Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

KALENDERGESCHICHTEN/033: 09-2013   Ruperts großes Missverständnis (SB)

Buntstiftzeichnung: © 2013 by Schattenblick

Jonathan, Rupert und Käpt'n Carlo

Ruperts großes Missverständnis

Während Jonathan und Majon dem Besen gefolgt und in den Baum geklettert waren, die Höhle entdeckten und Bekanntschaft mit dem Buntspecht schlossen, hatte sich zu Hause bei Rupert und Käpt'n Carlo folgendes zugetragen:

Nachdem die beiden Mäuse sich - von den Menschen ungesehen - aus dem Staub gemacht hatten, verabschiedete sich Herr Becker von Frau Sörensen und ging mit Hund Rupert und Papagei Carlo nach Hause. Dort angekommen, setzte er den Papagei auf seine Stange und gab ihm ein großes Stück Banane und frisches Wasser. Rupert bekam eine ganze Handvoll leckerer Hundekekse.

Es war fast dunkel, als Herr Becker rief: "Rupert, komm, wollen wir noch mal ausgehen? Na, los, komm schon!" Rupert stand auf, schüttelte sich und ging artig auf den Flur, warf einen Blick auf Käpt'n Carlo, der oben auf seiner Stange saß und schlief. Herr Becker schloss die Tür hinter ihnen ab, und so begaben sie sich auf ihren abendlichen Rundgang durch das Dorf.

Rupert trottete neben Herrn Becker her. Plötzlich! Ein lautes Fauchen und Miauen schreckte ihn auf. Mit einem Satz zur Seite wäre er doch beinahe in den Graben gerutscht. "Diese blöden Katzen, was bilden die sich ein", ärgerte er sich. Doch es war nicht irgendeine Katze, die lärmend fauchte und miaute, nein, Rupert erkannte ganz deutlich Kater Peterle und schimpfte nun fürchterlich und laut: "Sag mal, geht 's noch, spinnst du, bist du bescheuert, was soll das?"

Der Kater hockte auf dem Gartenzaun, machte in aller Ruhe einen eindrucksvollen Katzenbuckel und fauchte abermals: "Na, kleiner Angsthase, das war die Rache dafür, dass du und dieser irre Papagei mich aus dem Haus gejagt habt."

"Ja, das war eine tolle List, nicht wahr? Sie hat funktioniert, du bist davon gerast, nur weil du Angst vor Wasser hattest!"

Der Kater drehte sich weg, sprang vom Zaun hinunter und stolzierte ohne ein weiteres Wort durch den Garten zum Haus.

Rupert musste an Jonathan denken, denn schließlich hatten er und Käpt'n Carlo den Kater damals aus dem Haus vertrieben, weil sie den Mäuserich beschützen wollten. Nachdem Herr Becker und er noch eine Weile weiter gegangen waren, kehrten sie nach Hause zurück.

Am späten Abend klingelte das Handy. Herr Becker hörte es deutlich, doch konnte er es nicht sofort finden. Er horchte und folgte dem Klingeln, doch Rupert war schneller. Er stürzte sich auf das Sofa, steckte seine Schnauze unter das Sofakissen und ...

"Halt, Rupert, nein, lass das Handy in Ruhe, nicht ins Maul nehmen, nein ...", rief Herr Becker lauthals. Rupert sprang unverrichteter Dinge vom Sofa. Sein Herrchen schnappte sich das Telefon und meldete sich.

Rupert lauschte. "Ja, oh, das ist aber schlimm, wirklich ... Nein, ja, doch, das verstehe ich ... Oh, nun, das ist erst einmal kein Problem, ... der Vogel ... ja, ja, ... der Papagei, ... das wird gehen, ja. Bis dann. Tschüß."

Nachdenklich setzte Herr Becker sich auf das Sofa und nahm das Kissen auf seinen Schoß, lehnte sich zurück und dachte nach. Rupert legte seine Schnauze auf Herrn Beckers Knie und sah ihn an. "Tja, Rupert, so wie es aussieht, wird Käpt'n Carlo wohl erst einmal bei uns bleiben, jedenfalls solange, bis Herr Svenson sich entschieden hat, ob er ihn mitnehmen will oder ihn ins Tierheim gibt."

Rupert verstand überhaupt nichts, nur soviel, dass es irgendetwas mit Käpt'n Carlo zu tun hatte. Er ließ sich auf seine Pfoten fallen, wuffte leise und trabte hinüber in die Stube, legte sich auf seine Decke und döste. Er versuchte aus dem, was er da eben mit angehört hatte, schlau zu werden. Dann beschloss er, später zum Käpt'n zu gehen und ihm alles zu erzählen. Irgendwie klangen die Worte bedrohlich, fand er.

