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WISSENSDURST/032: Himmelsleiter Wissenschaft - ein Irrtum schafft den nächsten ... (SB)


Ben und Stefan - Buntstiftzeichnung: © 2012 by Schattenblick

Grafik: © 2012 by Schattenblick

Stefan und Ben hatten sich nach den großen Ferien das erste Mal wieder getroffen und sich eine Menge zu erzählen. Drei Tage blieben ihnen noch bis zum Schulbeginn. Nachdem sie sich ausführlich ihre Ferienerlebnisse berichtet hatten, schnitt Stefan ein Thema an, dass ihn schon seit längerer Zeit beunruhigte. Eigentlich hatte alles ganz harmlos angefangen. Als er mit seiner Mutter vor der Reise ihr Auto volltankte, las er an der Tankstelle ein Informationsschild, auf dem stand, dass dieser sogenannte Bio-Diesel aus Dieselkraftstoff plus 7 % Bio-Ethanol-Zusatz besteht: "So fahren Sie klimafreundlich - Gute Fahrt!" Da er nun schon viel über die Vernichtung der Regenwälder gehört und gelesen hatte, kam ihm sofort in den Sinn, dass dieses Bioethanol wahrscheinlich aus den Palmöl-Plantagen stammt. Der Regenwald wurde also vernichtet, um Platz für diese Plantagen zu schaffen.

Stefan: "Irgendwie finde ich es absurd, die Stadtbewohner fahren in die Ferien und wollen sich in der unberührten Natur erholen und zerstören immer mehr davon, unter anderem auch dadurch, dass sie Bio-Diesel tanken. Meine Mutter erklärte mir, dass sie sich extra ein Diesel-Auto gekauft hatte, weil es hieß, dass die besonders umweltfreundlich seien. Doch seit 2016 ist bekannt, dass die Angaben über die Abgaswerte bei den Autos gar nicht stimmen. Die Käufer sind betrogen worden."

Ben: "Das ist aber auch blöd, da meint man, etwas Gutes für die Umwelt zu tun und fährt mit gutem Gewissen durch die Gegend."

Stefan: "Genau, und meine Mutter war richtig sauer, weil sie zudem noch erfahren hatte, dass die Dieselfahrzeuge auch erheblich zur Feinstaubbelastung beitragen. Sie hat fürchterlich geflucht und fragte sich, was man denn überhaupt noch glauben kann."

Ben: "Ja, das ist eine gute Frage. Ich denke, dass die Geschichte mit dem Bio-Diesel noch viel schlimmere Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschen hat, als man auf den ersten Blick annimmt."

Stefan: "Da bin ich ganz sicher, allein schon dieser Wahnsinn, die Regenwälder zu vernichten, um dort Palmöl-Plantagen in Monokulturen anzulegen und daraus Bio-Kraftstoff herzustellen. Was mag das für die Tiere und die dort lebenden Menschen bedeuten? Lass uns das doch mal ganz genau untersuchen. Wie hat eigentlich alles angefangen? Wen fragen wir?"

Ben: "Wir könnten zu mir gehen und auf meinen Vater warten. Wir haben Glück, heute ist Donnerstag, da kommt er schon um 15:OO Uhr nach Hause."

Die beiden schwangen sich auf ihre Fahrräder und radelten los. Sie wurden freudig von Bens Mutter begrüßt und gleich auf eine Tasse Kakao und Kekse eingeladen. Als Bens Vater die Haustür öffnete, stürmten sie ihm entgegen. "Papa, hast du gleich Zeit für uns?"

Vater: "Hallo, hallo, was ist denn in euch gefahren? Darf ich erst mal ankommen?"

Ben: "Klar, hallo Papa, wir möchten dich so gerne so viel fragen."

Vater: "Ist ja gut. Ich trinke ein Tasse Kaffee und dann sage ich euch Bescheid, okay? Sagt mir doch schon mal, worum es geht."

Ben: "Um Bio-Diesel und die Regenwaldvernichtung und die falschen Angaben bei den Abgasen und was das für die Menschen und Tiere im Regenwald bedeutet und ..."

