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DAS BLÄTTCHEN/1455: Spiel mit dem Feuer


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
18. Jahrgang | Nummer 1 | 5. Januar 2015

Spiel mit dem Feuer

von Edgar Benkwitz



Etwas Unerhörtes ereignete sich Mitte Dezember im indischen Unterhaus. Der Abgeordnete Sakshi Maharaj bezeichnete den Mörder von Mahatma Gandhi, den Hindufanatiker Nathuram Godse, als Patrioten. Der daraufhin ausbrechende Tumult zwang Maharaj zwar, am nächsten Tag eine Entschuldigung abzugeben, aber er hatte nur ausgesprochen, was so mancher in seiner Partei - der hindunationalistischen Indischen Volkspartei (BJP) - denkt. Demnach war Gandhi, der 1947 der Teilung des Landes (und damit der Errichtung von Pakistan als Muslimstaat) zustimmte, ein Vaterlandsverräter, der zu Recht bestraft wurde.

Töne dieser Art, die einem dumpfen, zumeist in der tiefsten Provinz verankerten religiösen Denken entspringen, sind dieser Tage in Indien oft zu hören und beschäftigten wiederholt das Parlament. So wurde vorgeschlagen, eines der heiligen Bücher der Hindus, die Bhagavat-Gita, in den Rang des "nationalen Buches" Indiens zu erheben - ähnlich der Rolle des Korans in muslimischen Ländern. Seinen ethischen Normen müssten sich dann auch Andersgläubige beugen.

Ein anderes Thema sind religiöse Bekehrungen. Schon früher wiederholt erörtert, wurde jetzt behauptet, Rekonversionen zum hinduistischen Glauben, wie sie gegenwärtig vielerorts stattfinden, seien normal und gerechtfertigt, denn ihnen seien Zwangsbekehrungen von Hindus zum Islam und Christentum vorausgegangen. Diese und eine ganze Reihe ähnlicher Vorgänge werden von radikalen Hindu-Aktivisten auf Kosten Andersgläubiger vorangetrieben, obwohl Indien per Verfassung ein säkularer Staat ist und die Glaubensfreiheit garantiert wird.

Zweifelsohne ist seit dem Regierungswechsel in Indien vor gut einem halben Jahr eine verstärkte Rückbesinnung auf hinduistische Traditionen und Werte festzustellen. Eine solche Orientierung erfolgt von der Spitze des Staates aus, wobei der neue Premierminister den Ton angibt. Er lässt keine Rede aus, um auf eine ruhmreiche, zumeist idealisierte Vergangenheit hinzuweisen, an die es anzuknüpfen gelte. Seine Minister blasen natürlich ins gleiche Horn, aber bereits hier sind grobe Misstöne zu hören. Eine empörte Öffentlichkeit forderte die Staatsministerin Frau Sadhvi Jyoti wegen einer Hassrede gegen Andersdenkende zum Rücktritt auf. Auch sie musste sich vor dem Parlament entschuldigen. Das nationalistische Denken, so plötzlich ins Zentrum politischer Aktivitäten gerückt, birgt natürlich immer die Gefahr in sich, zum Chauvinismus auszuufern. Solche Töne sind zu hören, zumeist noch aus der BJP nachgeordneten Organisationen.

Doch das ist nicht alles. Vieles deutet daraufhin, dass hindunationalistische Anschauungen gegenwärtig bewusst eingesetzt werden, um im politischen Tageskampf - sprich Sicherung und Ausbau der Macht der gegenwärtig in Neu Delhi regierenden BJP - kräftig zu punkten. Die Fäden dabei zieht ein alter Mitstreiter von Premier Modi, Amit Shah. Beide kennen sich seit 1982, als sie in der Hindu-Kaderorganisation RSS in Gujarat tätig waren. Seitdem unterstützen sie sich gegenseitig in der politischen Karriere. Shah bekleidete unter Ministerpräsident Modi in Gujarat wiederholt hohe Ämter, bis er wegen des Verdachts auf Auftragsmord - Shah war gerade Innenminister - ins Gefängnis musste, aber gegen Kaution frei kam. Obwohl wegen dieser Vorfälle in der BJP umstritten, setzte er unter Modi seine politische Karriere fort. Seit einem halben Jahr ist er gar Präsident der Partei, verdiente Parteiführer wurden kaltgestellt. Shah ist ein Machtmensch und zugleich ein Macher, der als Architekt des Wahlsieges der BJP gilt. Man sagt von ihm, dass er seine Gegner genau studiere, ihre Schwächen herausfindet, um sie dann mit der geballten Kraft der Hinduorganisationen zu Fall zu bringen. Davon können im Bundesstaat Uttar Pradesh mit seinen 210 Millionen Einwohnern sowohl die Kongresspartei als auch die großen regionalen Parteien SP und BSP ein Lied singen: von 90 zu vergebenden Parlamentssitzen holte er 73 für die BJP. Von Shah stammt das Wort, dass er Indien "kongressfrei" machen werde, was heißen soll, die Kongresspartei auch von der verbliebenen Macht in einigen Bundesstaaten zu verdrängen. Dazu ist er auf dem besten Weg, denn bei Landtagswahlen in vier Staaten in den letzten Monaten verlor die Kongresspartei erneut enorm an Stimmen, die BJP hingegen gewann weiter an Einfluss. In Indien hält die Wechselstimmung an, wobei sich Shahs Taktik nicht nur gegen die Kongresspartei, sondern auch gegen die großen Regionalparteien, ja selbst gegen verbündete Parteien, wie die einflussreiche Shiv Sena, richtet.

