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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1278: Demokratisieren statt privatisieren


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5 - Mai 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Demokratisieren statt privatisieren
Im Kampf gegen Privatisierung kann es nicht nur um einen Eigentumswechsel gehen

Von Helmut Weiss


"Staatlich" ist nicht immer gut, und nicht von sich aus demokratisch. Wenn wir sagen, wir sind gegen die Privatisierung öffentlicher Güter, ist damit noch nicht die Frage beantwortet, was die Alternative sein soll. Reicht. Im nachstehenden Beitrag setzt sich Helmut Weiss damit an Hand mehrerer Sektoren auseinander (Wohnung, Wasser, Nahverkehr usw.). Nachfolgend ein Auszug, der sich auf die Frage der öffentlichen Kontrolle konzentriert.

Der Beitrag wurde auf dem Weltsozialforum in Belém 2009 gehalten; er ist vollständig nachzulesen auf www.labournet.de.


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Auf vielfältige Weise verbindet sich die Finanzkrise mit dem Thema: "Wie gegen Privatisierung kämpfen?" Es sind vor allem drei Schlagworte, die die Verbindung deutlich machen: Die Frage der Kontrolle - über Hilfsgelder, den Wohnungsmarkt als Auslöser der aktuellen Krise, die privatisierten Rentenversicherungen, die bereits von mehreren (südamerikanischen) Regierungen wieder verstaatlicht wurden oder gerade werden.

Vor einigen Jahren gab es bei modebewussten Sozialwissenschaftlern eine Debatte darum, ob der kontinuierliche Rückzug des Staates zu seinem Absterben führen würde: Die letzte Rache des Kapitalismus am Kommunismus - kaum an seiner Realität, wohl aber an seiner Utopie. Heute wird - vielleicht nicht gerade im selben Personenkreis - dagegen längst über Schlagworte wie Sicherheitsstaat, Überwachungsstaat, Eingreifstaat und ähnliches diskutiert.

Für unser Thema ist daran wichtig: Jeglicher Privatisierungsprozess ist immer auch ein Prozess der Abschaffung öffentlicher Kontrolle. Dabei geht es auch immer um die Abschaffung potenzieller öffentlicher Kontrolle. Auch ausgewiesene Gegner der Privatisierung sehen dies nicht immer scharf.

Nun ist es jedoch gerade Gegenstand der Debatte, wie diese Art von Kontrolle organisiert war und ist; denn die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse sind schon seit mehr als einer Generation so, dass es keine reale Kontrolle gibt. Ob dies von einem System, das von kapitalistischem Sachzwang geprägt ist, überhaupt zu leisten wäre, ist dabei eine Kernfrage.

Auch innerhalb der Bewegung gegen Privatisierung gibt es Positionen, die davon ausgehen, dass alle nötigen Kontrollinstanzen bereits vorhanden wären. Herbert Schui schreibt zum Beispiel: "Sicherlich ist auch ein solches öffentliches Unternehmen zu überwachen. Die technische Sicherheit ist zu kontrollieren, ebenso die Wirtschaftlichkeit und die Bezüge der Unternehmensführung. Zu verhindern ist nicht zuletzt, dass ein solches Unternehmen zum Auffanglager für abgewählte Politiker wird. Die dafür erforderlichen Institutionen gibt es längst. Rechnungshöfe und technische Überwachungsvereine, die - gegebenenfalls mit erweiterten Kompetenzen - argwöhnisch prüfen, müssen nicht erst gegründet werden. Überdies kann das Unternehmen ein Statut bekommen, das Pfründenwirtschaft ausschließt. Und schließlich ist - anders als im Realsozialismus und im neoliberalen Gegenwartskapitalismus - mehr auf eine wachsame Presse und Öffentlichkeit zu setzen und auch auf aufmerksame Parlamentarier. Zu Vetternwirtschaft und Unwirtschaftlichkeit muss es also nicht kommen." ("Bitte rational abwägen", Freitag, Nr. 48, 2006.)

Wir denken ganz im Gegensatz dazu, dass es gerade darauf ankäme, solche Einrichtungen entweder grundlegend zu verändern oder zu ersetzen durch Einrichtungen, die eine direkte Beteiligung der Bevölkerung nicht nur ermöglichen, sondern voraussetzen. Real betrachtet sind nämlich genau diese vorhandenen Kontrollinstanzen ein Inbegriff dessen, wie es nicht funktionieren kann - sie schließen jegliche öffentliche Beteiligung aus. Wobei noch hinzukommt, dass die potenziellen Kontrolleure zumeist gleichzeitig Akteure der Privatisierung nicht nur waren, sondern auch noch sind.


