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GRASWURZELREVOLUTION/1579: Kämpferinnen im Spanischen Bürgerkrieg


graswurzelrevolution 410, Sommer 2016
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Kämpferinnen im Spanischen Bürgerkrieg

von Vera Bianchi


Der Beginn des Spanischen Bürgerkriegs und der Sozialen Revolution jährt sich im Juli 2016 zum 80. Mal - mit der darauf folgenden fast dreijährigen Epoche der Selbstermächtigung und Freiheit in der republikanischen Zone. Gerade für die spanischen Frauen bedeuteten die Umwälzungen des Juli 1936 eine umfassende Veränderung ihrer bisherigen Lebenswirklichkeiten und eine enorme Erweiterung ihrer Handlungsmöglichkeiten.


Vor zehn Jahren habe ich in der Graswurzelrevolution die anarchistische Frauengruppe Mujeres Libres (Freie Frauen) vorgestellt (GWR 310, Juni 2006); vor fünf Jahren erschien mein Nachruf auf die Mujer Libre Sara Berenguer (GWR 355, Januar 2011), und Martin Baxmeyer schrieb über Leben und Werk der Mujeres Libres-Gründerin Lucía Sánchez Saornil (GWR 364, Dezember 2011). Jetzt konzentriere ich mich auf einen Bereich, in dem viele spanische Frauen, nicht nur die 20.000 Mitglieder der Mujeres Libres, in der republikanischen Zone aktiv waren: die Milizen, in denen viele Frauen als Milicianas (Milizionärinnen) agierten.

Als am 17. Juli 1936 der Putsch der Rechten unter General Francisco Franco auf den kanarischen Inseln und den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla begann und sich von dort aus am 18. Juli 1936 auf das spanische Festland ausbreitete, bewaffneten sich Gewerkschaftsmitglieder und AktivistInnen der verschiedenen linken Gruppierungen und Parteien selbst und bildeten Milizen. Viele der Bataillone waren zwar zu einer bestimmten Gruppe oder Partei gehörig - die meisten gehörten zur anarchistischen CNT (1), zur marxistischen POUM (2) und zur stalintreuen kommunistischen PCE (3) -, die dort kämpfenden Frauen und Männer kamen jedoch aus unterschiedlichen Gruppen und mischten sich dort; zum Beispiel gab Clara Thalmann (1908-1987), die vorher in einer kommunistischen Jugendorganisation in der Schweiz aktiv war, in einer Miliz der POUM Schießkurse und schloss sich später der anarchistischen Kolonne Durruti an. (4) In den ersten Wochen der Revolution, als komplett mit der Tradition gebrochen wurde, standen auch den Frauen viele Möglichkeiten offen, die vorher undenkbar gewesen wären. Gerade Bewaffnung und Frontkampf widersprachen der traditionellen Geschlechterrolle der spanischen Frau; in einer von Katholizismus und Analphabetismus geprägten ländlichen Gesellschaft war den Frauen der häusliche Raum zugeschrieben, in dem sie sich um die Kindererziehung und den Haushalt kümmern sollten. Während Männer Cafés und Bars als Treffpunkte nutzten, blieb Frauen nur die Kirche zum Austausch mit anderen. Und nun, im Sommer 1936, saßen Milicianas im Mono azul, dem blauen Arbeitsoverall, den die MilizionärInnen trugen, mit der Waffe zwischen den Knien in den Cafés in Barcelona oder zogen stolz durch die Straßen auf dem Weg zur Front.

Zwei bis drei Prozent der MilizionärInnen an der Front waren Frauen; ein Großteil kämpfte in gemischtgeschlechtlichen Bataillonen, aber es gab auch reine Frauenbataillone; auch die Gruppe Mujeres Libres stellte eine eigene Kolonne Mujeres Libres. In den gemischten Milizen kämpften, die Frauen genauso wie die Männer; alle interviewten ehemaligen Kämpferinnen sind sich einig, dass die Frauen genauso mutig, tapfer und ausdauernd wie die Männer kämpften. (5) Trotz der Revolution und des damit veränderten Frauenbildes existierte Benachteiligung aufgrund des biologischen Geschlechts weiterhin: Einige Frauen berichten, dass sie nach der Kampftätigkeit an der Front noch weitere Aufgaben hatten wie Nähen oder Abwaschen, während sich die Männer ausruhen konnten. Je nach Bataillon war dies unterschiedlich; so achtete die Capitana (6) Mika Etchebéhère (1902-1992) darauf, dass die Männer ihre Socken selbst wuschen und keine Milicianas dazu aufforderten. (7)

"Das Druckmittel, mit dem die republikanische Regierung das Verbot der Frontkämpferinnen durchsetzen konnte, war die Waffenausgabe."

