Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GRASWURZELREVOLUTION/1136: Italien im Jahre Null - Teil 3


graswurzelrevolution 353, November 2010
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Italien im Jahre Null

Von Massimo La Torre


Massimo La Torre ist Professor an den Unis Catanzaro in Kalabrien (Italien) und Hull (England). Für die (GWR-LeserInnen analysierte der Humboldtpreisträger und Anarchismusforscher die aktuelle Entwicklung Italiens. Teil 1 seines dreiteiligen Aufsatzes "Italia anno zero" erschien im September in der GWR 351, Teil 2 im Oktober in der GWR 352 (*). Nun veröffentlichen wir den letzten Teil exklusiv in deutscher Übersetzung. (GWR-Red.)

III.


Man könnte behaupten, dass die Geschicke einer Nation diejenigen wären, die in direkter Proportion zu den Qualitäten und Tugenden ihrer Rechten stehen. Ganz andere Geschichten und Schicksale sind die der Partei Churchills und der Clique um von Papen, oder - näher an uns - von de Villepin und von Bossi.

Unter diesem Aspekt hat Italien, nach der Epoche des Risorgimento (xliv) der "historischen Rechten", nie wieder Glück gehabt. Nach Minghetti (xlv) kamen die Sidney Sonninos (xlvi) und Salandras (xlvii), und zu guter Letzt die Katastrophe des Faschismus. Mit dieser hat die Rechte, aber auch die Linke nie wirklich abgerechnet, indem sie es vorzog, im Falle der Linken, eine Darlegung der Revolte als Lösegeld oder eben, im Falle der Rechten, den Kleben gebliebenen Schmutz unter den guten Teppich des renovierten Salons zu kehren. Es kam nun die DC (xlviii) und die Rechte zog sich, mit wenigen Ausnahmen, gemütlich in diese zurück. Aber es handelte sich um eine Partei mit starken und (universell-)katholischen Ambitionen; die animalischen Geister, die den Verfall des Faschismus überlebt hatten, erschienen in ihr auf gewisse Weise wie gefangen, unterdrückt, kontrolliert.

Die DC kann sich nicht nur als Partei der Rechten zusammenfassen, auch wenn sie es war und dies in breitester Proportion. Sie war etwas und vielleicht noch viel mehr; sie besaß einen bestimmten Ethos (wie seltsam es klingt, das heute zu sagen), der diese bösen Geister verdunkelte und maskierte, sie wiederkäute und verdaute.

Nach dem Untergang des großen "weißen Wals" (xlix), und mit ihm der anderen historischen Mitterechts- und Mittelinksparteien, springen die ideologischen Rigiditäten und Bindungen der Tradition vollständig vom Tag zur Nacht.

Es triumphiert der "Bauch" und mit ihm die animalischen Geister, die ihre Kraft wieder behaupten. Die. Laster und die Sünden, der Neid, der Zorn, die Gier, der Hochmut haben Blut und Fleisch auf ihrer Seite und die Tugenden scheinen zu blutleer um sich ihnen entgegenstellen zu können. Es ist als ob auf einmal nicht mehr Gramsci, sondern Gelli (l) der wahre italienische Ideologe wäre.

Nicht mehr Forlani (li) und Craxi (lii), sondern abermals der Großmeister (liii) und seine Anhänger sind es, die die politische Agenda diktieren. Und man erträumt und will die Revanche. Genau die, die versucht, die Geschichte der Vorjahre neu zu schreiben (man nehme den beispielhaften Fall Sofri und die Kanonisierung des Kommissars Calabresi (liv)). Der Groll ist so groß, weil die Angst so vieles, alles, zu verlieren so groß war. So groß war die Anstrengung, sich zu maskieren, sich ein ziviles Gewand anzulegen, dass man nun erneut die faschistische Uniformjacke will. So groß war die Erniedrigung, dass die Zeit gekommen ist, offenen Gesichts zu unterdrücken und sein Amt zu missbrauchen.

Berlusconi ist Ausdruck all dessen (was z.B. in einem Magazin wie "Il Boreghese" (lv) und der Post Montanellis (lvi) hochkochte). Jetzt Reicht es! Und man bläst zum Sammeln. Berlusconi ist Ausdruck all dessen und offensichtlich noch vielem anderen.


Die "Wiedergeburt" der italienischen Rechten

Es handelt sich bei dieser "Wiedergeburt" oder Neubegründung der italienischen Rechten um vier Kräfte, die sich auf der noch rauchenden Asche der DC offenbaren, zu etwas gerinnen, sich verständigen.

