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GRASWURZELREVOLUTION/1108: Flughafenausbau - "Ziviler Ungehorsam ist notwendig, ...


graswurzelrevolution 350, Sommer 2010
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

ÖKOLOGIE
"Ziviler Ungehorsam ist notwendig, ...
um die Verhältnisse zu ändern" Politisches Urteil gegen Flughafenausbaugegnerin


"Juristisch hätte es einen Freispruch geben müssen - politisch wollten sie aber eine Verurteilung", fasste Prozessbeobachter Joachim zusammen. Nach drei Tagen Verhandlungsmarathon und über 20 Stunden Verhandlungszeit in einem Hochsicherheitssaal des Frankfurter Landgerichtes herrschte Empörung bei FlughafenausbaugegnerInnen. Trotz einer auf dünnem Eis liegenden Beweislage hatte Richter Ralf Henrici am 14. April 2010 die Kletteraktivistin Cécile Lecomte wegen dreimaligen Hausfriedensbruchs, davon einmal in Tateinheit mit Nötigung, zu fünfzehn Tagessätzen verurteilt.


Von Mai 2008 bis zur Räumung im Februar 2009 lebten AktivistInnen zusammen in einem Widerstandsdorf gegen den Bau der Landebahn des Frankfurter Flughafens und die Förderung des extrem klimaschädlichen Flugverkehrs (die GWR berichtete).

Das Widerstandsdorf war wochenlang umzäunt und wurde rund um die Uhr von Polizei und Security-Leuten des Flughafenbetreibers Fraport überwacht. Die AktivistInnen protestierten mit Baum- und Harvester-Besetzungen gegen den Kahlschlag im Bannwald. Die Fraport AG erstattete in vielen Fällen Anzeige gegen die AktivistInnen, die daraufhin Strafbefehle geschickt bekamen.

Viele dieser Verfahren wurden eingestellt, Cécile jedoch erhielt eine Anklageschrift. Vor dem Amtsgericht musste sie sich wegen ihrer Beteiligung an Demos im ehemaligen Kelsterbacher Wald sowie wegen eines luftigen Spazierganges auf der Dachkonstruktion des Frankfurter Hauptbahnhofs verantworten.

Am 17. März 2010 sowie an zwei weiteren Verhandlungstagen wurden Angeklagte und UnterstützerInnen von einer BFE-Einheit in voller Montur am Eingang des Gerichtes erwartet. Dem Eichhörnchen gelang es trotzdem, eine Balustrade vom Gerichtsgebäude zu erklimmen, um Transparente zu zeigen. An einem anderen Prozesstag protestierten AktivistInnen an unerwarteter Stelle: Während die Polizei-Hundertschaft im Bereich des Infostandes - unter dem Motto "Gerichte sind zum Essen da" - an der Gerichtsstraße auffuhr, kletterten Cécile und ein weiteres "Eichhörnchen" vor dem Dienstgebäude der Staatsanwaltschaft auf zwei Fahnenmasten. "Hallo, Herr StaatsanWALD" stand auf dem Transparent. Mit den üblichen Folgen: panisch rennende Wachleute und Polizisten, die friedlich Dabeistehenden rechtswidrig Transparente entrissen.

Die ProzessbesucherInnen mussten in einer Schlange bei einem Nebeneingang anstehen und wurden alle nacheinander nach "gefährlichen Gegenständen" durchsucht, sie mussten sich bis in den Intimbereich abtasten lassen. An der Tür hing ein Zettel mit einer Auflistung der besonderen Sicherheitsmaßnahmen für den Prozess und absurden Verfügungen wie "im Sitzungssaal vorhandene Fenster sind unter allen Umständen geschlossen zu halten". Der Angeklagten wurde mulmig, als sie den Gerichtssaal betrat: ein Saal mit Plexiglas-Trennscheibe zwischen ProzessbesucherInnen und Gericht - "Schwurgerichtssaal" stand am Tür-Rahmen.