Im Herbst 1936 diskriminierte die republikanische Regierung die Frontkämpferinnen aufgrund ihres biologischen Geschlechts und verbot Frauen im Rahmen der Umwandlung der Milizen in ein reguläres Heer den Kampf mit der Waffe. Ob das Verbot des weiblichen Frontkampfes in allen Frontabschnitten konsequent umgesetzt wurde, ist nicht bekannt; in den anarchistischen zumindest konnte es nicht ganz durchgesetzt werden, (8) und die Kommunistin Rosario Sánchez Mora verneint die Durchsetzung auch für ihren Abschnitt Lisa Lines stellt die These auf, dass sich die Umwandlung über acht Monate hinzog und Frauen so lange noch genauso wie Männer am Frontkampf auf der republikanischen Seite beteiligt waren. (9) Mika Etchebéhère konnte aufgrund der Unterstützung der Männer in ihrer Kolonne Capitana bleiben; sie war eine prominente Ausnahme. Viele Kämpferinnen weinten, als sie von der Front abtransportiert wurden, wehrten sich aber nicht als Kollektiv. (10) Das Druckmittel, mit dem die republikanische Regierung die Militarisierung der Milizen und das Verbot der Frontkämpferinnen durchsetzen konnte, war die Waffenausgabe: Nur diejenigen Milizen, die sich nach den Anweisungen der Regierung in das reorganisierte Heer unterordneten, erhielten Waffen. (11)

Bisher hatte ich die Beteiligung der Frauen am Bürgerkrieg in zwei Bereichen gesehen, die oft als dualistische Gegensätze dargestellt wurden: einerseits die Milicianas mit der Waffe an der Front, andererseits die Frauen im Hinterland, die die Kriegsproduktion und Lebensmittelversorgung aufrechterhielten und sich um sogenannte unterstützende Tätigkeiten an der Front und im Hinterland kümmerten, also als Krankenschwester, Köchin, Wäscherin, Mitarbeiterin im Postdienst und zusätzlich im Hinterland als Kinderbetreuerin. Dieser Dualismus ist an sich schon absurd, denn ohne die als unterstützend abqualifizierten Tätigkeiten würde der Frontkampf zusammenbrechen. Aber abgesehen davon ist mir jetzt erst etwas klargeworden, was ich schon vor Jahren im "Roten Notizbuch" von Mary Low und Juan Breá gelesen hatte (12) und auf das mich jetzt ein Artikel von Lisa Lines stieß (13): Auch im Hinterland wurden Tausende von Frauen an der Waffe ausgebildet - nur zum Teil, um danach an die Front zu ziehen, und zu einem anderen Teil, um ihre Stadt mit der Waffe gegen die Franquisten verteidigen zu können. Das heißt, während ein Teil der militärisch ausgebildeten Milicianas an die Front ging und dann mal an diesem und mal an jenem Frontabschnitt kämpfte, blieb ein anderer Teil während und nach der militärischen Ausbildung genau an demselben Ort wie vorher, nämlich in der eigenen Stadt, und arbeitete in der übrigen Zeit in anderen Bereichen, zum Beispiel waren viele dieser Frauen Fabrikarbeiterinnen. Mary Low beschreibt, wie sie jeden Morgen in der Kaserne zum Training im Frauenbataillon zusammenkamen, Waffen auseinandernahmen, zusammenbauten und schießen lernten.

Mit diesem neuen Blick auf die bewaffneten und militärisch ausgebildeten Frauen im Hinterland ändert sich auch die Gewichtung der Bedeutung weiblicher Kriegsbeteiligung im Spanischen Bürgerkrieg: Während nur zwei bis drei Prozent der FrontkämpferInnen weiblich waren, erhöht sich die Gesamtanzahl der Milicianas erheblich, wenn auch diejenigen mitgezählt werden, die im Hinterland in Fabriken arbeiteten und für den militärischen Einsatz vorbereitet waren.


Vera Bianchi ist Autorin des Buches: Feministinnen in der Revolution - die Gruppe Mujeres Libres im Spanischen Bürgerkrieg. Unrast, Münster 2003.
www.facebook.com/MujeresLibres1936


Anmerkungen:

1) CNT: Confederación Nacional del Trabajo (Nationaler Arbeitsbund), spanische anarchosyndikalistische Gewerkschaft, gegründet 1910.

2) POUM: Partido Obrero de Unificación Marxista, Arbeiterpartei der marxistischen Vereinigung; dissidente Marxist/innen, die von den stalintreuen Kommunist/innen der PCE bekämpft wurden.

3) PCE: Partido Comunista de España; im Spanischen Bürgerkrieg entspricht die Bezeichnung "orthodoxer Kommunismus" dem Begriff "Stalinismus"; "orthodox" deshalb, weil die PCE den Weisungen der Dritten Internationale (Komintern) und der KPdSU folgte.

4) Clara Thalmann, in: Karin Buselmeier, Interview mit Clara Thalmann. In: dies., Frauen in der spanischen Revolution. Mamas Pfirsiche - Frauen und Literatur, Bd. 9/10. Münster 1978, S.13-46, hier S.23/24. Auszüge des Interviews sind auch abgedruckt in: Cornelia Krasser/Jochen Schmück (Hg.), Frauen in der Spanischen Revolution 1936-1939. Berlin 1984, S. 61-80.

5) Ingrid Strobl hat folgende Frauen interviewt: Julia Manzanal (1915-2012), Rosario Sánchez Mora (1919-2008) und Fidela Fernandez de Velasca Perez (Lebensdaten unbekannt). In: Ingrid Strobl, "Sag nie, du gehst den letzten Weg". Frauen im bewaffneten Widerstand gegen Faschismus und deutsche Besatzung, 5. Aufl., Frankfurt/M. 2002. Clara Thalmann wurde von Karin Buselmeier interviewt, siehe Fußnote 4. In der spanischen Übersetzung von Ingrid Strahls Buch befinden sich drei zusätzliche Interviews im Anhang, mit den Kämpferinnen Lola Iturbe (1902-1990). Conxa Pérez (1915-2013) und Kasilda Hernáez (1914-1992): "Partisanas". La mujer en la resistencia armada contra el fascismo y la ocupación alemana (1936-1945). Barcelona 1996, 345-364

6) Das weibliche Pendant zu Hauptmann.

7) Mika Etchebéhère: La guerra mia. Eine Frau kämpft für Spanien. Frankfurt/Main 1980, S. 190.

8) Clara Thalmann, in: Buselmeier, Frauen, 39.

9) Lisa Lines: Milicianas Women in Combat in the Spanish Civil War, Lanham u.a. 2012.

10) Gabriella Hauch: Gegen welchen Krieg - für welchen Frieden? Frauen zwischen Autonomie - Affirmation - Parteidisziplin am Beispiel des Spanischen Bürgerkrieges 1936-1939, in: Zeitgeschichte 1988, Nr. 9/10, S. 365-388, hier S. 373 u. 378.

11) Pierre Broué/Émile Témime, Revolution und Krieg in Spanien. Geschichte des spanischen Bürgerkrieges, Frankfurt am Main 1968, S. 270.

12) Mary Low/Juan Breá, Rotes Notizbuch (Spanien 98.-28.12.1936). Hamburg 2002.

13) Lisa Lines, Female Combatants in the Spanish Civil War: Milicianas on the Front Lines and in the Rearguard, in: Journal of International Women's Studies 10, 2009, 168-187.

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Quelle:
graswurzelrevolution, 45. Jahrgang, Nr. 410, Sommer 2016, S. 7
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
Koordinationsredaktion Graswurzelrevolution:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juli 2016

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