Vater: "Halt, stopp, das reicht erst mal. Ich glaube, ich weiß ungefähr worum es geht. Bis gleich."

Bald saßen sie im Arbeitszimmer des Vaters beisammen und konnten ihre Fragen stellen. Da er als ehemaliger Ingenieur, der heute an der Universität lehrt, auch ein großes Interesse am Erhalt der Umwelt hat, war er genau der Richtige.

Ben: "Also, wir möchten gern wissen, wie das alles angefangen hat mit der Regenwaldzerstörung ..."

Stefan: "... und warum man überhaupt Bio-Diesel oder Biokraftstoffe entwickeln wollte?"

Vater: "Oje. Da muss ich aber weit ausholen. Ich versuche, die Entwicklung zusammenzufassen, aber die politischen Beweggründe und die wirtschaftlichen Interessen, die dabei immer eine Rolle spielten, spare ich erst mal aus. Das wäre zu viel auf einmal. Also, Anfang der 1970er Jahre gelangten Wissenschaftler allmählich zu der Erkenntnis, dass die Rohstoffe dieser Erde nicht unbegrenzt ausbeutbar sind, dass sie irgendwann aufgebraucht sein werden. Die Veröffentlichung des Buches "Die Grenzen des Wachstums" von Dennis Meadows trug erheblich zur damaligen Diskussion bei. Doch wirkliche Konsequenzen hatte dieses neue Wissen über die Weltlage kaum. In den 1980er Jahren wurde bereits über das Abholzen des Regenwaldes berichtet. Der Bedarf an Holz und Edelhölzern in den Industrieländern stieg ständig und der Regenwald wurde als Holzquelle entdeckt. Mit dem Holz dieser Bäume konnten beträchtliche Gewinne erzielt werden und so bedienten sich auch jene Leute, die überhaupt keine Genehmigung hatten, also illegal Bäume fällten. Das geriet dann sehr schnell außer Kontrolle und riesige Flächen Wald wurden schon damals gerodet.

Und noch etwas, das liegt noch weiter zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg, also nach 1945 - in Deutschland war so ziemlich alles zerstört - begann man mit dem Wiederaufbau. Ab den späten 50er Jahren und den 60ern wuchs die Industrie, man sagt heute über diese Zeit, dass es die Wirtschaftswunderzeit war. Alle hatten Arbeit, verdienten Geld und wollten nach den vielen Jahren Krieg und Hunger wieder ein gutes Leben führen. Die Autoindustrie boomte. Volkswagen, also VW, produzierte bald Millionen Autos, zunächst den berühmten VW-Käfer. Den könnt ihr euch bei mir im Fotoalbum ansehen, das war nämlich mein erstes eigenes Auto."

Ben: "Aber so alt bist du doch noch gar nicht!"

Vater: "Nun, den Käfer gab es noch ziemlich lange. Selbst als er nicht mehr gebaut wurde, konnte man ihn noch gebraucht kaufen."

Ben: "Ach so - und diese vielen Autos haben die Luft verpestet und dafür gesorgt, dass mehr und mehr CO2 in die Atmosphäre gelangte?"

Vater: "Damals sprach man noch nicht vom CO2-Ausstoß, sondern von 'Smog', der durch den vielen Autoverkehr in den Städten entstehen konnte. Es wurden bestimmte Werte der Luftbelastung festgelegt. Lagen sie höher, wurde 'Smogalarm' ausgelöst. Viele Menschen reagierten noch heftig auf die schlechte Luft. Sie hatten Kopfschmerzen, Atemnot und Kreislaufbeschwerden. Doch wie es scheint, hat der Mensch sich angepasst."


Das linke Bild zeigt Peking mit klarem Himmel, das rechte die Stadt im braun-grauen Smog vernebelt - Foto: 2005, by Bobak (Own work) [CC BY-SA 2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)], via Wikimedia Commons

Linkes Bild: Luft über Peking nach Regenwetter
Rechtes Bild: Luft in Peking bei Sonnenwetter
Fotos: 2005, by Bobak (Own work) [CC BY-SA 2.5 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5)], via Wikimedia Commons

Stefan: "Ist das so ähnlich wie heute in Peking, wo es den Menschen sehr schlecht geht, weil die Feinstaubbelastung dort extrem hoch ist?"

Vater: "Ich denke schon, nur scheint es mir dort um ein Vielfaches schlimmer zu sein und ich vermute, dass sich wohl kein Mensch an derartig verschmutzte Luft anpassen kann."

Stefan: "Aber man wusste früher schon, dass die Abgase die Luft vergiften. Warum hat man denn nicht zu der Zeit schon etwas unternommen?"

Vater: "Tja, es hat schon Veränderungen gegeben, allerdings - hat einer von euch mal etwas vom 'Waldsterben' gehört?"

Ben: "Nein, oder warte mal, hat das etwas mit dem Sauren Regen zu tun, der die Bäume kaputt gemacht hat?"

Vater: "Aus Industrie- und Kraftwerksanlagen gelangten Schwefel und Quecksilber in die Luft. In der Mischung mit Regenwasser kam es zu dem sogenannten 'Sauren Regen', der zum Sterben vieler, vieler Bäume führte. In Deutschland litten die Wälder und man sprach vom 'Waldsterben'.


Eine große Zahl von Baumskeletten abgestorbener Fichten - Foto: 1998, bdk [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Durch hohe Schadstoffbelastung abgestorbene Fichten im Erzgebirge im Jahr 1998
Foto: 1998, bdk [CC BY-SA 3.0 (http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)], via Wikimedia Commons

Erst jetzt wurde es gesetzliche Pflicht, in Kohlekraftwerks- und Industrieanlagen Filter einzubauen, die Schwefel, Quecksilber und andere Schadstoffe zurückhalten müssen. Ganz allmählich verbesserte sich die Situation. Doch das währte nicht lange, denn bald stellte sich heraus, dass sich das Kohlendioxid als der nächste Übeltäter erwies. Und dann häuften sich die Ereignisse. Nach und nach erkannte man, welche Auswirkungen der hohe CO2-Ausstoß auf das Klima hat. Die Erderwärmung wurde festgestellt und all die Hochrechnungen und erdachten Szenarien, was alles auf der Erde geschehen könnte, erreichten nicht die wirklichen Veränderungen, die wir heute erleben. Es kam alles viel schlimmer."

Ben: "Meinst du so etwas wie das Schmelzen der Polkappen oder das Tauen der Permafrostböden?"

Vater: "Klar, wer wusste schon, dass dadurch Methan freigesetzt wird, das ca. 23 mal mehr den Treibhauseffekt verstärkt als das CO2?"

Stefan: "Puuh, das ist alles ganz schön unsicher. Aber dann wäre es doch noch viel wichtiger, den Regenwald zu schützen. Schließlich, wenn ich das richtig verstanden habe, speichert er doch ungeheure Mengen davon in seinem Holz und im Boden. Außerdem entstehen durch Einwirkung von Sonnenlicht aus dem Kohlendioxid die Aufbaustoffe, aus denen die Pflanzen ihre gesamte Biomasse herstellen und dabei wird Wasser und Sauerstoff frei."

Ben: "Moment mal, also, wie ist das denn nun mit dem Bio-Dieselkraftstoff? Um ihn herzustellen, wird der Regenwald vernichtet - und das soll umweltfreundlich sein?"

Vater: "Nun, wie man zu dieser Überlegung kam, kann ich euch ein ein anderes Mal erklären. Da wurde aus einer gut gemeinten Idee eine Katastrophe. Jetzt ist aber Schluss. Leider muss ich noch arbeiten."

Stefan und Ben bedankten sich und zogen sich mit vielen neuen Fragen in Bens Zimmer zurück. Sie werden die nächste Gelegenheit ergreifen, mit Bens Vater zu sprechen und sich entsprechend vorbereiten.


Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

http://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/umweltschutz-was-wurde-aus-dem-waldsterben-a-1009580.html

https://www.helles-koepfchen.de/artikel/2893.html

TV - Dokumentation
"Wir tanken Regenwald"
Die Lüge vom Bio-Diesel
Dokumentation, Deutschland, 2016
Film von Florian Schneider, Ines Rainer
45 Min.


24. April 2017


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