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IMI/722: Kreative Kriegsfinanzierung


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.

IMI-Studie 2016/03 vom 7. April 2016

Kreative Kriegsfinanzierung
Rüstungsforschung, Ertüchtigung und das Ende des zivilen EU-Haushalts

von Sabine Lösing und Jürgen Wagner


INHALTSVERZEICHNIS

1. Rüstungsforschung als Meilenstein der EU-Militärpolitik
1.1 Verbot der Militärfinanzierung - und seine Umgehung
1.2 Sicherheit und Dual-use: Verdeckte Rüstungsforschung
1.3 Rüstungsforschung: Der Schritt über den Rubikon
1.4 Präzedenzfall Rüstungsforschung?

2. EUropas Ertüchtigungsoffensive
2.1 Allzweckwaffe Ertüchtigung
2.2 Ein europäisches Ertüchtigungsinstrument?
2.3 Ertüchtigung statt Armutsbekämpfung?
2.4 Deutschland prescht voran

3. Ende des zivilen EU-Haushalts?


Der Finanzierung militärischer Maßnahmen aus dem EU-Haushalt sind durch die geltenden Verträge - eigentlich - enge Grenzen gesetzt. Zwar wird seit Jahren auf verschiedenste Weise versucht, hierfür Gelder loszueisen, aber bis kürzlich war eine offene Verwendung von EU-Mitteln für militärische Belange nahezu undenkbar. Es liegt auf der Hand, dass es ein lange gehegter Traum zahlreicher Politiker, Militärs und der Rüstungsindustrie ist, diesen "Missstand" zu beheben. Und als das erste große Einfallstor dürfte sich in diesem Zusammenhang die Rüstungsforschung erweisen, die künftig einen eigenen EU-Haushaltstitel unter Umgehung des zivilen Finanzierungsvorbehalts erhalten soll. Nahezu parallel dazu wird derzeit auch über die Einrichtung eines "Ertüchtigungsinstrumentes" diskutiert, um hierüber die Ausbildung und Aufrüstung ausländischer Truppen künftig ebenfalls über den EU-Haushalt abwickeln zu können. Die Tragweite dieser beiden Initiativen kann nur schwer überschätzt werden: Haben sie "Erfolg", so ist damit zu rechnen, dass der nahezu schrankenlosen Verwendung von EU-Haushaltsgeldern zugunsten von Militär- und Machtpolitik Tür und Tor geöffnet werden.


1. Rüstungsforschung als Meilenstein der EU-Militärpolitik

Bislang stünde alles in der EU unter "zivilem Vorbehalt", beklagte sich das Handelsblatt über die bisherige Praxis bei der Finanzierung von EU-Projekten, gerät dann aber angesichts der jüngsten Aktivitäten im Forschungsbereich regelrecht aus dem Häuschen: Sie seien ein "Meilenstein für Europas Verteidigungspolitik" und der "Anstoß für einen Zeitenwechsel".[1] Nachdem bislang mühsame Umwege über die Sicherheits- und Dual-use-Forschung genommen werden mussten, ist hier ein Pilotprojekt gemeint, das den Weg für einen voll ausgewachsenen EU-Rüstungsforschungshaushalt ebnen soll. "Das Pilotprojekt bedeutet den Einstieg in eine EU-Verteidigungsforschung", ist auch der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler begeistert.[2] Der Abgeordnete ist auch Mitglied der mit der Ausgestaltung des Vorhabens beauftragten "Group of Personalities", die aus interessierten Lobbyisten und Militärpolitikern besteht. Die Gruppe veröffentlichte Ende Februar 2016 ihren Abschlussbericht, in dem bereits eine konkrete, milliardengroße Hausnummer eines künftigen Rüstungsforschungshaushaltes benannt wurde. Hierdurch wird zudem der zivile Finanzierungsvorbehalt des EU-Haushalts ganz generell in Frage gestellt.


1.1 Verbot der Militärfinanzierung - und seine Umgehung

Auf EU-Ebene ist ein komplexes Geflecht zur Finanzierung von Maßnahmen im Militärbereich entstanden. Geschuldet ist dies dem zivilen Finanzierungsvorbehalt in Artikel 41, Absatz 2 des EU-Vertrages, in dem es heißt: "Die operativen Ausgaben im Zusammenhang mit der Durchführung dieses Kapitels gehen ebenfalls zulasten des Haushalts der Union, mit Ausnahme der Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen und von Fällen, in denen der Rat einstimmig etwas anderes beschließt." Lange wurde dieser Passus mehrheitlich derart interpretiert, dass auf dieser Grundlage keine militärrelevanten Ausgaben aus dem EU-Haushalt bestritten werden dürfen.

Aus diesem Grund wurde eine beachtliche Kreativität an den Tag gelegt, diesen Finanzierungsvorbehalt auf die ein oder andere Weise zu umgehen, wie der folgende, keineswegs Vollständigkeit beanspruchende Überblick zeigt: So werden rund 10% der Kosten von EU-Militäreinsätzen über einen ATHENA genannten Schattenhaushalt finanziert, in den sämtliche Mitgliedsstaaten - unabhängig davon, ob sie sich an einer bestimmten Operation beteiligen oder nicht - einzahlen.[3] Auch ist es Usus, Militäreinsätze hin und wieder einfach als "zivil" zu deklarieren, weil sie so über den Budgetitel der "Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP) finanziert werden können.[4] Um besonders krasse Fälle - auch was die Höhe der Beträge anbelangt - handelt es sich bei den beiden EU-Weltraumprojekten Galileo und Copernicus. Obwohl beide eindeutig in nicht zu vernachlässigendem Ausmaß militärischen Zwecken dienen[5], werden sie aus dem EU-Haushalt finanziert. Für Galileo sind im mehrjährigen Finanzrahmen 2014 bis 2020 etwas über 7 Mrd. Euro eingestellt, Copernicus erhält knapp 4,3 Mrd.[6] Dreist ist auch die "African Peace Facility" - ihr wurden seit 2004 vor allem für den Aufbau afrikanischer Interventionstruppen und zur Finanzierung von Militäreinsätzen der Afrikanischen Union 1,9 Mrd. Euro entnommen.[7] Dabei handelt es sich um Gelder, die aus dem "Europäischen Entwicklungsfonds" stammen!

So "erfolgreich" man jedoch damit war, sich ressortfremd zu bedienen, so mühsam ist dies doch aus Sicht derjenigen, die möglichst viele Gelder in den Rüstungssektor pumpen wollen. Schließlich neigen andere Politikbereiche dazu, ihre Gelder in der Regel für die eigenen Projekte verwenden zu wollen. Außerdem existiert eine gewisse Sensibilität dafür, wenn Gelder für militärische Belange regelrecht zweckentfremdet werden, was dem ganzen Prozedere doch gewisse Grenzen auferlegt. Ein offizieller EU-Militärhaushalt hätte also enorme "Vorteile", zumal sich hierüber Gelder akquirieren ließen, die nicht mühsam national gegenüber einer diesbezüglich zumeist skeptischen Bevölkerung gerechtfertigt werden müssten.

