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KALENDERGESCHICHTEN/076: 04-2017 - Der kleine Dschinn - ein unerwarteter Freund ... (SB)


Der Uhu sitzt auf einem Ast und schaut sich erschrocken um - Buntstiftzeichnung © 2017 by Schattenblick

Der kleine Dschinn in Gefahr

Als Wolfsmutter hatte der kleine Dschinn die Erfahrung gemacht, dass das Wolfsbaby ihn für seine richtige Mutter hielt und ihn sehr lieb hatte. Als aber die wirkliche Wolfsmutter auftauchte, verwandelte der kleine Dschinn sich rasch in einen Baum, denn er wollte das Kleine nicht verwirren. Nun stand er da am Waldrand, ein Baum unter Bäumen, und wollte sich zunächst etwas ausruhen. Außerdem hatte er sich fest vorgenommen, die nächste Verwandlung vorher besser zu planen.

Er genoss es, seine Blätterkrone vom Wind hin und her wiegen zu lassen. So als stattlicher Baum hatte er einen guten Überblick. Unter ihm huschten zwei Hasen vorbei, etwas entfernt erblickte er eine Gruppe von Rehen, zu der auch zwei Rehkitze zählten. Eine Wildschweinfamilie suhlte sich im feuchten Boden nahe dem See. Dort entdeckte er Reiher, Bleßhühner, Fasane und Enten, die schnatternd auf dem Wasser schwammen. Ach, es gab so viel Neues, dass der kleine Dschinn sich gar nicht satt sehen konnte. Langsam dämmerte es, die Sonne sank hinter den Horizont und gerade hatte er beschlossen, die Nacht hier im Wald zu verbringen, da kitzelte es ganz heftig in seinem Inneren. Am liebsten hätte er sich gekratzt, aber das ging nicht - er war ja ein Baum. Glücklicherweise hörte dieses unangenehme Gefühl wieder auf. Der kleine Dschinn beruhigte sich und begann mit dem Pläne schmieden. "Das nächste Mal werde ich mich wohl am besten in ein Tierbaby verwandeln, dann hat mich die Mutter lieb und vielleicht sogar so sehr, dass ich ihr mein Geheimnis verraten kann ohne, dass sie sich vor mir erschrickt." Er dachte an all die vielen Tiere, die er tagsüber beobachtet hatte und entschied nach reiflichem Überlegen, sich in ein Fuchsbaby zu verwandeln. Füchse, das hatte er gesehen, wohnten in Erdhöhlen. Das gefiel ihm. Gleich am nächsten Morgen wollte er sich ans Werk machen und ein niedliches Fuchsbaby werden. Doch wieder einmal kam es anders als der kleine Dschinn es sich vorgestellt hatte.

Es war bereits richtig dunkel, nur die Sterne und die schmale Mondsichel am Himmel spendeten ein wenig Licht, da spürte er wieder dieses merkwürdige Kratzen in seinem Inneren. Immer heftiger schlug etwas gegen seine Rinde und plötzlich flog ein riesiger Uhu aus der Mitte seines Stammes hinaus und ließ sich auf einen seiner Äste nieder. Der kleine Dschinn war total erschrocken. "Was man sich als Baum so alles gefallen lassen muss!", dachte er und war ein wenig verärgert. Der Uhu schien das alles in Ordnung zu finden. In aller Ruhe putzte er sein Gefieder, streckte mal das eine Bein, dann das andere aus und räkelte sich genüsslich. Eine Weile sah er dem Uhu zu, dann fasste er sich ein Herz und sprach ihn an: "Sag' mal, wer bist du, dass du dir erlaubst, so auf und in mir herumzutollen?"

Der Uhu war ganz verdutzt. Wo kam denn diese Stimme her? Er schaute sich in alle Richtungen um, konnte aber niemanden entdecken. "Merkwürdig, ich hab 's genau gehört, jemand hat zu mir gesprochen! Was geht hier vor?" - "Hallo, ich bin 's, du hockst auf meinem Ast!" Der Uhu starrte auf seine Füße mit denen er den kräftigen Zweig umklammerte, hob einen Fuß an, wartete und setzte ihn ganz vorsichtig wieder ab. Nichts passierte.

"Na, ich, bin es, der Baum. Du kannst mich hören, weil ich, na, eben weil", der kleine Dschinn sprach nicht weiter und überlegte kurz, "ich kann ihm ja nicht sagen, wer ich bin - noch nicht jedenfalls und vielleicht überhaupt nie."

"Oh, ja natürlich, der Baum. Tse, tse, tse, der Baum spricht mit mir, klar! Ich glaube, ich werde alt und tüddelig", sprach der Uhu laut zu sich und wollte gerade davon fliegen. "Nein, nein, so warte doch einen Augenblick!", brüllte der kleine Dschinn, dass seine Blätter kräftig raschelten. "Wer bist du?", fragte er den Uhu abermals.

Jetzt beruhigte sich der große Vogel, denn er war sicher, dass dieser merkwürdige Baum tatsächlich zu ihm sprach. "Ich heiße Uhu Uhu-Uhu. Und ich wohne in deinem Stamm schon seit vielen Jahren! Warum stört dich das auf einmal?" - "Na ja, ich bin es nicht gewohnt, ehrlich gesagt, kenne ich mich mit den Baum-Uhu-Gepflogenheiten nicht so genau aus!" - "Willst du mich auf den Arm nehmen?", empörte sich das alte Federtier. "Seit Ewigkeiten fliege ich hier ein und aus und nun tust du so, als würdest du das nicht wissen?" - "Rege dich bitte nicht auf. Ich glaube, du hast dich verflogen, sieh mal, neben mir steht ein Baum, der schaut genau aus wie ich und darin ist deine Höhle - nicht hier in mir!"

