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KALENDERGESCHICHTEN/045: 09-2014   Der kleine Wolf - Die Bärenpfote (SB)


Die vier Gefährten liegen schlafend dicht beieinander - Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Der kleine Wolf

Die Bärenpfote

Nachdem alle wussten, dass der Bär eine Bärin mit Namen Kalinka war, die ihre Mutter verloren hatte und nun für immer bei Krawell, Rudi und Rufus bleiben wollte, versammelten sie sich am Bach und überlegten, wo sie fortan zusammen wohnen wollten. Irgendwann wurden sie müde und fielen in einen tiefen Schlummer.

Während die vier Gefährten fest schliefen, näherten sich zwei Gestalten, im Dämmerlicht nur als Schemen zu erkennen, dem Schlafplatz. Sie stapften leise am Rand des Baches entlang. Ab und zu platschte das nasse Ufergras oder gluckste das Wasser.

"Sieh da, Meister, da vorn, ist das nicht der kleine Bär, den wir so lange gesucht haben?"

Der alte Mann blieb stehen und folgte dem Fingerzeig des Jungen. "Ja, ich denke schon, aber wir sollten es prüfen. Wenn dieser Bär hier eine verletzte Pfote hat, dann ist er es gewiss."

Behutsam schlichen die beiden Fremden sich *an(zu) die vier Schlafenden. Der Junge legte sich bäuchlings ins Gras und robbte sich an den Bären heran, so dass er die Pfote gut in Augenschein nehmen konnte. "Oh, sie ist dicker als die anderen und sieht nicht besonders gesund aus", flüsterte er zum Alten hinüber, der dicht hinter seinen Füßen stand.

"Du kannst ruhig lauter sprechen, ich habe einen kleinen Zauber gesprochen, sie können uns nicht hören und nicht sehen." - "Oh, ja?" Verblüfft raffte sich der Junge auf und stellte sich neben seinen Meister: "Und was machen wir jetzt?"

"Nun, es sieht ganz so aus, als ob das Bärenkind hier neue Gefährten gefunden hat. Wir lassen es bei ihnen. Das wird das Beste sein." Der alte Meister bückte sich, hob einen Zweig auf, an dem noch so viele schlappe, grüne Blätter hingen, dass er wie ein Fächer aussah und wedelte damit vor dem Jungen hin und her. Dann forderte er ihn auf, den grünen Fächerzweig zu nehmen. "So, und nun zeig mal, dass du mehr kannst als nur Unfug anstellen!"

Der Junge sah beschämt auf den Boden, denn er erinnerte sich wohl daran, dass er vor einiger Zeit einen kleinen Wolf gezwungen hatte, tiefer und tiefer in den Wald zu gehen, obgleich der Kleine das gar nicht wollte und sich vergeblich wehrte. Damals hatte sein Meister ihn streng ermahnt, so etwas nicht noch einmal zu tun, sondern sich lieber fleißig in der wahren Kunst zu üben.

Also verstand der Junge jetzt sofort, was von ihm erwartet wurde. Er hockte sich hin, den Zweig hielt er in der einen Hand, die andere ließ er dicht über die verletzte Bärentatze kreisen. Dabei murmelte er etwas, erst laut, dann murmelte er leise, um dann aufzuspringen und wild im Kreis zu hüpfen, wobei er den Zweig auf und nieder durch die Luft schlug. Dabei hielt der Junge seinen Blick fest auf den Bären gerichtet und ging rasch ein paar Schritte rückwärts, bis er gegen seinen Meister stieß. Der klopfte ihm auf die Schulter und forderte ihn auf, ihm zu folgen. Wenig später konnte man zwei Gestalten, eine große und eine kleine, in einen dichten Nebel eintauchen und darin verschwinden sehen. Von dieser recht seltsamen Begebenheit hatten die vier schlafenden Gefährten nichts bemerkt.

Am nächsten Morgen gähnte zuerst der kleine Wolf laut und räkelte sich behaglich. Dann grummelte der Fuchs missmutig vor sich hin, drehte sich schließlich auf den Rücken, zappelte mit seinen Beinen, kullerte herum und sprang geschickt auf seine Pfoten. "Hey ho, hey ho! Alle Schlafmützen aufwachen!"