Offen bleibt, wie dieses Vorhaben mit dem oben beschriebenen Finanzierungsvorbehalt vereinbar ist - und genau diese Frage stellte die Linken-Abgeordnete Nicole Gohlke dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages (WD). Der Sachstand "Zur Zulässigkeit der Haushaltsfinanzierung von Forschung im GSVP-Kontext vor dem Hintergrund des Verbots des Art. 41 Abs. 2 EUV" gibt einen Einblick, wie ein künftiger EU-Rüstungsforschungshaushalt als rechtskonform zurechtgebogen werden soll.

Der WD argumentiert hier zweigleisig: Einmal stellt er die reichlich weit hergeholte Behauptung auf, bei den drei wesentlichen aktuellen Forschungsvorhaben - Pilotprojekt, vorbereitende Maßnahme und Rüstungsforschungshaushalt - handele es sich um Dual-use-Projekte. Aus diesem Grund seien sie nicht Teil der "Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" (GSVP) und wären demzufolge auch nicht vom Finanzierungsvorbehalt betroffen. Vielmehr müsse Artikel 179 des "Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union" (AEUV) zur Anwendung kommen, dem unter dem Titel XIX "Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt" die Kompetenz für die EU-Forschung zukomme und der bei Dual-use-Projekten eindeutig Vorrang habe: "Den offiziellen Dokumenten zu diesen Maßnahmen ist zu entnehmen, dass alle drei Vorhaben nicht 'reine' Rüstungsforschung darstellen, sondern Maßnahmen mit sog. dual-use-Charakter sind. Es handelt sich also um Forschung, deren Ergebnisse sowohl auf zivilem als auch auf militärischem Gebiet genutzt werden können. [...] Wird Forschung im GSVP-Kontext mit doppeltem Verwendungszweck somit auf den Kompetenztitel des Art. 179 AEUV gestützt, greift das Verbot aus Art. 41 Abs. 2 EUV nicht."[8]

Nur für den Fall aber, dass jemand nachvollziehbarerweise den Dual-use- Charakter dieser Maßnahmen anzweifelt, sichert der WD das ganze Unterfangen gleich noch mit einem zweiten Argumentationsstrang ab: Artikel 41 (2) beziehe sich lediglich auf "operative" Maßnahmen. Demzufolge sei hier so oder so Artikel 179 AEUV anzuwenden, für den der zivile Vorbehalt ohnehin nicht greife: "Bereits der Wortlaut 'operative Maßnahme' erfasst nach allgemeinem Sprachgebrauch schon nicht Forschungstätigkeiten."[9] Über die Frage, was alles unter einer "operativen Maßnahme" zu verstehen ist, lässt sich augenscheinlich mit dem WD nicht streiten. Und auch die Antwort auf die Frage, weshalb der "allgemeine Sprachgebrauch" bis kürzlich noch so interpretiert wurde, dass Artikel 41 (2) sämtliche militärrelevanten Ausgaben mit einbezieht und verbietet, bleibt der WD leider schuldig. Obwohl mit der Querfinanzierung militärischer Forschung schon länger begonnen wurde, soll die EU-Rüstungsforschung auf Grundlage dieser Argumentation künftig ganz andere Dimensionen annehmen.


1.2 Sicherheit und Dual-use: Verdeckte Rüstungsforschung

Mit dem 7. EU-Forschungsrahmenprogramm (7FRP) von 2007 bis 2013 wurde erstmals ein eigener Budgetstrang "Sicherheitsforschung" mit einem Umfang von 1,4 Mrd. Euro etabliert.[10] Dahinter stand u.a. die Absicht, die Fähigkeiten für die interne Repression sowie für die Abschottung der Außengrenzen zu "verbessern".[11] Ferner sollte der europäischen "Sicherheitsindustrie" bei der Eroberung dieses milliardenschweren Wachstumsmarktes unter die Arme gegriffen werden.[12] Und schließlich bot das Sicherheitsforschungsprogramm auch eine Möglichkeit, den leidigen Finanzierungsvorbehalt zu umgehen: "'Sicherheit' ist ein politisch akzeptablerer Weg etwas zu beschreiben, was früher traditionelle Verteidigung war", äußerte sich etwa Tim Robinson, der als damaliger Vizepräsident der Sicherheitsabteilung von Thales und Mitglied des "European Research Advisory Boards" (ESRAB) maßgeblich an der Ausarbeitung des Sicherheitsforschungsprogramms beteiligt war.[13]

Um die Ausgestaltung des 7FRP zu konkretisieren und erste Projekte auf den Weg zu bringen, wurde neben einer "Group of Personalities" u.a. besagtes ESRAB einberufen. Geradezu typisch war dabei sowohl die Zusammensetzung des aus 65 Personen bestehenden ESRAB-Direktoriums als auch seiner 660 Berater: Beide setzten sich etwa je zur Hälfte aus Industrievertretern (vorrangig von Rüstungsunternehmen) und aus Repräsentanten staatlicher Sicherheitsorgane zusammen. Weit und breit waren keine Vertreter der Bürgerrechts- oder der Friedensbewegung oder wenigstens der ein oder andere Datenschutzbeauftragte zu finden. Überraschend ist es deshalb also nicht, dass vor allem die großen Rüstungsunternehmen hiervon profitiert haben.[14] So kam eine erste Analyse von 91 7FRP-Projekten im Umfang von knapp 500 Mio. Euro des "Policy Department Citizens' Rights and Constitutional Affairs" der EU-Kommission zu dem Ergebnis, 57% der Gelder seien an Rüstungskonzerne gegangen: "Es sind hauptsächlich die großen Verteidigungsunternehmen, dieselben, die an der Ausarbeitung des EU-Sicherheitsforschungsprogramms beteiligt waren, die die wesentlichen Profiteure der Sicherheitsforschung des 7FRP sind."[15]

Für das aktuell laufende 8FRP namens "Horizon 2020" sind insgesamt 77 Mrd. Euro vorgesehen. Für Sicherheitsforschung sind geschätzt 2 Mrd. Euro eingeplant, die sich allerdings auf mehrere Budgetstränge verteilen, der Löwenanteil davon findet sich im Topf "Sichere Gesellschaften", der zwischen 2014 und 2020 mit 1,65 Mrd. Euro gefüllt ist.[16] Ein Erfolg war, dass es trotz diverser Versuche gelang, den zivilen Finanzierungsvorbehalt auch in Horizon 2020 wenigstens auf dem Papier zu erhalten. In der entsprechenden Verordnung vom 11. Dezember 2013 heißt es: "Die im Rahmen von 'Horizont 2020' durchgeführten Forschungs- und Innovationstätigkeiten sind ausschließlich auf zivile Anwendungen ausgerichtet."[17]