Cécile trug zu Beginn der Verhandlung vor, der von Richter Henrici gewählte Hochsicherheitssaal vermittelte den Anwesenden den Eindruck, es gehe um eine schwerwiegende Kriminalsache, was die Angeklagte als Vorverurteilung und Kriminalisierung des gewaltfreien Widerstands und Einschränkung der Öffentlichkeit wertete.

Ihren Antrag auf Verlegung der Verhandlung in einen "normalen" Gerichtssaal lehnte der Richter ohne Begründung ab.


ProzessbeobachterInnen und Angeklagte protestierten gegen das Justiztheater

In einer Pause kletterte das Eichhörnchen auf die Trennwand. "Die Mauer muss weg" skandierte daraufhin das Publikum. Während der Verhandlung flogen Luftschlangen und Flummibälle bis über die Mauer. Als ZuschauerInnen die Trennscheibe für justizkritische Meinungsäußerung nutzten, unterbrach Staatsanwalt Martin Links den Vorsitzenden Richter und erhob den Vorwurf der Sachbeschädigung. Cécile fragte nach entsprechenden Beweisen. Daraufhin musste Herr Links seinen Vorwurf zurücknehmen. Die vermeintliche Tatwaffe war einfache Kreide in flüssiger Form.

In ihrer Einlassung prangerte Cécile die Sicherheitsmaßnahmen an, sie erklärte, sie sehe sich stellvertretend für den Widerstand gegen den Flughafenausbau angeklagt. Ihre Beweggründe legte sie dar.

Aus der Beweisaufnahme ergaben sich keine Anhaltspunkte, die sie wirklich belasteten: So konnte u.a. nicht belegt werden, dass das Erklimmen der Dachkonstruktion des Hauptbahnhofs verboten sei. Nicht einmal in der Hausordnung der Bahn sei das untersagt. Es konnte auch nicht geklärt werden, wer Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs stellen darf, die Anträge erwiesen sich als fehlerhaft. Deshalb hat die Staatsanwaltschaft nach dem Lesen der Beweisanträge der Verteidigung die Polizei im Vorfeld des zweiten Prozesstages beauftragt, telefonisch bei der DB Station & Service AG eine nachträglich veränderte schriftliche Vollmachtsregelung zu erwirken - damit alles seine Richtigkeit hat. Dieser Versuch scheiterte jedoch, weil die nachträgliche Vollmachtsregelung für das Stellen des Strafantrages ebenfalls fehlerhaft war. Der geladene Zeuge benannte einen verantwortlichen Schichtleiter als Strafantragssteller. Laut Polizeiprotokoll war es ein anderer, der den Strafbefehl unterschrieben haben will.

Der Vorwurf der Nötigung bei der Besetzung einer Rodungsmaschine fiel mangels eines erkennbaren Nötigungsopfers aus - der Harvesterfahrer war laut Zeugenaussage in der Mittagspause, als die neun DemonstrantInnen die Maschine erklommen. Der Fahrer selbst konnte nicht befragt werden, weil er aus Rumänien stammt. Der Vorfall brachte die "Arbeitspolitik" der Fraport zu Tage: billige Arbeitskraft aus dem Ausland her schaffen und ausbeuten.

Auch der angebliche Widerstand bei der Räumung aus dem Harvester konnte nicht belegt werden, viel mehr wurde die Missachtung von Höhenrettungssicherheitsvorschriften durch die Polizei zu Tage gefördert.

Im Fall Kelsterbach bezweifelte die Verteidigung, dass der Flughafenbetreiber Fraport, der Strafantrag gestellt hatte, in dem Wald, der der Stadt Kelsterbach gehörte, das Hausrecht ausüben darf - trotz einer Besitzeinweisung durch das Regierungspräsidium Darmstadt. Fraport hatte lediglich die Sachherrschaft. Strafantrag durfte somit nicht Fraport stellen, sondern nur die Stadt Kelsterbach. Formal juristisch waren somit alle Strafanträge ungültig.

