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KALENDERGESCHICHTEN/038: 02-2014   Der kleine Wolf - Der Schneesturm (SB)



Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Der kleine Wolf

Der Schneesturm

Der Rabe Krawell hatte Rudi geholfen, vor dem lauten Knallen zu fliehen, über einen Graben zu springen und sich mit dem Wasser aus einem Trog zu säubern. Nun hatte er großen Hunger und Krawell forderte den kleinen Wolf auf, ihm zu folgen. In einem Schuppen würde es etwas zu Essen geben.

Rudis Fell war noch nicht ganz trocken. Er eilte dem fliegenden Raben hinterher. Der Schuppen war schon deutlich zu erkennen.

"Beeil dich, Rudi, dort zieht ein heftiger Sturm auf. Der Himmel ist ganz dunkel geworden und der Wind braust auf!", krächzte der Rabe von oben herab. Der kleine Wolf blieb stehen, drehte sich um und sah den finsteren Himmel. Nur ein kleiner Streifen Sonnenlicht war noch zu sehen. Wieder brüllte der Rabe: "Nein, nicht hinsetzen! Laufen!"

Rudi erschrak und er begann zu spurten. Doch der Wind war schneller und stärker. Zum Glück kam er von hinten, so dass er den kleinen Wolf anschob. Die nächste Böe war so heftig, dass sie Rudi vom Boden aufhob, ihn einen Moment in der Luft hielt und wieder fallen ließ. Rudi rappelte sich auf und rannte weiter in Richtung Schuppen. Der Rabe war schon dort, hielt ihm die Tür auf und sperrte sie direkt hinter ihm wieder zu.

"Puh", machte Rudi, "was war das denn?"

"Ein Sturm. Und schneien wird es auch noch, dann haben wir den perfekten Schneesturm!"

"Woher weißt du das?"

"Ich kann den Schnee riechen und außerdem sehe ich es dem Himmel an. Glaub mir, ich täusche mich nie. Es wird bitterkalt und es wird schneien", erklärte Krawell.

"Was ist Schnee?"

"Warte ab, ich zeige ihn dir, später. Am besten wird es sein, wenn wir hier drinnen bleiben. Hier ist es trocken, dort liegt warmes Heu und zu Essen haben wir auch reichlich", schlug der Rabe vor.

"Ja, das ist gut." Rudi schnüffelte den Boden ab und erreichte den kleinen Berg Kartoffeln. Er schnappte sich eine schön große und biss hinein. Die Kartoffel war ziemlich hart und ziemlich kalt. Der kleine Wolf kaute und schluckte. "Hmm, das tut gut." Mit seinen Pfoten wühlte er weiter in dem Haufen, bis eine besonders große Kartoffel hinunter purzelte. Gerade wollte er hinein beißen, als vom oberen Regal herab ein rot-gelber Apfel dicht neben ihn fiel. "Den solltest du mal probieren!", rief Krawell und flatterte zu ihm hinunter auf den Boden.

Misstrauisch betrachtete Rudi den Vogel. "Sieh her, du pickst einfach an einer Stelle ...," ermunterte er ihn und machte es auch gleich vor, "... und von da aus immer weiter."

Der Rabe zeigt Rudi, wie man in einen Apfel pickt - Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Als Krawell gerade seinen Schnabel nach oben reckte, um besser schlucken zu können, rollte der kleine Wolf den Apfel zu sich hin und biss hinein, kaute, schmatze und nahm gleich noch einen Happen. Noch zwei-, dreimal zugebissen und weg war der Apfel. Krawell staunte nicht schlecht. "Scheint dir ja zu schmecken."

"Oh, ja. Kannst du mir noch einen hinunter werfen?"

"Na, da hole ich uns doch lieber gleich zwei, schließlich habe ich auch Hunger!", beschloss er und flog hinauf auf das Regal.

Nachdem beide satt waren, kruschte Rudi sich nach Wolfsart einen Schlafplatz im Heu zurecht. Krawell schnappte sich ein paar Büschel Heu, um sich damit oben auf dem Regal ein einfaches Nest zu bauen. Als es fertig war, schlief er bald ein. Auch Rudi konnte seine Augen nicht mehr lange offen halten.

*

Der Rabe war schon vor Rudi wach und schaute aus dem kleinen Fenster. "Hey, Rudi, aufwachen! Jetzt kannst du Schnee sehen, soviel du willst ..."