Allerdings steht dieser Satz in eklatantem Widerspruch zu dem, was die EU-Kommission im zentralen Dokument zu Horizon 2020 über den Budgetstrang "Sichere Gesellschaften" schreibt: "Die Tätigkeiten folgen einem auftragsorientierten Konzept und tragen der entsprechenden gesellschaftlichen Dimension Rechnung. Sie unterstützen die Unionsstrategien für die interne und externe Sicherheit und die Verteidigung". Weiter wird dort im selben Kapitel gefordert: "Bei den Tätigkeiten in allen Gegenstandsbereichen werden auch Integration und Interoperabilität der Systeme und Dienste behandelt [...]. Hierfür müssen bei Aufgaben wie Katastrophenschutz, humanitäre Hilfe, Grenzschutz oder Friedensmissionen auch zivile und militärische Kompetenzen vereint werden."[18]

Besonders wird im Zusammenhang von Horizon 2020 der "Nutzen" von Dual-use-Forschung betont. So werden die Kernaussagen von Slawomir Tokarski von der Generaldirektion Handel und Industrie bei einer Anhörung des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlamentes am 13. Oktober 2014 folgendermaßen beschrieben: "Der Großteil der zivilen und militärischen technologischen Forschung entstammt zu 60% bis 70% derselben Basis, argumentierte er. Er [Tokarski] räumte ein, dass Horizon 2020 nur zivile Projekte finanziert, aber er erklärte, dass die Kommission eine Reihe von Dual-use-Projekten ins Blickfeld der Industrie rücken könnte."[19] Andererseits bemängelte u.a. eine Studie der Generaldirektion Außenbeziehungen des Rates schon im Sommer 2013, dass sich viele der relevantesten Teile des militärischen Forschungsbedarfs nicht über dual-use abdecken ließen, weshalb Handlungsbedarf bestehe.[20]

Ein wichtiger Schritt in diese Richtung waren die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates im Dezember 2013, in denen nicht nur gefordert wurde, Horizon 2020 für militärische Zwecke "besser" nutzbar zu machen. Der eigentliche Dammbruch war vielmehr die explizite Forderung nach einer "vorbereitenden Maßnahme", mit der ein künftiger Rüstungsforschungshaushalt auf den Weg gebracht werden soll: "Um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Verteidigungsindustrie auf lange Sicht sicherzustellen und zu garantieren, dass die notwendigen modernen Fähigkeiten verfügbar sind, ist es von wesentlicher Bedeutung, das Fachwissen auf dem Gebiet der Verteidigungsforschung und -technologie, insbesondere für den Bereich kritischer Verteidigungstechnologien, aufrechtzuerhalten. [...] Der Europäische Rat begrüßt deshalb die Absicht der Kommission, zu evaluieren, wie die unter dem Programm 'Horizont 2020' erzielten Ergebnisse auch für die industriellen Fähigkeiten im Sicherheits- und Verteidigungssektor nutzbar gemacht werden könnten. Er ersucht die Kommission und die Europäische Verteidigungsagentur, eng mit den Mitgliedstaaten zusammenzuarbeiten, um Vorschläge auszuarbeiten, wie die Dual-Use- Forschung noch stärker angekurbelt werden kann. Eine vorbereitende Maßnahme für im GSVP-Kontext betriebene Forschung wird auf den Weg gebracht; dabei sollen Synergien mit nationalen Forschungsprogrammen angestrebt werden, wo immer dies möglich ist."[21]


1.3 Rüstungsforschung: Der Schritt über den Rubikon

Dass das Ziel der vorbereitenden Maßnahme tatsächlich primär darin besteht, einen künftigen Rüstungsforschungshauhalt auf die Schiene zu setzen, bestätigte die Kommission in ihrem Bericht "Ein New Deal für die europäische Verteidigung" vom Juni 2014: "Mit einer vorbereitenden Maßnahme soll aufgezeigt werden, welchen Mehrwert ein Beitrag der EU, der die zivile Forschung ergänzt, die derzeit im GSVP-Kontext im Rahmen von Horizont 2020 betrieben wird, in neuen Forschungsbereichen bringt. [...] Diese vorbereitende Maßnahme könnte, falls sie ein Erfolg wird, die Voraussetzungen dafür schaffen, dass ein Themenbereich für Forschung im GSVP-Kontext eingerichtet wird, der im Rahmen des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens finanziert werden könnte."[22]

Auf Initiative des CDU-MdEP Michael Gahler ist der vorbereitenden Maßnahme, die 2017 beginnen soll, ein Pilotprojekt vorgeschaltet, das vom Europäischen Parlament und dem Rat im Dezember 2014 bewilligt wurde. Über die Signalwirkung dieser Entscheidung war u.a. der "Bundesverband der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie" hocherfreut: "Mit diesem Pilotprojekt wird vom Europäischen Parlament vor allem das politische Zeichen gesetzt, EU geförderte Verteidigungsforschung etablieren zu wollen. Im Erfolgsfall wäre es das erste Mal, dass Geld aus dem EU-Haushalt in den Verteidigungssektor fließt."[23]

Im März 2015 berief Industriekommissarin Elżbieta Bieńkowska dann eine "Group of Personalities" (GoP), die Vorschläge für die vorbereitende Maßnahme erarbeiten sollte. Wie zu erwarten war, setzt sich die 16-köpfige Gruppe knapp zur Hälfte aus Vertretern der großen Rüstungsunternehmen zusammen. Hinzu kommen interessierte Forschungsinstitutionen wie die Frauenhofer-Gesellschaft sowie diverse rüstungsnahe Politiker wie der bereits erwähnte Michael Gahler. Diese illustre Gesellschaft veröffentlichte schließlich Ende Februar 2016 ihre Vorschläge zur Ausgestaltung der künftigen EU-Rüstungsforschung. [24]

Die GoP begründet ihre Schlussfolgerungen damit, umfangreiche rüstungstechnologische Kapazitäten seien notwendig, um als weltpolitischer Akteur ersten Ranges agieren zu können: "Die Europäische Union ist ein globaler Akteur mit globalen Interessen und Verantwortlichkeiten. Aber um ein effektiver Akteur zu sein, sind Kapazitäten in kritischen militärischen Bereichen und ein angemessenes Maß an strategischer Autonomie, Handlungsfreiheit und Versorgungssicherheit erforderlich." (S. 75) Der Wunsch nach "strategischer Autonomie" zieht sich wie ein roter Faden durch das Dokument, er taucht nicht weniger als 24 Mal auf. Gemeint ist damit die Sorge, ohne massive Unterstützung auf den Exportmärkten sei eine - machtpolitisch aber als zwingend notwendig erachtete - eigenständige EU-Rüstungsindustrie dem Untergang geweiht: "Die Steigerung der Exporte trägt wesentlich dazu bei, die kritische Masse europäischer Rüstungsunternehmen zu erhalten. [...] Ohne Exporte würden viele EU-Unternehmen aktuell aufgrund der tiefen Einschnitte in den nationalen Rüstungsausgaben ums Überleben kämpfen." (S. 44f.)

