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KALENDERGESCHICHTEN/023: 11-2012   Grimbart Wohlgemut - Der wütende Taschen-Dieb (SB)


Buntstiftzeichnung: © 2012 by Schattenblick
Der wütende Taschen-Dieb

Am nächsten Morgen wurden sie von den ersten Sonnenstrahlen geweckt. Gretchen blinzelte und fand Grimmy noch dösend vor. Seine Augen hielt er geschlossen und brummte leise vor sich hin. Gretchen stupste ihn an. Grimmy brummte noch lauter und rekelte sich, kam auf seine vier Pfoten und machte einen gedehnten Katzenbuckel, dann schüttelte er sich und gähnte.

"O je, Grimmy, du bist ja noch total müde. Beeil dich lieber mit dem Wachwerden, bestimmt kommt der Uhu gleich, um uns abzuholen."

"Bin gar nicht so doll müde, nur ein bisschen. Gibt 's hier noch irgendwas für mich zu essen?", erkundigte er sich und suchte die nahe Umgebung ab. Da fiel sein Blick auf die Tasche. Als Gretchen dies gewahr wurde, sprang sie vor die Vorratstasche, um sie vor Grimmys großem Appetit zu beschützen. "Keine Sorge, Gretchen, ich werde ganz bestimmt nicht von deinen Nüssen und Zapfen naschen. Lieber suche ich mir einen Apfel, eine Birne oder eine Pflaume - am besten von allen ein paar, mmmhh, ja das werde ich mal sofort." Plötzlich unterbrach Grimmy seine Rede. Riesige, dicke, fette Tropfen platschten auf seinen Rücken, erst zwei, drei, dann immer mehr und mehr. Grimmy schüttelte sich. Dann merkte er wie nasse, lange Haare über seine Nase streiften. Das war Gretchens sonst so buschiger Schwanz. Er sah das Eichhörnchen nur noch von hinten davoneilen. In großen Sätzen sprang es unter einen Busch, an dem immer noch ziemlich viele große Blättern baumelten. Kurz danach erreichte auch Grimmy das schützende Blätterdach.

"Oh, Mist, meine Tasche, meine Tasche wird ganz nass", kaum hatte Gretchen das gesagt, rannte sie auch schon wieder in Richtung Teichufer, um sie zu holen. Sie packte die beiden Grashalme, mit denen Bonjour Edelkrebs sie zusammengebunden hatte, verknotete sie zu einer riesigen Schlaufe und zog nach Leibeskräften daran. Nichts tat sich, die Vorratstasche bewegte sich keinen Millimeter. "Grimmy", rief sie verzweifelt, "hilf mir doch!"

"Lass doch die Tasche, die wird auch wieder trocken", brüllte Grimmy zurück. "Ich hasse Regen, jedenfalls so viel Regen auf einmal!"

Gretchen zerrte noch einmal kräftig an den Grashalmen, dann drehte sie sich um und sprang wieder unter den Busch zu Grimmy. "Hoffentlich hast du recht, hoffentlich wird sie wieder trocken", murmelte Gretchen unglücklich.

Beide lugten durch welke, hohe Grasbüschel hinüber zu den Vorräten. Am Ufer entdeckten sie Bonjour, konnten aber nicht erkennen, was er tat. Mit einer Scherenhand winkte er ihnen zu, irgendwie ganz wild schwenkte er sie hin und her. "Merkwürdig, was hat er nur", dachte Grimmy und blickte Gretchen fragend an. Sie hüpfte auf und nieder und wedelte mit ihren Armen ebenso wild durch die Luft wie der Krebs.

"Gretchen, halt mal an, hör mit dem Gehopse auf, irgendetwas stimmt hier nicht, hier ist irgendetwas faul."

Kaum hatte er das ausgesprochen, als sie den Boden unter sich beben fühlten. Nur ganz seicht, aber spürbar. Beide duckten sich und rutschten tiefer unter den Busch. Sie wollten nicht gesehen werden von dem, der sich da näherte.

"Grruunn schrruuupf, grummpf, grunz, schnuff, uff", drang es laut an ihre Ohren. Gretchen drängte sich dicht an Grimmy und verbarg ihr Gesicht in seinem dichten Fell. Tapfer hielt Grimmy den Blick auf das merkwürdige Wesen gerichtet. Durch den Regenvorhang konnte er nicht klar erkennen, mit wem sie es da zu tun bekamen. Aber derjenige war ziemlich groß - und er steuerte geradewegs auf Gretchens Tasche zu.