Rudi drehte sich, hob den Kopf, gähnte und hörte gerade noch: "... Schnee sehen ..." Er sprang auf, sah den Raben und mit wenigen Hopsern erreichte er das Fenster.

Es schneite. Über Nacht war die Welt des kleinen Wolfs mit einer riesigen, flauschigen, weißen Schneedecke zugedeckt. Bäume und Sträucher trugen weiße Kleider und das welke Gras war verschwunden.

"Was ist passiert? Wo sind wir? Alles sieht ganz anders aus. Was hat der Schnee mit dem Gras gemacht, wo sind die Steine? Die Bäume, was ist mit ihnen? Ich sehe nur Baumkronen mit ganz kurzen Stämmen!"

"Rudi, hab keine Angst. Wir sind immer noch am gleichen Ort, nur hat der Schnee alles zugedeckt. Lass uns hinaus gehen. Dann kannst du ihn fühlen. Schnee ist einfach nur Schnee. Der fällt vom Himmel und wenn ganz viel auf der Erde landet, türmt er sich auf, wird höher und höher und alles darunter verschwindet", versuchte der Rabe zu erklären.

"Alles darunter verschwindet ... die Wölfe auch?" Der kleine Wolf bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Wo waren die anderen Wölfe? Wo war sein Rudel? Er wollte zurück, wieder bei ihnen sein. Wenn der Schnee sie aber alle verschwinden ließ, dann war er jetzt ganz allein - und das war schrecklich. Rudi heulte und konnte gar nicht mehr aufhören.

Der Rabe war ziemlich ratlos. "Hör schon auf zu weinen, Rudi, hör bitte auf. Wir gehen jetzt hinaus und dann kannst du im Schnee buddeln und selber sehen, dass alles darunter noch da ist ...", redete er ihm zu. Doch Rudi hörte ihn nicht.

Nach einer Weile erreichte aber doch etwas seine Ohren: ein Lied, wunderschön krächzend vorgetragen, aber so tröstlich, dass der kleine Wolf lächelte. Der Rabe stand vor ihm und sang:

"Kra, kra, kri kro kraaaa, kri, kraaa
Krzzz, kruzz, kraa, kraaaaaa, kriaaa. Krrra
Kraa, kraa, kraa, kri, kraa, kraa, kraa ..."

Er wiegte sich selbst dabei, hatte die Augen geschlossen, tat einen kleinen Schritt vor und einen zurück, drehte sich einmal im Kreise, ohne seinen Gesang zu unterbrechen. Der kleine Wolf setzte sich auf und sah dem Vogel zu. Er fühlte sich geborgen und sicher und vergaß seine Angst. Ganz leise, ganz zögerlich summte er mit, bis schließlich ein lautes Heulen aus seiner Kehle tönte: "Haauuuul."

Der Rabe öffnete seine Augen, sah zum kleinen Wolf hinüber und so sangen sie noch eine Weile zu zweit.

"Komm, Rudi, jetzt gehen wir nach draußen und sehen nach, ob unter dem Schnee wirklich noch alles am Platze ist, ja?"

Der Rabe stemmte sich gegen die Tür, um sie aufzuschieben, doch sie bewegte sich kein bisschen. "Komm, hilf mir mal! Lehne dich an und drücke so kräftig du kannst ...!"

Rudi sprang hinzu und stellte sich neben den Raben. Dann ließ er sich seitwärts gegen die Schuppentür fallen und stemmte sich mit allen vier Pfoten vom Boden ab. Nichts geschah. Die Tür ließ sich nicht ein kleines bisschen bewegen - blieb einfach geschlossen.

"Oh, ich glaube wir sind hier gefangen", krächzte Krawell. "Du meinst, wir kommen hier nie wieder hinaus?", besorgt sah Rudi zum Raben. "Nein, nein. Wir kommen hier schon wieder raus. Es ist nur die Frage wie und wann."

Rudi ließ den Kopf hängen. Er war einfach noch zu klein, um darüber nachzudenken, wie sie sich befreien konnten.

"Kleiner Wolf, hör mal, wir Raben sind dafür berühmt, sehr, sehr schlau zu sein. Sei also ganz beruhigt. Mir wird schon etwas einfallen."

"Und wie lange dauert das, bis dir etwas einfällt?"

"Oh, das kann laaange dauern ...", antwortete der Rabe mit einem verschmitzten Lächeln.

"Hmmm", brummte Rudi und legte sich hin, den Kopf auf seine Pfoten gebettet.

Fortsetzung folgt

zum 1. Februar 2014