Schattenblick → INFOPOOL → MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE


GRASWURZELREVOLUTION/1507: Für einen gerechten Welthandel


graswurzelrevolution 402, Oktober 2015
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Für einen gerechten Welthandel
Widerstand gegen TTIP und CETA auch in den USA

Von Anete Wellhöfer und Ginny Irish


Im Herbst 2015 tritt die Auseinandersetzung um die Handels- und Investitionsabkommen TTIP und CETA in die heiße Phase. Am 10. Oktober findet in Berlin eine Großdemo unter dem Motto "TTIP & CETA stoppen! Für einen gerechten Welthandel!" statt (1). Anete Wellhöfer und ihre US-amerikanische Partnerin Ginny Irish haben zum derzeitigen Stand in den USA recherchiert und eine Rede auf der Anti-TTIP-Kundgebung am 19. September in Karlsruhe gehalten. Wir dokumentieren den Beitrag in einer redaktionell überarbeiteten Version.
(GWR-Red.)


Die Situation in den USA

Die wohl momentan größte Bewegung in den USA ist die "Black lives matter". Dabei geht es um die von der Polizei, gegenüber Schwarzen, ausgeübte Gewalt. In vielen Städten haben sich Basisgruppen gebildet und führen Aktionen durch.

Dieser Bewegung geht es um eine grundsätzliche Kritik am rassistischen US-amerikanischen Gesellschaftssystem.

In den letzten Monaten waren die Arbeiter_innenkämpfe, besonders bei den großen Fast-Food Firmen und Walmart, für höhere Löhne, und in einigen Großstädten, für einen Mindestlohn von 15 US-Dollar die Stunde, stark und erfolgreich.

Ein weiterer politischer Kampf richtet sich gegen die von konservativen Gouverneuren vorangetriebene Privatisierung von Schulen. Das sind drei Beispiele von vielen.

Zum Thema TTIP: Die Debatte in den USA ist der hier geführten ähnlich, aber in einigen Punkten auch unterschiedlich.

Nafta

Bevor wir uns TTIP zuwenden, erst mal ein paar Schritte zurück: 1994 wurde Nafta eingeführt, ein Freihandelsabkommen zwischen Kanada, USA und Mexiko. Unter Bush I wurden die Verhandlungen geführt, Clinton hat das Abkommen unterschrieben. Ein Jahr darauf wurden die USA Mitglied der WTO.

Vor dem Abschluss des Handelsabkommens wurde den Leuten versprochen, dass neue Arbeitsplätze entstehen, aber genau das Gegenteil ist eingetreten.

Das Ergebnis aus heutiger Sicht in den USA:

57.000 Arbeitsstätten im produzierenden Gewerbe haben dicht gemacht und es gingen fast fünf Millionen Arbeitsplätze im produzierenden Bereich verloren.

Das heißt, wegen Nafta und WTO gingen 25% der Arbeitsplätze im produzierenden Bereich in den USA verloren. Wie ihr euch denken könnt hat Nafta keinen guten Ruf in den USA.

2013 begannen offiziell die Verhandlungen zu TAFTA, das steht für Trans-Atlantic-Free-Trade-Agreement. Also ein Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa. Der Name TAFTA kam in der US-amerikanischen Bevölkerung nicht gut an, TAFTA erinnert zu stark an NAFTA.

Bei den fortschrittlichen und kritischen Berichterstattungen in den USA hat das Pazifik Abkommen derzeit Priorität, da die Verhandlungen schon viel weiter sind als mit Europa.

Obama hat im Sommer 2015 im Kongress dafür gesorgt, dass in den nächsten sechs Jahren die Verhandlungen über Freihandelsabkommen ohne Einmischung des Parlaments weitergeführt werden können, und erst am Ende, wenn der Vertrag komplett fertig ist, es eine Abstimmung im Parlament mit ja oder nein gibt, ohne die Möglichkeit noch etwas zu Verändern. Darin sehen viele eine große Gefahr: die Aushebelung der Demokratie.

Augenfällig ist auch ein News Blackout der drei großen TV-Sender, die laut einer unabhängigen Studie über Monate hinweg nichts zu diesem Thema berichtet haben. Die Bevölkerung in den USA wird über die Freihandelsabkommen im Dunkeln gelassen.

Die Gewerkschaft "Teamsters" hat 1.4 Mio. Mitgliedern und die Einschätzung, dass die großen Medienfirmen für die Freihandelsabkommen sind und es deshalb keine kritische Berichterstattungen zu dem Thema gibt.

Wie sehen die Amerikaner_innen diese Abkommen?

Gibt es auch von ihrer Seite Kritik und Widerstand gegen TTIP? Wie bei uns gibt es Befürworter_innen und Gegner_innen von TTIP.

