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DAS BLÄTTCHEN/1068: Demokratischer Euro?


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
14. Jahrgang | Nummer 1 | 10. Januar 2011

Demokratischer Euro?

Von Heerke Hummel


Zu den Top-Themen des öffentlichen Interesses im abgelaufenen Jahr gehörte, was die Wirtschaft betrifft, die Schuldenkrise in der Europäischen Union. Und sie wird wohl auch 2011 die Schlagzeilen beherrschen. Denn ihre Ursachen wirken weiter, und beim lieben Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf. Das ist unter den Staaten nicht anders als zwischen deren Bürgern.

Da wird denn nun nicht nur an deutschen Stammtischen geängstigt, wir (Deutschen) könnten wegen des Euros und infolge schlampiger süd- und westeuropäischer Haushaltspolitik zum Zahlmeister Europas werden. (Übrigens war Deutschland, was das Defizit im Staatshaushalt betrifft, vor noch gar nicht langer Zeit selbst ein Vorreiter.) Auch der frühere BDI-Präsident Hans-Olaf Henkel fiel vor Jahresende mit seinem Buch "Rettet unser Geld!" in diesen Kanon ein und schlägt nun in Talk-Shows allen Ernstes vor, den Euro und die auf seiner Basis wirtschaftende Währungsunion zu spalten: in einen harten Nord-Euro und einen weichen Süd-Euro. Dass Geld im Allgemeinen und der Euro im Besonderen etwas mit Demokratie, mit Machtstrukturen zu tun haben und dass Währungskrisen nur eine besondere Erscheinungsform und Folge undemokratischer ökonomischer Verhältnisse sind, kommt den Euroskeptikern ebenso wenig in den Sinn wie den Befürwortern des Euro, die dank seiner reich und mächtig geworden sind. Macht und Einkommen demokratischer verteilen wollen sie alle nicht.

Das Geld vermittelt Produktion und Verbrauch des ziemlich kurzlebigen sachlichen Reichtums der Gesellschaft. Dieser ist in seinem Umfang bestimmt durch die Produktivkraft der gesellschaftlichen Arbeit. Sein (zeitlich nicht beliebig aufschiebbarer) Verbrauch aber hängt ab von der Verteilung des Geldes, sprich: von der Einkommensverteilung. Und da liegt der Hase im Pfeffer, wurzeln die ökonomischen Krisen nicht nur in der EU, sondern weltweit. Die einen können ihre immensen Einkommen gar nicht verbrauchen, die anderen haben nicht genug zum Leben. Wer welche Einkommen erwirtschaftet, wem sie zukommen, ist eine Frage der politischen und ökonomischen Macht und damit der Demokratie (nicht die einzige zwar, aber sicherlich mit die wichtigste). Es ist darüber hinaus auch eine Frage ökonomischer Notwendigkeit, der Einheit bzw. Koordination von Produktion und Verbrauch, der notwendigen Stimulation und nicht zuletzt des sachlichen Bedarfs und der Bedürftigkeit, insofern aber auch der Ausbeutung von Menschen durch Kreditvergabe und damit verbundene Schuldendienste. Das zeigt uns: Demokratie ist wohl kein konstanter, eindeutig und für immer geltend zu definierender Zustand in der Gesellschaft. Ob und in welchem Maße eine Gemeinschaft demokratisch organisiert ist, stellt sich als eine sehr diffizile Frage dar, die nur mit vorsichtiger Zurückhaltung beantwortet werden sollte, insbesondere, wenn es um historische Vergleiche geht. Denn dabei sind die weitläufigen ursächlichen Zusammenhänge im Sinne von die allgemeine Notwendigkeit ausdrückenden objektiven und subjektiven Faktoren zu berücksichtigen. Es sollte also immer gefragt werden: Was hat bestimmte Erscheinungen (beispielsweise im Realsozialismus den bürokratisierten Zentralismus unter den Bedingungen eines erbitterten Kalten Krieges zwischen Ost und West) hervorgebracht, welche Motivationen waren wirksam und welche Alternativen mit welchen möglichen bzw. wahrscheinlichen Konsequenzen gab es?

