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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1282: Schwangerschaftskonfliktgesetz verschärft


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6 - Juni 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Guter Tag für "Lebensschützer"
Am 13. Mai wurde das Schwangerschaftskonfliktgesetz verschärft

Von Gisela Notz


Am 13. Mai verabschiedete der Bundestag mit 326 gegen 234 Stimmen die Verschärfung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes; 52 Abgeordnete waren zur Abstimmung nicht erschienen.


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"Heute ist ein guter Tag in diesem Parlament", so begann Johannes Singhammer (MdB-CSU) seine Rede am 13. Mai im Bundestag. Das war noch vor der namentlichen Abstimmung über seine Initiative für ein Gesetz zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes.

Singhammer hatte kurz vorher, am 11. März, in einem persönlichen Gespräch in Rom Papst Benedikt XVI. über den Sachstand seiner Initiative zur Verbesserung der Situation bei Spätabtreibungen in Deutschland informiert. Der Papst hat die Hoffnung geäußert, dass es zu einer besseren Regelung komme als bisher. Das hatte Singhammer am 12. März in einer Presseerklärung den Münchener Medien mitgeteilt.

Offen bleibt, was er ihm versprochen hat. Bereits bei der ersten Lesung hatte er sich auf Kirchen und Ärzte und den lieben Gott, der das "ungeborene Leben" schützt, berufen und damit seinen Eifer begründet. Renate Schmidt (SPD) sprach bei der Debatte im Bundestag nicht für Gott und Papst, sondern für "Parlamentarismus, Demokratie und unser Land".

Es war ihre letzte Rede in diesem Parlament, und vor allem ihr war es zu verdanken, dass der Antrag - anders als bei den früheren Anträgen der CDU - nun mit den Stimmen der SPD, der Grünen und der FDP verabschiedet werden konnte.

Tatsächlich ging es nicht nur um Spätabtreibungen. Die Gesetzesänderungen wirken sich auf die gesamte medizinische Indikation aus, welche Abtreibungen nach der 12. Woche erlaubt. Abtreibungen nach der 12. Woche sind nur erlaubt, um "eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden", und nur dann, wenn "die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann" (Paragraph 218a Abs.2). So war die Regelung bereits vor der Gesetzesverschärfung.

Eine medizinische Indikation kann auch vor der 12. Woche gestellt werden, wenn die Frau erkrankt ist oder embryoschädigende Substanzen eingenommen hat. Abtreibungen aufgrund einer zu erwartenden Behinderung des Fötus sind seit 1995 nicht mehr erlaubt.

Deutschlandweit gibt es etwa 3000 Frauen (2008), die nach der 12. Woche mit medizinischer Indikation abgetrieben haben, darunter zählen auch die ca. 600 Frauen, die schon jetzt ins Ausland ausgewichen sind. Die Anzahl der Frauen, die eine sehr späte, indizierte Abtreibung haben durchführen lassen, obwohl sie sich das Kind wünschten, liegt bundesweit seit Jahren bei 180 bis 230 Fällen.

Ihre Zahl wird auch durch diese unnötige Gesetzesänderung nicht weniger werden. In den allermeisten Fällen handelt es sich hier um Kinder, die nicht lebensfähig sind.

Künftig sind Ärzte verpflichtet, schwangere Frauen nach einer Diagnose medizinisch zu beraten und sie auf die Möglichkeit einer psychosozialen Beratung hinzuweisen. Tun sie das nicht, können sie mit einer Geldbuße bis zu 5000 Euro belegt werden. Frauen müssen zudem eine Bedenkzeit von drei Tagen zwischen Diagnose und Abbruch einhalten. Der Antrag auf statistische Erfassung mit dem Ziel, "belastbare Zahlen" zu bekommen, fand keine Mehrheit.

Die Unionsfraktion hatte bereits 2001 und 2004 "Anträge zur Vermeidung von Spätabtreibung" im Deutschen Bundestag eingebracht. Die damals vorgesehene verpflichtende Beratung für die Frauen stieß auf den Widerstand von Beratungsverbänden und frauenpolitisch engagierten Frauen im Bundestag. Mit dem Umweg über verpflichtete, bußgeldbedrohte Ärzte hatte Singhammer mehr Erfolg.


Frauen werden bevormundet

Die beschlossenen Gesetzesänderungen werden keinen Schwangerschaftsabbruch verhindern. Sie sind ein erheblicher Rückschritt nach Jahrzehnten des Kampfes der Frauen gegen den Paragraph 218, der noch immer im Strafgesetzbuch steht, und sie bleiben auch hinter dem 1995 mühsam errungenen Kompromiss zurück. Im Vorfeld haben sich Parlamentarierinnen der SPD, der Grünen und der LINKEN entschieden gegen jede Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes ausgesprochen - ebenso der Berufsverband der Frauenärzte, Pro Familia und elf weitere Verbände. Berücksichtigt wurden jedoch lediglich ihre datenschutzrechtlichen Einwände.

Insgesamt bedeutet die Verschärfung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes eine weitere Bevormundung von Frauen. Ihnen wird unterstellt, dass sie leichtfertig Entscheidungen zur Abtreibung fällen würden, und dass sie daher gezwungen werden müssten, zumindest drei Tage darüber nachzudenken. Die psychische Belastung für betroffene Schwangere wird erheblich wachsen. Die Bereitschaft von Ärzten, eine medizinische Indikation auszustellen, wird weiter sinken, weil sie juristische Konsequenzen wegen der Nichtbeachtung der Beratungspflicht fürchten. Frauen werden verstärkt ins Ausland fahren, was sich nicht alle werden leisten können.

Niemand hat so laut über das neue Schwangerschaftskonfliktgesetz gejubelt wie die selbsternannten "Lebensschützer". Man darf gespannt sein, was sie und der liebe Gott samt seinen Vertretern auf Erden weiter fordern.

Doch das Problem liegt woanders. Heute gehört es scheinbar zum Standard, sich einem Set von pränatalen Untersuchungen zu unterziehen, gerade so, als hätten Frauen das Recht auf ein perfektes Designerbaby. Hier muss die Beratung - und zwar eine freiwillig angebotene Beratung - ansetzen. Frauen haben ein Recht, darüber aufgeklärt zu werden, was sie erwarten kann und welche Behandlung sinnvoll ist oder nicht, und sie haben auch ein Recht auf Nichtwissen und auf Ablehnung bestimmter technisch initiierter Untersuchungen. Und behinderte Kinder und ihre Angehörigen haben ein Recht auf Unterstützung und auf ein menschenwürdiges Leben wie andere Menschen auch. Daran hapert es in unserer Gesellschaft erheblich.


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 6, 24. Jg., Juni 2009, Seite 6
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Juni 2009