Eine Frage der Demokratie

Der gesellschaftspolitische Gegensatz, um den es beim Widerstand gegen Privatisierung geht, ist im Kern die Frage der Demokratie. Weswegen auch bei allen bestehenden öffentlichen Einrichtungen genau analysiert werden muss, inwieweit sie die Menschen zumindest beteiligen.

Nun ist aber die Frage der Demokratie eine ganz konkrete: Die traditionelle politische Theorie der so genannten Gewaltenteilung, die einst drei Säulen der Macht vorsah, ist längst von einer Realität überwunden, in der die Exekutive weitgehend unkontrolliert agiert bzw. sich Organe schafft, die dies können.

Es geht dabei nicht um eine formale Definition von Demokratie, wie etwa jene: Wenn bei Wahlen einigermaßen unterschiedliche politische Parteien antreten, sei dieses System demokratisch zu nennen. Kontrolle und Aufsicht durch Kommunen und andere Instanzen - die durch die Privatisierung ausgehöhlt, unterlaufen bzw. abgeschafft werden - ist in keinem Falle gleichzusetzen mit Kontrolle, Aufsicht oder autonomer Partizipation von Belegschaften und Bevölkerung. Das ist ein Mangel in sehr vielen kritischen Analysen des Privatisierungsprozesses.

Es geht um das konkrete Handeln der Betroffenen: Inwieweit wird die Bevölkerung in die Lage versetzt, so gewünscht, direkt Einfluss zu nehmen? Wie kann sie sich Verfügungsmöglichkeiten aneignen?

Versucht man, weltweit einen Überblick über die Kämpfe gegen Privatisierung zu gewinnen, fällt auf, dass die Zahl jener zunimmt, die eben genau diese Verfügungsgewalt erreichen wollen: Das drückt sich zum Einen in Gesetzen aus, die die Beteiligung der Bürger einfordern, die gibt es von Kenya bis Indien. Zum anderen zeigt es sich auch dort, wo es eine Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften und organisierten Bürgergruppen gibt - etwa am Beispiel Japans oder Malis.

In Deutschland, wo es zwar sehr begrenzte, aber immerhin vorhandene Mitwirkungsrechte gibt, besser: gab, haben Stadt- und Landesregierungen aller politischen Couleur Privatisierungen und Umverteilungen in der Regel heimlich vorgenommen, haben Volksbegehren erschwert, haben die begrenzten Ansätze für Bürgereinfluss, wie etwa Sozialwahlen, ihres Inhalts entleert.

Bei genauer Betrachtung der Sozialwahlen wird sehr schnell deutlich, dass keineswegs vorgesehen ist, den Menschen wirklichen Einfluss auf die Sozialversicherungen zu ermöglichen: Erstens bestimmt die Regierungspolitik, was passiert und nur in diesem Rahmen dürfte überhaupt irgendetwas unternommen werden; und zweitens sind die Sozialwahlen durch Absprachen und die Erfahrung der Nutzlosigkeit des Engagements einzelner längst zu einer Farce geworden.

Die Gewerkschaften beschränken sich darauf vertreten zu sein und beklagen, dass "aufgrund der Regelungsdichte im Sozialversicherungsrecht die Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten der Selbstverwaltung mehr und mehr begrenzt wurden - dies gilt insbesondere für die Krankenversicherung". "Regelungsdichte" ist eine vornehme Umschreibung dafür, dass alle Regierungen der BRD daran gearbeitet haben, Einflüsse der Versicherten zu unterbinden.


Das Verhältnis zur solidarischen Ökonomie

Der erste und wesentlichste Punkt einer Grundversorgung außerhalb der privaten Unternehmen ist deshalb eine organisierte, leicht zugängliche Form der entscheidenden Beteiligung von Belegschaften und Bevölkerung in der alltäglichen Funktion solcher Einrichtungen, die nicht auf die Repräsentation durch Großorganisationen setzt, sondern auf direkte selbst organisierte Beteiligung.

Ein zweiter entscheidender Punkt ist die sektorale Verankerung dieser anderen Art und Weise, Grundversorgung zu organisieren, also: Koppelung an verschiedene gesellschaftliche Sektoren und eigenständige Vernetzung dieser Einrichtungen, um zu verhindern, dass sie ökonomisch ausgetrocknet werden oder in politischer Formalisierung erstarren. Was drittens für Repräsentanten bedeutet, mit einem imperativen Mandat ausgestattet zu sein. Diese Punkte sind weitere Bausteine für Überlegungen.