Diese Spaltung geht auch durch die beiden großen Parteien, Demokraten und Republikaner.

Welche Gründe gibt es auf US-amerikanischer Seite gegen das Abkommen zu sein und von wem werden diese Gründe eingebracht?

Vom politischen Zentrum bis links gibt es folgende Gründe gegen TTIP:
Arbeitsplätze

Da sind die Gewerkschaften gespalten, einige haben die Hoffnung, dass neue Arbeitsplätze entstehen, und sind deshalb dafür, andere haben die Einschätzung, dass Standards und Löhne sich an den niedrigsten orientieren und deshalb sinken werden. Sie sind gegen TTIP.

Fracking

Durch das Fracking sind derzeit in den USA die Energiepreise sehr niedrig. Derzeit gibt es in den USA Gesetze, dass die im Land geförderte Energie, auch im Land bleiben soll. Befürchtet wird, dass durch TTIP, dessen Ziel es ist, die Märkte zu öffnen, Energie aus den USA nach Europa exportiert wird, und dadurch die Preise in den USA steigen werden, und dies dann negativen Einfluss auf die noch immer schwache US Wirtschaft haben wird.

Buy American, buy local

Dies wird vom Staat durch Subventionen und Gesetze unterstützt, um Arbeitsplätze in den USA zu sichern und um die US-Wirtschaft anzukurbeln. Dies wäre mit TTIP hinfällig. Deshalb gibt es die Angst, dass Arbeitsplätze vernichtet werden und somit die Wirtschaft noch mehr Schaden leidet.

Regulierung der Finanzmärkte

Da fordern die Europäer_innen und die großen Finanzinstitute der USA, dass die in den USA nach der Finanzkrise in 2010 implementierten schärferen Regelungen für den Finanzmarkt, wieder zurückgenommen werden sollen. Und somit bei der nächsten Finanzmarktkrise wieder die Steuerzahler_innen für die Krise zahlen.

Medizin

Die europäischen Pharma-Hersteller haben ein großes Interesse daran, dass in Europa zugelassene Medizin, ohne weiteres Zugang zum US-Markt haben soll. In den USA befürchtet man deshalb, dass die Standards der FDA (Food and Drug Administration) ausgehebelt werden.

Saubere Energie

Bisher kann man in den USA Investitionen in saubere Energie von der Steuer absetzen, z.B. Solaranlagen, Hybridautos. Europäische Ölfirmen wie BP drängen in den Verhandlungen darauf, dass diese Steuerermäßigungen über TTIP ausgeschlossen werden.

Gesundheitskosten

Zur Zeit hat die US-Regierung die Macht die Kosten für Medikamente, für bestimmte Gruppen wie Kriegsveteranen und Senioren, durch Verhandlungen mit den Herstellern zu senken.

Dieses Recht der US-Regierung zu verhandeln, würde mit TTIP wegfallen und die Kosten würden steigen.

Datensicherheit

US-amerikanischen Technologieunternehmen wie Google & Co drängen auf freien Zugang zu persönliche Daten, auch auf dem europäischen Markt.

Kennzeichnung von Genmanipulierten Lebensmitteln

Ca. die Hälfte der US-amerikanischen Bundesstaaten haben Regelungen, dass genmanipulierte Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen.

Nun gibt es die Bedenken, dass durch TTIP diese Kennzeichnungspflicht in den USA aufgehoben wird. Kritisiert wird, dass durch TTIP Produkte und Standards herabgesetzt werden. Dass die ausgehandelten Standards den Bedürfnissen der Firmen und Investoren entsprechen, aber nicht, den über Jahre entwickelten Standards, die in Gesetzen festgelegt wurden für die Bevölkerung und Konsument_innen.

Die Hauptkritik richtet sich gegen die Schiedsgerichte.

Dass private Firmen die USA vor ein Schiedsgericht mit drei privaten Anwälten zitieren kann, mit dem Ergebnis, dass mit Steuergeldern Entschädigungen an die Firmen gezahlt werden müssen, für Gesetze und Bestimmungen auf lokaler, Landes- und Bundesebene, weil den Firmen ihre Erwartungen nicht erfüllt wurden.

Die Höhe der Strafe richtet sich an den zukünftigen Gewinnerwartungen ohne das Gesetz. Diese Schiedsgerichte gibt es schon in einigen Freihandelsabkommen der USA mit anderen Ländern. Das hat die Steuerzahler_innen in den USA schon 440 Mio. US-Dollar gekostet.

Es ging dabei u.a. um das Verbot von Schadstoffen, Flächennutzungspläne, behördliche Genehmigungen, Wasser- und Wald-Schutzgesetze.

