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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1258: Bricht der Weltmarkt zusammen?


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4 - April 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Bricht der Weltmarkt zusammen?

Von Ingo Schmidt


Bricht als nächstes der Weltmarkt zusammen? Glaubt man liberalen Wirtschaftskommentatoren, droht ein wiedererwachter Protektionismus, den Weltmarkt zu zerstören.


Obwohl kaum jemand ernsthaft eine derartige Politik verfolgt, ist die Gefahr durchaus real und sie geht von der weltweiten Überproduktion aus: Sollten nach den weltweiten Kreditketten auch noch globale Zulieferketten reißen, kann der Weltmarkt zusammenbrechen.

Die liberalen Strategien der Krisenbekämpfung - Verdrängungswettbewerb und Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiterklasse - tragen allerdings mehr dazu bei als Klauseln, die die einheimische Industrie stärken und Entlassungswellen zu vermeiden suchen. Sie können den Übergang von der Krise zum nächsten Konjunkturaufschwung, zweckoptimistisch auf das Ende dieses oder den Beginn des nächsten Jahres datiert, ernstlich behindern.

Nachdem der Börsen- und Bankenkrach den Herren des Geldes im vergangenen Herbst vorübergehend die Sprache verschlagen hat und sie sich für einen kurzen Moment nicht sicher waren, ob die Steuerzahler für sie in die Bresche springen würden, fühlen sie nun wieder Oberwasser. Zumindest soweit, dass sie für den Fall, dass der angekündigte Aufschwung auf sich warten lässt, Schuldige präsentieren können: wohlmeinende, aber gleichwohl völlig fehlgeleitete Wirtschaftspolitiker, die Staatsgelder für industriepolitische Zwecke missbrauchen und dadurch die globalen Wettbewerbsbedingungen verzerren, statt sie weiterhin in den Finanzsektor zu pumpen - ohne Verstaatlichungen versteht sich.

In einem Punkt haben die liberalen Eiferer freilich Recht: Ein Zusammenbruch des Weltmarkts könnte tatsächlich dazu beitragen, dass die gegenwärtige Rezession sich vertieft und in eine Depression übergeht. Ansonsten aber sind sie schief gewickelt.


Exportorientierung bringt den Weltmarkt aus dem Lot

Dem nüchternen Blick kann nicht entgehen, dass der Staat auch zu den Glanzzeiten des Weltmarkts tüchtig bei der Zu- und Verteilung von Marktanteilen mitgemischt hat. Wer je Kommunal- und Landespolitiker mit Steuerstundung und Gratisinfrastruktur um die Investitionsgunst privaten Kapitals hat buhlen sehen, wird nie an den staatsfreien Markt geglaubt haben.

Und auch Bundespolitiker haben unter dem Mantel einer wettbewerbsneutralen Steuerpolitik eifrig politische Standort- oder genauer: Profitpflege betrieben.

Die kontinuierliche Einmischung des Staates ins weltwirtschaftliche Geschehen ging weit über die Aushandlung internationaler Geschäftsbedingungen hinaus; darüber sollte auch der Verweis auf das mühselige Zurückdrängen von Einfuhrzöllen nicht hinwegtäuschen.

Viele liberale Kommentare dieser Tage lesen sich ja, als stünde uns nun nach einer versehentlich in die Krise geratenen Phase des Freihandels die Rückkehr des Schutzzolls ins Haus. Damit ist nun aber bestimmt nicht zu rechnen.

Das von Woodrow Wilson am Ende des Ersten Weltkriegs verkündete und seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs auch praktisch dominierende Kapitalismusmodell mit ungehinderten Marktzugängen sah in Schutzzöllen von Anfang an ein Überbleibsel europäischer Regulierungswut, die echt amerikanischer Pioniergeist auf den Misthaufen der Geschichte zu befördern habe.

Die historische Mission war mit praktischem Geschäftssinn gepaart: Für viele arme Länder, die gerade erst ihre politische Unabhängigkeit erlangt hatten, aber weder über eine nennenswerte inländische Steuerbasis noch über einen entsprechenden Steuerstaat verfügten, waren Einfuhrzölle in den ersten Nachkriegsjahrzehnten eine wichtige, für manche sogar die wichtigste Einnahmequelle.

So hatte sich der amerikanische Liberalismus die postkoloniale Freiheit aber nicht gedacht und machte sich sogleich daran, den Schutzzoll auch naseweisen Drittwelt-Regierungen auszutreiben, nachdem man schon die europäischen Freunde zum Freihandel bekehrt hatte.

Solange die Sowjetunion, die Volksrepublik China und deren Verbündete ihre Türen dem amerikanischen Kapital noch nicht geöffnet hatten, schien den Regierenden in Washington das Aufpäppeln antikommunistischer Frontstaaten - Deutschland, Japan, Südkorea und Taiwan - angeraten. Sie wurden Exportstaaten, die einen modernen Merkantilismus pflegen - die USA boten ihnen die Möglichkeit zum exportorientierten Wachstum. Übersteigen die Ausfuhren eines Landes nämlich seine Importe, können Unternehmen ihren Umsatz und Gewinn über das inländische Nachfragevolumen hinaus steigern. Ein klarer Wachstumsimpuls für dieses Land - der aber mit einem Nachfrageentzug anderswo einhergeht, weil die Ausfuhrüberschüsse eines Landes die Außenhandelsdefizite eines anderen Landes darstellen.

