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DAS BLÄTTCHEN/1644: Die neokonservative Zuspitzung


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
19. Jahrgang | Nummer 24 | 21. November 2016

Die neokonservative Zuspitzung

von Lutz Kleinwächter


Trump - Präsident der USA! Republikanische Mehrheiten dominieren den Kongress, den Senat und den Kreis der Gouverneure. Rechtskonservative Bundesrichter herrschen im Obersten Gerichtshof. Brachialer Rechtsrutsch! Die "Gewaltenteilung" sowie "checks and balances" sind deutlich geschwächt. Nach dem Brexit ein weiterer "Schock" für die neokonservativen Herrschaftseliten Europas und Deutschlands. Die anglo-amerikanische Welt artikuliert ihre Interessen national(istisch) und radikalisiert sich.

Warum "Schock", sogar "Entsetzen"? Emotionen und Wunschdenken verdecken den Mangel an analytischer Intelligenz und Realismus der Regierenden, sekundiert vom Totalversagen manipulativer Demoskopen sowie der Meinungssöldner in Forschungsinstituten und herrschaftsnahen Massenmedien. Die propagierte Leitidee vom "American Way of Life" ist zerstört. Sie entlarvt sich für die große Mehrheit der US-Amerikaner bis tief in die Mittelschichten hinein als ideologisiertes Trugbild. Im Ergebnis dessen zeigt sich die tiefe Spaltung der US-Gesellschaft, die den Trend zur Radikalisierung der Gesellschaft verursacht und sich unter Trump weiter zuspitzen wird. 40 Prozent der US-Bevölkerung sehen sich nicht mehr durch das "Zweiparteiensystem" Republikaner/Demokraten repräsentiert. Aufgesetzte "Wertediskussionen" (Frauen, Sexismus, Schwule, Migranten, Rassismus et cetera) verdecken zum Teil die entscheidenden sozialökonomischen Großkonflikte.

Am Beispiel der USA offenbarte sich erneut eine eklatante Reaktions- und Reformunfähigkeit westlicher Führungseliten. Sie haben die Verbindung zur Demokratie ("Herrschaft des Staatsvolkes") verloren und damit ihr Recht auf Führung verwirkt. In blinder Wut versucht die sozial und ökonomisch benachteiligte Bevölkerungsmehrheit das verhasste Establishment abzuwählen. Hier sind Potentiale und künftige Ansätze für eine alternative US-Politik, wie sie insbesondere durch den demokratischen Sozialisten Bernie Sanders und auch die grüne Jill Stein präsentiert werden, die aber auf absehbare Zeit kaum realisierbar sind.

Die Trump-Ära wird programmatisch geprägt sein vom "Make America Great Again", die praktische Politik steht unter der chauvinistischen Grundorientierung "America First". Der neoliberale Mainstream ist seit der Reagan-Administration in den 1980er Jahren ungebrochen. Trump repräsentiert eine rechte, Obama eine linke Spielart desselben. Die makroökonomische Stabilisierung der USA ist unter Obama zeitweilig gelungen (2010-2016: Wirtschaftswachstum 2,2 Prozent pro Jahr, Arbeitslosenquote von 9,6 auf 4,8 Prozent gesunken). Seine soziale Programmatik ist dagegen gescheitert. Für die Bevölkerungsmehrheit gab es keine Fortschritte bei der Minimalabsicherung und keine Steigerung der Löhne. Eine Arbeitsplatzsicherung für große Teile der Arbeiterschaft blieb aus. Existenzängste prägen das Klima in den Unterschichten und großen Teilen der Mittelschicht. Jüngste Studien zeigen, dass 71 Prozent der US-Bürger Sorge haben, die Alltagskosten begleichen zu können, und fast 50 Prozent sind nach Angaben des Pew Charitable Trust "finanziell fragil" und "leben nah am finanziellen Abgrund".

Aus der Gesamtsituation und Kernaussagen von Trump lassen sich innenpolitische Grundorientierungen ableiten. Die rudimentären Erfolge Obamas bei der Gesundheitsreform werden unter Trump eingehegt. Obamas Vorsätze zur Einbürgerung von Millionen von Migranten sind nicht mehr relevant. Wichtig dagegen sind Trumps angekündigte Steuersenkungen für Großunternehmen. Wie damit das deklarierte Investitionsprogramm zur Arbeitsplatzschaffung ohne Steigerung der Staatsverschuldung (2010-2016: Steigerung von 95 auf 107 Prozent zum BIP) realisiert werden soll, bleibt sein Geheimnis.

Die Außen- und Militärpolitik der Trump-Administration wird die unter Obama in den letzten Jahren sichtbaren neo-isolationistischen Züge verstärken. Als Schwerpunkte zeichnen sich ab:

• Mit Russland strebt Trump - bei Aufrechterhaltung einer prinzipiellen Gegnerschaft - einen Deal unter Großmächten an, der insgesamt oder selektiv auch den Ukrainekonflikt, die Krim-Problematik und den Nahost/Syrien-Konflikt erfassen könnte. (Russland/Putin hat Interesse signalisiert.) Historische Parallelen zum Dialog Reagan-Gorbatschow aus den 1980er Jahren, der eine gewisse Entspannung und einen Prozess der Rüstungsbegrenzung ermöglichte, sind nicht ausgeschlossen (1986-2016: Abrüstung der Nuklearsprengköpfe von etwa 64.000 auf 10.000.).

• Die angekündigten Investitionsprogramme sind wesentlich auf den Militär-Industrie-Komplex der USA abgestellt. Sie sollen damit sowohl außen- und militärpolitische als auch innen- sowie (sozial)ökonomische Ziele erfüllen. Es ist demgemäß mit einer Steigerung des Militärhaushaltes zu rechnen (2000-2016: Steigerung von rund 380 auf 640 Milliarden US-Dollar).

• Deutlich wurden Positionen artikuliert, die sich als "globalisierungskritisch" mit Blick auf die USA-Interessen bewerten lassen. Zugespitzt ging es um "US-Nachteile" im Regime der Freihandelsverträge mit der Europäischen Union, den Staaten Nordamerikas (inklusive Mexiko) und Pazifikanliegern. Die Handelsbeziehungen der USA zu allen großen Weltregionen weisen eine negative Bilanz auf. Verkomplizierend wirkt die Schwächung des Dollars gegenüber "neuen" Weltwährungen wie Euro und Yuan. Eine Weiterführung der TTIP-Verhandlungen sowie ein Ausbau von NAFTA und TPP sind unwahrscheinlich.

• Gegenüber China nahm Trump rhetorisch zugespitzt-kritische Positionen ein. Insbesondere mit Blick auf die defizitär-asymmetrischen Handelsbeziehungen (US-Defizit von über 500 Milliarden US-Dollar), und den behaupteten "Verlust" von Arbeitsplätzen in den USA. Er befindet sich damit wesentlich in Kontinuität zur Obama-Regierung. Hier gilt es abzuwarten, wie weit der realpolitische Pragmatismus der neuen Regierung sich durchsetzt oder neo-isolationistische Interessen zur Zuspitzung der Beziehungen zu China führen.

• Europa - die NATO und die Europäische Union - wird in der Trump-Administration ein strategischer Partner bleiben. Sie wird dabei aber massiv auf einer Politik des traditionellen "burden sharing", der Lastenverteilung und Eigenverantwortung bestehen. Das wird einhergehen mit einer Druckpolitik, um die aus ihrer Sicht inkonsequenten Partner, möglicherweise primär Deutschland, in ihre Konfrontationspolitik militärisch und ökonomisch stärker einzubinden. Eine europäisch/deutsche Politik der stärkeren Kooperation mit den eurasischen Großmächten Russland und China wird auch eine Trump-Administration zu vereiteln suchen.

• Die künftige Politik Washingtons gegenüber dem Nahen und Mittlerem Osten ist zurzeit äußerst schwer einzuschätzen. Es ist dabei aber weniger von einer Ausweitung des militärischen US-Engagements als von einer Abwarte-/Rückzugshaltung auszugehen. Übergeordnet scheinen weitere Deals mit Russland und regionalen Schlüsselstaaten wie Saudi-Arabien, der Türkei und Ägypten. Der Iran wird sanktioniert und isoliert werden, der Atom-Deal in Frage gestellt. Israel bleibt, ungeachtet kritischer US-Stimmen, ein unverzichtbarer Partner in der Region.

• Die Lateinamerikapolitik, insbesondere gegenüber dem südlichen Nachbarn Mexiko, wird sich verkomplizieren. Erklärtes Ziel sind dabei die restriktivere Gestaltung der Einwanderungspolitik, speziell eine Abschottung gegen Migrantenströme, und die massive Abschiebung illegaler Zuwanderer. Der Bau einer "Großer Mauer" gehört wohl eher in das Trumpsche-Reich der Allmachtphantasien.

Es ist zu all diesen Schwerpunkten mit erheblichen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen politisch-ökonomischen Machtgruppierungen der USA-Großbourgeoisie zu rechnen.

Das konkrete Regierungsprogramm und das Personaltableau sind im Entstehen. Erste Vorschläge zeigen eine rechtskonservative Zuspitzung, allerdings mit mehrheitlich bekannten Persönlichkeiten, die zumindest die Ängste wegen einer Irrationalität der Trump-Administration dämpfen und Grundelemente einer (negativen) Kontinuität in der Innen- und Außenpolitik erwarten lassen.

Was auch immer Trump in Szene setzt, der Autoritätsverlust und die Schwächung der USA im Weltkonzert werden sich fortsetzen. (1980-2016: Der globale US-BIP-Anteil sank von 26 auf 16 Prozent.)

Die multipolare Globalität realisiert sich über historische langfristige Veränderungen der politischen, ökonomischen und militärischen Kräfteverhältnisse, über Zuspitzungen und Widersprüche, wird aber - wie sich in der Trump-Kampagne zeigte - auch begleitet von den Absurditäten einer Internetgesellschaft.

Die Ergebnisse des Trump-Wahlkampfes und der Sieg dieses Kandidaten sind für die Führungseliten in Deutschland und Europa, für die demokratischen Parteien von rechts bis links, ein weiterer ernster Weckruf. Gehört haben sie ihn möglicherweise. Ob sie ihn verstanden haben, ist bislang ungewiss.

Prof. Dr. Lutz Kleinwächter ist Politikwissenschaftler, lehrt an der privaten bbw Hochschule der Wirtschaft in Berlin und ist Vorstandsvorsitzender von WeltTrends e.V.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 24/2016 vom 21. November 2016, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 19. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Dezember 2016

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