Trotz dieser dürftigen Beweislage spitzte sich der Prozess am zweiten Verhandlungstag zu. Der nicht vorbestraften Angeklagten drohte die Staatsanwaltschaft nun mit einem Haftbefehl. Nach der Zeugenvernehmung sagte Cécile, dass sie ihren letzten Zug erreichen müsste, andernfalls würde sie am Abend nicht mehr nach Hause fahren können und einen Arzt-Termin am Tag darauf versäumen. Dafür beantragte sie die Schließung der Hauptverhandlung um 16 Uhr, es war sowieso klar, dass ein dritter Verhandlungstag nötig sein werde. Der Richter weigerte sich, dem Antrag statt zu geben, und verkündete stattdessen eine 40-minutige Pause bis 16.20 Uhr. Inzwischen haben mehrere ProzessbeobachterInnen Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Staatsanwalt Links und Richter Henrici eingereicht. Empört reagierte ein Zuschauer auf die Antwort der Oberstaatsanwaltschaft auf seine Dienstaufsichtsbeschwerde: "[...] die schwere polyarthritische Erkrankung der Angeklagten [ist] bedauerlich. Angesichts dessen sei ihr angeraten, von Aktionen wie den Kletterübungen an der Gerichtsfassade in Zukunft Abstand zu nehmen."

Am dritten Verhandlungstag wurde bis kurz vor 22 Uhr verhandelt. Richter Henrici wollte unbedingt sein Urteil sprechen. Er ließ widerwillig die Angeklagte ihre ca. 20 Beweisanträge stellen, um keine offensichtlichen Revisionsgründe zu liefern.

Mit ihren Anträgen wies Cécile darauf hin, dass der Bau einer neuen Landebahn eine Gefahr für Natur, Leib und Leben darstelle. Es bringe mehr Flüge, mehr Lärm und gesundheitliche Gefahren für die BewohnerInnen der Region mit sich, wie unlängst die sogenannte Greiser-Studie bestätigt habe. Ein höheres Vogelschlagrisiko als bei den bereits bestehenden Bahnen sei zudem wegen der Trassenführung der neuen Bahn am Main entlang zu erwarten - was zu einer Gefährdung von Fluggästen und Personal führe.

Es folgten weitere Beweisanträge zu den Seilschaften zwischen Politik und Flug-Industrie, die die Erteilung der Genehmigung für den Flughafenausbau durch die Politik gegen den Willen der Bevölkerung möglich machten. Die Angeklagte bestritt die Rechtmäßigkeit der Genehmigungen.

Der Staatsanwalt beantragte eine Verurteilung der Angeklagten zu 50 Tagessätzen wegen dreimaligen Hausfriedensbruchs, einmal in Tateinheit mit Nötigung. Die Anklage wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte ließ er fallen. Als strafverschärfend sah er das Verhalten der Angeklagten an, die ihre Unrechtsansicht durchsetzen wolle. Er warf ihr vor, die Würde des Gerichtes durch ihr prozessuales Verhalten - damit waren ihre Anträge gemeint - zu verletzen. Weiter würde der "Zirkus" - damit waren die Zuschauer gemeint - dem Anliegen der Angeklagten schaden.

In Sachen Hausfriedensbruch setzte er sich nicht mit den Verfahrenshindernissen, sprich den fehlerhaften Strafanträgen der Fraport und der Deutschen Bahn, auseinander.

Die Nötigung sah er als gegeben an, weil die HarvesterbesetzerInnen den Fahrer am Weiterarbeiten gehindert hätten, wenn er zurückgekommen wäre. Unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit hätten die AktivistInnen nicht gestanden. Die Ansprache der Polizei "Kommen Sie da runter" sei zudem als konkludente Versammlungsauflösung zu verstehen.

