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KALENDERGESCHICHTEN/072: 12-2016   Eine Bescherung ... (SB)



Der Kater sitzt auf dem Fenstersims und schaut sehnsüchtig auf die Schüssel mit Essen auf dem Tisch. Es schneit und unterm Fenster hockt der Rabe - Buntstiftzeichnung © 2016 by Schattenblick

Es war bitterkalt und der Schnee fiel nicht in Flocken nieder, sondern wurde vom eisigen Wind gepeitscht, so dass er wie weiße, spitze Nadeln auf das Fell des Katers und das Gefieder seines Gefährtens, des Rabens, prasselte. Sie kamen sehr langsam vorwärts und setzten sich dem Unwetter nur aus, weil sie auf der Suche nach einem Unterschlupf waren. Die Stadt hatten sie hinter sich gelassen. Dort waren sie durch die Häuserschluchten getigert. Doch alle Eingänge waren verschlossen und aus den Fenstern leuchtete kaltes, bläuliches Licht oder sie waren ganz dunkel. Der Rabe Johann war ziemlich fertig. Er musste auf seinen zwei Vogelfüßen laufen, denn er hatte eine Flügelkrankheit, die nicht verheilen wollte. Der Kater Peter bot ihm immer wieder an, er möge sich doch auf seinen Rücken setzen, doch Rabe Johann befürchtete, dass sein Freund unter seinem Gewicht zusammenbrechen würde. Also stapften sie tapfer weiter, in der Hoffnung auf ein gastliches Haus zu treffen, vielleicht sogar eine Scheune zu finden, mit Heu und Wasser darin - oder sogar etwas Milch -, träumte Peter. So kämpften sie sich weiter und weiter durch Schnee und Sturm. Plötzlich war ihm nun, als träume er immer noch, aber mit offenen Augen. "Sieh mal dort hinten, dieses Haus mit den erleuchteten Fenstern", rief er aus.

Johann hatte nichts gesehen, weil er den ganzen Weg schon mit gesenktem Kopf neben Peter her trottete. Nun blickte er auf und war ganz entzückt von dem warmen, gelben Lichterschein. "Oh, wie schön! Und es sieht aus, als wenn es gar nicht weit entfernt ist."

Mit neuem Mut schritten sie voran. Glücklicherweise hatte sich der Schneesturm beruhigt. Am Haus angelangt, sprang Peter auf einen Fenstersims und schaute ins Innere.

"Kannst du erkennen, was dort drinnen vor sich geht?", wollte Johann wissen. Er hockte unter dem Fenster im Schnee.

"Nein, aber es riecht verdammt lecker und mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Mmmmh! O je, habe ich einen Bärenhunger!", stöhnte der Kater. "Ah, da steht eine Schüssel auf dem Tisch, dampfend, da müssen Wurststücke drinnen sein, ich rieche es genau. Oooh, neee!", seufzte Peter und schnupperte was nur nasenmöglich war. "Johann, wir müssen da unbedingt irgendwie reinkommen!" Er sprang hinunter, direkt neben den Raben.

"Hast du einen Plan?"

"Nun, ich werde rund ums Haus laufen und nach einem offenen Fenster, einer angelehnten Tür, einem kaputten Kellerfenster oder vielleicht einer vergessenen Garagentür Ausschau halten. Du kannst hier auf mich warten, aber versprich mir, dass du nicht fortgehst. Ich bin gleich zurück."

Der Rabe Johann versprach es und Peter trabte los. Am hinteren Teil des Hauses war es ziemlich schummerig. Dem Mond fehlte noch ein wenig zu seinem Rund, doch ließ sein Licht das Geäst der Bäume irgendwie unheimlich erscheinen, denn der Schnee darauf leuchtete hell wie Geisterflimmern. Aufmerksam suchte der Kater alles ab, aber nirgends war ein Schlupfloch zu erkennen. Enttäuscht kehrte er zu seinem treuen Gefährten zurück. Doch wo war der? Hatte er nicht versprochen hier auf ihn zu warten?!

Das war zu viel für den armen Peter. Hunger, Durst und Kälte konnte er wohl ertragen, aber seinen Freund verlieren ... "Nein!" schrie er auf, "Johann, wo bist du? Verdammt, zeig dich, sag' etwas! Ist dir was passiert? Bitte, Johann, sag' doch was. Wo bist du?"

Peter hatte gar nicht bemerkt, wie laut er gerufen und dass sein Rufen sich in ein erbärmliches Klagen verwandelt hatte. Jedenfalls erschrak er ganz fürchterlich, als plötzlich die Haustür nahe dem Fenster geöffnet wurde. Er blieb stocksteif sitzen. Wegrennen wollte er nicht, nicht bevor er Johann gefunden hatte. Eine kleine, rundliche Frau lugte in seine Richtung und sprach ganz sanft zu ihm: "Na, so etwas! Was ist heut' bloß los?" Erst der eine unglückliche Sänger, dann gleich noch einer." Dabei schüttelte sie ihren Kopf. "Na, komm' schon rein, du armer Kerl, siehst ja gar ganz hungrig aus."

Der Kater zögerte. Er wollte Johann nicht allein hier draußen zurücklassen. Doch der Duft nach Essen aus dem heimeligen Haus war zu verführerisch. Er überlegte hin und her.