"Oh je", seufzte Grimmy. "Oh, halt, nein, nicht!", brüllte er zornig und laut in den Regen.

"Was ist los, was hast du, was passiert hier?", forderte Gretchen eine Erklärung.

"Sieh selbst, Gretchen, es ist furchtbar, verdammt ...", fluchte der Dachs.

"Nein, nein, wenn es furchtbar ist, will ich lieber nicht hinsehen", schluchzte Gretchen in Grimmys Pelz.

"Dieser riesige Jemand, er hat ..., gerade spießt er deine Tasche auf einen merkwürdig gebogenen Zahn, der ihm aus dem Kopf ragt, jetzt schnüffelt er", berichtete Grimmy. Wieder war dieses laute "Grruunn schrruuupf, grummpf, grunz, schnuff, uff" zu hören. Inzwischen hatte es aufgehört zu regnen. Ganz deutlich konnte Grimmy nun den Dieb erkennen. Ein mächtiger Keiler stampfte mit seinen Beinen in den aufgeweichten Boden. Gierig hielt er nach weiteren Leckerbissen Ausschau. Gretchens Tasche baumelte an seinem Zahn, gefährlich dicht vor seinem Maul hin und her. Dann stapfte er mit schweren Schritten geradewegs auf den Busch zu, unter dem Grimmy und Gretchen Schutz vor dem Regen gesucht hatten. Seine Nasenlöcher blähten sich auf. Mit seinen gewaltig großen Fellohren schien er auch genau in Richtung ihres Versteckes zu lauschen.

Gretchen zitterte. Beide krabbelten rückwärts, bis sie an einen dicken Baumstamm stießen. Sie kamen nicht weiter - der Fluchtweg war versperrt.

"Grimmy", flüsterte das Eichhörnchen, "was machen wir jetzt bloß?"

"Ich weiß auch nicht. Der sieht ja nicht gerade so aus, als würde er deine Vorräte freiwillig herausrücken ...", gab Grimmy ganz leise zu bedenken.

"Ich glaub, der will auch uns noch fressen. Er sieht so böse aus. Ich, Grimmy, ich hab solche Angst", schluchzte sie und bemühte sich gleichwohl es nicht zu tun. Sie wollte sich auf keinen Fall verraten und den Keiler auf sich aufmerksam machen.

Grimmy plumpste auf sein Hinterteil und sah sehr, sehr nachdenklich und ernst aus. "Gretchen, ich habe hin und her überlegt, aber es gibt nur eine Möglichkeit - ich muss den Keiler angreifen."

Gretchen hielt die Luft an. "Nein, nein, der ist doch viel größer als du, der macht dich fertig, nein, Grimmy, tu das nicht ...", flehte sie ihn an.

"Ja, wohl, aber ich habe einen Plan. Ich renne auf ihn zu und kurz vorher mache ich einen Bogen um ihn und rase so schnell ich kann zum Teich und springe hinein."

"Und dann, was dann?", wollte Gretchen wissen. "Na, ja, Biber Biber wird dort sein. Er wird mir helfen den riesigen Dieb zu stellen und ihm die Tasche abzujagen."

"Grimmy, du kannst doch gar nicht so schnell rennen. Du bist doch, du bist, also, viel zu, zu ... schwer geworden", sprach sie eindringlich aber leise. "Bevor du am Teich angelangt bist, hat er dich schon totgetrampelt, nein, nein, das darfst du nicht, das kannst du nicht, nein ...", verzweifelt blickte sie ihm in die Augen.

Gretchen hatte recht. In den letzten Wochen hatte er so viel gegessen, dass er kugelrund geworden war. Der Keiler war nur noch wenige Schritte entfernt. Sie konnten ihn riechen, er stank und gab diese fürchterlichen Grunzlaute von sich. Grimmy und Gretchen lagen immer noch ganz dicht beieinander und bewegten sich nicht.

Die großen spitzen Zähne ragten aus seinem Kopf ..., plötzlich schwenkte er seinen mächtigen Schädel nach hinten und in die Luft. Er blieb stehen und glotzte in den Himmel. Ohne sich zu rühren, konnte Grimmy aus dem Augenwinkel erkennen, warum der Keiler dorthin starrte. Der Uhu schwebte herab. Er sah mit seinen weit gespannten Flügeln beeindruckend, ja furchteinflößend aus. Doch der Uhu drehte ab und flog einen Bogen hoch in die Luft. Grimmy und Gretchen befürchteten, er würde davonfliegen.