Die Rechtsauffassung widerspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung - interessiert aber Staatsanwalt und Richter nicht. Einen Notstand im Sinne von § 34 StGB verneinte er. Die Angeklagte hätte nicht dargelegt, dass sie das mildeste Mittel angewendet habe, um die Gefahr abzuwenden.

Die Verteidigung plädierte auf Freispruch. Pflichtverteidiger Döhmer regte eine Einstellung des Anklagepunktes Hausfriedensbruch wegen Verfahrenshindernis an. Er verwies dabei auf die Vernehmung der Zeugen am zweiten Verhandlungstag und auf die entsprechenden Ergebnisse der Beweisaufnahme.

Eine Verurteilung wegen Nötigung käme nicht in Frage, weil es keine Nötigungsopfer gebe. Beim Nötigungsvorwurf sei zudem auf die Mittel-Zweck-Relation zu "achten. Die AktivistInnen haben keine Gewalt angewendet und ihre Aktion stand unter dem Schutz der Versammlungsfreiheit.

Die Angeklagte knüpfte in ihrem Schlusswort an die Argumentation ihres Verteidigers an. Sie betonte die Legitimität von Demos - auch in Form von Sitzblockaden - als wesentlichen Beitrag zu politischen Bildungsprozessen und Entwicklungen. Ihr Handeln wolle sie nicht nach Gesetzen richten, weil diese keine Antwort auf soziale und Umweltprobleme geben können. Gesetze seien ein Instrument zur Verfestigung von Gefahren und der herrschenden Verhältnisse. Ziviler Ungehorsam sei notwendig, um die Verhältnisse zu ändern und die Gefahren abzuwenden.

Es folgten Beispiele aus dem Ausland. In England wurden Menschen vom Vorwurf des Hausfriedensbruchs nach einer Kohlekraftwerkbesetzung freigesprochen. Das Gericht erkannte eine Notstandsituation auf Grund des drohenden Klimawandels.

"Ohne Fraport wäre ich gar nicht hier", sagte Cécile in Anspielung auf die Parolen, die die DemonstrantInnen bei ihren Aktionen im Kelsterbacher Wald riefen.


Richter Henrici wollte politisch eine Verurteilung

"Ja, die Frau Lecomte nervt", äußerte er in seiner mündlichen Urteilsbegründung. Der Richter folgte der Argumentation des Staatsanwalts. Bei einem Strafmaß von bis zu 15 Tagessätzen ist die Berufung nur zulässig, wenn sie vom zuständigen Landgericht angenommen wird. Gegen die Verweigerung der Annahme haben die Berufungsführenden kein eigenes Rechtsmittel.

Eine politische Ablehnung einer möglichen Berufung ist zu erwarten, so die Einschätzung eines Zuschauers, der den Saal vor Urteilsverkündung verließ, um sich diesen "Nonsens im Namen des Volkes" nicht anhören zu müssen. Vom Landgericht ist eine Ablehnung zu erwarten. Cécile hat ihre Erfahrungen gemacht. Das Landgericht Frankfurt/M. hatte eine über 24stündige Ingewahrsamnahme des Eichhörnchens im Zusammenhang mit Fassadenklettern für rechtmäßig erklärt. Der Gewahrsam sollte die Betroffene von der Begehung eines Hausfriedensbruchs abhalten. Erst das Oberlandesgericht Frankfurt/M. erklärte im März 2010 diesen Beschluss für rechtswidrig.

Im Strafverfahren soll hier verhindert werden, dass Rechtsmittel bis vor dem Oberlandesgericht eingelegt werden können. "Das Eichhörnchen wird trotzdem weiter für eine bessere Welt klettern!", so Cécile.


Infos:
http://waldbesetzung.blogsport.de/
OLG-Beschluss:
www.eichhhoernchen.ouvaton.org/deutsch/repression/Fassandenklettern-OLG-Beschluss-2010.pdf


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Quelle:
graswurzelrevolution, 39. Jahrgang, 350, Sommer 2010, S. 14
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2010