Dort sind die Post-Faschisten, ein nicht bedeutungsloser Teil der politischen Kultur Italiens, besonders im Süden. Sie sind endlich "verzollt" und müssen sich ihrer Vergangenheit nicht mehr schämen. Es ist nun möglich für jemanden mit dem Nachnamen Mussolini, diesen wie eine Fahne herum zu tragen und um ihn herum eine politische Karriere aufzubauen.

Dann gibt es die AnhängerInnen der "Überlegenheit" des Nordens, die sich in Venetien konzentrieren, einst arme Teufel und nun herausgeputzte und reich gewordene Schurken, die sich auf den Nabel schauen und ihn wunderschön finden, ihn gar für das Zentrum des Universums halten. Die Angst vor den Kommunisten und der Hunger, der sie in die Emigration trieb, um in Deutschland Eis zu verkaufen oder Hausmädchen in Rom zu werden, hat ein Ende. Die "terroni" - die "dreckigen und ungehobelten Süditaliener" - sind wieder solche und der Rassismus, der die roten und weißen Fahnen überlebt hat, nährt sich vorn eigenen wirtschaftlichen Erfolg, den Häusern an der ligurischen Riviera, dem Urlaub in Tunesien und - offensichtlich - von dem großen Auto. Der individuelle Egoismus, postmodernes Überbleibsel des atavistischen Hungers, wird besonders, regional; und los geht's mit Padanien (lvii), der neuen Utopie (leider einer negativen).


Der reaktionäre Katoholizismus

Dann gibt es die Kirche, den Katholizismus - jenen "jenseits-der-Alpen" und antimodernistischen. In den 80er Jahren hat sich - dank des neuen Pontifikats - eine derartige Lesart erneuert und verstärkt. Die Idee ist jene recht antike eines populistischen und reaktionären Katholizismus, der fähig ist, die Massen zu mobilisieren.

Die Kirche schmiedet nun ihre Allianz mit dem Fernsehen, ihre Versammlungen sind nun "unermesslich" mit Massen von Anbetenden um sie herum, und sie wird wieder charismatisch. Der Personalismus (nicht der von Mounier (lviii), um Himmels willen) und Totalitarismus, der seit jeher mit der Figur des Papstes verbunden ist, der Papismus könnte man sagen, nährt sich nun von einer starken Persönlichkeit wie der des polnischen Pontifex.

Es sind nun die "kleinen Brandherde" das Opus Dei, die Legione Christi, die Kikos (lix), die Neuheiten dieser Kirche und nicht die Jesuiten Salvadors, die "Befreiungstheologie" Leonardo Boffs (lx). Diese Atmosphäre ist besonders günstig für den antiliberalen italienischen Katholizismus als Überlebendem des Zweiten Vatikanischen Konzils (und diesem instinktiv feindlich gesinnt) und jahrzehntelang gut beschützt von einer gewissen DC.

Nun verselbständigt sich diese Strömung, auch diese zeigt sich ohne Skrupel und Komplexe. "Gemeinschaft und Befreiung (lxi) ist dabei die tragende Achse. Was hier zum Ausdruck kommt, ist eine Art umgekehrter Togliattismus: Wichtig ist, an den Nervenknoten der Macht zu sein, sich an die Tische zu setzen, an denen entschieden wird, was entschieden wird und nicht nach mehr zu fragen, in den Verwaltungsräten, im Akademischen Senat, in den Redaktionen von Zeitungen und Nachrichtensendungen.

Das Wichtige ist die "Hegemonie". Und diese erhält man auch durch Empfehlungen, durch Klientelismus, das Aufteilen von Machtpositionen, mit Lehrstühlen an der Universität und den Posten als Chefarzt in den Krankenhäusern. Und in dem man mit seinem Posten noch eine Masse neuer KlientInnen an sich bindet. Das ist es, was man in der Lombardei z.B. schafft. Man kann sich auch hinsetzen und mit dem Teufel verhandeln, wenn dies erlaubt, das Gesetz zur Abtreibung zu sabotieren, die eingetragenen Partnerschaften nicht zu legalisieren, Madonnen und Kruzifixe nach Belieben in öffentliche Einrichtungen zu hängen, die Patientenverfügung außer Kraft zu setzen.

Und in Wirklichkeit steht der Teufel, oder besser, der große Führer - der auf den die Rechte seit fünfzig Jahren wartet, der, der einen Harten hat und ihn auf den Tisch knallt, und brüllt und droht und ohne Scham ja sagt, wenn er nein meint - das Zentrum der Bühne. Er hat sich sogar zu ihrem Herren gemacht und dominiert unwidersprochen die Szene. Die Szene ist bereits seine, wortwörtlich in seinem Besitz, und wurde sogar von ihm geschaffen. Denn die Phantasien der ItalienerInnen haben sich durch das Fernsehen genährt, und das gehört vor allem ihm. Es wurde ihm zur Verfügung übertragen, damit er es für den Politiker Craxi verwaltet.

Aber seit dem dieser in einem Bett in Hammamat liegt, begraben unter einem Berg von Kleingeld, welches die ItalienerInnen in einem ihrer wenigen Momente der Empörung auf ihn geworfen haben (lxii), gibt es niemanden mehr, dem er Rechenschaft schuldig wäre. Die Souveränität des Großen Verkäufers, die ein wenig in der "Natur der Sache" (der "Sache" der Marktwirtschaft) liegt, fasst sich wieder und kann sich voll entfalten. Und die Italienische Rechte, diejenige, die behauptet "liberal" zu sein, weil "produktiv" und manchmal auch "laizistitisch", weil "modern" und "reformistisch", schwelgt darin, ihn mit offenem Mund zu verehren und bietet ihm ihr eigenes Schicksal an.

Es ist letztlich einfach Antikommunist zu sein, wenn es den Kommunismus nicht mehr gibt. Der Pakt ist besiegelt; der Vertrag unterschrieben; und der Große Journalist gibt ihm den Zeremonienmeister. (lxiii)

Und wieder Thron und Altar. Kirche und Reichtum als neue Werte. Das proklamiert Guiliano Ferrara. (lxiv) Man kann wieder Hurenbock und Atheist und guter Katholik sein. Wie in alten Zeiten. Wie in den Zeiten jenes Anderen. Von Jenem, der das Land mit seiner Fratze und seinem "mit den Eiern gedachten Schwachsinn", also seiner ewig eregierten Männlichkeit, erfüllte (siehe Eros e Priapo von Gadda (lxv)).

Dies ist die Rechte Italiens. Die Mischung ist explosiv. Man mixt und schüttelt die faschistische Nostalgie und die ethnischen Phantasmen der Lega, den Kult des maßlosen Reichtums und den ewig jungen Körper, die Manie für Ärsche (die Showgirls ...) und die Potenz des Anführers mit dem Schutz des Embryos als Person. Man mixt das Kruzifix in den Schulen mit der Pornografie der Villa Certosa (lxvi), den Kult um Padre Pio und dem Turiner Grabtuch mit den Festchen im Palazzo Grazioli (lxvii).

Es ist für alle etwas dabei. Alles hält sich auf verfluchte Weise, zur Befriedigung des Kleinbürgers und des Pöbels, auf den das stolze Proletariat einer stolzen Zeit reduziert wurde. Es gibt nur ein kleines Problem: es gibt die Gesetze, die Richter und diese verdammte "sowjetische" Verfassung (lxviii) von '48. Eine Altware. Dies sind die "Moderaten" des neuen kleinen Italiens. Aber das ist Hetze, "Vendee" (wie Scalfari (lxix) sagt). Schade, dass es auf der anderen Seiten keinen "Konvent", keinen Danton gibt. Unser '93 ist nur das "weiße" (lxx). Die Trikolore ist Zeug von vor fünfzig Jahren sagt der Sohn Bossis.

Ansonsten hat Fazio ((lxxi) (als Gouverneur der Banca d'Italia) vielleicht nicht die Messen zur Fürbitte für die beider Verteidigung der Porta Pia gefallenen päpstlichen Soldaten (lxxii) besucht?

Diese Rechte jedoch gewinnt wieder und wieder, aber sie macht es "in hoc signo" (lxxiii), im Zeichen des Biscione - der von Berlusconi gegründeten Gruppe Fininvest - das heißt des Cavaliere und seiner Fernsehsender (aller). Diese Rechte wurde von ihm wiederbelebt und ist gezwungen, ihn zu behalten, und sie behält ihn mit. Enthusiasmus und Profit (eine Uhr ein Ministerium, einen Platz im Europaparlament, viele öffentliche Aufträge und "große Werke" (lxxiv), einen großartigen Geländewagen).

Es ist das, was Post-Faschismus, egoistischen "Ethnizismus" und Rassismus, antimodernistischen Katholizismus und geheuchelten, oberflächlichen Laizismus, gestützt von der anachronistischen und akritischen Verherrlichung der "offenen Gesellschaft" (d.h. der Öffnung, besser gesagt der Kapitulation vor dem Privileg der starken Mächte und dem Kapital ohne Kontrollen (lxxv)), verbindet.

In diesem unwahrscheinlichen und doch effektiven Paradigma geben Hayek (lxxvi) und die "österreichische Schule" Almirante (lxxvii) und Don Giussani die Hand, unter dem segnenden Blick Bossis. Garibaldi ist geächtet, genau so wie Matteotti (lxxviii). Die unwahrscheinliche Lötstelle wird im Palazzo Grazioli zusammengehalten (der bedeutsamer weise direkt neben dem Palazzo Venezia (lxxix) liegt). Patrizia D'Addario (lxxx) hätte, wenn sie sich nur einen Moment hätte ablenken lassen, die selbe Tür wie Claretta (lxxxi) nehmen können.

Es ist im Palazzo Grazioli, wo die "Kohle", das "echte Geld", was von der Marcegaglia (lxxxii) gefordert wird, wo der Pomp ist und der Jahrmarkt der Eitelkeiten stattfindet, und wo Presse und Fernsehen kontrolliert werden. Ohne den medienwirksamen "Schotter" und den "Schergen" (und wie viele das sind...!) Pantalones (lxxxiii) müssten sich die Anderen, die Alliierten, die anderen Teile dieser Rechten, auf der Suche nach irgend einem Knochen zum Nagen, erneut anstrengen und sich erneut plagen, und es ist nicht schwer vorauszusehen, dass sie wieder streiten würden. Es ist der erneuerte und mystische Körper des Cavaliere das Unterpfand und der Heilige Graal dieser Rechten. Die hingeht, wo Er hingeht, und da Er - wie alle - auf sein Ende zugeht ("vanitas vanitatum" - sagte Padre Christopherus; aber gibt es heute irgendjemanden, der bereit wäre, sich für den Einzug in den Palazzo Grazioli aufstellen zu lassen?), er dies aber als Sache, die seiner Souveränität nicht geziemt, nicht erträgt, wird er alles versuchen, den "salto mortale", das letzte Fest (lxxxiv), das Fest der Nacht der Republik. In einem Wort: die Verfassungsänderung.

Dies ist schaurig vom Bruch des zivilen Zusammenlebens vorbereitet, welchen die Pioniere der Lega hartnäckig verfolgt haben. Der Leghismus von Adro (lxxxv), mit seinem dummen Mangel an Empathie für den Anderen und den Unterschiedlichen, repräsentiert die Endphase des Berlusconismus. Das Bel Paese wird endlich zum Explodieren gebracht, die Sprengsätze unter den Brücken der nationalen Solidarität wurden gezündet. Der Sinn für Anstand und der Gefallen am Gespräch mit dem Nachbarn und dem Fremden, die unser Italienisch-Sein charakterisierte und dessen letzter Stolz war, werden niedergemetzelt.

Hier berührt man mit der eigenen Hand die wirkliche Entchristianisierung; hier findet sich die "Christophobie", denn es gibt kein Erbarmen mehr für den "armen Christenmenschen". (lxxxvi)

Die Lega und Berlusconi transformieren uns alle in Denunzianten von Einwanderern, in Kopfgeldjäger, allein "Vorarbeiter"; die "Menschen" bleiben die Anderen, die mit der dunklen Hautfarbe und mit dem Kopftuch. Sie werden misshandelt, erniedrigt, aus den Dörfern des ehemaligen Königreichs Lombardo-Venetien ausgewiesen. Aber mit ihnen wird auch jenes Italienisch-Sein, auf das wir einst stolz waren, bestehend aus Sinn für Humor (aber die "Grünhemden" (lxxxvii) und die Ampullen mit dem Wasser des Po haben diesen seit langem getrübt), für Gastfreundschaft, für Sympathie mit dem armen Teufel, für eine Geschichte von uns selbst, in der es ganz zentral eine Episode der Immigration und des Elends gab, ausgewiesen und erniedrigt.

In diese Richtung geht die Rechte. Dies ist der salto mortale: der dreifache Bruch der nationalen Einheit, des Anstandes im Zusammenleben, des Rechtsstaates. Der notwendige Schritt ist die Reform und die endgültige Versenkung der republikanischen Verfassung.

Es sei denn es nähert sich ein 25. Juli (lxxxviii), den es vielleicht zum Teil, in kleinem Maßstab, durch ein Zügelziehen Finis, der als der "Thronfolger" des Führers erschien und ihm als Deputierter sein Partner bei der Eroberung des Quirinals war, schon gab. Die Anomalie von uns, diesem Italien der Jahre '10, lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen. Sie ist in der folgenden Litanei enthalten: "zum Glück gibt es Fini, zum Glück gibt es Fini"... (lxxxix)

Übersetzung aus dem Italienischen: Lars Röhm


Anmerkungen des Übersetzers:

(xliv) Risorgimento: Epoche um die Bewegung zur nationalen Einheit Italiens Mitte des 19. Jh.

(xlv) Marco Minghetti 1818-86): Italienischer Politiker und Vertreter der "historischen Rechten". War bemüht die Vatikantreuen mit den Liberalen zur Zeit des Risorgimento zu vereinen.

(xlvi) Barton Sidney Sonnino (1847-1922): Italienischer Konservativer. Mehrfach kurzzeitig Präsident des Ministerrates. Außenminister, der an den Geheimverhandlungen zum Einstieg Italiens in den 1. Weltkrieg teilnahm.

(xlvii) Antonio Salandra (1853-1931): Konservativer italienischer Politiker. Setzte sich nicht nur für den Kriegseintritt Italiens (zusammen mit Sidney Sonnino) ein, sondern wurde 1922 auch zum Befürworter der Machtergreifung Mussolinis.

(xlviii) Democrazia Cristiana: ital. Christdemokraten.

(xlix) Der DC.

(l) Licio Gelli: Italienischer Unternehmer und Begründer der Freimaurerloge P2, deren Großmeister er war. Meldete sich unter Mussolini freiwillig zu den Schwarzhemden (den faschistischen Spanienkämpfern). Nach dem Krieg wurden ihm Kontakte zum CIA nachgesagt (er wurde wegen der Weitergabe von Staatsgeheimnissen angeklagt). Dies gilt insbes. für die Operation Gladio und den sog. "Golpe Borghese, welche den Einfluss der Kommunisten in Italien zurückdrängen sollten. Er hegte gute Kontakte zu Peron und der späteren argentinischen Diktatur. Er wurde verurteilt in Zusammenhang mit dem Bankrott der Ambrosiusbank (die in Verbindung mit der vatikanischen Bank stand). Im Zusammenhang mit dem Bombenanschlag von Bologna - der Teil der Strategie der Spannung war und für den die faschistischen NAR (Nuclei Armati Rivoluzionari - Bewaffnete Revolutionäre Zelten - um den späteren Forza Nuova Chef Alberto Fiore) verantwortlich gemacht wurden und es Verquickungen mit dem Militärgeheimdienst SISMI gab, wurde Gelli 1995 vom Kassationsgericht wegen Verdunkelung verurteilt.

(li) Arnaldo Forlani: Bekannter Politiker der Christdemokraten. Stand für eine Linie, die das Mitte-links-Bündnis der Christdemokraten nicht brechen wollte.

(lii) Siehe Endnote xxii.

(liii) Anspielung auf die P2. Siehe hierzu die Anmerkungen zu P2 (xix) und Lucio Gelli (l).

(liv) Adriano Sofri war führendes Mitglied der außerparlamentarischen linken Gruppierung Lotta Continua (der Name ist eine Art Wortspiel aus der direkten Übersetzung "Fortwährender Kampf" und der Schlusszeile der von der Bewegung verteilten Flugblätter la lotta continua - der Kampf geht weiter). Er wurde als Anstifter für den Mord am Polizeikommissar Calabresi (1972) verantwortlich gemacht und 1997 definitiv zu 22 Jahren Haft verurteilt. Der Kommissar Calabresi war Verantwortlicher der Politischen Abteilung der Mailänder Polizei und nach dem Bombenattentat der Piazza Fontana (1969) u.a. für das Verhör des anarchistischen Bahnarbeiters Guiseppe Pinelli verantwortlich, welcher bei einer Verhörsitzung aus dem Fenster stürzte und starb. Der Fall weist bis heute zahlreiche Ungereimtheiten auf. Die Gerichte stellten damals weder Mord noch Selbstmord, sondern ein körperliches Unwohlsein, welches Pinelli das Gleichgewicht verlieren ließ, als Todesursache fest. V.a. in der Linken wurde jedoch der Kommissar Calabresi für seinen Tod verantwortlich gemacht. Die Zeitung von Lotta continua fand damals harte Worte der Kritik und ihre Herausgeber - darunter Sofri - wurden mehrfach der Anstiftung zum Mord angeklagt. Sofri beteuerte jedoch stets seine Unschuld. Nach dem Geständnis eines der Täter, der Sofri direkt belastete (und dadurch freigesprochen wurde) kam es letztlich zur Verurteilung Sofris. Kritiker und bekannte linke Journalisten sahen jedoch auch in diesem Prozess zahlreiche Ungereimtheiten. Er stand im Zentrum einer heftigen Debatte um linken und rechten Terrorismus in Italien. So setzten sich z.B. Repräsentanten der Rechten dafür ein, dass in Zusammenhang des nachweislich von Faschisten verübten Bombenattentats am Hauptbahnhof von Bologna (1980) nicht mehr von "faschistischer Gewalt" gesprochen werden sollte. Unter Papst Johannes Paul VI wurde ein Verfahren zur Seligsprechung des Kommissars Calabresi als "Diener Gottes" initiiert.

(lv) Il Borghese (dt. Der Bürger): seit 1950 erscheinendes politisches Magazin der Rechten. Unter den Schlagworten Gott, Vaterland, Familie kritisierten sie immer wieder die Parteienherrschaft" und stürzten sich auf die Korruptionsskandale Anfang der 90er um Tangentopoli und mani pulite (siehe Anm. (xxiii).

(lvi) Indro Montanelli (1909-2001): Italienischer Journalist, Schriftsteller und Historiker. Schrieb u.a. für "Il Borghese". War Freiwilliger bei der Italienischen Militärintervention in Eritrea unter Mussolini und schrieb für die Faschistische Presse. Im Spanischen Bürgerkrieg entwickelt er jedoch Sympathien für die AnarchistInnen und erhält zum Dank für die Rettung eines anarchistischen Kämpfers sogar den Mitgliedsausweis der Anarchistischen Föderation Katalonien, mit dem er sich zeitlebens schmücken sollte.

(lvii) Name für ein v.a. von der Lega Nord favorisiertes, unabhängiges Norditalien.

(lviii) Der Philosoph Emanuel Mounier entwickelte in den 1930ern den Personalismus als eine philosophische Schule zwischen Individualismus und Totalitarismus.

(lix) Neokatechumenale Religionsgemeinschaft innerhalb der katholischen Kirche. Benannt nach dem spanischen Maler (und Picassoschüler) Francisco "Kiko" José Gómez Argüello Wirtz. Nach einer Krise und einer "Madonnenerscheinung" findet in dem Künstler eine spirituelle Wandlung statt, die ihn mit anderen eine Religionsgemeinschaft der Armen und Ausgestoßenen gründen lässt, da ihm die Madonna bei ihrer Erscheinung gesagt habe, Jesus sei im Leid der Armen zu finden. Er gilt als einer der Begründer des Neokatechumenalen Wegs; d.h: eines Bildungsweges, der Erwachsene an den Christlichen Glauben heranführen soll. Die Lehre richtet sich stark am Zweiten Vatikanischen Konzil aus und sieht in der Osternacht die Erneuerung des Taufversprechens. Die Glaubensregeln wurden 2008 offiziell vom Vatikan anerkannt.

(lx) Brasilianischer Theologe und Hauptvertreter der
Befreiungstheologie.

(lxi) Gemeinschaft innerhalb der katholischen Kirche (hervorgegangen aus der Azione Cattolica) um den Priester Luigi Guissani, die sich auf keine feste Mitgliedschaft bezieht, deren Anhänger aber weltweit auf ca. 100.000 geschätzt werden. Es handelt sich also eher um eine Bewegung. Die religiöse Praxis ist stark an den traditionellen Lithurgien ausgerichtet, umgreift alle Lebensbereiche und ist sehr missionarisch. G+B war in Zeiten der Krise der Kirche (1970er) als Volksbewegung angelegt und fand breite Unterstützung im Vatikan.

(lxii) Aus Protest gegen seine Korruption und v.a. seinen freimütigen Umgang damit, wurde Craxi seinerzeit von der Bevölkerung mit Kleingeld beworfen.

(lxiii) Am 8. Mai 2001, kurz vor den Wahlen, unterschrieb Berlusconi den von ihm erfundenen "Vertrag mit den Italienern", in dem er für den Fall eines Wahlsieges massive Steuererleichterungen, Rentenerhöhungen, mehr Sicherheit, Verringerung der Arbeitslosigkeit und mehr Bauvorhaben (B. ist selbst Bauunternehmer) versprach. Vorgestellt wurde das Programm öffentlichkeitswirksam in der Sendung Porta a Porta (Polit-Talkshow) bei dem Moderator Bruno Vespa (= der "Große Journalist").

(lxiv) Intellektueller, Journalist und Politiker. Begann seine politische Laufbahn in der 68er Revolte, schrieb sich später in die PCI, dann in die PSI ein, um letztlich Minister unter Berlusconi zu sein. Er arbeitete als Journalist mit den Lotta Continua Aktivisten Adriano Sofri und Enrico Deaglio in dem investigativen Magazin Reporter zusammen. Später gab er über diese Zeit zu, bezahlter Informant des CIA gewesen zu sein. Später wurde er Direktor des neokonservativen Blattes Il Foglio und gilt als wichtigste intellektuelle Referenz der italienischen teocons.

(lxv) Eine "Psychoanalyse des Faschismus" des italienischen Schriftstellers Carlo Emilio Gadda. Hierin stellt er den Faschismus als phallozentrisch, machistisch, exhibitionistisch und in letzter Hinsicht neurotisch dar.

(lxvi) Berlusconis Landsitz. Siehe auch Anm. vii.

(lxvii) Wohnsitz Berlusconis in Rom.

(lxviii) Im Zuge eines Disputs mit dem Staatspräsidenten Napolitano im Jahre 2009, als dieser sich weigerte einen Gesetzesentwurf zu unterzeichnen, der der Familie der damals im Koma liegenden Eluana Englaro untersagt hätte, die lebenserhaltenden Maßnahmen abzuschalten, erwog Berlusconi eine Verfassungsänderung u.a. mit der Begründung, die aktuelle Verfassung sei bei ihrer Entstehung zu sehr von der Sowjetischen beeinflusst worden.

(lxix) Eugenio Scaffari: Parlamentsabgeordneter der PSI und Gründer der Tageszeitung La Republica.

(lxx) Historisch betrachtet kommt das Weiß und das Rot aus der Flagge Bolognas (rotes Kreuz auf weißem Grund) zu Zeiten der napoleonischen Invasionen und verbreitete sich durch die wirtschaftlich und politisch zentrale Position Mailands schnell im ganzen Norden. Im übertragenen Sinn steht das Weiß zumeist für den Glauben.

(lxxi) Antonio Fazio: Ökonom und von 1993-2005 Gouverneur der Banca d'Italia.

(lxxii) Während das Königreich Italien mit Hauptstadt Florenz bereits existierte, gehörte ganz Rom und das Latium noch zum Kirchenstaat, der von den Soldaten Napoleons III. und Freiwilligen aus aller Herren Länder verteidigt wurde. Erst mit dem Sturz Napoleons III. wurde eine Eingliederung auf kriegerischem Wege möglich. Am 20. September drangen italienische Soldaten durch die Porta Pia in den Kirchenstaat ein und annektierten Rom, welches kurz darauf zur Hauptstadt des vereinten Italiens wurde.

(lxxiii) In hoc signo vinces: Kurz vor der Schlacht an der Milvischen Brücke (312) soll Konstantin der Große zuerst ein Kreuz und dann im Traum Jesus erschienen sein, der ihm sagte: in hoc signo vinces (Gr.: En touto nika. Dt.: In diesem Zeichen wirst du siegen). Daraufhin befahl Konstantin, das Jesusmonogramm aus den griechischen Zeichen Chi (X) und Rho für ÑÉÓÔÏÓ (Christos) auf das Labrum - die Heeresstandarte - anzubringen (eine andere Überlieferung spricht vom Kreuz auf den Schilden der Soldaten). Konstantin besiegte seinen Kontrahenten Maxentius und wurde somit Alleinherrscher über das Römische Weltreich. In Folge wurde nicht nur das Tolerazedikt gegen die Christen bestätigt, sondern durch die Legende wurde in der christlichen Ikonographia das Stauron (Jesusmonogramm) erstmals zum Symbol für Macht und Herrschaft erhoben.

(lxxiv) Siehe "Vertrag mit den Italienern" (Anm. lxiii).

(lxxv) Hier auch als Anspielung an die "offene Stadt": v.a. im 2. Weltkrieg wurden einige Städte wie Rom, Florenz u. Paris dem anmarschierenden Feind ohne Widerstand übergeben. Offiziell sollten so Städte von hohem kulturellen Wert vor der Zerstörung bewahrt werden. Im Falle Roms nutzten die Deutschen den Schutz der Abmachung, um die Truppenverschiebungen nach Süden in Ruhe abwickeln zu können und die jüdische Bevölkerung zu deportieren oder in den Fosse Ardeatine umzubringen.

