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DAS BLÄTTCHEN/974: Neue Kriegsgefahren?


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 12/2009 - 8. Juni 2009

Neue Kriegsgefahren?

Von Erhard Crome


Der Nachrichtensprecher berichtete über den neuerlichen Atombombenversuch Nordkoreas. Er redete von "kommunistischer Diktatur" und sprach "kommunistisch" sehr nuanciert aus, so als seien alle, die jemals als Kommunisten zu bezeichnen waren, in Haftung zu nehmen für das, was dort geschieht; gleichsam die Fortsetzung der Anti-DDR-Kampagne dieses Jahres mit anderen Mitteln. Dann die Mitteilung "der Diktator" habe die Atomexplosion und die anschließenden Raketenstarts angeordnet. Zugleich wird allenthalben betont, Nordkorea sei das am besten abgeschottete Land der Welt. Niemand weiß, ob dieser Kim Jong-il überhaupt noch die Fäden in der Hand hat. Das Land wird auch er nicht allein regieren können; um ein Land mit über zwanzig Millionen Menschen regieren zu können, bedarf es der Staatsbürokratie, einer Polizei und so weiter. Selbst Stalin hinterließ kein Vakuum der Macht. Also erklärt die mediale Fokussierung auf diesen Menschen auch in Bezug auf Nordkorea im Grunde nichts. Aber können wir von Europa aus überhaupt wissen, was dort geschieht? Im Moment gibt es wahrscheinlich nur Teile eines Puzzles. Einige sollten näher angeschaut werden.

Im Kontext des Kalten Krieges gab es drei geteilte Länder: Vietnam, Deutschland und Korea. In Vietnam feierte die sozialistische Seite am 1. Mai 1975 ihren vollständigen Sieg; sie hatte im Gefolge des Vietnamkrieges die Einheit des Landes zu ihren Bedingungen hergestellt. In Deutschland fiel am 9. November 1989 die Mauer, die Einheit fand schließlich zu den Bedingungen statt, die die Bundesrepublik Deutschland und Kanzler Kohl wollten; die DDR blieb eine "Fußnote", von der viele im Nachgang nichts mehr wissen wollten. In Korea blieb die Frage der Einheit offen.

In den USA wird gerade jetzt der Korea-Krieg neu in die öffentliche Debatte gerückt. "Wann eigentlich hat es angefangen, daß Amerika, die im Zweiten Weltkrieg geborene Weltmacht, ferne Kriege führt, die es nicht gewinnt, die auf falschen Annahmen fußen und fatale Konsequenzen in sich tragen?" (Der Spiegel, 21/2009) Die Frage zielt auf die Niederlage im Vietnamkrieg, das Fiasko des Irakkrieges, Afghanistan. Aber angefangen hat es in Korea. Nach der Kapitulation Japans 1945 wurde Korea, das seit 1910 japanische Kolonie war, von US-amerikanischen und sowjetischen Truppen besetzt. Die Siegermächte hatten willkürlich den 38. Breitengrad als Trennlinie festgelegt; auch hier - wie in Deutschland oder Vietnam - versuchte jede Seite, in ihrem Bereich ihr politisches und Wirtschaftssystem zu etablieren.

Der Krieg brach am 25. Juni 1950 mit dem Einmarsch der Truppen des Nordens in den Süden aus, vorausgegangen war ein Grenzkrieg gegen den Norden. Zuerst eroberte der Norden fast den gesamten Süden. Dann intervenierten die USA und ihre Verbündeten und rückten fast bis an die chinesische Grenze im Norden vor. Deshalb griff die chinesische Armee direkt in den Krieg ein und schlug die westlichen Truppen weit zurück. Am Ende stabilisierte sich die Front in der Nähe des Ausgangspunktes. Der Waffenstillstand von Panmunjon am 27. Juli 1953 schrieb mit geringfügigen Veränderungen die Demarkationslinie wieder am 38. Breitengrad fest. Und dabei blieb es. Die Sowjetunion hatte den Norden mit Waffen, Ausrüstungen und Ausbildern unterstützt, China direkt interveniert, um den USA nicht ganz Korea zu überlassen; diese blieben dort, um den Süden nicht "den Kommunisten" zu überantworten. Im Krieg ließen unter der koreanischen Zivilbevölkerung über zwei Millionen Menschen ihr Leben. Es starben etwa 1,5 Millionen chinesische und nordkoreanische sowie 415.000 südkoreanische und 33.000 US-Soldaten.

Der Krieg und sein Ausgang verfestigten die Teilung. Im Norden gab es seit 1947 eine Regierung unter Kim Il-sung, dem Vater von Kim Jong-il, die aus der Kommunistischen Partei hervorgegangen war; 1948 war die Koreanische Demokratische Volksrepublik gegründet worden. Nach dem Krieg wurde ein rascher Wiederaufbau erreicht. Kim Il-sung festigte seine Herrschaft, ging nach dem Bruch zwischen Moskau und Peking auf mehr oder weniger gleiche Distanz zu beiden und machte die Ideologie des "Chuche" zur Grundlage der Politik, was meinte, auf Selbständigkeit, ja Autarkie zu setzen. 1967 wurde festgelegt, "den Anteil der Mittel für die Entwicklung der Verteidigung gleich hoch festzulegen wie den Anteil für den Aufbau der Wirtschaft und auf beiden Gebieten fast die gleiche Kraft zu konzentrieren".

Die eigene Atombombe ist eine offensichtliche Konsequenz dessen. Und die Ungleichbehandlung Israels, Pakistans und Iraks durch den Westen zeigt, daß ein Staat nur dann "ernst genommen" wird, wenn er über Atomwaffen verfügt. Die Armee Nordkoreas hat nach Schätzungen etwa 1,2 Millionen aktive Soldaten; das ist eine von fünf Armeen der Welt, die über eine Million Mann unter Waffen haben - ständig und einsatzbereit.

Anfang der neunziger Jahre befaßten sich südkoreanische Analytiker sehr intensiv mit den Vereinigungsproblemen in Deutschland. Sie interessierte vor allem, wie die Einheit innenpolitisch umgesetzt wurde und was sie kostete. Die hochgerechneten Summen ließen den Eifer für eine koreanische Vereinigung erlahmen. Aber auch die Machthaber in Nordkorea haben genau verfolgt, was in Europa geschah. Ihre Folgerung war offenbar, die Abschottung zum Süden - bei zeitweiligen kleinen politischen Bewegungen - aufrechtzuerhalten und innenpolitische Probleme mit staatlicher Gewalt, nicht mit Öffnung anzugehen. Chinas machtpolitische Reaktion auf dem Tienanmen-Platz 1989 sprach dafür, seine wirtschaftliche Öffnung dagegen wurde nicht nachvollzogen. Die Führung Nordkoreas rezipiert die "Bedrohung" durch den Süden bzw. die westlichen Staaten augenscheinlich als militärische Bedrohung.

Zur Zeit des Korea-Krieges war Korea ein armes, isoliertes Agrarland auf dem Niveau der armen Staaten Afrikas und Asiens. Bis Ende der 1960er Jahre war der Norden dem Süden auch wirtschaftlich überlegen. Dann begann im Norden die Wirtschaft zu stagnieren und setzte im Süden - nicht ohne Investitionen aus den USA und Japan - der Boom ein, der Südkorea zu einem der vier "ostasiatischen Tiger" machte. Das Bruttoinlandsprodukt lag 2005 bei über 916 Milliarden Euro. Das ist weltweit der 12. oder 13. Platz; pro Kopf sind das 18.785 Euro, also eine Größenordnung, die auf dem Niveau der EU-Länder liegt.

Nordkorea hat den ökonomischen Wettbewerb verloren. Das Herrschaftssystem ist für niemand Außenstehenden attraktiv. Was also tun, wenn man nicht abtreten will? Da bleiben nur die Spannungen nach außen, und wenn man die selbst erhöht, werden die anderen antworten, und es erhöhen sich die Spannungen weiter, die wiederum als Argument ihr das eigene Herrschaftssystem und neuerliche Rüstungen herhalten können. Das ergibt eine Spiralbewegung, die sich selbst beschleunigt. China und Rußland sind an einer solchen Entwicklung nicht interessiert, aber auch nicht an einer Instabilität auf der koreanischen Halbinsel. Japan und Südkorea werden der Atomrüstung Nordkoreas nicht dauerhaft tatenlos zuschauen - daß sie die Bombe technisch in kurzer Frist bauen können, steht außer Zweifel. In ihrer Atomrüstung werden sie sich dann aber nicht nur auf Nordkorea, sondern auch auf China beziehen - die Atomrüstung, einmal in Gang gesetzt, tendiert zum "Gleichgewicht des Schreckens". Das würde den ostasiatischen Raum zu einem eigenen Raum zunehmender Spannungen machen.

Manche Historiker haben die Lage in der Welt zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit der am Anfang des 20. verglichen und dabei auf den ersten Weltkrieg und den Balkan verwiesen. Dabei haben sie übersehen, daß die Ersten Kriege des 20. Jahrhunderts in Asien stattfanden: 1898 eroberten die USA die Philippinen, 1899-1901 der "Boxer-Aufstand" in China und die Intervention des Westens, 1904/05 der russisch-japanische Krieg, 1910 die vollständige Annexion Koreas durch Japan. Vielleicht gerät das Spannnngspotential im Fernen Osten auch heute wieder zu einer realen Gefahr. Die Aussage, die Nordkoreaner bauten die Bombe nur, damit die USA mit ihnen reden, ist da nur eine Verniedlichung.


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Quelle:
Das Blättchen, Nr. 12, 12. Jg., 8. Juni 2009, S. 12-15
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2009