Hin und wieder blinzelte er. Dabei fiel sein Blick auf die beiden kleinen Bretter, die nun den Eingang zu Jonathans Mauseloch verschlossen. "Oh, hoffentlich geht es dir gut, dir und Majon", dachte er betrübt, denn er vermisste die Maus.

Als Rupert hörte, wie sein Herrchen ins Bad ging, um sich die Zähne zu putzen und dann ins Bett zu steigen, erhob er sich und taperte ins Schlafzimmer. Wie gewohnt legte er sich vor das Bett und tat so, als ob er schlief.

Das laute Schnarchen seines Herrchens war das Signal zum Aufbruch. Flugs schlich Rupert ins Wohnzimmer zu Käpt'n Carlo. "Hallo, Käpt'n, aufwachen!"

"Ich schlafe gar nicht, viel mehr wache ich über das nächtliche Treiben in diesem Haus. Hörst du? Überall knistert, krabbelt, zischt, weht, summt und säuselt es."

Rupert spitzte die Ohren. "Ja, du hast recht. Aber das ist doch nichts Besonderes."

"Nein, sicherlich nicht. Aber damals, als ich noch in der Käpitänskajüte wohnte und über das offene Meer segelte, zu der Zeit war es von enormer Wichtigkeit stets höchst aufmerksam zu sein. Dort konnte ein ungewohnter Laut der Hinweis auf Piraten sein, die unser Schiff entern und kapern wollten. Seit dieser Zeit habe ich es mir nicht mehr richtig abgewöhnt, so wachsam zu sein."

"Ha, dann bist du ein besserer Wachhund als ich, muss ich zugeben", räumte Rupert kleinlaut ein.

"Aber sag, Rupert, warum besuchst du mich mitten in der Nacht. Kannst du nicht schlafen?"

"Doch, doch, daran liegt es nicht, ich muss dir aber unbedingt was erzählen. Ich habe vorhin einem Telefongespräch gelauscht. Herr Becker sprach mit jemandem, den ich natürlich nicht hören konnte. Leider wurde ich aus den paar Worten, die ich mithören konnte, nicht schlau. Aber eines weiß ich sicher. Es ging dabei um dich. Warte mal, das ging ungefähr so: 'Das ist schlimm, der Vogel, der Papagei, das ist ein Problem, der wird gehen ...'", versuchte Rupert sich zu erinnern. "Ich glaube du bist in Gefahr!"

Der Papagei erschrak. Darauf war er nicht gefasst. Er sollte ein Problem sein? "Nein! Wie furchtbar. Wo soll ich hin? Ich muss diesen Ort sofort verlassen. Ich will sofort zurück in mein Haus, zu dem alten Mann, zu Kapitän Svenson! Da auf dem großen Steuerrad ist mein Platz. Da fühle ich mich sicher."

"Warte, warte, da ist noch etwas. Du sollst erst mal hier bei uns bleiben, bis irgendetwas entschieden wird. Allerdings hab ich nicht verstanden, was da entschieden werden soll - nur soviel, dass du erst einmal hier bleibst", ergänzte Rupert seinen Bericht.

"Ganz ruhig. Ich sollte jetzt ganz ruhig bleiben", schnaufte der Käpt'n. "Nur ganz nüchterne und sachliche Überlegung kann uns weiterhelfen. Also, wie ist unsere Situation?" Der Papagei flog von der oberen Stange hinunter auf die Armlehne des Sessels, streckte seine Flügel in voller Breite aus, schüttelte sie ein wenig und legte sie vorsichtig wieder an den Körper. "Wie es aussieht, ist es eine Frage der Zeit, wann etwas Schreckliches mit mir geschehen wird. Leider wissen wir nicht wie schrecklich das Schreckliche ist. Also, wenn wir vom Schlimmsten ausgehen, so muss ich befürchten, dass es am Ende gar meinen Tod bedeutet?"

"Nein!", schrie Rupert auf, so laut, dass er schon fürchtete, sein Herrchen könnte davon wach geworden sein und gleich ins Wohnzimmer stürmen. "Nein!", entfuhr es ihm diesmal etwas leiser, "nein, Käpt'n Carlo, das darf nicht sein. Das ist ja entsetzlich!"