Demokratie - auch im Wirtschaftsleben - ist nichts fest Gefügtes. Als Frage der Machtverteilung kommt sie unter Druck und ist gefährdet, wenn Interessengegensätze in der Gesellschaft so aus dem Gleichgewicht kommen, dass ihre übergreifende Einheit zerstört und so die Stabilität des ganzen Gemeinwesens gefährdet wird. Das Geld- und Finanzsystem in der Europäischen Union (und nicht nur dort) hat diese Grenze längst überschritten. Das wissen die Regierenden ebenso wie die Opposition. Wenn aber nun im Interesse der Herrschenden versucht wird, das Problem durch Sparen auf Kosten der ohnehin schon Benachteiligten dieser Gesellschaft zu lösen, so wird das ökonomische Desaster über kurz oder lang nur noch größer. Denn die reichen Gläubiger (vor allem die deutschen Exporteure) werden dank ihrer ökonomischen Macht und Wettbewerbsvorteile noch reicher, während sich auf der anderen Seite noch größere (private und staatliche) Schuldenberge auftürmen müssen, weil in der Bilanz einem Plus immer ein Minus etwa gleicher Größe gegenübersteht.

Wo also kann, muss der Ausweg aus Europas Krise liegen? Nur in einer Solidarisierung und in diesem Sinne Demokratisierung seiner Wirtschaft durch ein ökonomisches Gesetzeswerk, eine europäische Wirtschaftsverfassung, die vor allem Managern und Unternehmern Grenzen ihrer Kompetenzen im Umgang mit Geld, Finanzen und Sachwerten setzen muss. Dazu müssen auch allgemeine obere und untere Einkommensgrenzen gehören. Wenn auf diese Weise die Ökonomik der Gesellschaft allgemeinen Regeln und einer öffentlichen Kontrolle unterworfen wird, werden auch die ökonomische und die politische Macht in Schranken gehalten. Einen besseren Dienst an der Demokratie gäbe es heute kaum.

Wie real könnten solche Erwartungen sein? Die Antwort hängt davon ab, ob, wann und in welchem Maße sich die Europäer (und darüber hinaus die Weltgesellschaft) der Gesellschaftlichkeit ihrer Ökonomik und der daraus folgenden Konsequenzen bewusst werden, verstehen, dass ihr ganzes Dasein, ihre ökonomischen Beziehungen, ihr Geld und damit ihr Reichtum alles Private weitestgehend eingebüßt haben. Es ist die Frage, wann eingesehen wird, dass alles für privat Gehaltene in der Wirtschaft - im Widerspruch zu den realen sachlichen Beziehungen - nur noch de jure privatisiert ist, dass alle Teil eines großen Ganzen sind, dessen Wohl ausschlaggebend für das Schicksal jedes einzelnen ist. Eine Mehrheit dieser Gesellschaft muss den Willen aufbringen, den ganzen politisch-juristischen Überbau der Gesellschaft den veränderten Bedingungen ihrer ökonomischen Basis anzupassen, um die Konkurrenzwirtschaft, den Kampf aller gegen alle, durch eine solidarische, öffentlich kontrollierte (nicht zentral geplante!) Wirtschaftsweise zu ersetzen und das Private auf die wirklich private Sphäre des Verbrauchs außerhalb von Produktion und Verteilung zu beschränken.

Wird die Gesellschaft die Kraft zu solcher Reformierung aufbringen? Sie muss. Entweder folgt sie einer wissenschaftlichen Einsicht in das Wesen ihrer Ökonomik und wird sich ihrer objektiven Interessen bewusst, oder sie gehorcht einfach nach und nach spontan, wie schon lange, dem Druck der ökonomischen Bedingungen und des politischen Kampfes der Massen. Die Demonstrationen von Athen, Rom, Dublin und sonst wo im vorigen Jahr waren Kämpfe um Demokratie - die kein Geschenk des Himmels ist -, um die Teilhabe an und die Verteilung von ökonomischer und politischer Macht und des gesellschaftlichen Reichtums. Sie dienten auch der Demokratisierung des Euros, des ganzen Regelsystems, dessen sein stabiles Funktionieren bedarf. Und sie lagen im Interesse auch von uns Deutschen - ob man das an den Stammtischen wahrhaben will oder nicht.


Vom Autor erschienen zuletzt: "Gesellschaft im Irrgarten. Die Tragik nicht nur linker Missverständnisse", NORA-Verlag, Berlin 2009; "Die Finanzgesellschaft und ihre Illusion vom Reichtum", Projekte-Verlag, Halle 2005


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Quelle:
Das Blättchen Nr. 1/2011 vom 10. Januar 2011, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 14. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2011