Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

DAS BLÄTTCHEN/1291: Endstation Exil


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
16. Jahrgang | Nummer 11 | 27. Mai 2013

Endstation Exil

von Renate Drommer



Pazific Palisades im Oktober 1945. In der weißen Villa über dem Meer sitzt Lion Feuchtwanger bei der Arbeit. Er diktiert seinen Roman: "Waffen für Amerika". Das Telefon klingelt. Der Anrufer ist General Manager Ken Cooper, Chef der amerikanischen Nachrichtenagentur AP. Er unterbreitet dem berühmten Schriftsteller ein Angebot. Feuchtwanger soll nach Nürnberg reisen und exklusiv vom Nazi-Kriegsverbrecher Prozess berichten. Der bittet um Bedenkzeit. Nach drei Tagen sagt er ab.

Feuchtwanger verzichtet darauf, als einer der ersten emigrierten Schriftsteller zurückzukehren. 1933 hatten ihm die Nazis die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen, sein Haus beschlagnahmt, seine Bibliothek zerstört. Jetzt könnte er dabei sein, wenn die Verbrecher verurteilt werden, die ihn und viele andere vertrieben haben. Brecht, Nachbar im kalifornischen Santa Monica, appelliert an die Pflicht des Augenzeugen: "damit die Verbrechen dieser Regierung gegen ihr eigenes Volk auch erinnert werden. Es wird sehr wichtig sein, aufzuschreiben, was diese Kriminellen genau zu ihrer Verteidigung sagen werden." Im Arbeitsjournal notiert er das Gespräch mit Feuchtwanger: "Sie sind durch glück in eine position gekommen, wo man Sie auffordert zu reden ... Sie haben kein recht, Ihren roman weiterzuschreiben, reden Sie schlecht, stottern Sie, lassen sie sich knebeln, aber erscheinen Sie auf dem kampfplatz." Brecht wirft dem Freund Bequemlichkeit vor. Feuchtwanger hat die schöne Villa, den gut organisierten Arbeitsplatz, die Sekretärin, er ist ein Bestseller-Autor mit hohen Auflagen und Einnahmen. Die Reise nach Deutschland würde seine Arbeit für Monate unterbrechen. Er ist vierzehn Jahre älter als Brecht, im Dezember 1945 wird er einundsechzig. Bequemlichkeit spielt schon eine Rolle.

Außerdem besitzt Feuchtwanger keinen gültigen Pass, keine amerikanische Staatsbürgerschaft. Die Ausreise wäre riskant. Man könnte ihn abschieben. Er gilt als Sympathisant der Sowjetunion und wird seit seiner Einreise 1941 vom FBI als "subjekt" geführt. 1945, nach dem Tod Präsident Roosevelts, spitzt sich der politische Kurs radikal zu. Eine emotional aufgeladene Kommunistenhetze beginnt. Vor dem "Ausschuss für unamerikanische Aktivitäten" müssen sich Künstler, Schauspieler, Schriftsteller verantworten. Viele verlieren ihre Arbeit, werden zu Gefängnisstrafen verurteilt. Senator Joseph McCarthy veranstaltet eine regelrechte Hexenjagd. 1947 werden Eisler und Brecht vorgeladen. Nach dem Verhör reist Brecht sofort nach Europa. Feuchtwanger muss nicht erscheinen, gegen ihn ermittelt man verdeckt. Seine Briefe werden geöffnet, die Telefongespräche abgehört. Männer in Trenchcoats warten vor dem Lokal, in dem er mit seiner Sekretärin zu Abend speist. Nachbarn am dünn besiedelten Paseo Miramar melden dem Büro des FBI in Los Angeles die Nummern der Autos, die vor dem Haus des Schriftstellers parken. In dieser Situation beantragt Feuchtwanger 1948 die amerikanische Staatsbürgerschaft.

Wie schon oft in seinem Leben hat er den richtigen Zeitpunkt verpasst. 1931 kaufte er, statt auszuwandern, ein Haus im Grunewald, in Frankreich versäumte er es, seinen Pass zu verlängern. Als die Deutschen kommen, gilt er als "feindlicher Ausländer", er wird interniert. Die Flucht in die USA gelingt ihm im letzten Augenblick. Dort ist er vogelfrei, ein staatenloser Emigrant. An Brecht, der wieder in Berlin lebt, schreibt er: "Falls ich das Land verlasse, würde das, wie die Dinge heute liegen, wohl bedeuten, dass ich niemals zurückkehren kann."

Die Einwanderungsbehörde bestellt Feuchtwanger und prüft seine Staatstreue. Man ist gut über ihn informiert. Das FBI hat ganze Arbeit geleistet. Feuchtwangers Akte ist mehrere hundert Seiten stark. Er gilt bei FBI Chef J. Edgar Hoover als "russischer Wolf im Schafspelz". Man weiß, dass der Schriftsteller 1937 Moskau besucht hat und von Stalin empfangen wurde. Auch jetzt lässt er es sich nicht nehmen, sowjetische Kollegen zu begrüßen. Arnold Zweig in Berlin erfährt: "Hier ist es nicht sehr schön. Die neuen semifaschistischen Gesetze ... erschweren noch mehr jede Reise ins Ausland und geben den Behörden bequeme Vorwände für Schikanen." Charly Chaplin, der 1952 zur Weltpremiere seines Films "Rampenlicht" nach London unterwegs ist, erhält auf hoher See die Nachricht, dass er nicht wieder einreisen darf. Feuchtwanger ist gewarnt. In Sanary-sur-Mer, dem französischen Exilort, hat er Haus und Bibliothek ein zweites Mal zurücklassen müssen. Sein drittes Zuhause wird er nicht aufs Spiel setzen.

Mochten Brecht und Zweig ihn nach Berlin einladen, ohne ordentliche Papiere kann er nicht reisen. Er hat den Goya-Roman beendet und sich dem jüdischen Thema zugewandt. "Die spanische Ballade" entsteht. Seine Bücher erscheinen inzwischen im Aufbau-Verlag in Ostberlin, im Westen findet Feuchtwanger vorerst keinen Verleger. Der kalte Krieg teilt die Welt in zwei feindliche Lager. In Berlin stoßen sie unmittelbar aneinander. Feuchtwanger sitzt im fernen Kalifornien in seiner weißen Villa am Meer und ist doch mittendrin: "Rings um mich verdickt sich wieder einmal die politische Luft und ich warte mit der Gelassenheit eines Stoikers, ob es diesmal blitzt."

In einer sowjetischen Zeitschrift wird Feuchtwanger als Kosmopolit angegriffen, der sich den Amerikanern andient. Offenbar hat man dort von seinem Roman "Waffen für Amerika" nur den Titel gelesen. Das lässt sich ändern. Feuchtwanger ist klug und macht sich den Spaß. Sein Roman heißt nun: "Die Füchse im Weinberg". Brecht bittet den Freund zur Premiere des "Galileo Galilei" nach Berlin. Das wäre ein Wiedersehen! Doch die Einwanderungsbehörde verzögert das Verfahren. Wieder und wieder bestellt sie den Schriftsteller, um seine Loyalität zu prüfen. Feuchtwanger arbeitet mittlerweile an "Jefta und seine Tochter". Er schreibt deutsch, seine Bücher werden in die jeweilige Sprache übersetzt, für seine Leser in den USA, England und in der Sowjetunion. Einem Reporter sagt er, dass er sich in seiner Villa am Meer gewissermaßen wie in Deutschland fühle, er lebe ja umgeben von deutschen Büchern. Zweig erfährt: "Lieber Freund, dass ich nie mehr nach Europa kommen sollte, scheint mir ein übler Traum. Ich halte mein Haus hier nach wie vor für ein Provisorium."

Ein bösartiges Magenleiden zwingt ihn zu einem längeren Krankenhausaufenthalt. Geschwächt kehrt er nach Hause zurück. Die Herren von der Einwanderungsbehörde kommen zu ihm in die Villa am Paseo Miramar. Er notiert: "Sie sind nett und höflich und fragen denselben Unsinn". Ob er denn auf die Formel: "So help me god" schwören könne. Er diktiert der Sekretärin "Das Haus der Desdemona", einen Essay über Größe und Grenzen der historischen Dichtung. Er bleibt unvollendet. Lion Feuchtwanger stirbt am 21. Dezember 1958. Am folgenden Tag erscheinen zwei Herren bei der Witwe und überreichen ihr die Papiere. Ihr Mann ist amerikanischer Staatsbürger.

Renate Drommer ist freie Autorin für Radio-und Fernsehfeatures und lebt in Berlin.

*

Quelle:
Das Blättchen Nr. 11/2013 vom 27. Mai 2013, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 15. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath, Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
Verantwortlich: Wolfgang Schwarz
Fritz-Reuter-Str. 8, 12623 Berlin
Fax: 030 . 70 71 67 25
Redaktion: Margit van Ham, Wolfgang Brauer, Alfons Markuske
E-Mail: hwjblaettchen@googlemail.com
Internet: www.Das-Blaettchen.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2013