Gegenwärtig ist Amit Shah bemüht, seine Partei auszubauen und zu stärken. Seit mehreren Wochen läuft eine großangelegte Mitgliederwerbung. Genaue Zahlen gibt es nicht, doch ist die Rede davon, dass bis Ende März die Zahl der Parteimitglieder von gegenwärtig 30 Millionen auf unvorstellbare 100 Millionen steigen soll! Sind diese Zahlen nur Propaganda oder zur Schau gestellter Größenwahn? Nun, Shah verfolgt das Ziel, den Wirkungskreis der BJP, der vorwiegend auf den Norden beschränkt ist, auf ganz Indien ausdehnen. Zugleich soll die Aktion helfen, bei Landtagswahlen Ende des Jahres und 2016 in den großen Bundesstaaten Uttar Pradesh, Bihar, Westbengalen und Tamilnadu, die noch von regionalen Parteien regiert werden, den Sieg davonzutragen. Unermüdlich bereist Shah schon jetzt diese Staaten, stärkt die örtlichen Parteizellen oder gründet neue. Auch die Abwerbung von Politikern oder das Bekenntnis bekannter Persönlichkeiten, zumeist beliebten Filmschauspielern, zur BJP steht auf seinem Aktionsplan. In seinem Auftreten versucht er, die politische Landschaft zugunsten seiner Partei aufzumischen. Dabei bewegt er sich oft an den Grenzen des Erlaubten. Der kommunale Frieden zwischen Religionsgemeinschaften, Kasten oder Ethnien, der jedem patriotischen Inder so wertvoll ist, spielt eine untergeordnete Rolle, ja, eine Störung scheint oft vorgesehen zu sein, denn Shah polarisiert mit seinem Wirken die Fronten, spitzt Widersprüche zu. Doch wie die Vergangenheit zeigt, ist das ein Spiel mit dem Feuer. Oft genügt nur ein böses Wort, um einen schwelenden Konflikt in offenen Streit und gewaltsames Zusammenprallen ausarten zu lassen.

Die BJP richtet sich unter Premierminister Modi und Parteipräsident Shah ganz offensichtlich bereits jetzt auf eine längere Machtperiode ein. Darauf laufen alle innenpolitischen Aktivitäten der gegenwärtigen Führung hinaus. Die Aktivierung von Wertvorstellungen des Hindutums spielt dabei eine wichtige Rolle, denn der Hindu-Bevölkerungsanteil in Indien beträgt über 80 Prozent. Hier tiefer zu graben, mag für die Machtsicherung ein geschicktes Vorgehen sein, das jedoch voller Probleme und Widersprüche steckt. Eine Instrumentalisierung der Religion sowie religiöser Verhaltensweisen, ihr Missbrauch zu politischen Zwecken, kann, wie die Geschichte besonders auch in Indien lehrt, zu katastrophalen Entwicklungen führen.

Indien bietet zurzeit ein widersprüchliches Bild. Auf der einen Seite werden durch Außen- und Wirtschaftspolitik zügig Voraussetzungen geschaffen, um das Land schnell zu modernisieren und Anschluss an entwickelte Staaten zu finden. Andererseits versuchen rückwärtsgewandte Kräfte ihren Einfluss auszudehnen. Selbst dem Premierminister ging in den letzten Wochen wohl einiges zu weit. Durch unüberlegte und darüber hinaus provozierende Äußerungen und Handlungen will er seine Vorhaben nicht gefährdet sehen. Denn genau das war im Oberhaus geschehen, wo die Opposition, die hier noch die Mehrheit hat, die Annahme wichtiger Gesetze verweigerte. Die Parlamentsfraktion der BJP musste kritische Bemerkungen über sich ergehen lassen. Angeblich soll Narendra Modi bei weiterer Verletzung der Parteidisziplin sogar mit seinem Rücktritt gedroht haben. Ob das so ernst gemeint war, muss bezweifelt werden. Aber Modi wird die Geister, die er selbst mit gerufen hat, nicht mehr so leicht los.


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Quelle:
Das Blättchen Nr. 1/2015 vom 5. Januar 2015, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 18. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2015


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