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SOZIALISTISCHE ZEITUNG/1300: Arbeitszeitverkürzung - Was Frauen (und Männer) wirklich wollen


SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8 - Juli/August 2009
Friede den Hütten - Krieg den Palästen!

Arbeitszeitverkürzung
Aus alten Rezepten einen neuen Kuchen backen
Was Frauen (und Männer) wirklich wollen

Von Gisela Notz


Die Wünsche von Frauen und Männern hinsichtlich der Arbeitszeit fallen gar nicht so weit auseinander.


"Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd" - das war eine der Parolen der Gewerkschaftsfrauen bei der großen DGB-Demonstration gegen den Sozialabbau im September 1983 in Bonn gewesen. Frauen wehrten sich damals vor allem gegen die Neuauflage der konservativen Mütterlichkeitsideologie. Selbst bei manchen CDU-Frauen stieß es auf Unverständnis, dass es die "Mutterarbeit" sein sollte, die zur Selbstverwirklichung führt. Die Frauen in Bonn forderten statt dessen Arbeitszeitverkürzung im Interesse der Frauen.

Was die Gewerkschaftsfrauen damals schon wussten, wird heute immer deutlicher: Für Frauen ist Arbeitszeitverkürzung nichts Neues. Sie haben sie bereits, allerdings ohne Lohnausgleich. Sie erhalten sie durch Teilzeitarbeit, Minijobs und andere ungeschützte Beschäftigungsverhältnisse und vielfältige flexible Arbeitsformen, von denen sie nicht leben können.

Ein Drittel aller erwerbstätigen Frauen arbeitet Teilzeit - nur ein Zwanzigstel der erwerbstätigen Männer. 84% aller Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. 42% aller erwerbstätigen Frauen arbeiten Teilzeit. Die Hälfte aller Teilzeitbeschäftigten erhält ein Bruttoeinkommen unter 800 Euro. Frauen stellen 71% der geringfügigen Beschäftigten, 94% der in privaten Haushalten Beschäftigten, 75% der in Minijobs Beschäftigten und 68% der Niedriglöhner.

Zwar sind heute mehr Frauen erwerbstätig als in den 70er Jahren. Ihr Arbeitsvolumen ist seit Jahrzehnten jedoch gleich geblieben und liegt bei etwa 41%; viele können nicht von ihrem Erwerbseinkommen leben. Sie sind arm und abhängig von zusätzlichen Sozialleistungen oder vom (Ehe-)Mann. Teilzeitarbeit und insbesondere Minijobs programmieren auch die Altersarmut von Frauen vor. Die von manchen Wissenschaftlern prognostiziere "Geschlechterrevolution", die eine Auflösung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung diesseits und jenseits des Arbeitsmarktes zur Folge haben soll, hat bis jetzt nicht stattgefunden. Geschaffen wurde die Teilzeithausfrau. Flexibel und billig ist sie durch die Arbeitgeber einzukaufen. Ein weiterer Ausbau der prekären Beschäftigungsverhältnisse ist abzusehen.

Um Haus- und Sorgearbeiten und Berufsarbeit zu vereinbaren, weil Kinderbetreuungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen oder weil ihnen in ihrem Beruf kein "ganzer Arbeitsplatz" angeboten wird, nehmen vor allem Frauen die Arbeitsverhältnisse mit kürzeren Arbeitszeiten. Prekäre Arbeitsverhältnisse bekommen aber auch Frauen angeboten, die keine Familienpflichten haben (wollen).

95% der abhängig beschäftigten Männer sind Vollzeit beschäftigt, auch wenn sie Väter sind. Auch viele Frauen möchten mehr Stunden arbeiten und mehr Geld verdienen. Das geht aus einer Studie der Europäischen Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen hervor. Personen mit langen Arbeitszeiten wollen eher kürzer, Personen mit sehr kurzen Arbeitszeiten eher länger arbeiten. Die Arbeitszeitwünsche von Männern und Frauen unterscheiden sich in geringerem Maße als ihre tatsächlichen Arbeitszeiten. In allen 15 untersuchten EU-Mitgliedsstaaten werden durchschnittlich kürzere Arbeitszeiten gewünscht, aber Frauen wollen weg von der marginalen Teilzeit zu längeren Arbeitszeiten mit besserer Entlohnung. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen Untersuchungen der Universität Flensburg und der Arbeitnehmerkammer Bremen. Bei Realisierung der Arbeitszeitwünsche würden in Deutschland die geschlechtsspezifischen Unterschiede hinsichtlich der Erwerbsbeteiligung um mehr als vier Stunden schrumpfen. Damit würde auch die Möglichkeit zur egalitären Verteilung der unbezahlten Arbeiten wachsen.


Wöchentliche Höchstarbeitszeit begrenzen

Wir brauchen existenzsichernde, sinnvolle Erwerbsarbeit für alle, die das wollen. Eine radikale Verkürzung der Wochenarbeitszeit im Bereich der Vollerwerbsarbeit ist dafür unbedingt notwendig. Ebenso allerdings eine Begrenzung der wöchentlichen Höchstarbeitszeit, inklusive einer Begrenzung der Mehrarbeit und einer Zurücknahme der Rente mit 67.

Ebenso brauchen wir ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft und mehr Mitbestimmungsrechte im Betrieb, denn ohne Einflussnahme der Beschäftigten wird auch die Arbeitszeitverkürzung zu weiterer Rationalisierung und Intensivierung der Arbeit führen. In allen Bereichen menschlicher Arbeit (auch in den jetzt unbezahlt geleisteten), sind Veränderungen hin zu humanen, demokratischen, persönlichkeitsförderlichen Arbeitsbedingungen notwendig.

Um Arbeit wirklich existenzsichernd zu gestalten, brauchen wir die Einführung eines Mindestlohnes, von dem man leben kann, die Abschaffung von 1-Euro-Jobs und von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, einen Rechtsanspruch auf qualifizierte und kostenlose Ganztagsbetreuung für Kinder aller Altersgruppen, die Abschaffung aller Gesetze, die eine Lebensform - z.B. die Ehe - begünstigen, und die Einführung einer eigenständigen sozialen Sicherung für Frauen.

Schließlich geht es um eine Umverteilung der begrenzt vorhandenen, (jetzt) bezahlt geleisteten, sinnvollen und gesellschaftlich nützlichen Arbeit und der (jetzt) unbezahlt geleisteten Arbeit, an die die gleichen Kriterien zu stellen sind. Notwendig werden auch Überlegungen, wie die gesellschaftlich notwendige Arbeiten, die derzeit noch unbezahlt geleistet werden, künftig in den regulär bezahlten Bereich übergehen können.

Das sind alles alte Rezepte, es wird höchste Zeit endlich einen neuen Kuchen danach zu backen!


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Quelle:
SoZ - Sozialistische Zeitung Nr. 7/8, 24.Jg., Juli/Aug. 2009, Seite 10
Herausgeber: Verein für solidarische Perspektiven
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juli 2009