Schattenblick → INFOPOOL → KINDERBLICK → GESCHICHTEN


KALENDERGESCHICHTEN/063: 03-2016   Zusammenhalt ... (SB)



Buntstiftzeichnung © 2016 by Schattenblick



Keine Angsthasen

Die große Häsin saß in der Abenddämmerung am Feldrand und hielt Ausschau. Sie musste stets auf der Hut sein, denn Hasen haben viele Feinde, die in ihnen nur eine leckere Mahlzeit sahen. Jetzt aber galt es, ganz besonders aufmerksam zu sein, denn es trieb die Hasenmutter zu ihren Kindern, die bestimmt schon auf sie warteten. Um sie nicht in Gefahr zu bringen, war Mutter Häsin überaus vorsichtig. Da sie nichts gehört oder gesehen hatte, spurtete sie los in Richtung der Erdmulde, in der ihre Kleinen sich versteckt hielten. Erst rannte sie in einem kleinen Bogen an ihnen vorbei, drehte um, rannte abermals vorbei, um sich dann schließlich mit flinken Bewegungen zu ihnen zu gesellen. Alle waren sie hungrig und tranken gierig von der köstlichen, kräftigenden Muttermilch. "Boah, ist das lecker!", brummte der eine, "Oh, ja. Prima!" und "Mehr, mehr, hab Hunger!", riefen die anderen.

"Kinder, ich muss mich beeilen, trinkt schneller, sonst wittert mich noch der Fuchs oder der Marder und dann ...", sie sprach nicht weiter. Aber das brauchte sie auch gar nicht, denn eines wussten ihre Jungen schon ziemlich früh: wer ihre Feinde waren, vor denen sie sich hüten mussten. Sollte sich ein Fuchs nähern oder ein großer Vogel sich auf sie stürzen wollen, so war ihr einziger Schutz ihre Fellfarbe, die wie Erde aussah. Wenn sie sich tief in die Sasse, also in ihre Erdmulden, hinein duckten und in Bewegungslosigkeit verharrten, waren sie kaum noch vom Feldboden zu unterscheiden.

Die Hasenkinder waren traurig, dass ihre Mutter immer nur ganz kurz bei ihnen verweilte. Eines Tages beschloss die ganze Kinderschar, vier an der Zahl, ihr heimlich zu folgen. Zu gern wollten sie wissen, wohin sie stets wieder so schnell verschwand - und warum sie das tat. Es war ihnen ja nicht einmal Zeit geblieben, sie danach zu fragen.

Heute war dieser Tag, an dem sie das Rätsel um ihre Mutter lösen wollten. Die Sonne war schon beinahe hinter dem Horizont verschwunden. Alle benahmen sich ganz normal, verabschiedeten sich mit einem kurzen, leisen Gruß von ihrer Mutter und duckten sich wieder tief in die Erdmulde hinein. Einen kleinen Moment warteten sie ab, dann hob der Größte von ihnen seinen Kopf und spinkste über den Muldenrand auf das Feld.

"Kannst du sie noch sehen?" - "Ja, aber sie ist ganz schön schnell, wir müssen uns beeilen!" Hurtig sprangen sie einer nach dem anderen hinaus und rannten so schnell sie konnten dem ältesten und größten Hasenkind hinterher. Sie waren etwas ungelenk, denn so eine weite Strecke über holprigen Boden hatten sie bislang noch nie bewältigt. Aber sie lernten schnell, und auf das Signal des Ältesten hin, stoppten sie ihren Lauf und verhielten sich mucksmäuschenstill. Er drehte sich zu seinen Geschwistern um und wollte gerade alle ermuntern, ihre Mutter zu überraschen, als er noch rechtzeitig die Gefahr erkannte, in der sie sich befand. Über ihr kreiste ein angriffslustiger Habicht. Die Häsin blieb reglos liegen, hatte ihre Ohren angelegt und sah aus wie ein Erdhügel. Die Kinder taten es ihr gleich und es dauerte eine Ewigkeit, bis der große Vogel in einem weitem Bogen eine andere Richtung einschlug und davon flog.

Doch was jetzt geschah, war beinahe schon zu viel für die Hasenkinder. Ihre kleinen Herzen trommelten in wilder Angst gegen ihre Rippen. Der Älteste zwang sie und sich selbst zur Ruhe. Aus seiner Position konnte er seine Mutter sehen, wie sie auf einmal los rannte, ein Fuchs in wilder Jagd hinter ihr her. Sie war schnell und lief in die Richtung, die von der Sasse, in der sie ihre Kinder glaubte, weg führte.

