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GRASWURZELREVOLUTION/1643: Mumia Abu-Jamal - Kampf ums Leben, Kampf ums Recht


graswurzelrevolution Nr. 417, März 2017
für eine gewaltfreie, herrschaftslose gesellschaft

Mumia Abu-Jamal
Kampf ums Leben, Kampf ums Recht

von Michael Schiffmann


Mumia Abu-Jamal wurde 1982 in einem zu Recht umstrittenen Prozess wegen angeblichen Mordes an einem Polizisten zum Tode verurteilt.


Im Februar 2015 flogen meine Schwester Annette und ich nach Philadelphia, um zusammen mit Aktivistinnen und Aktivisten und Medienleuten auszuloten, wie in den juristisch gesehen beendeten Fall Mumia Abu-Jamals noch Bewegung gebracht werden könnte. Geplantes Kernstück unserer Reise war ein Besuch bei Mumia selbst, den wir bereits im Januar 2012 im Gefängnis SCI Mahanoy in Frackville aufgesucht hatten, ganz kurz, nachdem er nach Beendigung der Versuche der Staatsanwaltschaft, seine Hinrichtung zu erzwingen, aus der Isolationshaft in SCI Greene in den Normalvollzug in Frackville verlegt worden war.

Wir wussten bereits, dass Mumia seit August 2014 an einer rätselhaften, immer qualvoller werdenden Hautreizung erkrankt war. Dennoch war der Besuch bei ihm fest ausgemacht. Aber es sollte nicht sein. Im Februar ging es ihm bereits so schlecht, dass er uns nicht empfangen konnte; stattdessen musste er ins Haftkrankenhaus eingeliefert werden. Ende März kam es noch schlimmer. Er erlitt einen diabetischen Schock, der ihn fast das Leben gekostet hätte, und konnte nur durch Einweisung in eine Intensivstation gerettet werden.

Schockdiagnose Hepatitis C

Erst Wochen danach wurde endlich "offiziell" eine Hepatitis C als Ursache all seiner Symptome diagnostiziert - wie sich im weiteren Verlauf herausstellte, ein grotesker Vorgang, denn die Haftanstalt hatte bereits 2012 bei einem Bluttest festgestellt, dass Mumia mit Hepatitis C infiziert war. Allerdings hatte sie es unterlassen, ihm dies mitzuteilen.

Alle, die jemals direkt oder indirekt damit zu tun hatten, wissen, dass Hepatitis C eine schwere und schwer zu behandelnde Krankheit ist, die häufig zu einem um viele Jahre vorzeitigen Tod durch Kollaps der Leberfunktion führt. Schon das Verschweigen der Diagnose gegenüber dem Patienten stellt eine schwere kriminelle Handlung dar, für die das Gefängnis eigentlich zur Verantwortung gezogen werden müsste, aber es wird niemanden, der etwas über US-amerikanische Gefängnisse weiß, sehr überraschen, dass die Behörden nichts dergleichen je in Betracht gezogen haben.

Heilung möglich - aber teuer

Ebenso wie Mumia leiden mindestens 5.400 weitere Häftlinge im Bundesstaat an Hepatitis C - es könnten insgesamt sogar an die 10.000 sein. Nun gibt es im Prinzip für alle Hepatitis-C-Erkrankten innerhalb und außerhalb der Gefängnisse seit 2013 eine sehr gute Nachricht: Der Chemiker Michael Sofia hat eine Behandlungsmethode entwickelt, die Berichten zufolge in 95 % aller Fälle zu einer vollständigen Heilung führen kann. Der Haken dabei ist allerdings, dass das große Pharmakonzern Gilead das Patent auf diese so genannte Sovaldi-Harvoni-Behandlung besitzt und für eine 12-wöchige Behandlung mit jeweils einer Pille pro Tag $ 84.000 verlangt.

Man kann sich leicht ausrechnen, dass die Strafvollzugsbehörden in Pennsylvania und anderswo nicht gerade scharf darauf sind, Hunderte Millionen Dollar für die medizinische Behandlung von Gefangenen auszugeben, die in ihren Gefängnissen ansonsten auf jede erdenkliche Art gequält, gedemütigt und schikaniert werden. Scharf auf solche Zusatzausgaben sind im Übrigen auch die Krankenversicherungen in den USA nicht, die bei US-BürgerInnen mit weniger hoch dotierten Versicherungsprämien eine solche Behandlung erst dann zu finanzieren bereit sind, wenn die Gesundheit der PatientInnen bereits schwerstens angegriffen ist. Einer der empörendsten Aspekte an dieser ganzen traurigen Geschichte ist, dass die Produktion der fraglichen Pillen keineswegs ihren Stückpreis von $ 1.000, sondern $ 4 kostet - in Indien oder Ägypten, wo der Arm der US-Pharmaindustrie offenbar nicht derart mächtig ist wie in den USA selbst, sind sie für $ 10 erhältlich.

Neue Hoffnung auf Behandlung für Tausende

Mumias Anwälte in dieser Sache, Robert Boyle aus New York und Bret Grote vom Abolitionist Law Center ALC, haben bereits 2015 beim 3. Bundesbezirksgericht der USA Klage gegen die Nichtbehandlung ihres Mandanten eingereicht Man kann sie, da ihr Ausgang auch das Schicksal Tausender Mitgefangener betrifft, getrost als Musterklage bezeichnen. Nach einer langen Wartezeit gab Bundesrichter Robert Mariani im August 2016 der Klage Mumias in der Sache Recht, erließ aber aufgrund einer Formalie noch keine einstweilige Verfügung auf sofortige Behandlung. Nachdem die Anwälte Mumias die erwähnte Formalie in einem neuen Antrag bereinigt hatten, gewann Mumia dann mit einer erneuten Entscheidung des Richters vom 3. Januar 2017 auf ganzer Linie: Marini ordnete die sofortige Behandlung Mumias an und gab der Gefängnisbehörde bis zum 21. Januar Zeit, entweder mit der Behandlung zu beginnen oder Widerspruch einzureichen.

Wie nicht anders zu erwarten, hat die Gefängnisbehörde inzwischen Widerspruch eingelegt, Mumia und die anderen Gefangenen (bis auf an die fünfzig Häftlinge, die Teil einer Art von Versuchsreihe sind) werden auch weiter nicht behandelt, und der Fall liegt nun beim 3. Bundesberufungsgericht in Philadelphia. Im Interesse der Gesundheitsversorgung aller Gefangenen bleibt zu hoffen, dass er rasch und im Sinne der Antragsteller entscheiden wird.

An der juristischen Front

Im August 2016 ereignete sich aber auch noch etwas anderes, was zumindest vielleicht eine Wende in Sachen Mumia bringen könnte. Es ist ja weithin bekannt, dass es in Mumia Abu-Jamals Mordprozess und seinem späteren Berufungsverfahren zu praktisch jedem nur vorstellbaren Rechtsbruch gekommen ist.

Einer davon, der von Mumias Verteidigung bereits in den 1990er Jahren moniert wurde, ist die Beteiligung des Richters Ronald Castille an sämtlichen Entscheidungen des obersten Gerichts des Bundesstaates Pennsylvania, des Pennsylvania Supreme Court (PSC), mit denen der PSC die Ablehnung von Mumias Berufungen gegen seine ursprüngliche Verurteilung durch niedrigere Gerichte bestätigte.

Ronald Castille, der zwischenzeitlich auch erfolglos eine Rolle als Politiker der Republikanischen Partei zu spielen versuchte, war zur Zeit der Verhaftung Mumias und seines Prozesses 1981 und 1982 Stellvertretender Bezirksstaatsanwalt in Philadelphia gewesen und hielt dann von Januar 1986 bis März 1991 das Amt des Bezirksstaatsanwalts inne - in genau den Jahren, in denen Mumia mittels seiner ihm gesetzlich zustehenden ersten Berufung seine Mordverurteilung zu Fall zu bringen versuchte. Sämtliche gegen eine Aufhebung der Verurteilung Mumias gerichtete Anträge der Staatsanwaltschaft im Rahmen dieser ersten Berufung trugen die Unterschrift Ronald Castilles.

Ein Mann mit vielen Hüten

Nach dem Scheitern seiner politischen Ambitionen kehrte Castille in den juristischen Apparat zurück, diesmal allerdings als Richter. Er wurde 1994 Richter am PSC, dessen Vorsitz er 2008 übernahm und bis zu seinem Ausscheiden im Jahr 2014 behielt. In diesen Jahren reichte Mumia eine Reihe von Anträgen nach dem Gesetz zur Überprüfung rechtskräftig gewordener Verurteilungen (Post-Conviction Relief Act oder PCRA) ein, die allesamt in erster Instanz vom Richter seines ursprünglichen Verfahrens, Albert F. Sabo, und dann von seiner Nachfolgerin am Kommunalgericht in Philadelphia, Pamela Dembe abgelehnt wurden.

Viele dieser Anträge enthielten außerordentlich brisantes Material zur Beeinflussung von Zeugen gegen Mumia durch extrem glaubwürdige Drohungen, zur unfassbaren Parteilichkeit des Prozessrichters Sabo (den eine Gerichtsschreiberin, mit der ich selbst gesprochen habe, sagen hörte, "Ich werde ihnen [der Staatsanwaltschaft] helfen, den Nigger zu grillen"), zur Fälschung und Unterschlagung ballistischen Beweismaterials und vielem anderen mehr. All diese Beweise wurden von Sabo und Dembe auf kaltschnäuzige Art und mit unglaublich schluderigen Begründungen voller elementarer Fehler und Irrtümer abgelehnt.

Theoretisch gesehen sollten solche Fehlurteile im US-System durch die nächsthöhere Instanz korrigiert werden, in diesem Fall durch den PSC. Aber dort saß unter anderem, gewählt nicht zuletzt aufgrund der Werbung der Polizeigewerkschaft FOP, deren Ortsgruppe in Philadelphia ihn schon 1986 zu ihrem "Mann des Jahres" gekürt hatte, genau der Mann, der als Stellvertretender Bezirksstaatsanwalt die Mordanklage Mumias unterstützt hatte und dann als Bezirksstaatsanwalt Hauptverantwortlicher für den Kampf der Anklage gegen Mumias erste Berufung gewesen war: Ronald Castille.

Am 9. Juni 2016 nun war dieser selbe Mann Gegenstand eines Urteils des Obersten Gerichtshofs der USA im so genannten Fall Williams gegen Pennsylvania, bei dem es darum ging, dass Castille an einem Beschluss des Pennsylvania Supreme Court zur Ablehnung einer PCRA-Berufung beteiligt war, obwohl er als Bezirksstaatsanwalt die Entscheidung des zuständigen Anklägers unterstützt hatte, die Todesstrafe gegen den Angeklagten zu beantragen. Der US Supreme Court sah hier einen Interessenkonflikt und wies den PSC zu einer Neuverhandlung der Sache ohne Beteiligung Castilles an.

Vielleicht bringt ein Interessenkonflikt die Wende

Natürlich hatte Mumias Verteidigung bereits während der ersten PCRA-Verhandlungen in den 1990ern beantragt, Ronald Castille von den Entscheidungen des PSC in Sachen Mumia auszuschließen - aber der Richter, der hierüber befand und dann zu dem Urteil kam, dies sei ganz und gar nicht notwendig, war kein anderer als Ronald Castille selbst.

Nun aber wurden durch den Beschluss des US Supreme Court die Karten neu gemischt. Wenn dem neuen Antrag der Verteidigung Mumias an das Kommunalgericht in Philadelphia stattgegeben würde, kämen alle - insgesamt vier - Entscheidungen des Pennsylvania Supreme Court, mit dem dieser, immer unter Beteiligung Castilles, die Ablehnung der Berufungen Mumias bestätigte, automatisch auf den Prüfstand und müssten neu getroffen werden.

Leider ist es nicht so, dass von einem Gericht, dessen Mitglieder überwiegend mit Unterstützung der Polizeigewerkschaft FOP ins Amt kamen, auf einmal eine faire Entscheidung zugunsten Mumias zu erwarten wäre. Dennoch wäre es ein spektakulärer Sieg für Mumia, wenn eine solche neue Beschlussfassung angeordnet würde. Die Verteidigung und die internationale Bewegung zur Unterstützung Mumias würden dies mit Sicherheit nutzen, um all die Rechtsbrüche und skandalösen Vorgehensweisen der Strafverfolgungsbehörden gegen Mumia erneut ins Rampenlicht zu rücken.

Wenn dies ein weiteres Mal geschähe, wäre vielleicht endlich die kritische Masse erreicht, die Mumias 35 Jahre währendem Kampf um Gerechtigkeit zum Durchbruch verhelfen würde.

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Quelle:
graswurzelrevolution, 46. Jahrgang, Nr. 417, März 2017, S. 7
Herausgeber: Verlag Graswurzelrevolution e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. März 2017

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