilian von Welsch entstand; die Heiliggeist- und die Stadtpfarrkirche; die Landesbibliothek und die ehemalige Universität (1734-1803). Vor den Toren der Stadt befindet sich eines der schönsten Barockschlösser Hessens, die Fasanerie. Auf dem Petersberg (350 m ü. d. M.) ruhen in der Krypta der zum Benediktiner-Kloster gehörenden Kirche die Gebeine der 782 verstorbenen heiligen Lioba, Äbtissin von Tauberbischofsheim und Mitstreiterin des Bonifatius. Die Wandfresken des Klosters gehören zu den ältesten Deutschlands.

Die Wiege der Stadtgründung

Zahlreiche hohe geistliche und weltliche Persönlichkeiten weilten in Fulda: Ihre Listen führen Karl der Große, Benedikt VIII. (1012-1024, Papst) und Heinrich II. (973-1024, seit 1014 deutscher Kaiser) an. Letzterer hatte 1019 Fulda das Münz-, Markt- und Zollrecht verliehen, womit ein weiterer historischer Jahrestag benannt ist. Dass es manchmal mit dem dokumentarischen Nachweis historischer Ereignisse problematisch ist, zeigt auch Fulda, für das keine Urkunde über die förmliche Verleihung des Stadtrechts vorliegt. Im Stadtarchiv wird jedoch davon ausgegangen, dass mit der Verleihung des kaiserlichen Privilegs 1019 die Initialzündung für die Entwicklung Fuldas zur Stadt gegeben wurde und dieses Datum in Ermangelung einer förmlichen Stadtrechtsverleihung die Grundlage für das Jubiläum bildet.

Aufstände der Stadtbürger und Bauern

Die Entwicklung Fuldas kennzeichneten Auseinandersetzungen der Stadtbürger gegen die Ansprüche der Äbte, die neben dem Kloster eine Burg errichteten. Als Fürstabt Heinrich VI. 1319/20 eine zweite Burg errichtete, stürmten die Bürger beide Befestigungen und zerstörten die zweite Burg. Es folgten weitere Aufstände. Wiederholt wehrten sich die Bürger gegen die Steuerhöhungen. Bauern im Gebiet von Fulda beteiligten sich 1524/25 an den Kämpfen des deutschen Bauernkrieges. Der Fuldauer Haufen unter dem Obersten Hauptmann Hans Dolhobt (auch Dolhofen genannt), einem Uhrmacher, zählte rund 10.000 Bauern. Sie stürmten Fulda und die nördlich liegende Stadt Hersfeld. In der Schlacht am Frauenberg (heute ein Stadtteil Fuldas) wurde der Haufen von Landgraf Philipp von Hessen blutig niedergeschlagen. [12] Während der Inquisition der katholischen Kirche wurden in Fulda in Hexenprozessen etwa 300 angebliche Hexen gefoltert und danach hingerichtet.


Abbildung: Professor Friedrich Lange [CC0], via Wikimedia Commons

1845 - zeitgenössische Darstellung des Hexenturms in Fulda
Abbildung: Professor Friedrich Lange [CC0], via Wikimedia Commons

Das Grabmal des Bonifatius

Zwischen 1704 und 1712 ließ Johann Dientzenhofer aus der Familie der Barock-Architekten auf den Grundmauern der gewaltigen Ratgar-Basilika den Dom der Stadt errichten. Sein Werk ist auch der Um- und Ausbau des Stadtschlosses, eines früheren Renaissanceschlosses, der 1721 vollendet wurde. Die Krypta des Domes birgt das Grabmal des Bonifatius. Ein mit schwarzem Marmor umgebenes Alabasterbild der Barockzeit zeigt seinen Märtyrertod. Vor dem Stadtschloss steht in wuchtiger Größe ein erzgegossenes Standbild des Bonifatius, der das Kreuz hoch erhoben hält.

Nach der Säkularisierung 1802, die die Fürstbischöfe entmachtete, gingen die Besitzungen der katholischen Kirche an Friedrich Wilhelm von Oranien-Nassau, vier Jahre später an das Großherzogtum Frankfurt. Danach wechselte Fulda für kurze Zeit zu Österreich und Preußen, kam dann zum Kurfürstentum Hessen-Kassel und fiel 1816 wieder an Preußen. 1866 wurden Fulda und Kurhessen Teil des Königreichs Preußen.

Die Klosterbücherei Bonifatius' in der Hessischen Landesbibliothek

In der Hessischen Landesbibliothek in Fulda, einer Fundgrube des Wissens von 1.500 Jahren europäischer und deutscher Geschichte, sind die Bestände der Bücherei des von Bonifatius gegründeten Klosters ein Anziehungspunkt für Fachleute vor allem der Geisteswissenschaften, aber auch Allgemeininteressierte. Darunter befinden sich seine Handschriftensammlungen und rund 850 abendländische Codices, davon ein Drittel aus der Zeit vor 1600. Der weitgereiste Bibliothekar Peter Bertius rühmte 1616, keine Handschriftensammlung in Deutschland sei besser mit Codices ausgestattet als die des Bonifatius-Klosters. Eine große Zahl der Codices entstand während der Zeit des Abtes Hrabanus Maurus. Während dieser unter anderem selbst ein lateinisch-deutsches Glossar verfasste, schrieben die Fuldaer Mönche viele Werke der antiken und althochdeutschen Literatur nieder. Bereits um 820 zeichneten zwei Mönche hier das Hildebrand-Lied in Althochdeutsch auf.


Abbildung: Fulda [Public domain], via Wikimedia Commons

Hrabanus Maurus (links), sein Lehrer Alkunin (Mitte) und der Heilige Martin, dem Maurus sein Werk De laudibus sanctae crucis überreicht - Darstellung in einem Manuskript aus Fulda um 830/40
Abbildung: Fulda [Public domain], via Wikimedia Commons

Viele Werke der Bibliothek beziehen sich auf den Geschichtsabschnitt, in dem Bonifatius wirkte. Dazu gehört das Fragment einer altlateinischen Prophetenhandschrift aus dem 5. Jahrhundert; eine Handschrift mit dem Auszug der unter König Alarich II. Anfang des 6. Jahrhunderts geschaffenen Lex Romana Visigothorum, die ein Gesetzeswerk für die im Westgotenreich lebenden Römer bildete; eine Evangeliums-Harmonie aus der Mitte des 6. Jahrhunderts, die sich im Besitz von Bonifatius befand und Glossen seiner Handschrift enthält, und ein Evangeliar der Normannenprinzessin Judith von Flandern aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts.

Heute ist Fulda, das während des Zweiten Weltkrieges zu einem Drittel durch angloamerikanische Luftangriffe zerstört wurde, auf rund 104 km² mit etwa 68.000 Einwohnern in 11 Stadtbezirken und 24 Stadtteilen, größte Stadt Osthessens. Sie ist Hochschulstadt und Industriestandort, der stark durch mittelständische Unternehmen geprägt wird.


Foto: Thomas Diegelmann [Public domain], via Wikimedia Commons

Blick über die Stadt Fulda auf die Rhön
Foto: Thomas Diegelmann [Public domain], via Wikimedia Commons


Fußnoten:

[1] Das 1875 gegründete Museum ist nach dem Lehrer und Heimatforscher Joseph Vonderau genannt, der zahlreiche Objekte aus der Stein- und Bronzezeit entdeckte. Drei Dauerausstellungen informieren über die regionale Naturkunde, darunter ein Kleinplanetarium, über Kulturgeschichte, Malerei und Skulptur. Das mit fast 4000 m² Ausstellungsfläche größte Hessische Museum dieser Art wird 2019 im Zeichen der Fuldaer Jubiläen stehen.

[2] Hausmeier (Majordomus), Verwalter des Herrscherhauses, eine den Königen gleiche Position.

[3] Das Königreich Wessex, aus dem altenglischen Westseaxe, zu Deutsch West-Sachsen, war im 6. Jh. eines der angelsächsischen Königreiche im Süden und Südwesten Englands, das bis zum 10. Jahrhundert existierte.

[4] Hans Kühner: Lexikon der Päpste. Kirchengeschichte - Weltgeschichte - Zeitgeschichte von Petrus bis heute, Zürich 1977.

[5] Bonifatius, der kein Christ war, lebte gegen Ende des 3. Jahrhunderts in Rom in der Villa der reichen Römerin Aglae als Sklave. Er war für seine Herrin Verwalter ihrer Güter und ihr Geliebter. Sie schickte ihn nach Tarsus (einer unter römischen Einfluss liegenden Provinz in der Türkei, Geburtsort des Apostel Paulus), wo er die Reliquien christlicher Märtyrer finden und nach Rom bringen sollte. Als er in Tarsus die Folterungen und Tötungen der verfolgten Christen unter Kaiser Galerius miterlebte, ließ er sich taufen und bekannte sich zum Christentum. Darauf wurde er durch siedendes Pech selbst umgebracht.

[6] Die Chatten, auch Katten geschrieben, waren ein in den Tälern der Eder, der Fulda und oberhalb der Lahn (was Teilen des heutigen Nieder- und Oberhessens entspricht) angesiedelter germanischer Stamm. Es ist möglich, dass die Bezeichnung Hessen vom Namen der Chatten abgeleitet ist. Denn das "Ch" war das germanische "h", das als "X" ausgesprochen wurde.

[7] Lutz E. Padberg: Bonifatius - Missionar und Reformer. München 2003.

[8] Leopold von Ranke (1795 - 1886), deutscher Historiker, Begründer der bürgerlichen Geschichtswissenschaft. Seit 1825 außerordentlicher Professor in Berlin, 1832 zum Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin berufen. 1841 von König Friedrich Wilhelm IV. zum Historiographen des Preußischen Staates ernannt.

[9] So Gustav Faber in: Auf den Spuren von Karl dem Großen. München 1985.

[10] Lutz E. Padberg, a. a. O.

[11] Ratgar-Basilika. Der Bau begann unter dem Abt Ratger von 791 bis 819, 3. Abt des Klosters Fulda nach Sturmius, deshalb auch Ratger-Basilika genannt .

[12] Wilhelm Zimmermann: Der große deutsche Bauernkrieg, Dietzverlag Berlin 1952, S. 554 ff.

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Quelle:
© 2019 by Irene und Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2019

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