Der Uhu blickte hinüber zu dem anderen Baum und musste feststellen, das der tatsächlich genauso aussah. Er konnte überhaupt keinen Unterschied feststellen. Neugierig erforschte er den Stamm des Nachbarbaums und entdeckte den Eingang zur Baumhöhle. Kurz entschlossen flog er hinüber und begutachtete sie. Er flog zurück und meinte: "Tja, du hast recht, das ist meine Höhle, da bin ich ganz sicher, denn ich habe dem Baum einen Guten Tag gewünscht und er hat nicht geantwortet. Das ist mein Baum!", freute sich der Uhu. "Also, dann hätten wir das geklärt. Nun werde ich mich aufmachen und mein Nachtmahl fangen." Er breitete seine Schwingen aus und schien gen Nachthimmel zu schweben.

Der kleine Dschinn beschloss, sich zur Nachtruhe zu begeben und schlief auch alsbald ein. Als der Morgen dämmerte, wurde er von den lauten Schreien des Uhus geweckt. "Die Waldarbeiter kommen! Gefahr! Gefahr! Die Waldarbeiter kommen mit Äxten und Sägen!" Die Rehe, Wildschweine, Hasen, Dachse, Füchse und die vielen anderen Tiere suchten das Weite, flohen tiefer in den Wald hinein. Die Vögel bangten um ihre Nester und auch der alte Uhu kreiste aufgeregt um seinen Baum.

Mit viel Getöse näherten sich die Waldarbeiter den beiden großen, total gleich aussehenden Bäumen und einer der Männer deutete auf den kleinen Dschinn. "Fritze, den da, der ist fällig, den schlagen wir ab!" "Okay, Meister, geht klar!", grölte der andere und hob seine Axt zum Hieb an. Der kleine Dschinn erschrak so sehr, dass er wie gelähmt war. Der Uhu versuchte durch aufgeregtes Geflatter die Männer zu vertreiben, um den sprechenden Baum zu beschützen. Doch die ärgerten sich zwar über den blöden Vogel, ließen sich aber nicht aufhalten. Endlich löste sich der kleine Dschinn aus seiner Erstarrung und verwandelte sich blitzgeschwind in einen Uhu, da ihm so schnell nichts anderes einfiel. Er gesellte sich zum alten Uhu und flog mit ihm immer wieder auf die Arbeiter zu. Die aber standen stocksteif da und hielten Maulaffen feil. Ungläubig gafften sie auf die Stelle, wo eben noch der große Baum gestanden hatte. "Der hat, der, der hat ?..", stotterte der eine. "Nee, nee, das gibt 's doch nicht, der Baum ist verschwunden, wo ist er hin? Der hat sich in Luft aufgelöst! Wir haben es beide gesehen, er hat sich in Luft aufgelöst!" Die beiden Männer sahen sich an, nickten sich zu, ergriffen ihre Werkzeuge und rannten, als sei der Teufel hinter ihnen her.

Der alte Uhu prustete und hustete, so sehr hatte ihn das Geflatter angestrengt und ließ sich erschöpft auf einen Ast nieder. Der kleine Dschinn hockte sich neben ihn. "Vielen Dank, du hast mich gerettet!", bedankte er sich bei dem alten Vogel. "Häh, die Stimme kenne ich doch. Der Baum ..., der Baum hat ganz genauso gesprochen", verblüfft starrte er seinen wundersamen Artgenossen an.

Die beiden Uhus sitzen auf dem Ast, der alte Uhu aber ist arg verstört und will nur noch fort - Buntstiftzeichnung © 2017 by Schattenblick

Buntstiftzeichnung © 2017 by Schattenblick

"Das stimmt. Bis eben war ich auch noch der Baum, aber jetzt bin ich ein Uhu, genau wie du", erklärte der kleine Dschinn. "O je, o je, das ist mir alles zu viel. Ich begreife gar nichts mehr. Erst ist mein Baum gar nicht mein Baum, obwohl er genauso aussieht, dann spricht er auch noch und dann verschwindet er wieder so schnell als hätte es ihn nie gegeben. Doch damit nicht genug, setzt sich auch noch ein Uhu neben mich und behauptet, er sei gerade noch der Baum gewesen, der jetzt nicht mehr da ist. Nein, nein, das ist zu viel. Verzeih, aber ich suche mir ein neues Zuhause. Viel Glück, du wunderliches Geschöpf." Noch während er die letzten Worte ausrief, flog er auch schon davon. Der kleine Dschinn blieb allein zurück und seufzte: "Und nun, was mache ich jetzt?"

Er blickte um sich und war erstaunt, wie gut er sehen konnte und als er sich so darüber freute, entdeckte er einen Waschbären, der auf einer Lichtung stehen blieb und witterte, ein paar Schritte nach vorn ging und abermals seine Nase in den Wind hielt. Dann drehte er sich um und drei winzig kleine Waschbärkinder trippelten geschwind auf ihn zu. "Der Waschbär ist wohl eher eine Waschbärin", überlegte der kleine Dschinn und sah der kleinen Familie noch eine ganze Weile zu. Plötzlich tauchte in einiger Entfernung ein prächtiger Fuchs auf ...

Weitere Abenteuer des kleinen Dschinn folgen ...


zum 1. April 2017


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