Was die "tiefen Einschnitte" in die Rüstungshaushalte anbelangt, wird hier zwar reichlich übertrieben, dass die EU-Rüstungsindustrie ohne Exporte aber nicht überlebensfähig wäre, trifft zu. Deshalb argumentiert nun der GoP-Bericht, die EU-Firmen hätten aufgrund der vergleichsweise geringen nationalen Forschungsausgaben gegenüber der Konkurrenz einen "kompetitiven Wettbewerbsnachteil", der ihre Exportaussichten behindere (S. 43). Weiter wird bemängelt, es sei nicht gelungen, wie beabsichtigt, über die Dual-use-Forschung in Horizon 2020 substantiell Gelder in den Rüstungsbereich umzuleiten (S. 56), weshalb zusammenfassend der Bedarf nach einem eigenen EU-Rüstungsforschungshaushalt auf der Hand liege.

Während das Budget des Pilotprojektes mit 1,5 Mio. Euro noch relativ überschaubar ausfällt, schlagen die GoP-Mitglieder für die vorbereitende Maßnahme einen Haushalt von 75 bis 100 Mio. Euro vor (S. 26). Und auch was das künftige Rüstungsforschungsprogramm anbelangt, wird eine konkrete Hausnummer genannt. Im nächsten EU-Haushalt von 2021 bis 2027 sollen hierfür mindestens 3,5 Mrd. Euro eingestellt werden (S. 27). Dabei sollen Forschungsprojekte zu 100% finanziert werden, bei Horizon 2020 sind es derzeit durchschnittlich lediglich 70% (S. 71). Ferner solle das vorrangige Ziel darin bestehen, zur Schließung der im "Capability Development Plan" identifizierten militärischen Fähigkeitslücken beizutragen - soviel im Übrigen zum vermeintlichen Dual-use-Charakter der Forschungsprojekte (S. 63). Selbstredend dürfe die Einrichtung eines EU-Rüstungsforschungshaushaltes aber "die Mitgliedsländer nicht dazu verleiten, ihre nationalen Verteidigungsausgaben weiter zu reduzieren", das Programm solle "komplementär und supplementär" zur nationalen Forschung sein (S. 57).

Schließlich bieten sich die GoP-Mitglieder abschließend gleich noch als künftige Berater an und schlagen vor, aus ihrer Gruppe ein "European Defence Advisory Board" (EDAB) zu machen: "Dieses Beratungsgremium hätte den Auftrag, [...] strategische Beratung über die Prinzipien, Strukturen und Modalitäten des europäischen Rüstungsforschungsprogrammes anzubieten und Einfluss auf seine Forschungsagenda zu nehmen." (S. 77)


1.4 Präzedenzfall Rüstungsforschung?

Aktuell ist wenig Widerstand gegen die Etablierung eines Rüstungsforschungshaushaltes erkennbar - dies ist umso problematischer, weil nicht davon auszugehen ist, dass dies dann der einzige Militärbereich bleiben wird, für den künftig der EU-Haushalt herangezogen werden wird. Die Bundesregierung steht beispielsweise schon in den Startlöchern und argumentiert, auch ein derzeit in der Diskussion befindliches "EU-Ertüchtigungsinstrument" zur Ausbildung und Aufrüstung "befreundeter" Armeen würde nicht unter den Finanzierungsvorbehalt fallen.


2. EUropas Ertüchtigungsoffensive

Die militärische "Ertüchtigung" befreundeter Staaten oder Aufstandsbewegungen ist in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten militärpolitischen Instrumente der Bundesregierung avanciert. Zu diesem Zweck wurde unlängst ein eigener nationaler Haushaltstitel eingeführt, vor allem wird sich aber darum bemüht, fremde Finanzierungsquellen hierfür anzuzapfen. Eine Option, die in diesem Zusammenhang unlängst ins Spiel gebracht wurde, besteht darin, sich künftig noch stärker bei der Entwicklungshilfe zu bedienen, als dies ohnehin bereits der Fall ist. Allerdings war der diesbezügliche Versuch beim letzten OECD-Gebertreffen Ende Februar 2016 nur bedingt von "Erfolg" gekrönt. Umso prominenter dürfte deshalb künftig die zweite Option verfolgt werden: Die Einrichtung eines "EU-Ertüchtigungsinstrumentes", was es allerdings erforderlich macht, den zivilen Finanzierungsvorbehalt des EU-Vertrages weitgehend ad acta zu legen.


2.1 Allzweckwaffe Ertüchtigung

Vor dem Hintergrund der desaströs verlaufenen Kriege im Irak und Afghanistan, wo auch zeitweise weit über 100.000 Soldaten die faktischen Niederlagen nicht abwenden konnten, setzte in den westlichen Hauptstädten eine fieberhafte Suche nach alternativen Interventionsoptionen ein. Neben dem sprunghaft gestiegenen Einsatz von Drohnen und Spezialeinheiten, gehört hierzu auch der verstärkte Rückgriff auf die Aufrüstung und Ausbildung lokaler Akteure. Bei dem Versuch, dem Vorhaben einen Namen zu geben, herrscht allerdings eine geradezu babylonische Sprachverwirrung: Mal ist die Rede von "Enable & Enhance Initiative" (E2I), dann wieder von "Train and Equip" (TaE) und ganz besonders griffig ist die Bezeichnung "Kapazitätsaufbau zur Förderung von Sicherheit und Entwicklung" (CBSSD). Aus Sicht der Bundesregierung sollen Ertüchtigungsmaßnahmen ganz offensichtlich nicht "nur" auf die Ausbildung, sondern auch auf die direkte Aufrüstung abzielen, wie Staatssekretär Stephan Steinlein im Mai 2015 verdeutlichte: "Befähigung ('Enable') durch Beratung, Training und Ausbildung wird ergänzt durch Stärkung ('Enhance') von Sicherheitskräften und -strukturen durch adäquate und moderne Ausrüstung. [...] Der Begriff Ausrüstung sollte in diesem umfassenden Ansatz nach Auffassung der Bundesregierung Waffen und Munition nicht grundsätzlich ausschließen."[25]

In Deutschland sind Ertüchtigungsmaßnahmen schon länger prominent im Gespräch, nämlich spätestens seit einer Rede der Bundeskanzlerin aus dem Jahr 2011, deren Inhalt seither als Merkel-Doktrin bezeichnet wird: "Wenn die Bundesrepublik davor zurückschreckt, militärisch zu intervenieren' dann reicht es in der Regel nicht, an andere Länder und Organisationen Worte der Ermutigung zu richten. [...] Wir müssen die Staaten, die bereit sind, sich zu engagieren, auch dazu befähigen. Ich sage ausdrücklich: Das schließt auch den Export von Waffen mit ein - dies selbstverständlich nur nach klaren und weithin anerkannten Prinzipien."[26] In den letzten Jahren hat das Konzept immer weiter an Prominenz gewonnen: "Die Praxis der Ausbildung und Ausrüstung von Sicherheitskräften in Drittstaaten ist, ebenso wenig wie die Kritik daran, in Deutschland nicht neu. Allerdings ist sie für die deutsche Politik zunehmend zu einer Art Allzweckwaffe geworden, die sich im Rahmen des neuen «Verantwortungsdiskurses» legitimieren lässt und die sowohl militärische Machtprojektion und Rüstungsexporte als auch Kontrolle über andere Länder ermöglicht, ohne sich auf langfristige, teure und personalintensive Einsätze einlassen zu müssen - auch wenn sie sich gegenseitig nicht ausschließen müssen!"[27]

Schon seit einiger Zeit drängt Deutschland darauf, dass der Ertüchtigung auch auf europäischer Ebene eine prominente Rolle zukommt. Weil dies aber bislang noch nicht in dem Tempo geschah, wie gewünscht, ging man bereits in Vorleistung und schuf eigens einen nationalen Haushaltstitel für Ertüchtigung, um die Sache voranzutreiben: "Die Bundesregierung hat aus der Debatte in Brüssel und der zögerlichen Umsetzung der Initiative mittlerweile ihre eigenen Schlüsse gezogen. Sie hat auf nationaler Ebene einen neuen Haushaltstitel geschaffen, der ab 2016 zur Finanzierung von 'Ertüchtigungsmaßnahmen' dienen soll. Dieser Topf mit 100 Millionen Euro pro Jahr, gemeinschaftlich verwaltet vom Auswärtigen Amt und Verteidigungsministerium, ist ein nationales Instrument, um die Probleme bei der Finanzierung und Bereitstellung auch militärischer Ausrüstungs- und Ausbildungsunterstützung angehen zu können. [...] Der 'Ertüchtigungstitel', verankert im Einzelplan 60 des Finanzministeriums, ist von bisherigen Haushaltstiteln unabhängig; die Mittel können inhaltlich, geografisch und zeitlich völlig frei eingesetzt werden."[28]


2.2 Ein europäisches Ertüchtigungsinstrument?

Als wichtiges Signal, dass Ertüchtigung künftig weit oben auf der Agenda rangieren soll, wurden die Schlussfolgerungen des EU-Rüstungsgipfels im Dezember 2013 gewertet, in denen es hieß: "Der Europäische Rat betont, wie wichtig es ist, Partnerländer und regionale Organisationen durch die Bereitstellung von Schulungen, Beratung, Ausrüstung und gegebenenfalls Ressourcen zu unterstützen, so dass sie zunehmend selbst in der Lage sind, Krisen vorzubeugen oder sie zu bewältigen. Der Europäische Rat ersucht die Mitgliedstaaten, die Hohe Vertreterin und die Kommission, für größtmögliche Kohärenz zwischen den diesbezüglichen Maßnahmen der EU und der Mitgliedstaaten zu sorgen."[29]

Obwohl die EU bereits 2010 im Rahmen von EUTM Somalia begann, Militär auszubilden und dann 2013 mit EUTM Mali sowie 2015 mit EUMAM ZAR zwei weitere Missionen hinzukamen, kam die Ertüchtigung aus Sicht der Bundesregierung nur schleppend voran. Im "Reader Sicherheitspolitik" der Bundeswehr wird dies auf zwei Phänomene zurückgeführt: "Es gibt derzeit kein EU-Haushaltsinstrument, das darauf zugeschnitten wäre, den Aufbau militärischer Kapazitäten in Drittstaaten zu unterstützen. [Es] offenbart sich ein großes, funktionales Problem bei der konkreten Umsetzung der europäischen Ertüchtigungsinitiative: Offenbar gelten innerhalb der EU sehr viel größere Hürden für die materielle Ausstattung ausländischer Sicherheitskräfte als für deren Ausbildung. Ein primärrechtliches Hindernis stellt schon der Lissabon-Vertrag von 2009 dar, der die Finanzierung von 'Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen' aus dem EU-Haushalt für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ausschließt (Artikel 41, Absatz 2, EUV). Prinzipiell kann zwar das EU-Instrument für Entwicklungszusammenarbeit (Development and Cooperation Instrument/DCI) Kapazitätsaufbau im zivilen wie militärischen Sicherheitssektor finanzieren. Die Bestimmungen für Ausgaben, die als öffentliche Entwicklungshilfe deklariert werden können (Official Development Assistance/ODA-Kriterien), lassen in der Regel aber ebenso keine Unterstützung der Militärausgaben im Partnerland zu."[30]

Diese Überlegungen flossen auch in das Papier "Kapazitätsaufbau zur Förderung von Sicherheit und Entwicklung" ein, das die EU-Außenbeauftragte und die EU-Kommission im April 2015 veröffentlichten.[31] Darin wird zunächst ebenfalls die Bedeutung von Ertüchtigungsmaßnahmen hervorgehoben: "Eine der wichtigsten Aufgaben der EU hierbei ist es, Partnerländer und regionale Organisationen durch tatkräftige Unterstützung beim Aufbau ihrer Sicherheitskapazitäten in die Lage zu versetzen, Krisen selbst zu verhüten bzw. zu bewältigen." (S. 13)

Gleichzeitig wird in dem Papier nahezu wortgleich wie im Reader Sicherheitspolitik bemängelt, dass der EU-Vertrag die Finanzierung derartiger "Ertüchtigungsmaßnahmen" aus dem EU-Haushalt erschwert, weshalb verstärkt auf die seit 2004 operierende "African Peace Facility" (APF) zurückgegriffen wird: "Die Verträge schließen die Möglichkeit aus, Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen aus dem EU-Haushalt zu finanzieren (Artikel 41 Absatz 2 EUV). [...] Dementsprechend gibt es derzeit kein EU-Haushaltsinstrument, das für die umfassende Finanzierung des Aufbaus von Sicherheitskapazitäten - und insbesondere von militärischen Kapazitäten - in Partnerländern konzipiert wäre. [...] Daher kommt dem Europäischen Entwicklungsfonds und der Friedensfazilität für Afrika, die außerhalb des EU-Haushalts angesiedelt sind, bei den derzeitigen Bemühungen um 'Überbrückung' der Kluft zwischen der GSVP und den verschiedenen Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit besondere Bedeutung zu, wenn es um eine umfassende Herangehensweise an Fragen der Verknüpfung von Sicherheit und Entwicklung geht." (S. 9f.)