"Wer macht denn hier so einen Lärm?", krächzte der Rabe so laut, dass nun auch Kalinka erschrocken aufsprang. "Sind wir in Gefahr?", wollte sie wissen und lief hastig ein paar Schritte zu Krawell hinüber.

"Nein, nein, sieht nicht so aus." Der Rabe blickte sich sicherheitshalber noch einmal um, konnte aber keine Bedrohung ausmachen.

"Nein, nein, keine Gefahr, nur ein wild gewordener Fuchs, der Wecker spielt, völlig harmlos!" Rufus grinste, taperte zu Rudi, stupste ihm in die Seite und jaulte: "Hunger, ich habe Hunger. Komm, lass uns was zu Essen suchen!" - "Ja, prima, mir knurrt auch der Magen!" Dann rannten die beiden los, tobten über die Wiese und waren bald nicht mehr zu sehen.

"Na, wie steht 's mit dir, Kalinka, hast du auch Appetit auf etwas Leckeres am Morgen?" - "Hmm, ja", kam eine bedrückt klingende Antwort. Der Rabe bemerkte sofort, dass hier etwas nicht stimmte. "Was ist mit dir, geht es dir nicht gut? Hast du keinen Hunger, oder ..."

"Ich hatte einen ganz merkwürdigen Traum, den ich gar nicht verstehe." - "Ah, ja? Erzähl doch, was geschah in diesem Traum?" - "Ich weiß nicht. Da war ein riesiger Baum, der durch die Luft flog, hin und her und auf und nieder, ganz dicht über meinem Kopf. Nur, was soll das bedeuten?"

Bärin Kalinka sieht am Himmel einen fliegenden Baum - Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung: © 2014 by Schattenblick

Der Rabe sah nachdenklich zum Himmel, dann schüttelte er den Kopf und meinte: "Tja, das weiß ich auch nicht, Kalinka. Vielleicht bedeutet es einfach gar nichts. Nun, ich denke, wenn du etwas im Magen und dich gestärkt hast, sieht alles schon ganz anders aus. Also, komm, wir suchen uns Honig und Beeren, mmmh, wie köstlich!" Kalinka lächelte und Krawell erhob sich in die Luft. "Folge mir einfach!" - "Ja, ist gut!", rief die Bärin zu ihm hinauf und rannte los. Schneller und schneller wurde ihr Laufen, bis sie plötzlich stehen blieb. "Meine Pfote tut gar nicht mehr weh! Ich kann sie richtig gut bewegen, sie ist ganz heil!", stellte sie plötzlich verwirrt fest. "Hey, Krawell, Krawell, meine Pfote, meine Pfote ...", brüllte Kalinka zu Krawell hinauf.

"Oh je, oh je, daran habe ich gar nicht gedacht, tut mir Leid, ich lande sofort." Im Sturzflug erreichte Krawell den Boden, stolperte und hüpfte auf Kalinka zu: "Wie konnte ich nur deine schlimme Tatze vergessen?" - "Nein, das macht doch nichts, sie ist wieder ganz heil, sie tut nicht mehr weh, kein bisschen mehr."

Verdutzt setzte sich der Rabe vor sie hin und verschnaufte einen Moment. "Wie kann das sein? - "Weiß nicht, aber sieh her!" Kalinka rannte eine Stück von ihm fort, tollte übermütig im Wiesengras und kehrte zurück. "Toll, was?" Krawell besah sich ihre Pfote und fand, dass sie jetzt ganz so wie die anderen aussah. "Ein Wunder?", überlegte er, "wie auch immer, jedenfalls können wir jetzt frühstücken!"

"Ja", freute sich Kalinka, "jetzt könnte ich total viel Honig und Beeren verdrücken." Sie machten sich geschwind auf die Suche und bald darauf lagen sie vollgefressen im hohen Gras. Kurze Zeit später gesellten sich auch Rudi und Rufus dazu. Alle waren satt und gut gelaunt. Nachdem sie sich eine Weile ausgeruht hatten, beschlossen sie, sich auf den Weg zu den Bergen zu begeben. Bevor die Nacht das Land ins Dunkel hüllte, wollten sie dort oben einen Rastplatz gefunden haben.

Fortsetzung folgt ...

1. September 2014