(lxxvi) Friedrich August von Hayek: Begründer der Österreichischen Schule der Nationalökonomie und einer der wichtigsten Theoretiker des Liberalismus des 20. Jahrhunderts. Galt als starker Gegner des Keynesianismus.

(lxxvii) Giorgio Almirante: Gründer des MSI (siehe Anm.: xv).

(lxxviii) Italienischer Sozialist und Antifaschist. Nach einer Rede in der Reputiertenkammer gegen den Wahlbetrug der Faschisten wurde er 1924 ermordet in der Nähe von Rom aufgefunden.

(lxxix) Von dessen Balkon Mussolini seine Reden hielt.

(lxxx) Callgirl, welches mehrfach Kontakt mit Berlusconi hatte und 2009 für einen politischen Skandal sorgte, als sie als Kandidatin für den regionalen Ableger "Apulien vor allem Anderen" bei den Kommunalwahlen in Bari antrat.

(lxxxi) Clara Petacci: Geliebte Mussolinis. Ihre mehr oder minder geheimen Treffen fanden oft, als "Audienz" getarnt, in Mussolinis Büro im Palazzo Venezia (eben direkt neben Berlusconis Wohnsitz) statt. Clara Petacci wurde mit Mussolini zusammen von Partisanen hingerichtet und in Mailand mit den Füßen zuerst an einer Esso Tankstelle aufgehängt. Wegen den 30 Jahren Altersunterschied trug sie den Spitznamen Claretta "kleine Clara". Claretta ist ebenso der Name eines biographischen Films mit Claudia Cardinale als Clara Petacci.

(lxxxii) Italienisches Großunternehmen v.a. in der Metallindustrie.

(lxxxiii) Maske aus der Commedia dell'Arte. Entstanden im 16. Jh. Stellt das Stereotyp des alten, reichen und gierigen venezianischen Kaufmanns dar.

(lxxxiv) Möglicherweise eine Anspielung auf den Roman L'ultima Festa dell'Empire (das letzte Fest des Empire) von Angelo Rinaldi. In dem Roman kehrt ein korsischer Emigrant anlässlich des Cafe Empire seiner Mutter in die Heimat zurück. Die Reise entwickelt sich zu einer Reise in die eigene Vergangenheit (ihrer Probleme und Widersprüchlichkeiten und Lügen) und endet mit dem letzten Fest im Empire.

(lxxxv) Das norditalienische Städtchen Adro (in der Nähe von Brescia) sorgte 2009 für Furore, als dessen Bürgermeister Oscar Lancini eine neue öffentliche Schule einweihte, die nicht nur nach Gianfranco Miglio - einem der Vordenker der Lega Nord - benannt wurde, sondern rund 400 mal (von Wänden über Aschenbecher bis zur Fußmatte) mit der sog. Alpensonne, sechs strahlenförmig angeordnete grüne Blätter auf weißem Grund, verziert wurde. Die gilt zwar auch als folkloristisches Symbol für die Region, ist aber bekannter als offizielles Parteisymbol der Lega Nord.

(lxxxvi) Original: povero cristo (dt. armer Kerl, armer Schlucker). "Armer Christenmensch" wurde hier zur Beibehaltung des Wortspiels und des Konzeptes gewählt und ist in dem Sinne zu lesen, wie z.B. Büchner es im Woyzeck benutzt, d.h. im Sinne von "Benachteiligter", "Unglückseeliger".

(lxxxvii) Lega Nord. Ihre Anhänger zeichnen sich z.T durch das Tragen grüner Hemden aus. Diese Uniformierung zeigt eine gewisse Nähe zu den faschistischen Schwarzhemden.

(lxxxviii) 25. Juli 1943: Tag an dem Mussolini vom Faschistischen Großrat abgesetzt wurde.

(lxxxix) Anspielung auf einen Wahlslogan Berlusconis: "Zum Glück gibt es Silvio".



(*) Hinweis der Schattenblick-Redaktion:
Teil 1 dieses Artikels siehe unter:
SCHATTENBLICK -> INFOPOOL -> MEDIEN -> ALTERNATIV-PRESSE  
GRASWURZELREVOLUTION/1112: Italien im Jahre Null - Teil 1
GRASWURZELREVOLUTION/1124: Italien im Jahre Null - Teil 2


*


Quelle:
graswurzelrevolution, 39. Jahrgang, 353, November 2010, S. 10-11
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Tel.: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net

Die "graswurzelrevolution" erscheint monatlich mit
einer Sommerpause im Juli/August.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 30 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. November 2010