Doch auch diese Option stößt aktuell an ihre Grenzen: "Die Möglichkeiten der Finanzierung des Aufbaus von Sicherheitskapazitäten könnten zudem aufgrund der Definition der öffentlichen Entwicklungshilfe (ODA) begrenzt sein, denn die ODA-Kriterien schließen Militärausgaben in der Regel aus. Diese Beschränkung ist im Kontext des MFR [Mehrjährigen Finanzrahmens] besonders relevant, denn die EU soll sicherstellen, dass im Zeitraum 2014-2020 mindestens 90 % ihrer gesamten externen Hilfe als ODA gezählt werden. [...] Darüber hinaus wird in dem mehrjährigen APF-Aktionsprogramm 2014-2016 die Finanzierung von Munition, Waffen und bestimmten militärischen Ausrüstungsgütern, Ersatzteilen, Gehältern und Ausbildungsmaßnahmen für Soldaten ausgeschlossen. Weitere Beschränkungen betreffen die rechtliche Vorgabe, dass die Mittel aus dem 11. EEF 'soweit irgend möglich' als ODA erfasst werden sollen." (S. 9ff.)

Weil dies alles die militärische "Ertüchtigung" erheblich erschwert, wird anschließend vorgeschlagen, die Finanzierungsoptionen der African Peace Facility zu erweitern und ein eigenes "Ertüchtigungsinstrument" ins Leben zu rufen. Geflissentlich ausgeblendet wird dabei die Frage, wie ein solches Instrument mit dem im selben Papier beschriebenen Finanzierungsvorbehalt vereinbar sein soll: "Angesichts des Umfangs der Problematik sollten für die bestehenden Beschränkungen nicht nur Ad-hoc-Lösungen gefunden werden. Die Europäische Kommission und die Hohe Vertreterin sind vielmehr der Ansicht, dass die praktische Durchführbarkeit der drei folgenden Maßnahmen geprüft werden sollte:

i) Vorschlag zur Anpassung der Friedensfazilität für Afrika, um deren Beschränkungen abzubauen

ii) Einrichtung einer Fazilität für die Verknüpfung von Frieden, Sicherheit und Entwicklung im Rahmen eines oder mehrerer bestehender Instrumente

iii) Einrichtung eines spezifischen Instruments zu diesem Zweck". (S. 13)


2.3 Ertüchtigung statt Armutsbekämpfung?

Der generöse Duktus, mit dem in den Geberländern gerne über die scheinbar so großzügig geleistete Entwicklungshilfe gesprochen wird, ist mehr als scheinheilig: "Im Jahr 2013 betrug die gesamte Entwicklungshilfe der Industrieländer für alle Dritte-Welt-Länder 103 Mrd. US-Dollar - größtenteils Kredite. Gleichzeitig macht der jährliche Schuldendienst (153 Mrd. Zinsen + etwa 350 Mrd. Tilgung bei vier Billionen Schulden) der Länder des Südens gut 500 Milliarden aus. Diese Länder zahlen so per Saldo jährlich rund 400 Mrd. Dollar an die Banken und Finanzinstitute der reichen Länder."[32]

Trotzdem - oder wohl besser: deswegen - bleiben die Geberländer bis heute weit hinter der mit der UN-Resolution 2626 vom 24. Oktober 1970 geleisteten Zusage zurück, wenigstens 0,7% ihres Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe aufzuwenden. Gerade deshalb ist es eine entscheidende Frage, welche Ausgaben als "Öffentliche Entwicklungshilfe" (ODA) verrechnet werden können. Die Relevanz der ODA-Zahlen ist somit beträchtlich, geben sie doch Aufschluss darüber, inwieweit die Geberländer ihrer - ohnehin schon sehr bescheidenen - Zusage aus Res. 2626 (1970) nachkommen.

Um die Höhe der Öffentlichen Entwicklungshilfe zu bestimmen, richtete die OECD bereits im Jahr 1969 ein einheitliches Erfassungssystem ein. Seither legt der OECD-Entwicklungshilfeausschuss (OECD-DAC), dem die wichtigsten Geberländer plus die Europäische Kommission angehören, nach dem Einstimmigkeitsprinzip verbindliche Kriterien fest, was als ODA bezeichnet und abgerechnet werden kann. Nachdem militärische Aspekte jahrzehntelang kategorisch ausgeschlossen wurden und Entwicklungshilfe sich - zumindest formell - auf Armutsbekämpfung im engeren Sinne konzentrieren musste, liegt es auf der Hand, dass jede Öffnung der ODA-Kriterien zugunsten sicherheits- bzw. militärrelevanter Ausgaben die Rüstungsetats entlastet, eine Erhöhung der Entwicklungshilfe lediglich vorgaukelt und so gleichzeitig die miserable Bilanz der Gebeländer schönt.

Der erste Dammbruch erfolgte in den Jahren 2004 und 2005 auf den alljährlichen Treffen des zuständigen OECD-Entwicklungshilfeausschusses. Dort beschlossen die jeweiligen Fachminister, die ODA-Kriterien um verschiedene sicherheitsrelevante Aspekte zu erweitern. Dies hatte zur Folge, dass zwischen 2005 und 2014 30 Mrd. Dollar ODA-Gelder in den Bereich "Frieden und Sicherheit" gepumpt worden sind. Der Löwenanteil davon stammte im Jahr 2014 aus der EU (0,62 Mrd. Dollar), den USA (0,56), Deutschland (0,41) und Großbritannien (0,29).[33] Allerdings waren und sind die Ausbildung oder gar Aufrüstung von Militär weiterhin nahezu vollständig ausgeschlossen. Dennoch ging schon im Jahr 2004 die bereits erwähnte African Peace Facility an den Start, der bislang vor allem für den Aufbau afrikanischer Interventionstruppen und zur Finanzierung von Militäreinsätzen der Afrikanischen Union 1,9 Mrd. Euro Entwicklungshilfegelder entnommen wurden.

Da diese Gelder ebenso wie in anderem Rahmen durchgeführte Ertüchtigungsmaßnahmen bis heute größtenteils nicht als ODA abrechenbar sind, ist es von erheblicher Bedeutung, dass im Vorfeld des Treffens des OECD-Entwicklungshilfeausschusses im Februar 2016 Berichte auftauchten, denen zufolge die ODA-Kriterien um weitere sicherheitsrelevante Bereiche erweitert werden sollten.[34] "Erfolgreich" war dieser Vorstoß aber vor allem dort, wo die Ertüchtigung nicht betroffen ist: "Die Regeln, die definieren, welche Ausgaben als ODA angerechnet werden können, wurden im Bereich 'Frieden und Sicherheit' erweitert. Unter die 'offizielle Entwicklungshilfe' (ODA) fallen nun auch Maßnahmen, um gewalttätigen Extremismus zu bekämpfen sowie Polizeimissionen, die über das Routinetraining für zivile Polizeifunktionen hinausgehen."[35]

Nachvollziehbarerweise stieß diese Initiative nicht überall auf ungeteilte Begeisterung: "Wir bewegen uns hier auf Glatteis. Es ist extrem enttäuschend, wie Regierungen versuchen, Hilfsgelder für ihre eigenen Sicherheitsagendas zu instrumentalisieren. Sie sollten Antiterrormaßnahmen über ihre Sicherheitsbudgets finanzieren - nicht, indem sie ihre Entwicklungshilfekassen plündern", kritisiert etwa Sara Tesorieri, die stellvertretende Leiterin des Oxfam-EU-Büros.[36]

Ein kleiner Lichtblick ist deshalb, dass es, was Ertüchtigungsmaßnahmen anbelangt, "nur" gelang, Maßnahmen zur Verbesserung der zivilen Kontrolle ausländischen Militärs sowie die Ausbildung von Soldaten in Menschenrechtsfragen neu in den Katalog aufzunehmen.[37] Da es sich hier um vergleichsweise niedrige Kosten handelt, sind damit der Verwendung von Entwicklungshilfegeldern zur Querfinanzierung von Ertüchtigungsmaßnahmen bis auf Weiteres gewisse Grenzen gesetzt.


2.4 Deutschland prescht voran

Aufgrund der Schwierigkeiten, die Entwicklungshilfe vor den Militärkarren zu spannen, dürfte die zweite seitens der EU-Kommission und der EU-Außenbeauftragten angedachte Option in nächster Zeit weiter Rückenwind erhalten: Die Schaffung eines "Ertüchtigungsinstrumentes". Hier stellt sich das Problem, wie ein solches Instrument mit dem zivilen Finanzierungsvorbehalt des EU-Vertrages in Einklang gebracht werden kann. Bislang wurden die EU-Verträge schließlich in der Regel stets dahingehend interpretiert, dass durch sie die Finanzierung sämtlicher militärrelevanten Ausgaben verboten ist. Hier grätscht nun die Bundesregierung dazwischen und argumentiert, wie schon im Falle der EU-Rüstungsforschung, das Verbot erstrecke sich auch nicht auf Ertüchtigungsmaßnahmen: "Dreh- und Angelpunkt ist die Frage, wie die fehlende Ausrüstung für die Partnerländer beschafft werden kann. In Betracht käme zunächst der GSVP-Finanzierungsmechanismus. Art. 41, Abs. 2 des Lissabon-Vertrags schließt die Finanzierung von 'Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen' aus dem EU-Haushalt aus. Hier gilt das Prinzip 'costs lie where they fall', d.h. die Mitgliedstaaten, die sich an einer Militäroperation beteiligen, müssen die Kosten dafür selbst tragen. [...] Deutschland [...] verweist auf die vielen Aktivitäten 'mit militärischen Bezügen', die bereits durch das Budget der Union finanziert werden."[38]

Kommt die Bundesregierung mit dieser Argumentation durch, dürfte es künftig erheblich einfacher fallen, Stellvertreterkriege mit EU-Geldern zu finanzieren, statt hierfür die nationalen Haushalte "bemühen" zu müssen.


3. Ende des zivilen EU-Haushalts?

Der viel beklagte "Kahlschlag" bei den westlichen Rüstungsausgaben fällt tatsächlich weit moderater aus, als allenthalben suggeriert wird. Zufrieden meldete die NATO etwa, die Ausgaben hätten sich im Jahr 2015 stabilisiert - einige Mitglieder, allen voran Deutschland, haben ihre Haushalte sogar spürbar angehoben.[39] Von dem ehrgeizigen Ziel, 2% des Bruttoinlandsprodukts für das Militär auszugeben, auf das sich die NATO-Mitglieder zuletzt noch einmal beim Gipfeltreffen in Wales im September 2014 geeinigt hatten, ist man aber derzeit - und auch auf längere Sicht - meilenweit entfernt.[40] Doch ohne üppig gefüllte Kriegskassen wird es der Europäischen Union sehr schwer fallen, dem Anspruch als globaler Akteur ersten Ranges gerecht zu werden - so zumindest die Meinung in Brüssel und den anderen EU-Hauptstädten. Gleichzeitig sind die Menschen in der Europäischen Union extrem skeptisch, was Erhöhungen der Rüstungsausgaben anbelangt[41], weshalb sich der Umweg über den EU-Haushalt geradezu anbietet.

Traditionell wird den Geschehnissen in Brüssel relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl dort nicht zuletzt überaus relevante Weichen für die künftige Militärpolitik (und die Geldflüsse) gestellt werden. Insofern liegt der Gedanke von Rüstungslobby und Militärpolitikern nahe, sich am EU-Haushalt zu bedienen. Bislang wirkt der Finanzierungsvorbehalt hier noch als ein erhebliches Hindernis, ist dieses aber erst einmal aus dem Weg geräumt, ist die Bahn frei, sich hemmungslos aus EU-Töpfen zu bedienen.


Anmerkungen

[1] Ludwig, Thomas: Meilenstein für Europas Verteidigung, Handelsblatt, 05.01.2015.

[2] Ebd.

[3] Zwar gibt es immer wieder Versuche, ATHENA auf weitere Bereiche auszuweiten, die aber allesamt bislang scheiterten.

[4] Im Haushaltsplan 2007 bis 2013 waren für die GASP insgesamt etwa 2 Mrd. Euro vorgesehen. Für den Zeitraum 2014 bis 2020 sind 2,338 Mrd. Euro eingestellt. Konkret in Mio. Euro: 314 (2014); 321 (2015); 327 /2016); 334 (2017); 341 (2018) 247 (2019); 254 (2020). Siehe EUISS Yearbook of European Security 2015, Paris 2015, S. 44.

[5] Wagner, Jürgen: Galileo: Erzteures Militaristenprojekt entpuppt sich als Milliardengrab, IMI-Standpunkt 2010/040.

[6] Regulation (EU) No 1285/2013 on the implementation and exploitation of European satellite navigation systems; Regulation (EU) No 377/2014 establishing the Copernicus Programme.

[7] European Commission: African Peace Facility, o.J.

[8] Zur Zulässigkeit der Haushaltsfinanzierung von Forschung im GSVP-Kontext vor dem Hintergrund des Verbots des Art. 41 Abs. 2 EUV, WD 4 090/15, 16. Juni 2015, S. 4 und 8.

[9] Ebd., S. 7. In diese Richtung wurde bereits zuvor argumentiert. Siehe etwa Hilmar Linnenkamp u.a.: Die künftige Bundeswehr und der Europäische Imperativ, SWP-Aktuell, März 2011, S. 7.

[10] Darüber hinaus sind im 7FPR noch 1.4 Mrd. für "zivile" Weltraumforschung eingestellt, mit denen direkt militärrelevante Forschung betrieben wird.

