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IMI/816: Hybride Bedrohungen


IMI - Informationsstelle Militarisierung e.V.
IMI-Studie 2017/13 vom 11. September 2017

Hybride Bedrohungen
Analysekategorie oder Steigbügelhalter der Militarisierung?

von Christopher Schwitanski


INHALTSVERZEICHNIS

Einleitung
Grundlagen des Diskurses
Entwicklung des Diskurses
Hybride Bedrohungen als Legitimationsfigur
Fazit
Anmerkungen


Einleitung

Am 11. April 2017 trafen im finnischen Helsinki Vertreter von neun Nato-Mitgliedstaaten zusammen, um formal die dortige Gründung eines europäischen Zentrums für die Abwehr hybrider Bedrohungen zu beschließen. Ein Schritt, welcher in den offiziellen Presseerklärungen sowohl der Nato als auch der EU begrüßt wurde.

Dem vorausgegangen war eine ganze Reihe von Maßnahmen innerhalb der Nato und den außenpolitischen Institutionen der EU, welche ebenfalls unter Verweis auf die Abwehr hybrider Bedrohungen erfolgten. Da wäre beispielsweise die Joint declaration by the President of the European Council, the President of the European Commission, and the Secretary General of the North Atlantic Treaty Organization, welche Donald Tusk, Jean-Claude Juncker und Jens Stoltenberg im Zuge des Nato-Gipfels im Juli 2016 in Warschau unterzeichneten. In der besagten Erklärung wird u. a. die dringende Notwendigkeit betont, gemeinsam hybride Bedrohungen zu kontern. Darüber hinaus erfolgt auch der Ausbau der Kapazitäten im Bereich so genannter Cyberabwehr und strategischer Kommunikation innerhalb von Nato und EU häufig unter Verweis auf die Notwendigkeit, hierüber eben solche Bedrohungen abzuwehren.

Betrachtet man vor diesem Hintergrund die derartigen Entscheidungen zugrunde liegende Forschungsliteratur über hybride Bedrohungen, so fällt auf, dass das dahinterstehende Konzept erstaunlich unscharf bleibt.

Im Folgenden wird daher der Frage nachgegangen, welche Wissensbestände innerhalb des wissenschaftlichen Diskurses über hybride Bedrohungen in das Konzept selbiger eingeschrieben sind, beziehungsweise sich um dieses herum entwickelt haben. Hierüber soll nicht zuletzt eine Einordnung und ein besseres Verständnis der in den letzten Jahren vermehrt hieraus abgeleiteten sicherheitspolitischen Maßnahmen ermöglicht werden. Hierzu wird zunächst eine grobe Übersicht über einige zentrale Inhalte und den zeitlichen Verlauf des Diskurses gegeben, ehe im Anschluss dessen Bedeutung und hieraus abgeleitete Implikationen diskutiert werden.


Grundlagen des Diskurses

In der sozialwissenschaftlichen (Militär-)Forschung sowie den militärischen und wissenschaftlichen Strukturen der Nato und der EU wird seit einigen Jahren innerhalb eines wissenschaftlichen Diskurses das Wissen über so genannte hybride Bedrohungen und damit eng verknüpft hybride Kriegführung, verhandelt. Hieraus leiten sich wiederum zahlreiche politische und militärische Forderungen ab, welche innerhalb eines umfassenden Netzwerks aus Forschungseinrichtungen, politischen Maßnahmen und Gesetzen realisiert werden. Der besagte Diskurs wird im Folgenden als Bedrohungs-Diskurs bezeichnet, womit kein Diskurs über Bedrohungen im Allgemeinen gemeint ist, sondern jener, der sich um das Konzept und die militärischen Szenarien hybrider Bedrohungen herum entwickelt hat und sich auf diese bezieht.[1]

Bezüglich der sozialwissenschaftlichen Literatur als Teil des wissenschaftlichen Diskurses über hybride Bedrohungen gilt es zu beachten, dass es sich hierbei, sofern sie nicht von der Nato selbst publiziert werden, überwiegend um Analysen staatlicher, militär- und regierungsnaher Forschungseinrichtungen handelt. Deren Mitarbeiter stammen nicht selten ihrerseits aus einem westlichen, militärischen Kontext, weswegen sich stets eine gewisse Nähe zur Nato beobachten lässt. Diese tritt zwar in unterschiedlichem Ausmaß zutage, aber Positionen, welche die Nato oder die westliche Militärpolitik grundsätzlich in Frage stellen oder fundamentale Kritik an dieser üben, sucht man in der Literatur über hybride Bedrohungen vergebens.

Dabei erfasst die ausgewählte Literatur nicht den gesamten hier skizzierten Diskurs, sondern bildet vielmehr eine erste Auswahl, um sich diesem anzunähern. Dabei wurden mehrheitlich Publikationen berücksichtigt, die innerhalb des Diskurses aufgrund von Autorenschaft oder Referenzen bedeutsam erscheinen, und aus Forschungseinrichtungen stammen, die innerhalb der Nato besonderes Gewicht haben. Hierzu zählt z. B. das Nato Defence College, welches als Militärakademie für die Ausbildung von militärischem und zivilem Führungspersonal zuständig ist und gleichzeitig eine der wichtigsten (sozialwissenschaftlichen) Forschungseinrichtungen des Bündnisses darstellt. Darüber hinaus wurden Artikel berücksichtigt, die ihrerseits versuchen, den Bedrohungsbegriff zu definieren und sich mit dessen Entstehung auseinanderzusetzen.

Weiterhin gilt es anzumerken, dass sich für den Begriff der Hybridität in Zusammenhang mit Kriegführung keine einheitliche Definition findet. Die Uneinigkeit über eine grundsätzliche Definition des Phänomens dürfte mit daher rühren, dass sowohl die einzelnen Nato-Mitgliedstaaten als auch am Diskurs beteiligte Forschungseinrichtungen von vornherein ihren eigenen Definitionen, verbunden mit jeweils eigenen Zielen folgten.[2] Der fehlenden einheitlichen Definition zum Trotz lassen sich innerhalb des auf diesem Weg produzierten Wissens einige zentrale Elemente erkennen, die in den verschiedenen Diskursbeiträgen wiederholt auftreten und diese inhaltlich aneinander anschlussfähig machen.

Als verbindendes Element liegt den verschiedenen Arbeiten der Bezug auf Kriege und Bedrohungen zugrunde, die sich durch eine Vermischung von zivilen und militärischen Mitteln auszeichnen. Aufbauend auf dieser Grundlage formiert sich innerhalb des Diskurses das Wissen über hybride Bedrohungen, deren Bewertung und die ihnen zugeordneten Eigenschaften zwischen den verschiedenen Autoren dann teils deutlich schwanken.

Ein weiteres inhaltliches Merkmal, das häufig auftritt, ist die Einbeziehung der Bereiche Cyber und Information. Beide Gebiete werden in diesem Zusammenhang als militärische Räume oder Einsatzfelder aufgefasst und dabei teils explizit auf eine Ebene mit den Einsatzräumen Land, Luft, Wasser und Weltraum gestellt,[3] wobei den ersten beiden im Zuge hybrider Kriegführung eine besondere Bedeutung eingeräumt wird. Der Ausbau der Nato-Kapazität im Bereich Cyberkriegführung und Strategische Kommunikation[4] erfolgte zwar zunächst unabhängig vom Bedrohungs-Diskurs, aber beide Gebiete werden von verschiedenen Autoren in diesen integriert, da Cyberangriffe und "Propaganda" zunehmend auch als Elemente hybrider Bedrohungen gelten, welche es dementsprechend militärisch zu kontern gelte.[5] Damit geht gleichzeitig eine Veränderung in der Rechtfertigung derartiger Aufrüstungsmaßnahmen einher.

Darüber hinaus werden weiterhin Terrorismus, Migration und ökonomische Maßnahmen, wie z. B. wirtschaftliche Sanktionen als Mittel hybrider Kriegführung gedeutet, welche u. a. darauf abzielen, den Zusammenhalt nationalstaatlicher Bevölkerungen zu untergraben. Die Abwehr hybrider Bedrohung wird häufig unter dem ebenfalls definitorisch unscharfen Begriff der "Resilienz" verhandelt, welcher eben jene Mittel einschließt, die es als hybride Bedrohungen zu kontern gilt.[6]


Entwicklung des Diskurses

In der sozialwissenschaftlichen Forschung wird das erstmalige Aufkommen des Konzepts der hybriden Bedrohungen in den frühen 2000er Jahren verortet. Das zugehörige Wissen wurde in der wissenschaftlichen und militärischen Community zunächst unter den Schlagwörtern der asymmetrischen oder irregulären Kriegführung diskutiert, ehe sich zunehmend die neue Begrifflichkeit durchsetzte, welche sich zunächst primär auf nichtstaatliche Akteure bezog.7

In dem Zusammenhang betonen verschiedene Autoren, dass es sich bei dieser Form der Kriegführung um kein neues Phänomen per se handelt, sondern die Vermischung ziviler und militärischer Mittel vielmehr einen typischen Aspekt des Krieges darstellt. Die zunehmende Relevanz ab Beginn des neuen Jahrtausends wird dagegen mit einer (prognostizierten) Zunahme von asymmetrischen bzw. hybriden Konflikten erklärt, im Zuge derer die Grenzen zwischen so genannter konventioneller (staatlicher) und nichtkonventioneller (nichtstaatlicher) Kriegführung stärker verschwimmen.[8] Die Beschreibung hybrider Kriegführung und den hiervon ausgehenden Bedrohungen geht vielfach mit einer negativen Konnotation einher, wie sich beispielhaft an einer Definition in dem Buch Conflict in the 21st century: The rise of hybrid wars zeigen lässt, welches u. a. in der strategischen Planung des U.S. Marine Corps berücksichtigt wurde: "Hybride Bedrohungen umfassen eine volle Bandbreite verschiedener Arten der Kriegführung, einschließlich konventioneller Potentiale, irregulärer Taktiken und Verbände, terroristischer Akte einschließlich willkürlicher Gewalt und Zwang und kriminelle Unordnung."[9] Die Einbeziehung von Terrorismus, willkürlicher Gewalt und Kriminalität rückt hybride Bedrohungen nicht nur in einen negativ bewerteten Kontext, sondern bringt das Konzept darüber hinaus mit als illegitim bewerteten Formen der Gewaltausübung in Verbindung.

Während die hybride Bedrohungslage in der sozialwissenschaftlichen Literatur bereits seit Anfang der 2000er Jahre thematisiert wird, findet der Begriff seitens der Nato erst Ende der 2010er Jahre zunehmend offiziell Verwendung und hält Einzug in die militärischen Strukturen des Bündnisses sowie in die ihm zugehörigen Forschungseinrichtungen und Denkfabriken. Eine der ersten bedeutenden Nato-Publikationen,[10] die hybride Bedrohungen explizit thematisiert, ist das Multiple Futures Project, welches 2009 vom Allied Command Transformation (ACT)[11] veröffentlicht wurde. An dessen Entstehung waren u. a. die beiden obersten Nato-Gremien, der Nordatlantikrat und das Militärkomitee beteiligt, was die Bedeutung dieser Publikation und des dahinterstehenden Projekts unterstreicht.[12] In dem Dokument werden, ausgehend von vier möglichen Zukunftsszenarien, Empfehlungen für die weitere Entwicklung des Bündnisses bis zum Jahr 2030 gegeben. In diesem Zusammenhang wird vorgeschlagen, sich auf die Abwehr hybrider Bedrohungen und Angriffe vorzubereiten: "Diese hybriden Angriffe werden sowohl vernetzt als auch unvorhersehbar sein, in Kombination traditioneller Kriegführung mit irregulärer Kriegführung, Terrorismus und organisiertem Verbrechen."[13] Unter Verweis auf das Multiple Futures Project veröffentlichten die beiden strategischen Oberkommandos der Nato im Folgejahr ein so genanntes Capstone Concept, welches als Input für die weitere Diskussion des hybriden Bedrohungs-Konzepts und der diesbezüglichen militärischen Doktrin-Entwicklung dienen sollte. Hybride Bedrohungen werden hier wie folgt beschrieben: "Hybride Bedrohungen sind solche, die von Gegnern mit der Fähigkeit ausgehen, zeitgleich konventionelle und nicht-konventionelle Mittel anpassungsfähig in Verfolgung ihrer Ziele einzusetzen."[14] Neben dieser Beschreibung werden auch hier hybride Bedrohungen in einen negativ konnotierten Zusammenhang mit Terrorismus und Kriminalität gerückt: "Sie [hybride Bedrohungen] können dazu in der Lage sein, die rechtliche Komplexität von Situationen auszunutzen, in denen Kampfhandlungen, Terrorismus und kriminelle Aktivitäten einander überlappen oder ergänzen und sich wechselseitig verstärkende Effekte haben."[15]

Für eine zusätzliche Beförderung der Wissensproduktion innerhalb des Diskurses sorgte im Juni 2012 eine Aufforderung der Nato an die Mitgliedstaaten und Nato-Denkfabriken (Centres of Excellence COE)[16], an der Abwehr hybrider Bedrohungen zu arbeiten und diesen Aspekt auch auf organisatorischer Ebene der Nato zu verankern.[17] Vor diesem Hintergrund weitet sich der Diskurs innerhalb der Nato weiter aus und gewinnt ab 2014 zusätzlich an Gewicht. Die Eskalation im westlich-russischen Verhältnis im Zuge des Konflikts in der Ukraine sowie das Erstarken des so genannten Islamischen Staats (IS) im Irak und Syrien bilden zentrale Ereignisse, in deren Folge das Konzept der Hybridität und die ihm zugesprochene Bedeutung massiv an Gewicht gewinnen: Russlands Agieren im Rahmen des gesamten Konflikts wird als prototypisch für hybride Kriegführung bewertet und die damit einhergehende Erschütterung des wahrgenommenen geopolitischen Gleichgewichts sorgt für eine zusätzliche Beförderung des Diskurses.

Die Bedeutung, die Russland und dem IS fortan beigemessen wird, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sich ab 2014 zahlreiche Publikationen in der Beschreibung hybrider Bedrohung auf diese beiden Akteure als prototypische Beispiele zur Erklärung des Phänomens beschränken,[18] was zum Teil schon in den Titeln mittels geopolitischer Kategorien angedeutet wird: Nato's hybrid flanks: Handling unconventional warfare in the south and the east.[19]

Auch innerhalb der europäischen Institutionen gewinnt der Bedrohungs-Diskurs nach den politischen Ereignissen von 2014 an Bedeutung, was sich beispielsweise im "Gemeinsamen Rahmen für die Abwehr hybrider Bedrohungen" der Europäischen Kommission und der hier formulierten Forderung nach einer verstärkten Kooperation mit der Nato zeigt.[20] Die verstärkte Zusammenarbeit mit der Nato wird vor diesem Hintergrund ebenso in der außenpolitischen Globalstrategie der EU von 2016 betont.[21] Interessanterweise wird in den genannten EU-Dokumenten der Begriff hybride Bedrohung gar nicht mehr näher definiert, sondern selbstredend als eigenständige Kategorie neben Bedrohungen wie Terrorismus und Klimawandel behandelt.

Darüber hinaus wurden vom Europäischen Parlament u. a. im November 2016 der "Bericht über das Thema 'Strategische Kommunikation der EU, um gegen sie gerichteter Propaganda von Dritten entgegenzuwirken'" verabschiedet. In diesem wird u. a. ein deutlicher Ausbau der strategischen Kommunikation der EU zur Abwehr gegnerischer "Propaganda" gefordert, wobei Letztere als Teil hybrider Kriegführung gesehen wird.[22]

Die Forderung seitens der Nato und der EU, die Kooperation zwischen beiden Organisationen in der Abwehr hybrider Bedrohungen zu intensivieren, wird häufig mit der hierfür nötigen Kombination ziviler und militärischer Mittel begründet, worin sich beide Organisationen ergänzen könnten. Dabei werden besonders die Vorzüge der zivilen Mittel betont, welche der EU entgegen der Nato zur Verfügung stünden: "Der EU auf der anderen Seite stehen nicht-militärische Instrumente zur Verfügung, um mit solchen Bedrohungen umzugehen: diplomatisch-politische Maßnahmen, Energie-, Handels- und Wirtschaftspolitiken und finanzielle und wirtschaftliche Sanktionen etc."[23]

Die Umsetzung der angestrebten Kooperation zwischen Nato und EU zeigte sich jüngst in der Gründung des eingangs erwähnten gemeinsamen europäischen Kompetenzzentrums zur Abwehr hybrider Bedrohungen in Finnland.

An diesem Punkt lässt sich festhalten, dass das Konzept der hybriden Bedrohung sowohl für die Nato als auch die EU in den letzten Jahren sichtlich an Bedeutung gewonnen hat und hiermit eine ganze Reihe von Maßnahmen in Bereichen wie der Informations- und Cyberkriegführung ebenso wie der Nato-EUKooperation legitimiert werden. Einige Implikationen dieser Entwicklung werden im Folgenden diskutiert, ausgehend von der Beobachtung, dass das zugrunde liegende Bedrohungs-Konzept über die Jahre nicht an definitorischer Schärfe gewonnen hat.


Hybride Bedrohungen als Legitimationsfigur

Ein wiederkehrendes Element innerhalb des Bedrohungs-Diskurses bildet die Konstruktion des Selbst und des Anderen innerhalb der wissenschaftlichen Literatur, welche sich entlang der Grenze zwischen legitimer und illegitimer (hybrider) Kriegführung vollzieht. Dieser Prozess spiegelt sich in der negativen Deutung der hybriden Akteure und den von ihnen ausgehenden Bedrohungen wider. In deren Abwertung schwingt stets implizit die Aufwertung der eigenen Position mit, da der Westen nicht in gleicher Weise hybride Mittel einsetze und daher mit einer ganz anderen Legitimität agiere.[24] Diese Abgrenzung erfolgt nicht gleichermaßen konsequent und viele Autoren müssen sich mit der Problematik auseinandersetzen, dass sich im Falle der westlichen Kriegführung eben die gleichen hybriden Elemente finden lassen, die in anderen Kontexten problematisiert werden. Dennoch lässt sich beobachten, dass die Berücksichtigung dieses Widerspruchs einerseits unterrepräsentiert ist und andererseits in den Publikationen, die darauf eingehen, die Hybridität westlicher Staaten häufig deutlich kürzer abgehandelt wird, ehe ausführlich auf Beispiele wie die Hisbollah, Russland oder den IS eingegangen wird. Dabei macht die überwiegende Verwendung des Konzepts zur Kennzeichnung der Aktivität nicht-westlicher Akteure bereits deutlich, dass es sich hierbei nicht um eine neutral angewendete wissenschaftliche Analysekategorie handelt.[25] Wäre dies der Fall, so müsste die konsequente Analyse hybrider Kriegführung ebenfalls den Einsatz kombinierter ziviler und militärischer Mittel aufseiten der Nato-Staaten untersuchen, anstatt durch eine Unterrepräsentation dieses Aspekts einen scheinbaren qualitativen Unterschied zwischen dem Handeln des westlichen Militärs und Akteuren wie Russland aufzumachen. Denn der Einsatz von hybriden Mitteln wie Cyberwaffen, Falschinformation, Wirtschaftssanktionen und Spezialeinheiten (Letztere werden häufig mit dem hybriden Agieren Russlands in Verbindung gebracht) findet sich ebenfalls im Repertoire des Nato-Militärs. Ein häufig in diesem Zusammenhang genannter Ansatz ist der so genannte Comprehensive Approach der Nato, im Rahmen dessen man sich darum bemüht, zivile Akteure in Militärinterventionen einzubinden und ihre Aktivität mit den militärischen Zielen der Nato in Einklang zu bringen, um hierüber nicht zuletzt eine höhere Akzeptanz für Nato-Einsätze im Kriegsgebiet zu generieren.[26]

Des Weiteren fällt in den Publikationen der Nato die fehlende Thematisierung der Ursachen hybrider Bedrohungen in der Analyse selbiger auf. Das Auslassen dieses Aspekts geht nicht selten mit einer Naturalisierung asymmetrischer Konflikte und hybrider Bedrohungen einher, welche nun eine scheinbar natürliche oder zumindest nicht beeinflussbare Entwicklung im Kriegsgeschehen des 21. Jahrhunderts darstellen. Während die Forschungsliteratur häufig einen solchen Eindruck erweckt, ließe sich das gesteigerte Interesse eines politikberatenden Forschungsfeldes an hybriden Bedrohungen auch mit den zunehmenden militärischen Interventionen der Nato sowie einzelner westlicher Staaten in militärisch unterlegenen Staaten erklären. Das Ausblenden dieser Perspektive in der Betrachtung der Entwicklung hybrider Bedrohungen und Konflikte unabhängig von der militärischen Aktivität der Nato sowie die gleichzeitig erfolgende Konstruktion eines auf verschiedene Akteure (IS, Russland) übertragbaren Feindbildes eines hybrid agierenden Akteurs bildet schließlich den argumentativen Boden, auf dessen Grundlage die Forderung nach einer verstärkten militärischen Erschließung ziviler Bereiche erfolgt.

Deutlich wird diese Entwicklung in Bezug auf den Informations- und Cyberraum, welche innerhalb des Diskurses als notwendigerweise militärisch nutzbare Einsatzräume verstanden werden und dementsprechend ein Ausbau militärischer Kapazitäten in diesen Bereichen gefordert wird. Dass ein solcher Prozess als Militarisierung ziviler gesellschaftlicher Bereiche gesehen werden kann, wird in Einzelfällen explizit thematisiert.[27] Auch die geforderte und beförderte Nato-EU-Kooperation, mit dem Ziel einer Nutzbarmachung der zivilen Mittel der EU zur Unterstützung der Militärpolitik der Nato bewegt sich in diesem Spannungsfeld. So äußert sich Pawlak in einer Publikation des wissenschaftlichen Dienstes des Europäischen Parlaments: "Während die Abwehr hybrider Bedrohungen eine Mischung aus weichen und harten Sicherheitsmaßnahmen erfordert, mit dem Ziel Resilienz aufzubauen, besteht auch das Risiko, dass eine zu enge Ausrichtung der EU [...] am Ansatz der NATO - welche primär eine militärische Allianz ist - zu einer Verschiebung der Optik, hin zu einem militärischen Prisma führt."[28]

In Bezug auf den Informationsraum, welchen zunächst die Nato und mittlerweile auch die EU mittels verschiedener Kommunikationsaktivitäten zusammengefasst unter dem Begriff "strategische Kommunikation" in Verfolgung militärischer Ziele zu erschließen versucht, lässt sich in der wissenschaftlichen Literatur eine Verschiebung in der Rechtfertigung dieser Maßnahmen beobachten. So wurde zu Beginn des Afghanistan-Krieges noch mit der Notwendigkeit argumentiert, im Rahmen der Aufstandsbekämpfung in so genannten asymmetrischen Kriegen hierüber die Kommunikationsaktivität militärisch unterlegener Gegner zu kontern.[29] Dementsprechend war die eigene Kommunikationsaktivität auf der einen Seite Teil der Aufstandsbekämpfung, während auf der anderen Seite die Bevölkerung der Mitgliedstaaten von der Notwendigkeit des Krieges überzeugt werden sollte. Mittlerweile wird dagegen in der Begründung des Ausbaus strategischer Kommunikation zunehmend der hybride Bedrohungsbegriff angeführt. Neben den Bemühungen die eigene Bevölkerung von der Kriegsnotwendigkeit zu überzeugen und auf der anderen Seite Aufständische im Kriegsgebiet zu bekämpfen, dient die Kommunikationsaktivität von Nato und EU nun scheinbar auch dem Schutz der eigenen Bevölkerung vor einer diffusen Bedrohungslage. Diese schafft auch innerhalb der EU eine bessere Grundlage, um gegenüber den bisher friedens- und sicherheitspolitisch begründeten, risikoarmen Interventionen in Drittstaaten, bei denen der Einsatz relativ weniger Soldaten von umfangreichen zivilen, insbesondere finanziellen Maßnahmen begleitet ist, nun auch, wie v.a. von Frankreich und Deutschland gewünscht, den Bereich Verteidigung im engeren, militärischen Sinne stärker auszubauen. Zumindest wurde in der Vergangenheit mehrfach moniert, dass die Bevölkerung der EU angesichts fehlender Bedrohungswahrnehmung bislang nicht bereit wäre, umfangreiche Rüstungsausgaben oder Verluste eigener Soldaten im Rahmen der EU mitzutragen. Indem gegen die EU gerichtete Propaganda oder Cyberaktivitäten als Teil einer hybriden Kriegführung kontextualisiert werden, wird demgegenüber auch jenseits konkreter militärischer Bedrohungen das Gefühl vermittelt, wonach die EU bereits jetzt einem Angriff ausgesetzt oder dieser zumindest jederzeit möglich sei.