"Nun, auf hoher See ist man ständig in großer Gefahr. Es ist ratsam, immer mit dem Schlimmsten zu rechnen. Dann ist man stets gut vorbereitet", belehrte der Papagei den verstörten Rupert und setzte seine Rede fort: "Also, wie gesagt, wenn ich mich wirklich in Lebensgefahr befinde, wäre es klug, einen Plan zu entwerfen, der es mir möglich macht, rechtzeitig zu entkommen."

Rupert setzte sich und ließ dann seine Vorderpfoten nach vorn rutschen bis er platt auf dem Bauch lag, hob den Kopf in Richtung Papagei und sah ziemlich nachdenklich aus. Aber ihm wollte nicht so recht etwas einfallen und so blieb er stumm.



Ein fast perfekter Fluchtplan

Zum Glück übernahm wieder einmal Käpt'n Carlo das Reden und Pläneschmieden. "Rupert, der beste Weg aus dem Haus zu gelangen, scheint mir die Haustür zu sein. Es ist uns schon einmal gelungen, durch die offen stehende Tür zu entkommen - du erinnerst dich?"

"Ja, aber natürlich, als wir Jonathan gerettet haben ?"

"Gut, gut. Ich denke, da sich dieser Fluchtweg schon bewährt hat, sollten wir ihn wieder verwenden. Das Problem, das sich uns stellt, ist, wie öffnen wir die Tür?"

"Das kannst du vergessen! Sie ist immer abgeschlossen und wenn nicht, hilft uns das auch nicht weiter, weil die Klinke hakt und sich selbst von meinem Herrchen nur schwer benutzen lässt. Jedenfalls flucht er oft genug darüber."

"Das ist sehr bedauerlich. Also, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als uns auf die Lauer zu legen und im richtigen Moment - das ist jener, in dem Herr Becker die Tür öffnet, um das Haus zu verlassen - hinaus zu springen und davon zu fliegen", entwickelte Käpt'n Carlo gleich einen neuen Plan.

Rupert ließ sich das Gesagte durch den Kopf gehen. Nach einer Weile brachte er seine Bedenken vor: "Aber, Käpt'n, mein Herrchen wird uns doch im Flur sehen, wenn wir dort herumliegen, also auf der Lauer liegen. Dann fragt er uns bestimmt, was wir dort machen. Und was sagen wir dann?"

"Guter Einwand!", bestätigte der Papagei. "Da gibt es nur eines. Wir müssen uns tarnen ..."

"Uns tarnen?", unterbrach Rupert ihn, "was meinst du damit, was bedeutet das?"

"Also, in gewisser Weise bedeutet es, dass wir uns unsichtbar machen ..."

Rupert schwindelte es im Kopf. Unsichtbar. Das Wort erschreckte ihn irgendwie. "Du meinst, niemand kann mich und dich dann sehen - wir uns auch nicht, wie soll das gehen? Können wir auch wieder sichtbar werden, ich finde das, glaube ich, überhaupt keine gute Idee, unsichtbar zu sein", stammelte Rupert.

"Keine Angst, ich hatte eher daran gedacht, dass wir uns unter einer Decke verstecken und uns ganz in der Nähe der Haustür einen Platz suchen. Dann kann uns Herr Becker nicht sehen. Wir sind von außen betrachtet nur ein Haufen Decke. Natürlich dürfen wir uns dann nicht bewegen, müssen ganz still sein, bis der richtige Moment da ist. Dann werfen wir die Decke von uns und rasen durch dir offene Tür hinaus."

Käpt'n Carlo schien mit seinem Plan sehr zufrieden zu sein. Er streckte seine Brust nach vorn und hob den Kopf mit dem großen Schnabel in die Höhe. So gab er ein prächtiges Bild eines stolzen Papageien ab.

"Gut, einverstanden. Ich hole schnell meine Decke aus der Stube. Sie ist bestimmt groß genug für uns beide."

"Warte, jetzt doch noch nicht! Wann geht Herr Becker für gewöhnlich aus dem Haus?", wollte Käpt'n Carlo wissen.

Rupert überlegte: "Morgens, nach dem Frühstück, ja, dann geht er mit mir hinaus. Aber oft schickt er mich auch alleine raus. Dann sagt er immer: 'Heute gehst du mal allein und mach keine Dummheiten und bleib nicht so lange fort.' Aber nach dem Mittagessen gehen wir immer zusammen raus."

"Gut, dann wäre das geklärt. Morgen, wenn Herr Becker aufgegessen hat, gehen wir in den Flur und verstecken uns wie besprochen unter der Decke. Und jetzt sollten wir beide noch etwas schlafen."

Rupert war auch hundemüde und verabschiedete sich vom Papagei mit einem leisen "Gute Nacht", schlich dann wieder vor das Bett seines Herrchens, streckte sich lang aus und schlief bald ein.

