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GRASWURZELREVOLUTION/1314: Die Waffenverbrennungen von Timbuktu 1996 und der "Weiße Marsch" 2013


graswurzelrevolution 376, Februar 2013
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Antimilitarismus
Die Waffenverbrennungen von Timbuktu 1996 und der "Weiße Marsch" 2013

Unglaublich, aber wahr: Traditionen der gewaltfreien Aktion in Mali und eine aktuelle Kampagne, die sich darauf beruft



Die aktuellen Berichte der westlichen Mainstream-Medien sind derart kriegstreiberisch, dass die deutsche Öffentlichkeit gravierend uninformiert bleibt über eine Tradition der Gewaltfreiheit und eine sich darauf berufende Initiative basisorientierter KriegsgegnerInnen innerhalb Malis: der Runde Tisch von Timbuktu 1995 und die darauf folgenden Waffenverbrennungen unter dem Namen "flamme de la paix" (Friedensflamme) in Timbuktu 1996.


Die malische Sektion der Flüchtlingsgruppe Afrique-Europe-Interact ist auch in Frankreich und Deutschland aktiv.

Nach 32jährigem Bürgerkrieg (1962-1996) seit der Unabhängigkeit Malis machte sie an diese Tradition des Friedensschlusses aufmerksam. Daran anknüpfend hatte sie seit Monaten einen Friedensmarsch von Mopti nach Douentza geplant.

Dieser Friedensmarsch sollte genau in jener Regien in der Mitte Malis an der Demokationslinie stattfinden, an der französische Truppen und die malische Armee auf der einen Seite und die bewaffneten islamistischen und Tuareg-Gruppen des Nordens auf der anderen Seite nun Krieg führen.

Der ursprüngliche Plan sah vor, 5000 Menschen in Mali für eine kriegsverhindernde Lösung zu mobilisieren und damit die damals laufenden Verhandlungen zwischen der laizistischen Tuareg-Formation MNLA sowie der islamistischen Tuareg-Fraktion Ansar Dine mit der politischen Führung Algeriens zu unterstützen.

Der dahinter stehende Gedanke war, damit die inzwischen gegenüber der MNLA dominant gewordene islamistische Dreier-Koalition im Norden (zur der neben Ansar Dine die islamistische Al-Qaida-Gruppe im inneren Maghreb (AQMI) sowie die AQMI-Abspaltung Mujao gehören) strategisch aufzusprengen. (1)


Die Waffenvorbrennungen von Timbuktu 1996

Obwohl die malische Gruppe den hinterfragbaren Begriff der "Zivilgesellschaft" für sich in Anspruch nimmt, ist sie - wenn auch stark minoritär - doch regierungsunabhängig und grundsätzlich kriegsgegnerisch eingestellt. In einem aktualisierten Spendenaufruf, den Afrique-Europe-Interact Deutschland mit Datum vom 11.01.2013, also dem Tag, an dem die französische Armee erstmals schwere Bombenangriffe auf islamistisch kontrollierte Städte geflogen hatte, schreiben die IniatorInnen des Weißen Marsches von Mopti nach Douentza, dass sie nach wie vor "eine militärische Lösung im Norden strikt ablehnen." (2)

Deshalb wollen die malischen AktivistInnen des Friedensmarsches auch nach Kriegsbeginn an ihrem Projekt festhalten, auch wenn sich die Bedingungen dafür täglich verschlechtern. In ihrer Begründung weisen sie "ausdrücklich darauf hin [...], dass in Mali bereits 1996 auf Initiative zivilgesellschaftlicher Akteure der damalige Bürgerkrieg zwischen malischer Armee und Tuareg-Rebellen im Rahmen der berühmten Waffenverbrennungen von Timbuktu, der 'flamme de la paix', beendet werden konnte". Außerdem berichten die InitiatorInnen des Marsches von Aktionen zivilen Widerstands im Norden Malis, darunter mutige "(Nackt-)Demonstrationen von Frauen und Mädchen [ungefähr nach Art der gewaltfreien Aktionen der ukrainischen feministischen Gruppe. "Femen"; d.A.], Massenaufläufe junger Leute oder Stellungnahmen lokaler Honoratioren." (3)


Was hat es mit dieser Tradition der historischen Waffenverhrennungen von Timbuktu auf sich?