China schloss sich der merkantilistischen Aufsteigerclique in den 80er Jahren an, nachdem Deng Xiaoping die politischen Beziehungen, die sein Erzrivale Mao mit den USA eingefädelt hatte, zu einem Transpazifikdeal ausbaute, der die Entstehung einer chinesischen Bourgeoisie und Mittelklasse vorsah und im Gegenzug die amerikanische Arbeiterklasse unter Konkurrenzdruck setzen sollte.

Je nach politischer Großwetterlage dominierte in den Exportstaaten das Ziel der Einbindung oder der Zurückdrängung der heimischen Arbeiterklasse. Zunächst noch ohne den Bundesgenossen China produzierten sie Exportüberschüsse, die zum Zerbrechen des Bretton-Woods-Systems fester Wechselkurse beitrugen.

Später trugen die Kapitalexporte, einhergehend mit Überschüssen in der Handelsbilanz, zur Aufblähung der internationalen Finanzmärkte bei. Kontinuierlich förderten sie Aufbau und Reproduktion von Überkapazitäten auf dem Weltmarkt, die die zu realisierenden Gewinne einschränkten und in ein krasses Missverhältnis zu den Gewinnvorgaben des ins Kraut schießenden Geldkapitals setzte.

Hierin hat die gegenwärtige Krise ihren Ursprung und hier liegen auch die Ursachen für den möglichen Übergang in eine Depression.

Die weltweite Überproduktionskrise führt gegenwärtig zu einem massiven Rückgang der privaten Nachfrage nach Konsum- und Investitionsgütern. Logisch, dass dabei auch die Nachfrage nach Importen sinkt. Dies spielt sich in allen Ländern ab, daher sinkt das Welthandelsvolumen. Dabei handelt es sich um ein Symptom der Krise, nicht um eine Folge protektionistischer Maßnahmen.


Liberale Rezepte taugen nicht zur Krisenbewältigung

Dennoch, und ungeachtet der schlechten theoretischen Begründung, sollte die Linke liberale Warnungen vor Protektionismus und einem Zusammenbruch des Weltmarkts ernst nehmen. Sollten nach den weltweiten Kreditketten nun auch noch globale Zulieferketten reißen, ist ein solches Szenario nicht auszuschließen.

Zu beachten ist dabei freilich, dass weniger Obamas kurzzeitig und mit propagandistischer Absicht ventilierte "Buy American"-Klauseln oder Steinbrücks halbherzig verfolgte Verstaatlichungen den Welthandel bedrohen als die liberalen Strategien der Krisenbekämpfung. Wer die Vergabe von Staatsgeldern - gegenwärtig bei Opel und der Konzernmutter General Motors heiß diskutiert - an Entlassungen und Lohnsenkungen knüpft, heizt den Merkantilismus noch richtig an.

Der über Jahrzehnte sich vollziehende Verdrängungswettbewerb könnte unter den Bedingungen weltweit sinkender Nachfrage und einer verschärften Beggar-thy-neighbour-Politik (zu deutsch: Bring deinen Nachbarn an den Bettelstab) in eine Vernichtungskonkurrenz umschlagen. In diese Richtung wirken nicht nur staatlich subventionierter Lohnraub und hierdurch forcierte Unterbietungswettläufe, sondern auch eine Währungskonkurrenz, die auf einem kleiner werdenden Weltmarkt versucht, durch Abwertung der eigenen Währung den Export zu fördern.

Keines der kapitalistischen Kernländer, die im Gegensatz zu Peripheriestaaten politisch auf den Wechselkurs ihrer Währungen einwirken können, verfolgt gegenwärtig eine solche Strategie. Wie bei einem Duell belauern sie sich gegenseitig und warten darauf, dass das Gegenüber die Spannung nicht mehr erträgt und sich endlich bewegt.

Im Unterschied zum Duell sind die Sekundanten nicht so sehr mit der Überwachung der Spielregeln beschäftigt - die gelten auf dem kapitalistischen Weltmarkt weniger als unter Aristokraten und Westernhelden - sondern mit der Verkündung liberaler Freihandelsideen, deren Befolgung die Schießerei angeblich überflüssig macht.

Derweil hat die Finanzkrise Randstaaten wie Island, die baltischen Staaten, Ungarn und die Ukraine, sogar schon die Regionalmacht Russland zum Verpulvern ihrer Währungsreserven gezwungen, ohne dass dies den Absturz ihrer Währungen hätte verhindern können. Diese Abwertungen werden kaum den merkantilistischen Showdown auslösen, weil der Weltmarktanteil dieser Länder trotz der Krise in den Zentren immer noch gering ist. Sie könnten aber die angespannte Ruhe unter den Hauptländern stören und diese aus der Deckung locken.

Lange erwartet und, wenn es dann soweit ist, doch überraschend werden dann die Freihandelsmäntel abgeworfen und spontane Koalitionen gebildet. Der neoliberale Globalisierungsblock löst sich in verfeindete Blöcke auf. Am Ende will es natürlich wieder keiner gewesen sein, und irgendwie stimmt das ja auch. Was zum Showdown treibt, ist ja nicht kaufmännisches Kalkül, das den Wert ungehinderten Marktzugangs sehr genau zu schätzen weiß, sondern ein auf Überakkumulation ruhender Weltmarkt.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 4, 24. Jg., April 2009, Seite 17
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. April 2009