Morgens verließ Rupert allein das Haus und kam diesmal viel schneller nach Hause als sonst. "Na, du hast es heute aber eilig", begrüßte Herr Becker seinen Hund an der Haustür. Rupert drängte sich an seinem Herrchen vorbei und begab sich ins Wohnzimmer, wo er sich unter Käpt'n Carlos Sitzstange niederließ.

Der Vormittag schien endlos lange zu dauern. Doch irgendwann begann Herr Becker mit den Vorbereitungen für das Mittagessen. In der Küche klapperte Geschirr, Deckel wurden auf Kochtöpfe gelegt oder abgehoben und mit leichtem Scheppern auf der Arbeitsplatte abgelegt. Noch nie zuvor hatte Rupert so genau die Geräusche in der Küche verfolgt wie heute. Endlich! Endlich saß sein Herrchen am Tisch und aß.

Der Papagei flog hinunter auf die Sessellehne. "Das ist unser Einsatz. Hol jetzt deine Decke aus der Stube, dann postieren wir uns im Flur", gab der Käpt'n das Kommando.

Rupert stratzte los und kam mit der Decke im Maul zurück. Wenig später lagen beide darunter, dicht beieinander und gut versteckt.

Buntstiftzeichnung: © 2013 by Schattenblick

© 2013 by Schattenblick

Na, ja, gut? An einer Stelle war deutlich die Spitze von Ruperts Schwanz zu sehen und an anderer ein paar rote Federn. Reglos und ohne ein weiteres Wort von sich zu geben, kauerten die beiden nun dort und warteten auf Herrn Becker. Der zog sich seine leichte Jacke über und rief währenddessen schon nach seinem Hund: "Rupert, komm, wir wollen ausgehen!" Doch Rupert kam nicht. "Was ist denn heute bloß mit ihm los? Erst kommt er ganz schnell wieder nach Hause und dann kommt er überhaupt nicht, wenn ich ihn rufe? Merkwürdig." Gerade wollte er ein weiteres Mal rufen, als sein Blick auf den Haufen neben der Haustür fiel. "Was ist das denn? Ich habe doch dort gar nichts hingelegt?", wunderte er sich im Stillen. Dann sah er genauer hin und entdeckte die roten Federn und Ruperts Schwanzspitze. Vorsichtig hob er die Decke an und schmunzelte. Dicht aneinander gedrängt sah er auf Hund und Papagei, die ihn verstohlen anschauten.

"Was macht ihr nur für Sachen? Ihr seid wirklich das merkwürdigste Paar, dem ich je begegnet bin. Was wolltet ihr denn unter der Decke? Versteck spielen? Sollte ich euch etwa suchen? Nein, das glaube ich nicht. Was ist bloß mit euch los?"

Er nahm die Decke über den Arm und bat Käpt'n Carlo sich darauf zu setzen, damit er ihn wieder zurück ins Wohnzimmer bringen konnte. "Rupert komm mit!"

Als sie sich im Wohnzimmer versammelt hatten, Herr Becker hatte es sich im Sessel bequem gemacht, begann er an die beiden gewandt zu sprechen: "Ich weiß nicht genau, ob ihr das alles begreift, deshalb will ich es ganz einfach sagen: Käpt'n Carlo bleibt jetzt für immer hier. Ihr beide versteht euch ja prächtig und Herr Svenson ist schon sehr alt. Er zieht zu seiner Tochter und kann dich", dabei blickte er Käpt'n Carlo an, "nicht mitnehmen. Da schlug ich ihm vor, dich hier bei Rupert und mir zu behalten. Dein Steuerrad werden wir nächste Woche hierher holen."

Der Papagei legte den Kopf schief, erst zur einen Seite, dann zur anderen. Rupert gab ein leises Wuff von sich und tapste mit seiner Vorderpfote auf Herrn Beckers Knie. Der nahm Ruperts Kopf in beide Hände, ruffelte ihn sanft und kraulte ihn hinterm Ohr. "Na, ich hoffe, dass ich euer Einverständnis habe, aber das sieht ja ganz so aus, will ich meinen." Dann lachte er und sagte: "Tja, ihr beiden, wollen wir denn jetzt zusammen ausgehen?" Er bot dem Papagei abermals seinen Arm als Landeplatz an. Käpt'n Carlo flog hinüber und suchte Halt auf seiner neuen "Sitzstange". Dann öffnete Herr Becker die Haustür und alle drei verließen das Haus für einen Spaziergang.

Fortsetzung folgt ...

zum 1. September 2013