Die Erklärung muss weit zurückgehen, bis zum kolonialen Erbe: "Als 1960 auf dem Territorium des ehemaligen französischen Kolonialreichs unter anderem Mali, Niger und das heutige Burkina Faso die Unabhängigkeit erlangten (gemäß der im Anschluss an die Kongo-Konferenz 1895 in Berlin schrittweise erfolgten Grenzziehungen im kolonial beherrschten Afrika), sahen sich die Tuareg mit einer nationalstaatlichen Zerstückelung ihres bisherigen Siedlungs- und Wandergebiets konfrontiert. Es war insofern nur folgerichtig, dass viele von ihnen jede Form der Kooperation mit dem jungen malischen Staat verweigerten [...]."(4)

In der Folge entwickelte sich ein fataler gegenseitiger Rassismus des Südens gegen den Norden (Schwarz gegen Weiß) und aber auch des Nordens gegen den Süden (Weiß gegen Schwarz mit Feudalstrukturen und Formen der Sklaverei von Schwärzen bei den Tuareg):

"Danach hätte die neue Regierung in Bamako die Tuareg 'als weiße, anarchistische, feudale, faule, Sklaverei-befürwortende NomadInnen mit Zivilisierungsbedarf' betrachtet [ich betone die krude Mixtur in dieser Beschreibung, die jedoch auf real wohl gleichzeitig vorhandenen Traditionen autochtoner Selbstverwaltung einerseits und patriarchal-feudaler Hierarchien andererseits beruht; d.A.], während die malischen PolitikerInnen in den Augen der Tuareg-Elite lediglich 'schwarze, inkompetente, unzuverlässige, machtgierige und getarnte Sklaven' gewesen seien. Es konnte daher kaum überraschen, dass es 1962 erstmalig zum Aufstand [der Tuareg; d.A.] gekommen ist, der allerdings auf äußerst brutale Weise niedergeschlagen wurde. Ein Muster, das sich fortan regelmäßig wiederholen und zwischen 1992 und 1994 förmlich eskalieren sollte [...]. Und doch: So leidvoll die Auseinandersetzungen insbesondere für die jeweiligen Zivilbevölkerungen gewesen sind, sie enthalten auch positive Beispiele, insbesondere die Jahre 1994/1995, als zivilgesellschaftliche Akteure von beiden Seiten unter Umgehung der malischen Armee sowie der Rebellenführung der Tuareg relativ rasch Friedensgespräche einfädelten, die sodann im März 1996 in die große Waffenverbrennung von Timbuktu - der 'flamme de la paix' - einmündeten [und erstmals zu leichten Verbesserungen der Lebensbedingungen im Norden sowie zur Auflösung der damaligen Tuareg-Guerillagruppen führten; d.A.]. Erfahrungen wie diese sind es daher, welche die zaghafte Hoffnung der malischen Sektion von Afrique-Europe-Interact begründen, dass die aktuelle Doppel-Krise nicht nur mit den Tuareg, sondern auch mit Teilen der Islamisten einvernehmlich, das heißt im Dialog gelöst werden könnte [...], selbst mit Ansar Dine (Verteidiger des Glaubens), die als größte der drei islamistischen Gruppen im Norden derzeit an Verhandlungen beteiligt ist." (5)


Dynamik des Krieges bedroht tolerante Sufi-Traditionen

Von letztgenannter Hoffnung muss sich die Mali-Gruppe von Afrique-Europe-Interact (AEI) nun aber wohl verabschieden, denn Ansar Dine hat jüngst die Verhandlungen in Algier abgebrochen und beteiligt sich an den militärischen Aktionen der islamistischen Dreierkoalition im Kampf gegen die französische Armee.

Die InitiatorInnen des Weißen Marsches weisen jedoch daraufhin, dass der Anspruch eines eigenen nationalistischen Tuareg-Staates der MNLA im Norden auch mit guten Gründen hinterfragbar ist. Denn die Tuareg machen allenfalls ca. 32% der Bevölkerung im kargen Norden aus, in den Städten Gao und Timbuktu gar nur 15 Prozent. Es gibt im Norden heute auch eine arme, von Landraub (landgrabbing) bedrohte, sesshafte und Landwirtschaft betreibende Bevölkerung (die malische Regierung hat auf Druck der Weltbank und anderer westlicher Finanzinstitutionen seit 2003 mindestens 540.000 Hektar Boden im Norden verkauft!). Überhaupt, so AEI, gebe es im Norden ein Jahrhunderte langes "multiethnisches bzw. -linguales Zusammenleben", das kulturell tief verankert sei.

Denn "Salafismus und Fundamentalismus haben bislang im traditionell toleranten, stark von sufistischer Mystik geprägten Islam des westafrikanischen Landes so gut wie keine soziale Basis." (5)

Doch genau diese Sufi-Tradition, mit der auch eine weit verbreitete Ablehnung jeder Sharia-Politik verbunden ist, sei nun durch eine Dynamik des Krieges bedroht:

"Mit Blick auf vergleichbare Beispiele wie Afghanistan, Somalia, Irak oder Nigeria spielt in diesem Zusammenhang auch die Erfahrung eine maßgebliche Rolle, dass islamistische Bewegungen häufig gestärkt aus bewaffneten Auseinandersetzungen hervorgegangen sind, und das vor allem deshalb, weil es innerhalb der Bevölkerung zu Polarisierungs- und Solidarisierungseffekten kommt, sobald zivile Opfer zu beklagen sind" (6), was nun durch die Städte-Bombardierungen der französischen Armee bereits zuhauf der Fall ist.

Schließlich weist AEI Deutschland noch auf den Frauenwiderstand in Mali hin und beklagt auch hier, dass wie bei der Tradition der Waffenverbrennungen die herrschenden Medien in Deutschland auch darüber kaum einmal berichten.

So habe der von der in Mali bekannten Globalisierungskritikerin und ehemaligen Kultusministerin Aminata D. Traoré initiierte Aufruf "Frauen in Mali, sagt Nein zum Stellvertreterkrieg!" hierzulande keine öffentliche Resonanz gefunden: "In dem von zahlreichen Frauenrechtlerinnen mitgetragenen [...] Aufruf wird nicht zuletzt scharf damit abgerechnet, dass einmal mehr im Namen von Frauenrechten ein Krieg gegen islamistische Terroristen geführt werden soll. Denn in Kriegen seien es stets die Frauen, die in erster Linie die kriegsbedingten Lasten tragen müssen." (7)

Diejenigen Gruppen in Mali wie das Mouvement Sans Voix (Bewegung der Menschen ohne Stimme), die malische Gruppe von Afrique-Europe-Interact sowie die Antikriegsinitiativen von Frauenrechtlerinnen sind aus graswurzelrevolutionärer Sicht unterstützenswerte minoritäre Initiativen, die sich dem Krieg und dem Bürgerkrieg mutig entgegenstellen. Deshalb verdient der Weiße Marsch unsere Unterstützung, solange die InitiatorInnen daran festhalten, ihn durchführen zu wollen.

S. Tachelschwein

Dank an Heinz für Hinweise.


Anmerkungen:

(1): Vgl. dazu z.B. den Artikel von Fassery Traoré des Mouvement Sans Voix in Bamako: "1 Jahr ist genug", abgedruckt in: Interact. Für Bewegungsfreiheit und gerechte Entwicklung, Nr. 2, der Zeitung von Afrique-Europa-Interact, Winter 2012/2013, S. 1. Diese Zeitung wurde am 8. Dezember 2012 auch der taz beigelegt und als Massenzeitung in einer Auflage von 10.000 Exemplaren zusätzlich vertrieben. Die Zeitung kann auch heruntergeladen werden unter:
http://ffm-online.org/2013/01/04/netzwerk-afrique-europe-interact-taz-beilage-122012/

(2): Vgl. "20000 Euro für 'weißen Marsch' von Mopti nach Douentza (2. Aufruf). Basisinitiativen in Mali fordern dialogorientierte Lösung trotz drohender militärischer Eskalation im Norden des Landes", siehe:
www.afrique-europe-interact.net/index.php?article_id=835&clang=0

(3): Ebenda.

(4): Zit. nach: "Koloniales Erbe. Stichworte zum jahrzehntelangen Tuaregkonflikt im Norden Malis", in: Interact, Nr. 2 (siehe Anm. 1), S. 3

(5): Ebenda.

(6): Zit. nach "20000 Euro für 'weißen Marsch' von Mopti nach Douentza (2. Aufruf)", siehe Anm. 2

(7): Vgl.:
www.slateafrigue.com/98611/femmes-du-mali-disons-non-la.guerre-appel-femmes-aminata-traore

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Quelle:
graswurzelrevolution, 41. Jahrgang, Nr. 376 Februar 2013, S. 11
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. März 2013