Fazit

Die vorliegende Arbeit zeigt beispielhaft, wie die Wissensproduktion innerhalb wissenschaftlicher Einrichtungen der Nato und weiteren ihr und dem westlichen Militär nahe stehenden Institutionen zur Legitimation der Nato und EU-Militärpolitik beitragen. Eine konsequente analytische Anwendung des hybriden Bedrohungskonzepts müsste zur Analyse des kombinierten Einsatzes ziviler und militärischer Mittel die Nato-Staaten in gleicher Weise berücksichtigen, wie andere Akteure. Auf diesem Weg ließe sich die qualitative Unterscheidung und scheinbare moralische Überlegenheit im Agieren des westlichen Militärs ebenso dekonstruieren, wie die hierüber beförderten Feindbilder. Die Rolle der Nato in der Entwicklung von Konflikten, die als hybrid bezeichnet werden, zu berücksichtigen, könnte nicht nur dazu beitragen, deren Mitverantwortung hierfür zutage zu fördern, sondern darüber hinaus in Frage stellen, inwiefern zivile Mittel im Dienst militärischer Handlungslogik überhaupt zu einer Konfliktlösung beitragen können. Dadurch, dass diese Aspekte im nachgezeichneten wissenschaftlichen Diskurs nur eine marginale Rolle spielen, wird es möglich, die so geschaffenen Forschungsarbeiten in den Debatten über Sicherheit und Aufrüstung zur Legitimation und Rechtfertigung der hiermit verbundenen Militarisierung heranzuziehen, anstatt nach friedlichen und dauerhaften Konfliktlösungen zu suchen.


Anmerkungen

[1] Diskurs wird in Anlehnung an Keller verstanden als "Eine nach unterschiedlichen Kriterien abgrenzbare Aussagepraxis bzw. Gesamtheit von Aussageereignissen, die im Hinblick auf institutionell stabilisierte gemeinsame Strukturmuster, Praktiken, Regeln und Ressourcen der Bedeutungserzeugung untersucht werden." (Keller, Reiner. 2011a. Wissenssoziologische Diskursanalyse. Grundlegung eines Forschungsprogramms. 3. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. (S. 234)).

[2] Tenenbaum, Élie. 2015. Hybrid warfare in the strategic spectrum: An historical assessment. In Guillaume Lasconjarias und Jeffrey A. Larson (Hg.): Nato's response to hybrid threats. Nato Defence College. (S. 97)

[3] Vgl. Lindley-French, Julian. 2015. Nato and new ways of warfare: Defeating hybrid threats. Nato Defence College. (S. 3).

[4] Bei strategischer Kommunikation handelt es sich im Falle der Nato um ein Rahmenkonzept, im Zuge dessen sämtliche Kommunikationsaktivitäten des Bündnisses koordiniert werden, mit dem Ziel die Bevölkerung der Mitgliedstaaten und die Zivilbevölkerung in Kriegsgebieten von den eigenen Narrativen zu überzeugen. Ähnliches gilt für die EU, wobei hier ein besonderer Fokus auf der Bevölkerung des europäischen Nachbarschaftsraums liegt. Innerhalb des weiteren Textes wird dieser Begriff beibehalten um deutlich zu machen, dass es hier stets um Bereiche geht, die von Seiten der Nato und der EU bzw. den jeweiligen Forschungsarbeiten explizit so benannt werden.

[5] Vgl. Bachmann, Sascha-Dominik. 2012. Hybrid threats, cyber warfare and Nato's comprehensive approach for countering 21st century threats - mapping the new frontier of global risk and security management. In: Amicus Curiae. (S. 15); Bachmann, Sascha; Gunneriusson, Håkan. 2015. Hybrid wars: The 21st-century's new threats to global peace and security. In: Scientia Militaria: South African Journal of Military Studies. (S. 83); Boudreau, Brett. 2016. "We have met the enemy and he is us." An analysis of Nato strategic communications. The international security assistance force (ISAF) in Afghanistan, 2003-2014. Riga: NATO StratCom COE. (S. 345).

[6] Vgl. Hamilton, Daniel S. 2016. Going beyond static understandings: Resilience must be shared, and it must be projected forward. In: Daniel S. Hamilton (Hg.): Forward resilience: Protecting society in an interconnected world. Washington, DC: Center for Transatlantic Relations. (S. 46f.).

[7] Lasconjarias, Guillaume; Larsen, Jeffrey A. 2015. Introduction: A new way of warfare. In Guillaume Lasconjarias und Jeffrey A. Larson (Hg.): Nato's response to hybrid threats. NDC Research Division. Rome: Nato Defence College. (S. 1).