Jetzt war guter Rat teuer. Was sollten sie tun? Ihrer Mutter helfen? Nein, dann würden sie selbst eine leichte Beute für den hungrigen Fuchs. Als der Älteste nur noch die weiße Blume seiner Mutter im Dämmerlicht hell schimmern sah, sprach er zu seinen Geschwistern. "Wir laufen sofort zurück in unsere Erdmulde, und dort warten wir auf Mutters Rückkehr. Wir können ihr nicht helfen."

"Doch!", schrie das Kleinste. Wir müssen sie retten!" - "Und wie willst du das anstellen?", fragte das Zweite. "Wenn wir uns alle zusammen dem Fuchs zeigen, lenken wir ihn doch ab. Mama zu fangen fällt ihm viel zu schwer, also wendet er sich von ihr ab und versucht, uns zu fressen!" - "Ganz genau!", brüllte das dritte Hasenkind, "aber ich will nicht gefressen werden!"

"Halt, halt. Das wird nicht geschehen, wenn wir es schlau anstellen. Also, wenn er uns entdeckt, dann lassen wir ihn auf uns zukommen, nur ein ganz kleines Stückchen, und dann rennt jeder von uns in eine andere Richtung." - "Prima, Kleiner, dann ist er verwirrt und kann sich nicht entscheiden, wen von uns er jagen soll!" - "Ja, ja, genau, das meine ich. Dann steht er ganz tüddelig da und weiß nicht weiter!", japste der Kleinste der Hasenkinderschar aufgeregt.

Unterdessen schlug die Häsin einen Haken nach dem anderen und änderte so oft ihre Richtung, dass der Fuchs schon ziemlich aus der Puste war. Als ihre Kinder die wilde Jagd am Feldrand sahen, sprangen sie hervor und reckten sich in die Höhe, damit der Fuchs sie auch gut sehen konnte. Tatsächlich blieb er stehen und blickte verdaddert drein. Die Hasenmutter erschrak fast zu Tode, als sie ihre Kinder und die große Gefahr, in der sie sich befanden, erkannte.

Der Fuchs gab die Jagd nach der Häsin auf und stapfte ein paar Schritte in Richtung der Jungen, um dann mit einem Spurt eines von den Hasenkindern zu erwischen. Doch plötzlich stoben sie auseinander, jedes woanders hin. Welches Häschen sollte er verfolgen? Er zögerte einen winzigen Moment. Das aber genügte der Hasenmutter, um auf seinen Rücken zu springen und ihm ganz fürchterlich mit ihren scharfen Zähnen ins Ohr zu beißen. Der Fuchs jaulte laut auf. So etwas hatte er noch nie erlebt. Ein Hase auf seinem Rücken, der auch noch beißt. Und wie weh das tat! Er schüttelte sie ab und im gleichen Moment machte die Häsin einen riesigen Satz auf ihre Kinder zu. Dann rannten alle gemeinsam so schnell sie konnten davon. Der Fuchs aber fiepte und stöhnte. Sein Ohr schmerzte ihn sehr und er hatte erst einmal genug vom Hasenjagen. Heute Abend musste er hungrig schlafen gehen und es hat wohl ein paar Tage gedauert, bis sein Ohr wieder geheilt war.

Die kleine Hasenfamilie fand sich, nach einigen kleinen Umwegen, die sie sicherheitshalber eingeschlagen hatten, um ihre Feinde auf falsche Fährten zu setzen, in ihrer Sasse ein. Nach diesem Abenteuer gab es eine Extraportion Milch, aber auch eine Standpauke: "Kinder, nie wieder verlasst ihr unsere Sasse, hört ihr! Hier seid ihr am besten geschützt und wenn ihr stillhaltet und euch nicht bewegt, werden die Feinde euch übersehen. Sie können euch noch nicht riechen, also, bleibt einfach hier, bis ihr groß genug und vor allen Dingen schnell genug seid!"

Die Kinder versprachen es. Der kleinste Hase meldete sich zu Wort: "Mama, so mutig wie du, möchte ich auch mal sein, wenn ich groß bin!" Die Mutter lächelte: "Ach, meine lieben Kinder, ich war doch gar nicht mutig. Ich wollte bloß auf jeden Fall verhindern, dass der Fuchs eines von euch frisst." - "Ja, Mutter", erwiderte nun das älteste Hasenkind, "und wir wollten dich nicht verlieren!" Nun, im Dunkel der Nacht, rückten sie alle dicht zusammen. Die Hasenmutter tat sich noch an einer Wurzel gütlich und knabberte etwas Kohl. Als der Morgen dämmerte und einen sonnigen Tag ahnen ließ, schliefen alle recht bald ein.

zum 1. März 2016


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang