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KALENDERGESCHICHTEN/105: 09-2019   Der kleine Elefant - und die grüne List ... (SB)


Die beiden kleinen Elefanten rennen an dem erstaunten Tiger vorbei - Buntstiftzeichnung: © 2019 by Schattenblick

Die Harpyie hatte die kleinen Tiere jeweils zu ihren großen Artgenossen gebracht, von denen sie anfangs mit Erstaunen, dann aber freundlich aufgenommen wurden. In der Zwischenzeit erreichten Nico, der Baby-Elefant und Roland, der kleine Elefant, das Revier des alten und hungrigen Tigers.

Der Tiger lauschte eine Weile, ob die beiden kleinen Elefanten nicht doch noch von der Mutter oder einer ganzen Elefantenherde begleitet wurden. Als er sicher war, dass die beiden tatsächlich ganz allein unterwegs waren, stellte er sich ihnen in den Weg und wollte gerade böse und laut losbrüllen, als Roland begeistert ausrief: "Nico, schau mal, da hinter dieser großen gestreiften Katze, da siehst du, das riesige Gras? Ist das etwa die Wunderpflanze?"

Nico blickte an dem Tiger vorbei, war sich aber nicht ganz sicher, ob es sich wirklich um die gesuchte Pflanze handelte. "Das müssen wir uns aus der Nähe ansehen, also los komm mit!", sprach 's aus und rannte auch schon los, Roland hinterher. Sie stürmten an dem völlig verdaddert dreinschauenden Tiger vorbei, der sich vor lauter Verwunderung nicht bewegt und schon gar nicht gebrüllt hatte.

Die beiden kleine Elefanten beachteten ihn überhaupt nicht und widmeten sich eingehend der leuchtend grünen Pflanze. Da Nico sie aber nur von Beschreibungen her kannte, jedoch nie zuvor selbst gesehen hatte, konnte er eigentlich nicht sicher sagen, ob sie das Wundergras tatsächlich gefunden hatten. Kühn und sich selbst überzeugend behauptete er, dass dies das gesuchte Gras sei. Roland freute sich riesig. Doch was sollten sie nun damit anfangen. Keiner wusste, wie der Saft aus der Pflanze gewonnen wurde. Dazu brauchten sie unbedingt den Rat von Mama Maja. Aber sie würde sicherlich sehr böse sein, wenn sie mit der heiligen Wunderpflanze ankämen und sie dann auch noch um Hilfe bei der Zubereitung bitten würden. Die beiden kleinen Elefanten wussten ja nicht einmal, ob sie die Pflanze einfach so mitnehmen durften, oder ob sie Schaden nehmen würde, wenn sie das Gras herausrissen. Ratlos betrachteten sie stumm das grüne Wunder.

Der Tiger hatte sich inzwischen zu den beiden Kleinen umgedreht. Ihr seltsames Verhalten hatte ihn neugierig gemacht. Er stellte sich dicht hinter sie, um zu lauschen, was die beiden sich erzählten. Aber er erfuhr lediglich, dass sie ein Wundergras gefunden hatten, ansonsten aber blieben sie stumm und starrten wie gebannt auf das Gras. Der Tiger vergaß seinen Hunger und flüsterte: "Auf welches Wunder wartet ihr denn da? Was vermag dieses schöne, grüne Gras zu bewirken?"

Erst jetzt bemerkten Roland und Nico den Tiger hinter sich, drehten sich um und blickten direkt in seine grünen Augen. "Oh, die gestreifte Katze ist ja immer noch da", wunderte sich Roland, aber Nico klärte ihn leise auf: "Das ist keine Katze, das ist ein Tiger und wir sollten besser Angst vor ihm haben, denn er sieht hungrig aus und sicherlich wird er uns fressen wollen." Nico bemühte sich ganz ruhig zu sprechen und keine Furcht zu zeigen. Roland stellte seine Ohren auf und rannte los. Nico zögerte und das wurde ihm zum Verhängnis, denn der Tiger schnitt ihm den Fluchtweg ab, stellte sich direkt vor ihn und brüllte: "Hiergeblieben, kleiner Elefant. Du glaubst doch nicht, dass ich mir so einen Leckerbissen entgehen lasse?"

Nico zitterte am ganzen Leib. All seine Mühe, keine Angst zu haben, war dahin. Er schlotterte geradezu und die Elefantenbeinchen wurden weich wie Pudding und sein Jammern klang ganz erbärmlich: "Mama, Mama, hilf mir. Mamaaaa!"

"Mach nicht so einen Lärm und sei endlich still!", befahl der Tiger, "bevor ich dich fresse, verrätst du mir noch das Geheimnis dieser Pflanze. Das muss wohl ein ganz besonderes Ding sein. Es war euch so wichtig, dass ihr mich gar nicht richtig gesehen habt. Dabei bin ich doch ein mächtiges Kerlchen, groß, stark und wunderschön angsteinflößend. Aber das hat euch nicht gestört, ihr hattet nur Augen für diese Pflanze. Also, los, raus mit der Sprache, was hat es damit auf sich? Welches Wunder kann sie vollbringen?"

Nico schwieg. Er wusste nicht ein noch aus und so stand er nur da, zitterte und weinte schließlich ganz bitterlich. Natürlich hatte Roland das laute Rufen von Nico gehört, war auch sofort stehen geblieben, beobachtete den Tiger und Nico und versuchte zu hören, was gesprochen wurde. "Wie kann ich ihn retten? Mir muss sofort etwas einfallen. Der blöde Tiger darf ihn nicht fressen!", dachte Roland. "Ich brauche eine List, ja, eine geniale List, denn im Kampf besiegen kann ich die riesige Katze nicht, das ist schon mal sicher! Aber was kann ich tun?" Da, ein Gedankenblitz lenkte seine Überlegungen in die richtigen Bahnen. Mit der rettenden Idee im Kopf machte Roland kehrt und stratzte mutig auf den Tiger zu. Der drehte sich zu ihm um und fauchte: "Verschwinde und verdirb mir nicht meine Mahlzeit!" Roland fasste sich ein Herz und mit fester Stimme antwortete er: "Langsam, langsam. Ich dachte du wolltest wissen, was es mit der Pflanze auf sich hat?" - "Ja, natürlich will ich das wissen, du Schlaumeier! Kannst du mir das etwa verraten?"

"Hmm, ich könnte schon und ich bin sicher, dass du ihre wundersamen Fähigkeiten wirklich gut gebrauchen könntest, ja, ich bin sogar sicher, dass sie viele deiner Probleme lösen kann und du immer satt und glücklich wirst, wenn du verstehst, sie zu benutzen!"

"Das hört sich verdammt gut an, also los, nun spuck 's schon aus, was kann dieses seltsame Gras?", forderte der Tiger, der nun richtig gierig geworden war.

"Nun, das werde ich dir sicher erklären, aber erst wenn du meinen Freund frei lässt! Erst wenn er hier neben mir steht, verrate ich es dir", gab Roland dem Tiger eindeutig zu verstehen.

Der Tiger überlegte eine Weile, ob er seine sichere Mahlzeit wieder hergeben sollte und ob er dem Elefanten wirklich vertrauen sollte oder doch lieber nicht. Schließlich willigte er ein und ließ Nico frei. Der trabte geschwind zu Roland hinüber, stellte sich dicht neben ihn und flüsterte: "Und nun, was machen wir jetzt? Hast du einen Plan?"

Roland nickte nur und setzte sich in alter Gewohnheit hin. Der Tiger nahm ihm gegenüber Platz und war voller Ungeduld: "Und nun, ich warte. Was kann die Wunderpflanze, was mir hilft und mich satt und glücklich macht?"

"Das ist eigentlich ganz einfach. Also, du siehst, wir beide", dabei zeigte er auf Nico, "sind noch sehr klein. Wir wollten ganz schnell groß und stark werden und aus diesem Grund dieses Gras fressen. Die Pflanze bewirkt nämlich, dass man ganz schnell wächst - allerdings nur wenn man noch klein ist. Du aber bist groß und deshalb geschieht etwas anderes mit dir. Du wirst stark werden, viel stärker als jetzt und niemals mehr Hunger haben." - "Ja, und was muss ich dafür tun?", der Tiger war ganz aufgeregt.

"Du musst das Gras ganz und gar auffressen, von der Wurzel bis zur Spitze und wenn du das geschafft hast, ist es total wichtig, dass du dir einen Platz suchst, an dem du in Ruhe zwei Tage lang schläfst. Wenn du wieder aufwachst, bist du so stark wie noch nie", erklärte Roland.

Der Tiger machte sich sofort über das leuchtend grüne Gras her, riss es mitsamt Wurzelwerk aus der Erde und begann zu kauen. Er war so sehr damit beschäftigt, dass er die beiden kleinen Elefanten ganz vergessen hatte. Die sahen dem Treiben nur einen kurzen Moment zu und dann liefen sie so schnell wie ihre Elefantenbeine sie trugen, schneller und immer schneller rannten sie um ihr Leben. Sie hörten noch in der Ferne den Tiger fluchen: "Das schmeckt ja furchtbar bitter, igitt, wie eklig!"

Erst als Roland und Nico den Weg zu ihrer Elefantenfamilie wiedergefunden hatten und nun bereits aus der Ferne Mama Maja erkennen konnten, stoppten die beiden ihren Lauf, pusteten und schnappten nach Luft. Ihre kleinen Herzen pochten wie wild und als sie endlich wieder einigermaßen sprechen konnten, holperten Nico die Worte aus dem Mund: "Woher, nunja wie konntest du das wissen und was geschieht jetzt mit dem Tiger. Ist er tot?"

"Ich weiß es nicht, aber ich glaube, also ich weiß gar nichts. Ich wollte dich nur aus den Fängen des Tigers retten und überlegte eine List, sagte einfach was mir eingefallen ist." - "Und es hat funktioniert, oh je, es hat tatsächlich geklappt", freute sich Nico.

"Der Tiger wird nicht weiter von dem Gras gefressen haben, als er bemerkte, dass wir die Flucht ergriffen haben. Dann wird er sich schrecklich geärgert und geflucht haben und wahrscheinlich plagen ihn Übelkeit oder Magenschmerzen, aber das ist nicht schlimm. Das Wichtigste ist doch, dass du nicht gefressen wurdest oder etwa nicht?" Als Roland das so erzählte. war er doch recht zufrieden mit seinem gelungenen Befreiungsplan.

Doch nun kamen sie wohl nicht umhin, Mama Maja alles genau zu berichten und mit Sicherheit war sie sehr wütend auf die beiden Ausreißer, und würde fürchterlich schimpfen. Aber zuallererst würde sie sich schrecklich freuen, dass ihr kleines Baby Nico und der kleine Elefant Roland unversehrt wieder zurückgekommen waren.

Fortsetzung folgt ...


zum 1. September 2019


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