Aber nein. Er stieg hoch in die Luft, um zu einem Angriff anzusetzen. Im Sturzflug hielt er auf den Keiler zu. Der hatte sich inzwischen von dem Busch abgewandt und trabte wütend dem Uhu entgegen, riss seinen Kopf nach oben, schüttelte ihn hin und her und schnaubte. Doch der Uhu erwies sich als geschickter Angreifer. Durch seine vielen Sturzflugattacken, die er immer wieder aus verschiedenen Richtungen gegen den Keiler flog, brachte er den tobenden Dieb zur Raserei. Schließlich wurde es dem wohl zu viel und er eilte über die Wiese in Richtung Wald davon.

Gretchen und Grimmy, die all das aus ihrem Versteck beobachtet hatten, atmeten auf, rappelten sich auf ihre Pfoten und krabbelten unter dem Busch hervor. Der Uhu hatte sie schon längst erblickt und landete direkt vor ihnen.

Gretchen war so überglücklich, dass sie den Uhu am liebsten umarmt hätte. Stattdessen hüpfte sie vor Freunde um ihn herum: "Danke, Herr Uhu, danke, ich hatte, ich war ... oh, danke, ... juhuuh, ich lebe noch, juhuu ..."

Grimmy setzte sich hin: "Ja, das war knapp. Ich wusste nicht so recht, was ich tun sollte."

"Ist schon gut, ihr beiden. Es ist ja noch mal gutgegangen. Mit meinen famos, exzellent guten Augen und Ohren hatte ich die Gefahr sofort erkannt und wusste, wie ich euch helfen konnte", beruhigte sie ihr Retter. "Und, wie wär 's jetzt, wollen wir aufbrechen?", erkundigte er sich.

Gretchen hörte abrupt mit dem Freudengehüpfe auf und hockte sich neben den Dachs. "Der gemeine Dieb hat meine Vorräte gestohlen, alle mitgenommen, geklaut. Nun habe ich nichts mehr, kann nichts mitnehmen in den Dachsbau, muss verhungern, wenn ich nichts zu essen habe, oh, oh ...", haspelte Gretchen verzweifelt. Sie weinte und schniefte richtig laut und hemmungslos. Das war zu viel für das kleine Eichhörnchen, einfach zu viel - mehr als es ertragen konnte.

Ratlos blickte Grimmy den Uhu an, dann das total traurige Gretchen, dann wieder den Uhu. Der wiegte seinen Kopf hin und her, breitete seine Flügel aus und hob ab, flog hoch in den Himmel. Grimmy war verunsichert, flog er gerade jetzt ohne ein Wort zu sagen einfach davon und ließ sie hier zurück? Er konnte es nicht fassen, er konnte es aber auch nicht glauben. Er blickte nach oben und entdeckte den großen Vogel, der eine weite Acht flog und nun wieder neben dem Dachs und dem Eichhörnchen landete.

"Na, dann ratet mal, was ich famos guter Flieger mit meinen famos guten Augen gefunden habe?", forderte er sie auf und warf sich stolz in die Brust, plusterte sein Gefieder etwas auf und erschien dadurch noch prächtiger.

Gretchen hob ihren Kopf und staunte: "Was? Doch nicht etwa meine Tasche?"

Der Uhu nickte bedächtig: "Ganz genau, sie liegt dort hinten. Das Wildschwein muss sie in dem wütenden Toben verloren haben!"

"Wo denn, an welcher Stelle, zeigst du sie mir? Bitte!", bat Gretchen den großen Vogel.

"Das Praktische daran ist, dass sie sich auf dem Weg befindet, den ihr ohnehin gehen müsst, wenn ihr mir folgen wollt", verkündete er.

"Na, dann nichts wie los", mischte Grimmy sich ein, "auf geht 's nach Hause!"

"Alles klar, ich flieg jetzt ganz langsam los und leite euch bis zum Dachsbau." Dann schlug er kräftig mit den Flügeln und erhob sich.

Auf ihrem Weg kamen sie an dem Teich vorbei und verabschiedeten sich von Bonjour und Biber Biber. Wenig später fanden sie auch die Vorratstasche, die erfreulicherweise unbeschädigt war.

Grimmy umrundete sie und nahm schließlich die Grashalmschlaufe in den Mund und zog die Tasche mit sich. Leider musste er dabei rückwärts gehen und das war nicht gerade seine Stärke. Eine Weile beobachtete der Uhu diesen eigenartigen Transport, bis er schließlich hinabflog, die Tasche mit seinen Krallen packte und den beiden lachend zurief: "Ich denke, wenn ich sie trage, sind wir schneller am Ziel."

1. November 2012