Die EU schlägt für TTIP noch radikalere Versionen für Investoren Sonderrechte vor als diese, die bisher in US-amerikanischen Verträgen stehen.

Derzeit signalisiert die EU, dass sie sich auch einen Handelsgerichtshof vorstellen kann. Das bedeutet aber weiterhin das gleiche. Der Investitions- und Konzernschutz steht an oberster Stelle. Nur Konzerne können klagen. Menschen und Umweltschutz kommen darin nicht vor.

In der Schwebe sind derzeit an die USA gerichtete Forderungen von 34 Mrd. US-Dollar, zum Beispiel wegen Medizinischer Patentregeln, Klima und Energiegesetzen, Anforderungen an den Umweltschutz und andere Gesetze die im Öffentlichen Interesse sind. An diesen Beispielen sehen wir, dass es sich gar nicht um "den Handel" handelt. Eine große Gefahr sind nicht nur die erfolgreichen Klagen, es beginnt schon viel früher, wenn es die Ankündigung einer Klage gibt. Schon dann stehen Kommunen, Länder und der Staat vor dem Druck der angedrohten Klage entweder nachzugeben und das Gesetz zu ändern, oder sich der Klage zu stellen, mit der Gefahr, dass hohe Kosten auf sie zukommen. Schon die Möglichkeit erhöht den Druck auf Städte, Länder und den Bund.

Am Internationalen Aktionstag am 18. April 2015, gab es auch in der USA in vielen Großstädten wie New York, Chicago, Washington DC, und vielen Kleinstädten, sogar Hilo auf Hawaii, Demos und Kundgebungen gegen die Freihandelsabkommen.

In den großen Medien fand sich nichts zu den Protesten. Online gab es auch viele Aktivitäten, so beispielsweise mehrere Petitionen an Obama und die Parlamentarier_innen.

Dann gibt es da noch die extremen Rechten in den USA. Z.B. die von der Tea Party, von denen kommen dann z.B. diese merkwürdigen Begründungen: Durch TTIP könnte die Waffenkontrolle in den USA eingeführt werden, TTIP wird von den Rechten als Immigrations-Trojaner gesehen. Dadurch könnten noch mehr Migrant_innen kommen und "das Sozialsystem ausplündern, bis es bankrott ist".

Die Tea Party Leute hängen dem puren Kapitalismus an. Sie sind gegen TTIP, weil es hauptsächlich den großen Konzernen dient. Die Konzerne verkörpern für sie aber gar nicht mehr den puren Kapitalismus, weil sie durch Subventionen am Tropf des Staates hängen.

Medien

Noch bevor ich aus deutschen Medien etwas zu TTIP gehört habe, gab es auf dem progressiven US-amerikanischen Fernsehsender Democracy now, kritische Berichte zu TTIP.

Der große Unterschied für mich, zwischen der Berichterstattung in Deutschland und den USA ist, dass in Deutschland auch das öffentlich rechtliche Fernsehen das Thema kritisch begleitet und ein Großteil der Bevölkerung, wenn daran interessiert, sich auch informieren kann. Dies ist in der derzeitigen Medienlandschaft der USA nicht möglich.

Kritische Stimmen in den USA zu den Freihandelsabkommen gibt es. Ob ihre Kraft groß genug ist um bei der Abstimmung im Parlament, bei den Demokraten, eine Mehrheit zu erlangen ist derzeit ungewiss.


Anmerkung:

1) Infos: http://ttip-demo.de

Unsere Informationen haben wir US-amerikanischen Quellen entnommen:

www.progressive.org
www.democracynow.org
www.thenation.com
www.anarchistnews.org/
www.citizen.org/documents/NAFTA-at-20.pdf
www.citizen.org/documents/investor-state-chart.pdf
www.citizen.org/Page.aspx?pid=6475
www.mediamatters.org/research/2014/02/05/study-media-leave-viewers-in-the-dark-about-tra/197932
http://teamsternation.blogspot.de/2014/03/new-regort-media-lobbies-for-tpp-but-doasnt-regort-it.html
www.thenewamerican.com/usnews/constitution/item/21010-10-reasons-why-you-should-oppose-obamatrade

*

Quelle:
graswurzelrevolution, 44. Jahrgang, Nr. 402, Oktober 2015, S. 1 + 14
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
Breul 43, D-48143 Münster
Telefon: 0251/482 90-57, Fax: 0251/482 90-32
E-Mail: redaktion@graswurzel.net
Internet: www.graswurzel.net
 
Die "graswurzelrevolution" erscheint monatlich mit
einer Sommerpause im Juli/August.
Der Preis für eine GWR-Einzelausgabe beträgt 3,80 Euro.
Ein GWR-Jahresabo kostet 38 Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang