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FRAGEN/012: Paka the Uncredible zu seinem Drachen auf dem Alexanderplatz (Pressenza)


Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin

Drachen auf dem Alexanderplatz

Interview von Daniela & Andrés, Pressenza Berlin - 20. August 2018



Bild: © Maga Navarrete

Die aus Metallschrott und Hydraulik-Elementen bestehende, mehrere Meter hohe, bewegliche Drachenskulptur "Elsie Dragon" ist mit ihrem Erbauer Paka zum "Berlin lacht"-Fest auf den Berliner Alexanderplatz gekommen
Bild: © Maga Navarrete

Berlin - 20.08.2018. Mein Name ist Paka. Ich arbeite unter dem Pseudonym Paka the Uncredible. Ich bin ein in London geborener Künstler. Und ich bin um die Welt gereist.

Noch sehr jung, begann ich mit 18 Jahren Kunst zu machen. Jetzt bin ich fast 55.

Ich reiste viel im Süden Spaniens und lernte mein Handwerk auf der Straße. In jenen Jahren traf ich eine Gruppe von Menschen aus verschiedenen Teilen Europas. Zusammen haben wir eine Firma namens DNTT gegründet. Hierher kommt meine Verbundenheit mit Berlin. Wir machten Straßenshows zusammen und wollten mehr Kontrolle über die Umwelt haben. Licht, Ton und solche Sachen. Alles Jongleure, Akrobaten, mit verschiedenen Zirkusfähigkeiten. Wie waren auch sehr interessiert am gesamten Prozess der Mutation von Maschinen: Herstellung von Requisiten aus Autoteilen, Motorrädern und dergleichen, Sachen, die ich in London bei Mutoid Waste, einer anderen großen britischen Gruppe, die heute in Italien ansässig ist, kennengelernt habe. Und als die Mauer in Berlin fiel, zogen wir alle für eine Weile hier nach Berlin. Die Kulturabteilung versorgte uns mit Wohnraum und wir begannen ein paar große Festivals zu organisieren, in besetzten Häusern.

Wir waren eine Gruppe von 18 Leuten aus sieben verschiedenen Ländern Europas, wir waren sehr anarchisch! Es war ein privilegierter Moment meines Lebens. Wir waren 18 Leute und das einzige Kriterium war, die Show zu verbessern, ohne dass dir jemand gesagt hätte, was du tun sollst. Wenn du das konntest, warst du ein Teil der Familie. Aber das können nur sehr wenige! Generell wollen wir angewiesen werden, was wir zu tun haben. Aber wenn du eine Situation siehst und was es dazu braucht und du genug Sicherheit hast, um diesen Prozess zu installieren und das Ganze besser zu machen ... dann hat das eine ziemlich ungewöhnliche Qualität. Die Gruppe besteht seit etwa acht oder neun Jahren. Und wir brachten es zu etwas ... Ich meine: Es gab ein Jahr, in dem wir auf jedem Fernsehsender hier in Berlin zu sehen waren, jede Nacht; in der Presse ... auch in Spanien bekamen wir einiges an Anerkennung. Auf eine ziemlich unterirdische Art und Weise. Wir spielen in großen Events. Aber sobald dann zwei Leute weg waren, brach plötzlich alles zusammen. Weil alles so festgefahren war. Acht oder neun Jahre mit einer solchen Energie zu arbeiten, ist keine Kleinigkeit ...


Bild: © Maga Navarrete

Paka the Uncredible im Interview vor seinem Drachen
Bild: © Maga Navarrete

Unsere Zeitgenossen waren, wie gesagt, Mutoid Waste, La Fura dels Baus, Archaos. Wir waren viel mit Archaos in Südfrankreich unterwegs. Mit Mutoid Waste arbeiten wir in großen Shows zusammen; wir schufen die Story und sie die Performance mit den in der Mitte des Publikums installierten Maschinen. Eine hohe optische Wirkung! Eine ziemlich verrückte Zeit: die achtziger und neunziger Jahre. Royal de Luxe. Die Maschine. Es ist auch eine kleine Welt. Und sehr interessant. Die mechanisch-roboterhafte, die theatralische. Kunst in großem Stil, und mit Seele. Es gibt heute viele Menschen, die nur zu viel Geld, aber nicht mehr viel Herz haben.

Ich war schon immer ein Clown. Es ist eine Zunft. Und die habe ich gelernt. Nach und nach begann ich, Maschinen zu bauen, mit denen ich agieren konnte, und so eine Präsentation mit der Maschine durchzuführen, bei der die Leute sie als einen weiteren Schauspieler auf der Bühne empfinden würden. Mit dem "rostigen Pferd" habe ich etwa neun Jahre lang Präsentationen gemacht; ich bin mit Rusty um die Welt gereist. In letzter Zeit habe ich mehr wie Elsie gebaut, in diesem Fall machen die Maschinen die Arbeit. Ich habe mich mehr und mehr mit dem Bau der Maschinen beschäftigt, denn es ist dieselbe Energie, die es erfordert, über die unbeantworteten Fragen des Lebens zu sprechen, wie etwa: Wer bin ich? Was bin ich? Was mache ich hier? Es ist eine Art von Energie, für die es keine Antwort gibt. Und Kinder großzuziehen ist dasselbe. Es ist voller unbeantwortbarer Fragen über das Leben.

Beim Bau einer Maschine funktioniert diese entweder oder sie funktioniert nicht. Es ist ganz einfach. Es ist kreativ, etwas aufzubauen und einen Weg zu schaffen und darüber nachzudenken, wie sich das auf die Menschen auswirken kann. Es ist interessant, aber es ist eine andere Energie. Elsie Dragon war ein Projekt über Fantasie. Ich habe damit aufgehört, fantastische Kreaturen zu erschaffen. Ich habe viele fantastische Kreaturen geschaffen. Aber dann machte ich weiter, um echte Lebensformen zu erschaffen: Pferde, oder Hunde, usw. Und als ich dann zum Vollzeit-Elternteil wurde, fand ich mich in der Werkstatt wieder und dachte darüber nach, was das für mein Leben, meine persönliche Freiheit bedeutet. Weil du immer ein paar Dinge aufgibst, um ein Vater zu sein. Ich wollte es sein, aber dann kam wieder die Idee, diese fantastischen Kreaturen zu bauen. Etwas, was mit Dingen zu tun hat, die unmöglich sind, die irgendwie unrealistisch sind. Ich konnte nicht mehr reisen. Dan fing ich an, diese Kreaturen zu erschaffen. Inspiriert von der Phantasie und von Abgeschiedenheit.


Detail des Drachen, ein Arm aus Metallstreben mit Klauenfingern - Bild: © Maga Navarrete

Bild: © Maga Navarrete

Als ich ein Kind war, hatte ich Krebs. Ich war einer der ersten Menschen, die von Leukämie geheilt wurden. Also verbrachte im Alter von drei bis elf Jahren viel Zeit im Krankenhaus. Als ich elf Jahre alt war, waren mir zwei Dinge sehr klar: dass das Leben potentiell sehr kurz ist und dass man nichts tun sollte, was man nicht tun will, weil das Leben so kurz ist! Es hat keinen Sinn, Zeit zu verschwenden. Von da an habe ich die Ideen, die mir in den Sinn kamen, ausgeführt und umgesetzt. Ich habe immer geglaubt, dass man, wenn man seinen Ideen und Träumen treu bleibt, nie Geld braucht.

Als ich das erste Mal auf die Straße ging und mit 100 Pfund zurückkam, vor etwa 30 Jahren, wurde mir klar, dass ich keine Arbeit in einer Abhängigkeitsbeziehung brauchte. Die Leute mögen verrückte Ideen. Und man wird für diese Ideen bezahlen. Du hast nicht immer Unterstützung. Manchmal musste ich auch nur um des Geldes willen arbeiten. Aber hier wird es interessant, in Bezug auf die Kinder und die Erziehung; hier sind wir sieben Menschen, und der Unterhalt von allem ist der Hut, der dort aufgestellt wird. Wir leben und existieren von dem, was die Leute uns geben. Vielleicht wurden wir so nicht für die Reise hierher bezahlt. Aber diese Hutspenden erbringen den Lebensunterhalt von sieben oder acht von uns, das ist die reale Unterstützung der Gemeinschaft. Und das ist, was mir an der Straßenkunst immer gefallen hat. Und ich habe in Büros gearbeitet. Ich habe auch eine Weile in der Filmindustrie gearbeitet. Es ist schrecklich. Ich werde in meinem Leben nie wieder mit Filmen arbeiten. Es ist so langweilig, dass es dich betäubt und es ist so abhängig vom Individualismus.


Kopf des Drachen vor der Weltzeituhr auf dem Berliner Alexanderplatz - Bild: © Maga Navarrete

Bild: © Maga Navarrete

Ich mag den Alexanderplatz sehr, er ist ziemlich verrückt. Viele verschiedene Leute. Es gibt viele verschiedene Musikrichtungen: Balkan-Beats, viel Zigeunermusik, Musik aus Afrika, Fela Kuti. Die Leute kommen, um uns zu sagen: Ihr müsst aus Rumänien oder aus der Türkei sein", oder: Ihr spielt Musik aus meiner Stadt", und das ist sehr verrückt. Ich bin kein Musiker, aber ich bin in letzter Zeit DJ geworden. Ich habe immer die Musik geliebt, die Gefühl und Bewegung inspiriert, und ich habe immer besonderes Augenmerk auf die Soundtracks bei den Aufführungen gelegt. Ich hatte nie wirklich Zeit, ein Instrument zu lernen. Ich war Trapezkünstler, Seiltänzer, Clown, Schauspieler ... verschiedene Facetten, ich kann nicht einmal in zwei Dimensionen zeichnen!

Ich bin eher ein dreidimensionaler Schöpfer. Und ich habe das alles nie studiert. Ich habe es erfunden. Ich habe nie Ingenieurwesen oder so etwas studiert. Ich besorge mir die Dinge aus dem Müll, oder von Ebay ... Ich mache einen Workshop und wenn ich ein Projekt definiere, fange ich an zu suchen. 90% davon sind recycelte Sachen. Schließlich, wenn man an einen Ort kommt, und ein bestimmtes Teil fehlt ... gibt man nach, aber es wird immer die teuerste Option sein. Du könntest es dir nicht leisten, Elsie nur mit neuen Materialien zu bauen. Es mag gut sein, mehr Geld zu haben, aber das Ergebnis wird nicht unbedingt besser sein. Ich war schon immer leidenschaftlich daran interessiert, die Kontrolle über das eigene Schicksal, über den eigenen Ausdruck zu haben und nicht jemanden zu haben, der mir sagt, was ich tun soll.


'Elsie Dragon' speit Feuer - Bild: © Maga Navarrete

Bild: © Maga Navarrete


Der Text steht unter der Lizenz Creative Commons 4.0
http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

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Quelle:
Internationale Presseagentur Pressenza - Büro Berlin
Reto Thumiger
E-Mail: redaktion.berlin@pressenza.com
Internet: www.pressenza.com/de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2018

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