"Na, willst' lieber in der Kälte verweilen und hungrig bleiben? Gut, dann schließe ich die Tür." Kaum hatte sie das gesagt, da war Peter auch schon in der Haustür verschwunden. Die Frau lächelte. "Wußt' ich 's doch."

Kater Peter hatte sich vorgenommen, ordentlich zu essen und zu trinken, um dann gestärkt wieder draußen nach Johann zu suchen. Im Haus war es angenehm warm. Auf einem Ofen stand ein Kessel, daneben ein Topf. Es roch sehr lecker. Peter blieb aber erst einmal sitzen, denn er wusste nicht, wie er sich benehmen sollte. Die Frau ging am Ofen vorbei in eine kleine Küche und kam mit einer Schale Milch zurück und stellte sie vor ihn. Sie sah ihm einen Augenblick lang beim Trinken zu, dann trippelte sie wieder in die Küche und kam gleich erneut zurück. Diesmal hielt sie eine Schale mit Essensresten in der Hand. "Ist nicht viel, mein Katerle, aber mir hat 's geschmeckt!"

Peter schnupperte und machte sich gierig über das leckere Essen der guten Frau her. Als er fertig war, ließ er sich von ihr auf den Arm nehmen und das Fell kraulen. Er schnurrte leise vor Wohlbehagen und wurde auf einmal so richtig müde. Er musste auf ihrem Arm eingeschlafen sein, denn als er wieder aufwachte, lag er auf einem weichen Kissen. Rund herum war es dunkel. Da er aber nun wirklich völlig erschöpft war, dachte er sich, es könne nicht schaden, wenn er sich morgen gleich in aller Frühe auf den Weg mache, um Johann zu finden.

Endlich dämmerte der Morgen, erstes Licht erhellte das Zimmer, in dem er geruht hatte. Er sah sich um und fand in einer Zimmerecke ein weiteres Kissen, auf dem ein merkwürdiges Wesen lag. Neugierig schlich Peter näher und erkannte einen weißen Verband, der um dieses schwarze Etwas gewickelt war. Noch ein paar Schritte traute der Kater sich, dann sah er, dass dieses Etwas ein Federkleid trug, ein schwarzes Federkleid!"

"Johann!", jauchzte er, "Johann, sag' dass du es bist! Bitte, sag' dass du Johann bist!"

Müde drehte sich der Vogel um und blickte noch etwas verschlafen in das Gesicht seines Gefährten. "Oh, wer soll ich denn sonst sein?" Dann heulten beide vor lauter Freude auf und quietschen vor Vergnügen. Sie waren toll vor Freude, sich nicht verloren zu haben. Die Frau aber erschrak. Sie eilte aus der Küche ins Zimmer und befürchtete das Schlimmste. Was hatte sie getan. Nie hätte sie einen Vogel und eine Katze zusammen in ein Zimmer stecken dürfen! Und dazu noch einen verletztes Federtier. Sie machte sich große Vorwürfe, als sie die beiden aber erblickte, beruhigte sie sich. Denn dass Vogel und Kater überglücklich waren, konnte sie schnell erkennen. Vorsichtig ging sie auf die beiden zu. "Na, ihr beiden, ihr kennt euch wohl schon länger, was?" Artig nickten sie der Frau zu. "Mein Katerle, der Rabe hier, muss noch etwas bei mir bleiben, bis sein Flügel wieder heil ist. Wenn du 's magst, kannst' auch bleiben." Und ob er das wollte. Und so blieben sie eine ganze Weile.

Nun war es Weihnachten geworden. Die Frau schmückte am Heiligabend den Weihnachtsbaum. Lange vorher hatte sie schon Plätzchen gebacken und ihr Haus von oben bis unten geputzt. Am Nachmittag kochte sie ihr Lieblingsgericht, Würstchen und Kartoffelsalat, und für ihre beiden Gäste hatte sie Leckerbissen bereitgestellt. Als der Kater, der Rabe und die gute Frau vor dem bunt geschmückten, mit Kerzenlicht erhellten Tannenbaum standen, rannen der Frau ein paar Tränen über ihre Wange. Sie setzte sich in einen großen Sessel und schien ganz in Gedanken zu sein. Kater Peter und Rabe Johann bemerkten ihre Traurigkeit und der Kater sprang auf ihren Schoß, wo er sogleich kräftig zu schnurren anfing, Johann hockte sich auf die Sessellehne und zupfte sanft an ihrem Ärmel. Die gute Frau sah auf und lächelte: "Schön wär 's schon, wenn ihr ...", sie sprach nicht weiter. Dann überlegte sie einen Augenblick: "Sagt, mal, ging das vielleicht? Ich mein', wollt ihr hier bei mir bleiben?"

Die beiden nickten kräftig. Das wollten sie ganz bestimmt. Der Rabe war ohnehin schon unglaublich froh über seinen heilen Flügel, mit dem er wieder wunderbar fliegen konnte und die Aussicht, gemeinsam mit Peter ein neues Heim gefunden zu haben, war einfach zu toll. So erlebten der Kater, der Rabe und die gute Frau ein wirklich fröhliches und glückliches Weihnachtsfest.

Ende


zum 1. Dezember 2016


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