In Deutschland haben die Implosion der gewerkschaftlichen Gemeinwirtschaft wegen Korruption in den 80er Jahren, sowie die Unterspülung alternativer Betriebsinseln durch die kapitalistische Sturmflut und das eingehämmerte eindimensionale Denken die Debatten um Alternativen zur Marktwirtschaft weitgehend erstickt - nicht nur die Debatten um grundsätzlich andere Gesellschaftsmodelle, sondern um die Möglichkeiten, anders zu leben und zu arbeiten.

Es gibt deswegen nur minimale Ansätze solcherart Initiativen, die zudem noch mit ganz anderen, traditionell bürgerlichen, ökonomischen Modellen zusammengebunden werden. In Deutschland wie anderswo laufen sie unter dem Begriff "Solidarische Ökonomie".

Der Schluss, dass eins die Solidarische Ökonomie vergessen könne, weil es schon in den 70er Jahren ähnliche Initiativen gab - und die, wir wissen es doch, sind allesamt gescheitert - ist allerdings zu kurz. Denn zumindest zweierlei ist heute anders. Erstens ist die Solidarische Ökonomie um die Erfahrung ihrer Grenzen und des Scheiterns früherer Ansätze reicher, zweitens trifft sie heute auf gänzlich veränderte Umstände.

So ist die Solidarische Ökonomie des 21.Jahrhunderts, im Unterschied zu den Alternativbetrieben der 70er Jahre, selten eine Spielwiese für Leute, die aus freien Stücken einem Normalo-Job den Rücken kehren, sondern ist oft eine Notwendigkeit des Überlebens - nicht nur, aber gerade auch für jene, die "normale" Jobs kaum mehr kennen.

Aus all dem vorher Gesagten ergibt sich nahezu von selbst: Der erste grundsätzliche Fehler, den man begehen kann, ist der Ruf nach dem Staat; der zweite Fehler die Einbettung in die Marktwirtschaft. Diese Abhängigkeiten engen Spielräume ein und machen Projekte abhängig von Mächten, die ihnen keineswegs wohlgesonnen sind. Mit autonomen Organisationsprozessen, imperativem Mandat, Abgrenzung zu Akzeptanzförderung und Einbindung, neuen Bündnissen, ökonomischer Vernetzung in diversen Sektoren und Distanz zu Markt und Staat sind zwar nur sehr allgemeine Orientierungen vorhanden, aber sie sind vorhanden und bilden die Basis für die Diskussion von Erfahrungen auf dem Weg zur Aneignung des Lebens.

Eine grundlegende Bedingung für jede Alternative ist das Aufbrechen des Warenaustauschs. In Die Grenzen des Kapitalismus schreiben Exner, Laut und Kulterer: "Einzelne besetzte Betriebe können sich nicht solidarisch entwickeln, solange sie an den Markt gebunden bleiben. Daher müssen sie diese Abhängigkeit überwinden. Das kann aber nur gelingen, wenn sie sich untereinander vernetzen. Sie müssen einander Güter und Dienste zur Verfügung stellen - ohne Geld und ohne Verrechnung. Erst dann wird aus solidarischen Betrieben auch eine solidarische Wirtschaft. Dafür sind übergreifende Strukturen der Koordination nötig."

Auch die in den letzten Jahren viel diskutierte und zunehmend praktizierte Partizipation an kommunalen Haushalten nach dem Beispiel Porto Alegres ist Bestandteil der Erfahrungen, die analysiert werden müssen; ebenso die Tatsache, dass in vielen Ländern staatliche Betriebe fortexistieren, die keineswegs die Wertschätzung der breiten Bevölkerung genießen; und die Erfahrung, dass Alternativbetriebe sich in normale Unternehmen verwandeln.

Deswegen ist auch die Losung "Kommunal ist optimal" nur sehr begrenzt zutreffend. Optimal ist eine Grundversorgung, die in Kooperation von Belegschaften und Bevölkerung organisiert wird, und nicht durch Beamte, die sich von Marktgesetzen leiten lassen. Die Frage kann nicht lauten, wer kommandiert - das Kommandoregime muss abgeschafft werden. So entwickelt sich der Kampf gegen die Privatisierung von einem Kampf zur Abwehr der weiteren Verschlechterung der Lebenslage zu einem Kampf, der Eckmarken setzen kann - Bruchstellen zu Profit, Markt und blindem Wachstum - und gesellschaftlich die Frage aufwirft, wer sich was wie aneignet.

Wir schlagen vor, dass alle, die das mehr oder minder so sehen, sich zusammentun, um eine Art eigene kleine Strömung innerhalb der weltweiten Bewegungen gegen Privatisierung zu bilden.


Der Autor Helmut Weiss ist Mitarbeiter von Labournet.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 5, 24. Jg., Mai 2009, Seite 20
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2009