[8] Hoffman, Frank G. 2007. Conflict in the 21st century: The rise of hybrid wars. Arlington, VA: Potomac Institute for Policy Studies. (S. 7)

[9] Ebd. (S. 8)

[10] Mit Nato-Publikationen sind Dokumente gemeint, die entweder von Nato-eigenen Institutionen (z. B. das Nato Defence College oder die Nato Centres of Excellence) oder einzelnen Nato-Kommandos publiziert wurden.

[11] Das Allied Command Transformation und das Allied Command Operation bilden die beiden strategischen Oberkommandos der militärischen Nato-Kommandostruktur.

[12] Nato. 2009. Multiple futures project final report. Navigating towards 2030. 04.2009 (S. 3f.).

[13] Ebd. (S. 7)

[14] Nato. 2010. BI-SC Input to a new Nato capstone concept for the military contribution to countering hybrid threats, 08.2010, (S. 2).

[15] Ebd. (S. 4).

[16] Hierbei handelt es sich um ein Netzwerk aus 24 multinationalen militärischen Denkfabriken, die dem strategischen Nato-Oberkommando für Transformation unterstellt sind und in verschiedenen Themenfeldern für Doktrin-Entwicklung, Ausbildung und Transformation der Nato zuständig sind.

[17] Bachmann, Sascha; Gunneriusson, Håkan. 2015. Hybrid wars: The 21st-century's new threats to global peace and security. In: Scientia Militaria: South African Journal of Military Studies. (S. 79)

[18] Vgl. Drent, Margriet Ellen; Hendriks, Robert J.; Zandee, Dick H. 2015. New threats, new EU and Nato responses. Clingendael: Netherlands Institute of International Relations. (S. 9ff.).

[19] Jacobs, Andreas; Lasconjarias, Guillaume. 2015. Nato's hybrid flanks. Handling unconventional warfare in the south and the east. In: Nato Defence College, Research Paper (No. 112)

[20] Europäische Kommission. 2016. Gemeinsame Mitteilung an das Europäische Parlament und den Rat. Gemeinsamer Rahmen für die Abwehr hybrider Bedrohungen - eine Antwort der Europäischen Union, 06.04.2016. (S. 1)

[21] Europäische Union. 2016. Shared vision, common action: A stronger Europe. A global strategy for the European Union's foreign and security policy. 06.2016. (S. 9)

[22] Ausschuss für Auswärtige Angelegenheiten. 2016. Bericht über das Thema "Strategische Kommunikation der EU, um gegen sie gerichteter Propaganda von Dritten entgegenzuwirken". (S. 5)

[23] Drent, Margriet Ellen; Hendriks, Robert J.; Zandee, Dick H. 2015. New threats, new EU and Nato responses. Clingendael: Netherlands Institute of International Relations. (S. 7); Vgl. auch Pawlak, Patryk. 2017. Countering hybrid threats: EU-Nato cooperation. Briefing, 03.2017, (S. 11f.).

[24] Vgl. Drent, Margriet Ellen; Hendriks, Robert J.; Zandee, Dick H. 2015. New threats, new EU and Nato responses. Clingendael: Netherlands Institute of International Relations. (S. 10).

[25] Vgl. Tamminga, Oliver. 2015. Hybride Kriegsführung: zur Einordnung einer aktuellen Erscheinungsform des Krieges. In: SWP-Aktuell, (S. 1f.).

[26] Vgl. Wendling, Cécile. 2010 The comprehensive approach to civil-military crisis management. A critical analysis and perspective. Paris: Institut de recherche stratégique de l'école militaire. (S. 15, 40).

[27] Vgl. Bachmann, Sascha; Gunneriusson, Håkan. 2015. Hybrid wars: The 21st-century's new threats to global peace and security. In: Scientia Militaria: South African Journal of Military Studies. (S. 83)

[28] Pawlak, Patryk. 2017. Countering hybrid threats: EU-Nato cooperation. Briefing, 03.2017, (S. 12)

[29] Vgl. Tatham, Steve A. 2008. Strategic communication: a primer. Defence Academy of the United Kingdom. (S. 1f.).


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Quelle:
IMI-Studie 2017/13 vom 11. September 2017
Hybride Bedrohungen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. September 2017

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