[11] Dementsprechend fielen dann auch die geförderten Projekte aus, wie Ben Hayes, Autor der in diesem Zusammenhang zentralen Studie Neoconopticon, kritisierte: "Für jeden dieser scheinbar unterschiedlichen Bereiche stellt sich heraus, dass dieselbe Antwort vorgeschlagen wird: Maximierung des Einsatzes von Sicherheitstechnologie; Verwendung von Risikoabwägungen und Modellen, um menschliches Verhalten vorherzusagen (und darauf Einfluss zu nehmen); die Gewährleistung schneller 'Antworten auf Störungen'; und schließlich die Intervention, um die Gefahr zu neutralisieren, automatisch, sofern möglich. [..]. Was sich hinter der irritierenden Zahl an Aufträgen, Abkürzungen und EU-Politiken verbirgt, ist die rasche Entwicklung eines mächtigen neuen 'interoperablen' europäischen Überwachungssystems, das für zivile, kommerzielle, polizeiliche, sicherheits- wie auch verteidigungsbezogene Zwecke eingesetzt werden wird." Siehe Hayes, Ben: Neoconopticon - The EU Security-Industrial Complex, Statewatch/Transnational Institute 2009, S. 30.

[12] "Laut den aktuellsten Zahlen der Europäischen Kommission, ist das weltweite Marktvolumen innerhalb von zehn Jahren von etwa zehn auf rund 100 Milliarden Euro im Jahr 2011 angewachsen und hat sich damit - trotz der Krise - verzehnfacht. Die europäischen Unternehmen haben mit einem Jahresumsatz von 25 bis 36 Milliarden Euro einen Anteil von etwa 25 Prozent am Weltmarkt. Rund 180.000 Personen arbeiten europaweit in diesem Sektor." Siehe Ehrenhauser, Martin/Sander, Alexander: Politik im Dienst der Sicherheitsindustrie, in: Vorgänge Nr. 209 (Heft 1/2015), S. 61-65.

[13] Hayes 2009, S. 72.

[14] Bigo, Didier u.a.: Review of Security Measures in the 7th Research Framework Programme FP7 2007-2013, Brüssel 2014, S. 6.

[15] Jeandesboz, Julien/Ragazzi, Francesco: Review of security measures in the Research Framework Programme, Policy Department C: Citizens' Rights and Constitutional Affairs, Brüssel, Oktober 2010, S. 23.

[16] Zum Bereich "Sichere Gesellschaften" gehören: "Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus"; "Erhöhung der Sicherheit durch Grenzüberwachung"; "Stärkung der Computer- und Netzsicherheit"; "Stärkung der Widerstandsfähigkeit Europas gegenüber Krisen und Katastrophen"; "Gewährleistung der Privatsphäre und der Freiheit im Internet und Stärkung der gesellschaftlichen Dimension von Sicherheit".

[17] Verordnung (EU) Nr. 1291/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013.

[18] Vorschlag für Beschluss des Rates über das spezifische Programm zur Durchführung des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation "Horizont 2020" (2014-2020), KOM (2011) 811, Brüssel, 30.11.2011, S. 94.

[19] Parliament, Commission & EDA debate CDSP, The Parliament Magazine, 14.10.2014.

[20] Troszczynska-Van Genderen, Wanda: Enhancing support for European security and defence research: Challenges and prospects, DG EXPO, Brüssel, April 2015, S. 17f..

[21] Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, Brüssel, 19./20.12.2013.

[22] Ein New Deal für die europäische Verteidigung, KOM (2014) 387, Brüssel, 24.6.2014, S. 10.

[23] Fokus Sicherheit und Rohstoffe, BDI, Mai 2015, S. 4.

[24] Report of the Group of Personalities on the Preparatory Action for CSDP-related research, EUISS, Paris, Februar 2016. Die folgenden Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf dieses Dokument.

[25] Drucksache 18/5342, 26.06.2015.

[26] Henken, Lühr/Strutynski, Peter: Händler des Todes. Rüstungsexporte als Mittel deutscher Außenpolitik: Schädlich und unmoralisch, RLS-Standpunkt Nr. 5/2013, S. 2.

[27] Mickan, Thomas: Die Politik der militärischen Ertüchtigung, RLS Studien 4/2016, S. 5.

[28] Puglierin, Jana/Feyock, Sebastian: Deutschland ertüchtigt, Internationale Politik 1, Januar/Februar 2016, S. 115-119, S: 117f..

[29] Schlussfolgerungen des Europäischen Rates, Brüssel, 19./20.12.2013.

[30] Ertüchtigung als neue Strategie europäischer Sicherheitspolitik, Reader Sicherheitspolitik, Ausgabe 11/2015.

[31] Kapazitätsaufbau zur Förderung von Sicherheit und Entwicklung - Befähigung unserer Partner zur Krisenprävention und -bewältigung, JOIN(2015) 17, Brüssel, 28.4.2015, S. 13. Die folgenden Seitenzahlen in Klammern beziehen sich auf dieses Dokument.

[32] Schmid, Fred/Schreer, Claus: G7. Der Club der Mächtigen, isw grafik info, Juni 2015, S. 6.

[33] Dalrymple, Sarah: New aid rules allow for the inclusion of a wider set of peace and security activities, Development Initiatives, 29.02.2016.

[34] Defence spending may soon be classed as 'development aid', EUObserver, 17.02.2016.

[35] Entwicklungshilfe soll auch Sicherheitsmaßnahmen finanzieren, epo online, 22.02.2016.

[36] Entwicklungshilfe oder nicht? OECD uneins über Flüchtlingskosten, euractiv, 25.02.2016.

[37] Dalrymple 2016.

[38] Puglieri/Feyock 2016, S. 116f..

[39] The Secretary General's Annual Report 2015, NATO 2016, S. 27.

[40] Mölling, Christian: Die Zwei-Prozent-Illusion der Nato, SWP-Aktuell, August 2014.

[41] Flanagan, Stephen u.a.: Outlook for Defense. Doing Less with Less?, in: Flanagan, Stephen u.a. (Hg.): Diminishing Transatlantic Partnership? The Impact of the Financial Crisis on European Defense and Foreign Assistance Capabilities, Center for Strategic and international Studies (CSIS), 03.05.2011, S. 15.


Den vollständigen Text im Studienformat finden Sie unter:
http://www.imi-online.de/download/IMI-Analyse2016-3-Web.pdf

*

Quelle:
IMI-Studie 2016/03 vom 7. April 2016
Kreative Kriegsfinanzierung
http://www.imi-online.de/2016/04/07/kreative-kriegsfinanzierung/
Herausgeber: Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V.
Hechinger Str. 203, 72072 Tübingen
Tel.: 07071/49154, Fax: 07071/49159
E-Mail: imi@imi-online.de
Internet: www.imi-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. April 2016

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